Rudolf steiner



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über diesen Goetheschen «Faust» wird vielleicht noch mehr Licht ver-
breitet werden, wenn man ihn in einen größeren Weltenzusammen-
hang hineinstellt. So wie Faust in der Goetheschen Dichtung als gei-
stige Erscheinung zunächst isoliert vor uns dasteht, können wir ihn
etwa in der folgenden Art charakterisieren.

Goethe kommt zunächst in seinem jugendlichen Streben, das natür-
lich angeregt ist durch den Geisteszustand Europas, dazu, das mensch-
liche Ringen innerhalb des auftauchenden Intellektualismus, drama-
tisch darzustellen. Aus der Art von Bekanntschaft, die er mit der
mittelalterlichen Faust-Gestalt, aus dem Volksschauspiel oder der-
gleichen gemacht hat, stellt sich ihm eben die Persönlichkeit des Faust
als ein Repräsentant jener ringenden Persönlichkeiten vor die Seele,
die in jenem Zeitalter lebten. Faust gehört allerdings dem 16. Jahr-
hundert an, nicht dem 15., aber man kann ja sagen, dieser Um-
schwung vollzog sich nicht in einem Jahre, auch nicht in einem Jahr-
hundert, sondern ist über die Jahrhunderte hin verteilt. Also Goethe
trat die Faust-Gestalt entgegen wie eine Persönlichkeit, die in diesem
ganzen Ringen drinnenlebt, aus einer früheren Zeit heraus in eine
spätere Zeit hinein. Und man sieht eigentlich, wie Goethe die beson-
dere Art dieses Ringens vom vierten in den fünften nachatlantischen
Zeitraum hinüber ganz klar ist. Wir sehen, wie er seinen Faust zu-
nächst als den Gelehrten auftreten läßt, der alle vier Fakultäten
kennt, sie hat auf sich wirken lassen, der also in seine Seele die Im-
pulse aufgenommen hat, die aus dem Intellektualismus, aus der intel-
lektualistischen Wissenschaftlichkeit herauskommen, und der auch
das menschlich Unbefriedigende des Stehenbleibens im einseitigen In-
tellektualismus empfindet. Faust wendet sich von diesem Intellektua-
lismus ab, wie Sie wissen, und wendet sich in seiner Art der Magie zu.
Man muß sich nur klarwerden, was das eigentlich heißt in diesem
Falle. Was da Faust durchgemacht hat «an Philosophie, Juristerei,

Medizin und leider auch Theologie», ist das, was man durchmachen


kann an der intellektualisierten Wissenschaftlichkeit. Das läßt einen
zunächst unbefriedigt. Es läßt einen unbefriedigt aus dem Grunde,
weil jene Form der Abstraktheit, durch die diese Wissenschaftlichkeit
spricht, eben nur einen Teil des Menschen, den Kopfteil, in Anspruch
nimmt, wenn wir uns des Ausdruckes bedienen wollen, und den gan-
zen übrigen Menschen eigentlich unberücksichtigt läßt.

Man braucht nur zu vergleichen, wie anders es war in einer vorher-


gehenden Zeit. Das wird eben gewöhnlich übersehen, daß es durchaus
anders war in einer vorhergehenden Zeit. Da haben sich diejenigen
Menschen, die zu der Erkenntnis des Lebens und der Welt vordringen
wollten, nicht an die verstandesmäßigen Begriffe gewendet, sondern
sie gingen alle darauf aus, hinter den sinnlichen Erscheinungen der
Umwelt geistige Wirklichkeiten, geistige Wesenhaftigkeiten zu
schauen. Das ist es, was eben so schwer verstanden wird, daß nach
Erkenntnis ringende Persönlichkeiten etwa des 10., 11., 12. Jahrhun-
derts durchaus nicht nach bloßen begrifflichen Zusammenhängen ge-
sucht haben, sondern daß sie nach geistiger, wesenhafter Realität ge-
sucht haben, nach dem, was man schauen konnte hinter den sinn-
lichen Erscheinungen, nicht nach dem, was man bloß denken kann in
den sinnlichen Erscheinungen.

