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große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave oses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spi-
noza behandelt hat, nämlich als "toten Hund". Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen
Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Wertrheorie it der ihm eigentümlichen
Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner
Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt
hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen
Hülle zu entdecken.
In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären
schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie
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dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem posit i-
ven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen
Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergängli-
chen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.
Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois
am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die monderne Industrie
durchläuft, und deren Gipfelpunkt – die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, obgleich noch
begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer
Wirkung, selbst den Glückspilzen des neuen heilige, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpauken.
London,24.Januar 1873
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Vor- und Nachwort zur französischen Ausgabe
London, 18. März 1872
An den Bürger Maurice La Châtre
Werter Bürger!
Ich begrüße Ihre Idee, die Übersetzung des "Kapitals" in periodeschen Lieferungen herauszubringen. In
dieser Form wird das Werk der Arbeiterklasse leichter zugänglich sein, und diese Erwägung ist für mich
wichtiger als alle anderen.
Das ist die Vorderseite Ihrer Medaille, aber hier ist auch die Kehrseite : Die Untersuchungsmethode, de-
ren ich mich bedient habe und die auf ökonomische Probleme noch nicht angewandt wurde, macht die
Lektüre der ersten Kapitel ziemlich schwierig, und es ist zu befürchten, daß das französische Publikum,
stets ungeduldig nach dem Ergebnis und begierig, den Zusammenhang zwischen den allgemeinen Grund-
sätzen und den Fragen zu erkennen, die es unmittelbar bewegen, sich abschrecken läßt, weil es nicht so-
fort weiter vordringen kann.
Das ist ein Nachteil, gegen den ich nichts weiter unternehmen kann, als die nach Wahlheit strebenden
Leser von vornherein darauf hinzuweisen und gefaßt zu machen. Es gibt keine Landstraße für die Wissen-
schaft, und nur diejenigen haben, Aussicht, ihre lichten Höhen zu erreichen, die die Mühe nicht scheuen,
ihre steilen Pfade zu erklimmen.
Karl Marx
An den Leser
Herr J. Roy hat es unternommen, eine so genaue und selbst wörtliche Übersetzung wie möglich zu geben
; er hat seine Aufgabe peinlich genau erfüllt. Aber gerade seine peinliche Genauigkeit hat mich gezwun-
gen, die
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Fassung zu ändern, um sie dem Leser zugänglicher zu machen. Diese Änderungen, die von Tag zu Tag
gemacht wurden, da das Buch in Lieferungen erschien, sind mit ungleicher Sorgfalt ausgeführt worden
und mußten Stilungleichheiten hervorrufen.
Nachdem ich mich dieser Revisionsarbeit einmal unterzogen hatte, bin ich dazu gekommen, sie auch auf
den zugrunde gelegten Originaltext anzuwenden (die zweite deutsche Ausgabe), einige Erörterungen zu
vereinfachen, andre zu vervollständigen, ergänzendes historisches oder statistisches Material zu geben,
kritische Bemerkungen hinzuzufügen etc. Welches auch die literarischen Mängel dieser französischen
Ausgabe sein mögen, sie besitzt einen wissenschaftlichen Wert unabhängig vom Original und sollte selbst
von Lesern herangezogen werden, die der deutschen Sprache mächtig sind.
Ich gebe weiter unten die Stellen des Nachworts zur zweiten deutschen Ausgabe, die sich mit der Ent-
wicklung der politischen Ökonomie in Deutschland und der in diesem Werk angewandten Methode be-
fassen.
London, 28. April 1875
Karl Marx
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Zur dritten Auflage
Es war Marx nicht vergönnt, dritte Auflage selbst druckfertig zu machen. Der gewaltige Denker, vor des-
sen Größe sich jetzt auch die Gegenen neigen, starb am 14. März 1883.
Auf mich, der ich in ihm den vierzigjährigen, besten, unverbrüchlichsten Freund verlor, den Freund, dim
ich mehr verdanke, als sich mit Worten sagen läßt, auf mich fiel nun die Pflicht, die Herausgabe sowohl
dieser dritten Auflage wie des hanschriftlich hinterlassenen zweiten Bandes zu besorgen, Wie ich den
ersten Teil dieser Pflicht erfüllt, darüber bin ich dem Leser hier Rechenschaft schuldig.
