Rudolf steiner



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dann den Sternenglauben und die Schicksalsidee hineingenommen. Das
bedeutet, daß er in seiner Seelenverfassung die Notwendigkeit fühlte,

den Menschen in den Kosmos hineinzustellen. Es ist gewiß, daß hier


ein absoluter Parallelismus da ist zu dem, was Goethe dahin geführt
hat in der Fortsetzung seines «Faust», diesen Faust in das ganze
Weltentableau hineinzustellen.

Goethe tut das bildhaft; bei ihm treten die Engel als Sternführer auf.


Wir sehen den Kosmos bildhaft vor uns in dem großen Tableau «Pro-
log im Himmel». Schiller, der mehr zur Abstraktion neigte, der mehr
unbildlich war, fühlte sich genötigt, in derselben Zeit in seinen
«Wallenstein», in seine «Braut von Messina» das Hineingestelltsein des
Menschen in den Kosmos hineinzugeheimnissen, und zwar so weit, daß
sogar der Schicksalsgedanke der alten griechischen Tragödie wiederum
auftrat. Aber sehen Sie sich noch etwas anderes an. Schiller nahm ge-
rade in der Zeit seines Bekanntwerdens mit Goethe in seiner Art die
Freiheitsgedanken der Französischen Revolution auf. Wir haben schon
gestern anzuführen gehabt, daß sich die Revolution in Frankreich als
politische Revolution abspielte, innerhalb Mitteleuropas dagegen als
geistige Revolution. Und man möchte sagen: den intimsten Charakter
nahm diese geistige Revolution an in einer Schrift Schillers, die ich in
verschiedenen Zusammenhängen auch hier schon erwähnt habe; in den
Briefen «Über die ästhetische Erziehung des Menschen».

Da sehen wir, wie Schiller fragt: Wie kommt der Mensch zu einem


wirklich menschenwürdigen Dasein? — Etwas, das man eine Freiheits-
philosophie nennen kann, war dazumal noch nicht möglich. Schiller
beantwortet sich die Frage in seiner Art. Er sagte sich: Wenn der
Mensch nur seinen logischen Gedanken folgt, dann ist er unfrei. -Selbst-
verständlich ist er unfrei, denn man kann nicht das, was die Logik
sagt, nach irgendeiner Freiheit gestalten, da unterliegt der Mensch der
Vernunftnotwendigkeit. Also gerade da, wo er zunächst für sein
Erdenleben am geistigsten wird, ist er ja nicht frei, da unterliegt er der
Vernunftnotwendigkeit. Er ist nicht frei, zu sagen: zwei mal zwei ist
sechs oder fünf. Dagegen unterliegt der Mensch der Naturnotwendig-
keit, wenn er mit seinem ganzen Organismus eben an die Naturnot-
wendigkeit hingegeben ist.

So sieht Schiller den Menschen hineingestellt zwischen die Vernunft-


notwendigkeit und die Naturnotwendigkeit, und er sieht einen Aus-

gleich zwischen beiden Zuständen in dem, was er den ästhetischen Zu-


stand nennt. Da rückt der Mensch gewissermaßen die Vernunft-
notwendigkeit herunter in das, was ihm gefällt und mißfällt, worin er
also in einem gewissen Sinne frei ist. Und wenn er seine Triebe, seine
Instinkte, die Naturnotwendigkeiten also, so weit modelt, daß er sich
ihnen überlassen kann, daß sie ihn nicht zum Tiere erniedrigen, daß er
sie wieder heraufgehoben hat, dann begegnen sie sich eben in der Mitte
mit der Vernunftnotwendigkeit. Die Vernunftnotwendigkeit steigt um
eine Stufe herunter, die Naturnotwendigkeit um eine Stufe herauf, sie
begegnen sich in der Mitte. Und der Mensch, indem er sich nach dem,
was ihm gefällt und mißfällt, richtet, ist in einem Zustande, wo er
weder der einen noch der ändern Notwendigkeit unterliegt, wo er das-
jenige vollziehen darf, was ihm gefällt, weil ihm eben das Gute gefällt,
weil er zu gleicher Zeit mit seinen Sinnen das Gute begehrt.

Das ist natürlich eine ganz philosophisch-abstrakte Darstellung, die


Schiller gegeben hat. Goethe gefiel der Gedanke außerordentlich, aber
ihm war wiederum klar: So kommt man dem Menschenrätsel natür-
lich nicht bei. Goethe wird ganz gewiß das außerordentlich Geistvolle
tief empfunden haben, denn es gehört zu den besten Abhandlungen der
neueren Zeit, was Schiller in diesen Briefen «Über die ästhetische Er-
ziehung» geleistet hat. Goethe hat dieses Großartige, dieses Gewaltige
des Gedankens gefühlt. Aber er hat zu gleicher Zeit gefühlt: aus sol-
chen Gedanken heraus kann man überhaupt nichts gestalten, was dem
Menschenwesen irgendwie beikommt. Das Menschenwesen ist zu reich,
um ihm mit solchen Gedanken beizukommen.