Aber darauf beruht eben dieser Übergang, daß gewissermaßen das,


was man früher gesucht hatte, in die Sphäre des Aberglaubens gerückt
wurde, daß man die Neigung verlor, nach solchen wirklichen gei-
stigen Wesenheiten zu suchen, und daß man für das einzig Mögliche,
das wirklich Wissenschaftliche, die intellektualistischen Zusammen-
hänge hielt. Aber so sehr man auf der einen Seite sich logisch sagte:
Nicht abergläubisch sind einzig und allein solche Begriffe, solche
Ideen, die der Verstand an der sinnlichen Wirklichkeit ausprägt -, so
wenig konnte sich der ganze Mensch, vor allem das menschliche Ge-
müt, befriedigen in dem, was es dann zuletzt an diesen Begriffen, an
diesen Ideen hatte. Und so findet sich denn der Goethesche Faust in
der Lage, eben unbefriedigt zu sein an dem Intellektualistischen und
sich zurückzuwenden zu dem, was er noch von der Magie weiß.

Diese Seelenstimmung war schon eine solche, die durchaus bei

Goethe echt und ehrlich war. Auch Goethe hatte sich in den verschie-
densten Wissenschaften umgetan an der Universität in Leipzig. Und
ehe er eine gewisse schauende Vertiefung dann in Straßburg bei
Herder fand, versuchte er - eigentlich auch in der Abkehr von dem
Intellektualismus, der ihm in Leipzig entgegengetreten war - sich,
zum Beispiel im Vereine mit Susanne von Klettenberg und durch das
Studium von entsprechenden Werken, umzutun in demjenigen Ge-
biete, das er dann im «Faust» die Magie nennt. Es war durchaus der
Goethesche Weg selber. Erst als Goethe dann bei seinem weiteren
Studium in Straßburg Herder fand, stand eben ein Geist vor ihm,
der selber dem Intellektualismus abgeneigt war. Herder war durch-
aus kein intellektueller Mensch — daher sein Anti-Kantianismus -,
der dann Goethe in gewisser Weise, ohne die Magie, über dasjenige
hinwegführte, was er aus einer wirklich faustischen Stimmung heraus
vorher in Anlehnung an die alte Magie sich zu erringen versucht
hatte.

So hat Goethe eigentlich hingesehen auf diesen Faust des 16. Jahr-


hunderts - man könnte ebensogut sagen: auf den Gelehrten des
15. Jahrhunderts, der aus der Magie herauswächst, aber halb noch
darinnensteht -, indem er, Goethe, selbst sein tiefstes inneres Ringen
darstellen wollte, wie es sich ihm ergab, weil die Spuren des Um-
schwunges von dem vierten in den fünften nachatlantischen Zeit-
raum durchaus in ihm noch nachwirkten.

Es gehört wohl zu dem interessantesten Punkte der neueren Geistes-


entwickelung, daß Goethe, indem er sein eigenes Jugendringen zum
Ausdruck bringen wollte, sich an den Professor des 15., des 16. Jahr-
hunderts wandte, um in dieser Gestalt sein eigenes inneres Seelenleben
und Seelenerfahren dramatisch zu charakterisieren. Man mißversteht
natürlich vollständig sowohl das, was in Goethe lebte, wie auch das,
was im 15., 16. Jahrhundert als der große Umschwung vorhanden
war, wenn man mit Du Bois-Reymond sagt: Goethe habe einen gro-
ßen Fehler begangen, indem er seinen «Faust» so dargestellt hat, wie
er ihn dargestellt hat; er hätte ihn ganz anders machen sollen. Faust
hätte allerdings vielleicht unbefriedigt sein müssen von dem, was ihm
das Traditionelle hätte geben können. Allein, wenn Goethe imstande

gewesen wäre, den Faust ordentlich darzustellen, so würde Faust,


nachdem er die ersten Szenen durchgemacht hat, nachher Gretchen
ehrlich gemacht, geheiratet haben und ein wohlbestallter Professor
geworden sein, der die Elektrisiermaschine und die Luftpumpe erfun-
den hätte. - Das ist die Anschauung, die Du Bois-Reymond hat, wie
der Faust eigentlich hätte werden sollen.

Nun, Goethe hat eben den Faust nicht so gemacht, und ich weiß


nicht, ob er viel interessanter geworden wäre, wenn er so ausgestaltet
zur Welt gekommen wäre, wie Du Bois-Reymond es gewollt hat.
Aber jedenfalls, so wie der Goethesche Faust dasteht, ist er eine der
interessantesten Erscheinungen der neueren Geistesgeschichte dadurch,
daß eben Goethe sich gedrungen fühlte, den Professor des 15. und
16. Jahrhunderts als den Repräsentanten dessen hinzustellen, was in
ihm, in Goethe selber, nachzitterte von jenem Umschwung von dem
vierten in den fünften nachatlantischen Zeitraum hinüber.

