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Bändchen „Düett un Datt in Lünscher Platt“ mit 33 humoristischen
Mundartgedichten. Der Autor ist zwar ein Liebhaber des westfälischen
Platt, kann es aber weder richtig sprechen noch schreiben. Er hat sein
Werk, wie das gereimte „Geleit-Woot“ offenbart, nur mit Hilfe seiner
Lüdenscheider Ehefrau verfassen können (Liäwensläup 2012, S. 386-
390). – Während der Weimarer Republik erscheint noch ein Band
„Ernstes und Heiteres aus Lüdenscheid“ (1929), der auch einige neue
Mundartgedichte Caesars enthält. Drei unserer Auswahl vorangestellte
Auszüge aus hochdeutschen Texten dieser Sammlung weisen den Ver-
fasser als einen Kämpfer für sogenanntes „Volkstum“ aus: Man dürfe
sich die eigenen „Sitten, Trachten und die Sprache“ nicht von der Kul-
tur [sic!] verwehren lassen; „deutsche Art und deutscher Sinn“ stehen
irgendwie auf Seiten der sogenannten Natur, welcher man durch „über-
triebene Kultur“ entfremdet werden könne („Überkultur“ war ein zeit-
genössisches Schlagwort in Heimatszenen und bei der Rechten); die
„deutsche Sprache“ sei reich an Wörtern und deshalb sei es beschä-
mend, sich fremde Wörter zu borgen. Unter den gereimten Mundart-
schwänken fällt ein Stück über zwei geizige Junggesellen ob seiner
Skurrilität aus dem Rahmen (De grötste Sparsamkeit): Die beiden un-
verheirateten Geizhälse blasen aus Sparsamkeitsgründen bei ihrer Un-
terhaltung das Licht aus. Einer der beiden zieht anschließend jedoch
auch seine Hose aus und erklärt, so die Kleidung vor Verschleiß schüt-
zen zu wollen. – Zwei weitere Texte behandeln die Brunnengespräche
der Frauen in Lüdenscheids vergangenen Tagen (Aus der gurren ollen
Tiet) und die Not eines Jungen, der bei seiner Einschulung noch kein
Hochdeutsch versteht (Brümme Paul nit in de Schaule wull).
IV. GEBIET DES KREISES SOEST
11. E
DUARD
R
AABE
(1851-1929): Der aus Soest stammende und in
Hamm lebende Oberlandesgerichts-Sekretär Eduard Raabe hat vor dem
ersten Weltkrieg einen Mundartprosa-Band „S.G.V. oder De Reise in’t
Suerland“ (1893) und die plattdeutsche „Geschichte van diär Stadt
Hamm“ (1903/1904) vorgelegt (Im reypen Koren 2010, S. 510;
Liäwensläup 2012, S. 293-302, 310, 677-683). Raabe wollte die alte
‚gemütliche Sprache‘ der Heimat im Kulturgedächtnis aufgehoben
wissen und litt daran, dass der Käuferkreis seiner zweiteiligen Stadt-
chronik – aufgrund mangelnder Sprachkompetenz – nicht sehr groß
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war. Gleichwohl plädierte er dafür, die Kinder mit Blick auf die Schule
von Anfang an mit der hochdeutschen Sprache aufwachsen zu lassen
(Anthologie III, S. 205). Raabes drittes und letztes Mundartwerk ist der
durchaus nicht konventionelle Lyrikband „De wiese Salomo in Hol-
sken“ (1925) aus Weimarer Zeit – mit sehr viel ‚Weisheit und Moral‘.
Das Bild eines aufgeklärten, toleranten und sozial wachen Bürgerkatho-
liken wird durch dieses Buch bestätigt. „Mit Einschränkungen“ sei vor-
ab hinzugefügt, denn extrem konservative Züge gibt es auch: Raabe
will zwar die wie selbstverständlich hingenommene Arbeitsleistung der
Mütter würdigen (De Mammas), präsentiert aber gleichzeitig Verse mit
frauenfeindlicher und antiemanzipatorischer Tendenz (Wahr se!; För
use Doktorinnen). Er klagt über Schundliteratur mit Bazillengift (Wat
vam Liäsen) und die neumodische Ehe auf Zeit (Moderne Eihestand).
Raabe hält auch nicht viel von der Philosophie (Diogenes; De
Philosophen) und von moderner Kunst (
De ...isten-Molerie). Geschätzt
werden hingegen die angeblich treue Westfalenart und praktizierte
Hausmusik (Westfolen; Husmusik). Kirchlichkeit ist für Raabe durchaus
keine bloße „Kulturangelegenheit“ (De Kiärkwiäg); indessen kann ein
‚religiöser Fimmel‘ in seinen Augen die bedenklichste Form von Fana-
tismus sein (De Steckenpiärdkes). Wahrheitsansprüche müssen auf-
grund geschichtlicher Erfahrungen relativiert werden (Wohrheit). Man
soll selbstbewusst ohne Ducken für das Eigene einstehen und gleich-
zeitig den anderen gelten lassen (Wiähr di!). Scharf kritisiert wird eine
gewalttätige Kindererziehung (Sao nich!; Sao’n Isel; Kinnerlähre). – In
vielen Gedichten mit christlicher Tendenz wirbt der Verfasser als
‚Weiser Salomon‘ dafür, die eigene begrenzte Lebenszeit zu bedenken,
Barmherzigkeit und Solidarität ohne Herablassung zu üben, eigene An-
nehmlichkeiten mit Blick auf das Geschick von Schwerstarbeitern als
unverdient zu betrachten, sich dem Kult des Geldes zu entziehen und
nicht zu vergessen, dass ohne Liebe alles andere im Leben nichts wert
ist. Von pflichtgemäßen Treuebekundungen und abgehobenen Predig-
ten auf Begräbnissen verspricht sich Raabe nicht viel (Begrawen). –
Freunde helfen einander, indem sie sich kritisieren (Echte Fröndskop;
vgl. Auk eine Medizin). – Eine antisemitische Tendenz gibt es nicht, im
Gegenteil: Ein jüdischer Wohltäter der Stadt – vermutlich Elias Marks
(1765-1854) – wird als Ehrenmann gelobt (Ein Ährenmann). Bei ima-
ginären Dichtertreffen in der Stube des Verfassers stellen sich nicht nur
die Klassiker und der plattdeutsche Fritz Reuter mit Schnapsnase ein;
Lessing bringt gerne den Juden Nathan mit ins Haus (Olt Gerümpel). –