Schiller hat, wenn ich so sagen darf, gefühlt: Ich stehe im intellek-


tualistischen Zeitalter. Gerade durch den Intellektualismus wird der
Mensch unfrei, denn das ist Vernunftnotwendigkeit. - Er sucht also
eigentlich in dem ästhetischen Schaffen, in dem ästhetischen Genießen
den Ausweg. Goethe hatte ein Gefühl für das unendlich Reiche, In-
haltsvolle der menschlichen Natur. Er konnte sich nicht zufriedengeben
mit der allerdings geistvollen, tiefen Auffassung von Schiller. Daher
fühlte er sich genötigt, in seiner Art auszudrücken, was da im Men-
schen eigentlich für Kräfte zusammenspielen. Nicht nur seiner Natur
nach, sondern seiner ganzen Auffassung nach hat Goethe das nicht in

der Form von abstrakten Begriffen geben können, sondern er schrieb


dann unter dem Einflüsse der Schillerschen Gedanken dieser Art sein
«Märchen» von der grünen Schlange und der schönen Lilie, wo wir
eine ganze Menge, etwa zwanzig Gestalten, auftauchen sehen, die alle
irgend etwas mit Seelenkräften zu tun haben, und die nun zusammen-
wirken, nicht nur als Vernunftnotwendigkeit und Naturnotwendig-
keit, sondern die als zwanzig verschiedene Impulse zusammenwirken,
um endlich in der mannigfaltigsten Weise dasjenige zu gestalten, was
die reiche Natur des Menschen bedeutet.

Da kommt vor allen Dingen auch das in Betracht, daß Goethe es


eben aufgab, überhaupt in abstrakten Begriffen über die Menschen-
wesenheit zu sprechen. Goethe fühlte sich gedrängt, von den Begriffen
wegzugehen. Wenn man das Verhältnis Schillers zu Goethe charakteri-
sieren will mit Bezug auf die ästhetischen Briefe und auf das Märchen
von der grünen Schlange und der schönen Lilie, muß man eigentlich
das Folgende sagen: Goethe hat ja direkt unter dem Einfluß von
Schillers ästhetischen Briefen dieses «Märchen» geschrieben. Also er
wollte dieselben Fragen von seinem Gesichtspunkte, von seiner Emp-
findung aus beantworten. Das kann man nachweisen. Das habe ich
längst historisch auch nachgewiesen, und das leuchtete auch ein. Und
will man nun vollständig das, was da sich abspielte zwischen den bei-
den Persönlichkeiten, darstellen, so müßte man sagen: In alten Zeiten,
als die Menschen, wenn sie erkennen wollten, sich noch von den We-
senheiten der geistigen Welt besuchen ließen, als sie noch in ihren Er-
kenntniswerkstätten - verzeihen Sie, wenn ich den spießbürgerlichen
Ausdruck gebrauche - arbeiteten, um hinter die Geheimnisse der Welt
zu kommen, und in diese Erkenntniswerkstätten hereindrangen die
geistigen Wesenheiten, die Faust wiederum sucht, der Erdgeist und
manches andere von geistigen Wesenheiten kommt ja zu Faust herein,
da war es anders als heute, da konnte sich der Mensch als ein Verwand-
ter dieser geistigen Wesenheiten fühlen, die ihn besuchten. Da wußte
er: Ich lebe jetzt allerdings auf der Erde, muß mich des Instrumentes
eines physischen Leibes bedienen, aber vor der Geburt und nach dem
Tode bin ich ein solches Wesen, wie diejenigen sind, die mich da be-
suchen. - Also er wußte, er hat zwar einen Aufenthaltsort gesucht für

das Erdenleben, das ihn von der geistigen Welt trennt, aber diese gei-


stige Welt besucht ihn. Er wußte sich dieser geistigen Welt dennoch
verwandt. Das gab dem Menschen ein Bewußtsein seines eigenen
Wesens.