Wir wissen ja, daß der Faust des 16. Jahrhunderts - der also auch


sagenhaft, nicht als der Mann, der die Elektrisiermaschine und die
Luftpumpe erfindet, ausgestaltet war —, daß der sich auch der Magie
zuwendet, aber wirklich zugrunde geht, dem Teufel verfällt, daß
dieser Faust des 16. Jahrhunderts, schon von Lessing und auch von
Goethe, nicht als der Faust des 18. Jahrhunderts anerkannt werden
konnte. Vielmehr mußte gestrebt werden zu zeigen, wie nun, trotzdem
wiederum zum Geistigen hingestrebt wird, der Mensch dennoch seinen
Weg, wenn man das Wort gebrauchen darf, zur Erlösung hin finden
soll.

So steht zunächst der Faust da als der Professor des 15., des 16. Jahr-


hunderts, den Goethe eigentlich wirklich gut zeichnet, denn so sind
sie durchaus gewesen an den Universitäten dazumal, solche Persön-
lichkeiten. Natürlich, der Faust der Sage kommt da gar nicht in Be-
tracht, der Faust der Sage war natürlich niemals dieser Professor, son-
dern mehr ein herumvagabundierender Zigeuner; aber Goethe zeich-
net ja auch nicht diesen Faust der Sage, sondern er charakterisiert
eben eine Professorengestalt. Und es ist durchaus so, daß wir sagen
können, so wie Goethe seinen Faust charakterisiert hat - in der Tiefe
der Seelenempfindungen ist er natürlich eine einzelne Gestalt, eine

Ausnahme —, wie er ihn hineingestellt hat in den geistigen Betrieb,


wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf: auf der einen Seite sich
mit den intellektualistischen Wissenschaften befassend, aber doch
nicht unbekannt mit einem gewissen Hinneigen zu Geistigkeiten, die
schon zu Goethes Zeiten natürlich durchaus als Aberglaube bezeichnet
wurden, so ist dieser Faust durchaus der Typus eines, sagen wir,
Philosophieprofessors oder vielleicht auch eines Medizinprofessors
des 14., 15. Jahrhunderts.

Nun können wir aber auch diesen Goetheschen «Faust» mehr in einen


größeren Weltenzusammenhang hineinstellen. Goethe selbst führt uns
zwar den Famulus Faustens vor, und wir sehen da, welches Verhältnis
besteht zwischen dem Professor und seinem Famulus. Wir sehen auch
einen Schüler, können aber nicht eigentlich glauben, daß der Schüler
nun ganz besonders tiefen Einfluß von seinem Professor Faust erhal-
ten habe, das geht schon aus der Art hervor, wie er sich später ent-
wickelt. Also im Goetheschen «Faust» selber sehen wir eigentlich we-
nig von der Wirkung des Faust, das heißt des seelenvertieften Pro-
fessors des 14. und 15. Jahrhunderts, wie er etwa in Wittenberg ge-
lehrt haben könnte. Aber man könnte doch sagen, es gibt einen Schü-
ler dieses Faust, der uns tiefer hineinführen kann in diesen ganzen
Weltenzusammenhang. Es gibt einen Schüler des Faust, der nun fast
mit derselben Bedeutung in der Geistesgeschichte der Menschheit drin-
nensteht wie der Professor Faust selber - ich meine natürlich immer
den Goetheschen Faust. Und dieser Schüler, das ist kein anderer als
Piamlet.

Hamlet kann tatsächlich angesehen werden als ein richtiger Schüler


des Faust. Das Historische kommt dabei nicht in Betracht, ich meine
immer das, was Goethe hingestellt hat als den Faust. Schon der ganze
Fortgang des Faust bezeugt es ja, daß wir es zwar zu tun haben mit
der Menschheitsauffassung des 18. Jahrhunderts, daß Goethe aber
doch das Bestreben hat, seinen Faust zurückzudatieren. In einer ge-
wissen Beziehung können wir eben durchaus sagen: Hamlet, der in
Wittenberg studiert hat, und der sich eine gewisse Geistesverfassung
aus diesem Studium mit nach Hause bringt, Hamlet, wie in Shake-
speare hingestellt hat, ist in einer gewissen Weise anzusehen,

allerdings weltgeistesgeschichtlich, als ein Schüler des Faust. In ihm


haben wir vielleicht sogar etwas, was wir in viel treuerem Sinne eine
Schülerschaft des Faust nennen können, als das, was uns in der
Goetheschen Dichtung selber als eine solche Schülerschaft des Faust
entgegentritt.