Marx hatte anfangs vor, den Text des ersten Bandes großenteils umzuarbeiten, manche theoretischen
Punkte schärfer zu fassen, neue einzufügen, das geschichtliche und statistische Material bis auf die neue-
ste Zeit zu ergänzen. Sein Krankheitszustand und der Drang, zur Schlußredaktion des zweiten Bandes zu
kommen, ließen ihn hierauf verzichten. Nur das Nötigste sollte geändert, nur die Zusätze eingefügt wer-
den, die die inzzwischen erschienene französische Ausgabe ("Le Capital. Par Karl Marx", Paris, Lachâtre
1873) schon enthielt.
Im Nachlaß fand sich denn auch ein deutsches Exemplar, das von ihm stellenweise korrigiert und mit
Hinweisen auf die französische Ausgabe versehen war ; ebenso ein französisches, worin er die zu benut-
zenden Stellen genau bezeichnet hatte. Diese Änderungen und Zusätze beschänken sich, mit wenigen
Ausnahmen, auf den letzten Teil des Buchs, den Abschnitt : Der Akkumulaionsprozeß des Kapitals. Hier
folgte der bisherige Text mehr als sonst dem ursprünglichen Entwurf, wärend die früheren Abschnitte
gründlicher überarbeitet waren. Der Stil war daher lebendiger, mehr aus einem Guß, aber auch nachlässi-
ger, mit Anglizismen versetzt, stellenweise undeutlich ; der Entwicklungsgang bot hier und da Lücken,
indem einzelne wichtige Momente nur angedeutet waren.
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Was den Stil betrifft, so hatte Marx mehrere Unterabschnitte selbt gründlich revidiert und mir darin, so-
wie in häufigen mündlichen Andeutungen, das Maß gegeben, wie weit ich gehn durfte in der Entfernung
englischer technischer Ausdrücke und sonstiger Anglizismen. Die Zusätze und Ergäzungen hätte Marx
jedenfalls noch überarbeitet und das glatte Französisch durch sein eignes gedrungenes Deutsch ersetzt ;
ich mußte mich begnügen, sie unter möglichstem Anschluß an den ursprünglichen Text zu übertragen.
Es ist also in dieser dritten Auflage kein Wort geändert, von dem ich nicht bestimmt weiß, daß der Ver-
fasser selbst es geändert hätte. Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das "Kapital" den landläufi-
gen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauder-
welsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeit ge-
ber heißt, und Arbeit
nehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird.
Auch im Franzö-
sischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von "Beschäftigung" gebraucht. Mit Recht aber
würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und
den Arbeiter receveur de travail nennen wollte.
Ebensowenig habe ich mir erlaubt, das im Text durchweg gebrauchte englische Geld, Maß und Gewicht
auf seine neudeutschen Äquivalente zu reduzieren. Als die erste Auflage erschien, gab es in Deutschland
so viel Arten von Maß und Gewicht wie Tage im Jahr, dazu zweierlei Mark(die Reichsmark galt damals
nur im Kopf Soetbeers, der sie Ende der dreißiger Jahre erfunden), zweierlei Gulden und mindestens drei-
erlei Taler, darunter einer, dessen Einheit das "neue Zweidrittel" war. In der Naturwissenschaft herrschte
metrisches, auf dem Weltmarkt englisches Maß und Gewicht. Unter solchen Umständen waren englische
Maßeinheiten selbstverständlich für ein Buch, das seine tatsächlichen Belege fast ausschließlich aus eng-
lischen industriellen Verhältnissen zu nehmen genötigt war. Und dieser letzte Grund bleibt auch noch
heute entscheidend, um so mehr, als die bezüglichen Verhältnisse auf dem Weltmarkt sich kaum geändert
haben und namentlich für die ausschlaggebenden Industrien – Eisen und Baumwolle – englisches Maß
und Gewicht noch heute fast ausschießlich herrscht.