Nehmen wir einmal an, Schiller wäre etwa in den Jahren 1794, 1795


zu Goethe gekommen und hätte gesagt: Sehen Sie, ich habe nun die
Briefe «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» geschrieben;
ich habe versucht, aus dem modernen Intellektualismus heraus dem
Menschen wiederum die Möglichkeit zu geben, sich als Mensch zu
fühlen. Ich habe die Ideen gesucht, die man haben muß, um von der
wirklichen menschlichen Wesenheit zu sprechen. Diese Ideen sind in
den Briefen über die ästhetische Erziehung enthalten. — Goethe würde
das gelesen haben, würde dann das nächstemal, wenn er Schiller wie-
der getroffen hätte, haben sagen können: Ja, lieber Freund, das ist sehr
schön, was Sie da gemacht haben. Sie haben dem Menschen wiederum
einen Begriff von seiner Würde vor Augen gehalten; aber so geht es
doch nicht. Der Mensch ist doch ein geistiges Wesen, und die Geister
ziehen sich, wie vor dem Licht, so auch vor den Begriffen, die ja nichts
anderes sind als eine andere Form des gewöhnlichen Tageslichtes, zu-
rück. Also da muß anders verfahren werden. Man muß von den Be-
griffen wieder zu etwas anderem gehen.

Das, was ich so in eine konkrete Sprache übersetze, das können Sie


verfolgen in Goethes und Schillers Briefwechsel. Es steht alles da,
wenn es auch nur in einzelnen Andeutungen dasteht. Und Goethe
schrieb darüber sein «Märchen» von der grünen Schlange und der schö-
nen Lilie, das nun darstellen sollte, wie die seelischen Kräfte im Men-
schen eben wirken. Damit hat Goethe das Bekenntnis abgelegt: Man
muß, wenn man über den Menschen und seine Wesenheit sprechen will,
zu Bildern aufsteigen. - Das aber ist der Weg zur Imagination. Goethe
hat also einfach damit hingewiesen auf den Weg zu der imaginativen
Welt. Und deshalb ist dieses «Märchen» von der grünen Schlange und
der schönen Lilie so außerordentlich wichtig, weil es zeigt, daß Goethe
aus seinem Ringen heraus, wie er es auch in seinen «Faust» gelegt hat,
gerade in einem wichtigsten Momente sich auf den Weg zu den Imagi-
nationen hin gedrängt fühlte.

Goethe wäre es philosophisch erschienen, wenn man gesagt hätte:


Im Menschen wirken zusammen Denken, Fühlen und Wollen. - So hat
er nicht gesagt, sondern er stellte dar, wie an einem gewissen Orte die
drei Könige vorhanden sind, der goldene, der silberne und der eherne
König. In diesen Bildern liegt für ihn etwas, was sich in Begriffen nicht
ausdrücken läßt. Wir sehen also Goethe auf dem Wege zum imagina-
tiven Leben hin. Und hier berühren wir eine der allerallertiefsten Fra-
gen, die Goethe eigentlich beschäftigten. Es ist bei Goethe so, daß er
über die eigentliche Tiefe der Frage wohl überhaupt zu niemandem
gerne sprach. Aber man kann erkennen, wie ihn diese Frage beschäf-
tigte. An den mannigfaltigsten Stellen kommt es heraus, wie ihn die
Frage beschäftigte: Was hat der Mensch eigentlich davon, wenn er von
seinem Denken aus hinter sein eigenes Wesen kommen will, von jenem
Denken, zu dem eben der Intellektualismus gekommen ist? Was hat
der Mensch davon? - Manchmal tritt die ganze Schwere dieses Erden-
rätsels -, das ja natürlich ein Epochenrätsel ist, denn es konnte dieses
Rätsel in der starken Form eben nur in dieser Epoche hervortreten - in
paradoxen Worten auf. So zum Beispiel lesen Sie im «Faust»:

Die hohe Kraft

Der Wissenschaft -

Der ganzen Welt verborgen!

Und wer nicht denkt,

Dem wird sie geschenkt,

Er hat sie ohne Sorgen.

Es ist ein außerordentlich tiefes Wort, wenn es auch die Hexe sagt:


Die hohe Kraft der Wissenschaft - der ganzen Welt verborgen! Wer
nicht denkt - also dem, der nicht denkt -, dem wird sie geschenkt!
Man kann also eigentlich noch so viel denken, so bleibt einem die hohe
Kraft der Wissenschaft verborgen. Wenn man es dazu bringt, nicht zu
denken, da wird sie einem geschenkt: man hat sie ohne Sorgen. Man
müßte also eigentlich die Kraft entwickeln, nicht zu denken, in irgend-
einer kunstvollen Weise nicht zu denken, um - nicht etwa zu der
Wissenschaft zu kommen, zu der kann man ja natürlich nicht ohne
Denken kommen -, aber um zu der Kraft der Wissenschaft zu kommen.