Bedenken Sie einmal den ganzen Charakter des Hamlet und stellen


Sie es mit der Tatsache zusammen, daß er in Wittenberg studiert hat,
wo er durchaus eine solche Gestalt wie den Faust als Professor gehört
haben könnte, und nehmen Sie dann die Art und Weise, wie Hamlet
zu seiner Aufgabe kommt: Der Geist seines Vaters erscheint ihm. Also
er hat etwas zu tun mit der wirklichen geistigen Welt. Er ist zunächst
hineingestellt in die wirkliche geistige Welt. Aber er hat in Witten-
berg studiert, er hat in Wittenberg so gut studiert, daß er das mensch-
liche Gehirn für ein Buch ansieht, erinnern Sie sich an die Phrase des
Hamlet, wo von dem Buch des Gehirns die Rede ist. Er hat so gut
menschliche Wissenschaft studiert, daß er von dem Buch des Gehirns
spricht, daß er sich sogar auf seine Schreibtafel aufschreibt, was er im
Gedächtnis behalten will, fast wie wenn er den Spruch der späteren
Faust-Dichtung im Auge hätte: «Was man schwarz auf weiß besitzt,
kann man getrost nach Hause tragen.» Also Hamlet ist auf der einen
Seite ein ganz trefflicher Schüler des Intellektualismus, wie er ihm in
Wittenberg beigebracht worden ist, aber er steht auf der ändern Seite
in einem geistigen Zusammenhange darinnen, und beide Impulse wir-
ken in seiner Seele. Und das ganze Hamlet-Drama steht eigentlich
unter dem Einflüsse dieser beiden Impulse. Hamlet, als Dich-
tung sowohl wie als Gestalt, steht unter dem Einfluß dieser
Impulse, denn im Grunde genommen weiß der Dichter des Hamlet
auch nicht recht, wie er die geistige Welt und die intellektua-
listische Seelenverfassung zusammenbringen soll. Dichtungen, die
solche wirklich im Leben tief wurzelnden Eigentümlichkeiten haben,
die geben dann den Kommentatoren reichlich Gelegenheit zum Strei-
ten. Daher werden über solche Dichtungen viele Bücher geschrieben,
aus denen man allerdings nicht recht klug wird, aus dem einfachen
Grunde, weil es auch gar nicht nötig ist, darüber klug zu werden.
Man kann nämlich immerfort sehen, wie die Kommentatoren als

wichtige Probleme behandeln: Sind die Geister im «Hamlet» bloß


ein Bild oder haben sie eine objektive Bedeutung? Wie hat man das zu
bewerten, daß nur Hamlet den Geist sieht, die ändern Personen nicht,
die gleichzeitig auf der Bühne sind?

Denken Sie sich nur, was da alles außerordentlich Geistvolles und


Interessantes darüber geschrieben worden ist! Nur trifft man damit
selbstverständlich gar nicht das, was für den Dichter des «Hamlet»
in Betracht kommt; denn für den kommt gerade in Betracht, daß er,
der dem 16. und 17. Jahrhundert angehörte, über dieses Problem not-
wendigerweise, weil er lebensvoll schreiben mußte, so schreiben mußte,
daß man die Art, wie er die Sache auffaßt, gar nicht in abstrakte Be-
griffe einfassen kann. Man sollte es in solchen Formen, wie es die
Kommentatoren machen, lieber bleiben lassen; deshalb bezeichne ich
es als unnötig. Denn da handelte es sich gerade um jenen Übergang,
der herüberführte von der Zeit her, wo man sich noch klar war: die
geistigen Wesenheiten sind Realitäten wie ein Tisch oder Stuhl oder
wie ein Hund oder eine Katze; denn das war so. Und dem Calderon,
der noch auf dem alten Standpunkte stand, obwohl er sogar einer
etwas späteren Epoche angehört als Shakespeare, Calderon wäre es
gar nicht eingefallen, irgendwie auch nur anzudeuten, daß, was er als
geistige Wesenheiten vorführt, irgendwie nur einen subjektiven
Charakter haben könnte. Der stellt, weil er mit seiner ganzen Seele
in der Anschauung drinnensteht, alles Geistige ebenso handfest hin
wie Hunde und Katzen.

Natürlich, bei Shakespeare kommt eben schon in Betracht, daß er


mit seiner Seelenverfassung ganz in der Übergangszeit drinnensteht
und daher sich gar nicht gedrungen fühlen kann, diese Frage als Dich-
ter anders zu behandeln, als: Es kann so sein, und es kann so sein. -
Die Grenze ist gar nicht so ganz sicher zwischen dem, ob nun die Gei-
ster subjektiv oder objektiv sind. Das ist ja ohnedies eine Frage, die
für eine höhere Weltanschauung ebenso aufhört wie die deutlichen,
für das Leben, nicht für die Astronomie, zu bestimmenden Grenzen
zwischen Tag und Nacht. Diese Frage, ob das eine subjektiv, das an-
dere objektiv ist, die hört dann auf, wenn man die Objektivität der
menschlichen Innenwelt erkennt und die Subjektivität der Außenwelt.

Aber gerade in diesem lebensvollen Verschweben hält Shakespeare


das, was er im «Hamlet» und auch, sagen wir, zum Beispiel in
«Macbeth» darstellt. Wir sehen, daß also die Dichtungen Shakespeares
durchaus herausgeholt sind aus dem Übergang von dem vierten in den
fünften nachatlantischen Zeitraum.

Im «Hamlet» kommt das allerdings am bedeutendsten zum Aus-


drucke. Hamlet hat vielleicht gerade in Wittenberg, wenn ich mich
jetzt etwas, sagen wir unhistorisch, aber deshalb vielleicht nicht weni-
ger wahr ausdrücken darf, diejenigen Semester studiert, wo Faust -
Sie wissen jetzt, nach den Voraussetzungen, was ich damit meine -
weniger über Magie und mehr über intellektualistische Wissenschaften
gelesen hat. Also er ist vielleicht in Wittenberg gewesen, bevor Faust
selber zu dem Geständnisse gekommen ist, daß er zehn Jahre kreuz
und quer und grad und krumm seine Schüler an der Nase herum-
geführt hat. Hamlet gehört vielleicht gerade zu denjenigen, die an der
Nase herumgeführt worden sind; also sein Studium fällt vielleicht
gerade in diese zehn Jahre hinein. Und nun, als er wiederum zurück-
kommt und das Ganze aufgenommen hat aus einer Seele heraus, die
selber unsicher war - denn man kann sich natürlich ganz klar sein
darüber, daß Faust unsicher war in den zehn Jahren, wo er seine
Schüler kreuz und quer und grad und krumm an der Nase herum-
geführt hat —, nun steht er auf der einen Seite der Erfahrung der gei-
stigen Welt gegenüber, demjenigen also, was geblieben ist aus der frü-
heren Zeit und was für ihn noch vorhanden ist, und auf der ändern
Seite steht er jener menschlichen Anschauung gegenüber, die einfach
das Geistige vertreibt. Denn gerade so, wie die Geister vor dem Lichte
fliehen, so flieht die Anschauung der Geister vor dem Intellektualis-
mus. Die geistige Anschauung kann den Intellektualismus nicht ver-
tragen; und dann kommt die Seelenstimmung heraus, von der man
etwa sagen kann: Der Mensch wird innerlich ganz herausgerissen aus
dem geistigen Zusammenhang. Er wird von des Gedankens Blässe
innerlich angekränkelt. Dann kommt eben eine solche Stimmung zu-
stande, wie sie eigentlich als Seelenstimmung den ganzen Zeitraum
charakterisiert vom 11. bis zum 15. Jahrhundert und in die folgenden
Jahrhunderte noch hinein. Und Goethe, weil er für alles empfänglich

war, ragte in diesen Zeitraum auch mit seiner Seelenverfassung noch


hinein. Darüber muß man sich nur klar sein.

Man nehme einmal das griechische Drama. Dieses griechische


Drama ist ja gar nicht denkbar ohne die dahinterstehenden geistigen
Mächte. Die bestimmen die Menschenschicksale. Der Mensch ist einge-
sponnen in das, was als Schicksale die geistigen Mächte flechten. Da
wird das, was der Mensch eigentlich nur erleben könnte, wenn er die
Schlafzustände bewußt erlebte, in das gewöhnliche Leben hereingetra-
gen. Da wird hereingetragen in das gewöhnliche Leben, wie in den
Willen das hereinkommt, was im Willen auch beim Tagwachen ver-
schlafen wird. Das griechische Schicksal ist ein Hinblicken auf das,
was sonst verschlafen wird. Der Grieche ist sich bewußt, daß, wenn
er seinen Willen entfaltet, wenn er übergeht in die Handlung, daß
dann nicht nur das Tagwachen wirkt mit den blassen Gedanken, son-
dern daß da, weil der ganze Mensch wirkt, auch das wirkt, was im
Menschen pulsiert, wenn der Mensch schläft. Aus einer solchen Emp-
findung geht dann auch eine ganz bestimmte Stellung zu der Frage
des Todes, zu der Frage der Unsterblichkeit hervor.

Nun kommt der Zeitraum, der von mir eben bezeichnet worden


ist, in dem der Mensch kein Bewußtsein mehr davon hat, daß in ihn
während des Schlafes ein Geistiges hereinwirkt, das auch in den Wil-
len hereinspielt. Es kommt der Zeitraum, wo der Mensch den Schlaf
als das Seine, könnte man sagen, hinnimmt, wo er aber doch durch
alte Tradition ein Bewußtsein davon hat: man hängt mit der geistigen
Welt zusammen. Schon dämmern herauf die ganz abstrakten Begriffe:
«Philosophie, Juristerei, Medizin und leider auch Theologie» in der
modernen Gestalt. Das dämmert herauf, aber es spielt noch das frü-
here Anschauen herein. Das bewirkt einen Dämmerzustand. In diesem
Dämmerzustand hat man allerdings gelebt, und im Grunde genom-
men sind solche Gestalten wie der Faust herausgeboren aus einem
Dämmerzustände, aus einem Hineinblicken in die geistige Welt, das
wie ein Um-sich-Blicken im Traume ist. Und man bedenke die Stim-
mung, die da steht hinter solchen Worten wie «Schlaf», «Traum» im
«Hamlet». Man möchte sagen, indem Hamlet seine Monologe spricht,
spricht er einfach auf empfindungsgemäße, natürlich nicht auf theo-

retische, sondern auf empfindungsgemäße Weise die Rätsel seines Zeit-


alters aus.

Und so sehen wir, wie über die Jahrhunderte hinweg, aber im Zu-


sammenhang der Geister, Shakespeare den Schüler darstellt, Goethe
den Professor, aus dem einfachen Grunde, weil natürlich einige Jahr-
hunderte verflossen waren und man in der Goethe-Zeit mehr nach
dem Quell zurückgehen mußte dessen, um was es sich da handelte.
Aber wir werden da in einen Zusammenhang hineingeführt, der uns
wirklich zeigt, wie im Bewußtsein der Menschen etwas lebt von der
Art etwa, daß sich solche hervorragende Geister sagen: Ich muß zum
Ausdrucke bringen, was da eigentlich als ein Übergangszustand in der
Menschheitsentwickelung vorhanden ist.

Nun ist das außerordentlich Interessante, diese Weltstellung, möchte


ich sagen, weiter auszudehnen, weil ja eine Unsumme von ganz um-
fassenden Fragen und Lebens- und Weltenrätseln auftauchen. Es ist
interessant, zum Beispiel zu sehen, wie man unter den Shakespea-
reschen Werken «Hamlet» als die reinste Darstellung einer Persönlich-
keit hat, die den ganzen Dämmerzustand des Übergangs, namentlich
in den Monologen, zum Ausdruck bringt. Man möchte sagen, wenn
man den Hamlet verstanden hat vom 17. bis zum 18. Jahrhundert,
dann hätte man fragen können: Ja, wo ist denn in der Seele des
Hamlet das angeregt worden? — Man ist hingewiesen nach Witten-
berg. Man ist hingewiesen nach der Faust-Quelle. Zu ganz ähnlichen
Fragen kommt man dann, wenn man «Macbeth» betrachtet; aber
schon ist es hereingezogen in das Menschliche, wenn man «Lear» be-
trachtet. Da wird die Frage nicht mehr so nahe herangerückt an das
Erdgebiet nach dem Geistigen hin, da rückt sie in den Menschen hin-
ein, wird zum subjektiven Zustand, aber auch dafür zum Wahnsinn.

Und dann könnte man die ändern Shakespeareschen Dramen in Be-


tracht ziehen und könnte sagen: Was der Dichter dieser Dramen hat
lernen können an den Gestalten, wo er das Menschliche bis an das
Geistige heranführt, das lebt dann fort in den Königsdramen, ohne
daß er da noch dasselbe Thema in derselben Weise weiterverfolgt;
aber die unbestimmten Kräfte wirken weiter. Nur daß man, wenn
man nun die Shakespeareschen Dramen als Ganzes weiterverfolgt,

eigentlich immer das Gefühl hat: sie gipfeln in dem Zeitalter der


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