Diese Kraft der Wissenschaft, Goethe weiß, daß sie in dem Men-


schen wirkt. Er weiß, sie wirkt schon in dem kleinen Kinde, das noch
nicht denkt. Man hat es mir ja besonders übelgenommen, daß ich in
meinem Buche «Die geistige Führung des Menschen und der Mensch-
heit» gleich auf den ersten Seiten darauf aufmerksam gemacht habe,
daß, wenn der Mensch durch seine Gedanken all die geistvollen Dinge
in der Gestaltung des menschlichen Leibes ausführen müßte - durch
die Kraft, die auch in der Wissenschaft waltet, bewußt ausführen
wollte -, er schon recht alt werden könnte, und er würde doch nicht
zu jenen feinen plastisch-künstlerischen Gestaltungskräften kommen!
So ist ja die Kraft der Wissenschaft schon notwendig, um dieses Gehirn
in den ersten kindlichen Jahren von einem ziemlich formlosen Klum-
pen zu jener grandiosen Gestaltung zu bringen, in die es eben gebracht
werden muß.

Es ist ein Problem, das Goethe tief beschäftigt. Natürlich, ein bloßes


stumpfes Nichtdenken meint er nicht, aber er ist sich klar darüber:
Wenn man sich durch das intellektualistische Denken nicht den Zu-
sammenhang mit der Kraft der Wissenschaft stört, dann muß man
zu ihr kommen. - Eigentlich läßt er den Faust von Mephisto aus die-
sem Grunde in die Hexenküche führen. Über diese Dinge wird nur
immer kommentarisch über die Ecke herüber geredet, verrenkt geredet.
Man kennt Goethe schlecht, wenn man das, was er selbst in einer sol-
chen Szene wie in der Hexenküche will, nicht mit einem gewissen Emp-
finden des Goetheschen Wesens verstehen will. Faust wird der Ver-
jüngungstrank gereicht. Gewiß, das ist durchaus in realistischem Sinne
aufzufassen, daß er einen solchen Verjüngungstrank bekommt; aber
wenn man sich Goethe danebenstehend denkt und die Hexe sagt:

Du mußt verstehn!


Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei laß gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs -

So sagt die Hex -

Mach Sieben und Acht,

So ist's vollbracht:

Und Neun ist Eins.

Und Zehn ist keins.

Und wenn man Goethe, so wie er war, empfinden kann, so muß man
eben sagen: Es hätte nun einer kommen können und fragen: Warum
lassen Sie denn da das Hexen-Einmaleins sagen? - Dann würde Goethe
vielleicht gesagt haben, wenn er dazu aufgelegt gewesen wäre, denn er
sprach über diese Dinge nicht gerne: Ja, die hohe Kraft der Wissen-
schaft, der ganzen Welt verborgen! und wer nicht denkt, dem wird sie
geschenkt. Nun, das Denken wird einem vergehen, wenn einem gesagt
wird: Aus Eins mach Zehn, und Zwei laß gehn, und Drei mach gleich,
so bist du reich - und so weiter: da hört das Denken auf! Da kommt
man schon in einen solchen Zustand hinein, daß man die hohe Kraft
der Wissenschaft ohne das Denken geschenkt bekommen kann. — Diese
Dinge spielen natürlich immer in den Goetheschen «Faust» und in die
Goethesche Dichtung hinein.

Also Goethe stand vor diesem Problem, das für ihn etwas außer-


ordentlich Tiefes war. Denn, was hat der Faust eigentlich nicht, und
was bekommt er durch die Hexenküche? Was hat er vorher nicht?
Wenn Sie sich diesen Faust, wie er etwa der Lehrer des Hamlet gewe-
sen sein kann, denken, der sich angewidert fühlt von Philosophie,
Juristerei, Medizin und Theologie, der zu der Magie greift, wenn Sie
ihn sich vorstellen, wie er dann auch in der Osterszene vor uns steht,
dann müssen Sie sich sagen: Eines fehlt jedenfalls diesem Faust, eines,
was Goethe hatte. Goethe kam nie zurecht damit; er fühlte sich als
Faust, aber er mußte sich sagen: Ja, das alles ist in mir, was ich da in
diesen Faust hineingelegt habe, aber ich habe noch etwas anderes in
mir. Darf ich denn das haben? - Der Faust hat nämlich keine Phanta-
sie, und Goethe hatte Phantasie. Die Phantasie bekommt nämlich Faust
erst durch die Hexenküche, durch den Verjüngungstrank. Goethe hat sich
gewissermaßen die Frage beantwortet: Wie ist es, wenn man mit
Phantasie in die Weltengeheimnisse eindringen will? - Denn das war
die hervorragendste Kraft, die Goethe selber hatte.

Nun war er sich in seiner Jugend durchaus nicht klar, ob man da


nicht ganz ins Leere tappt, wenn man mit der Phantasie in Welten-
geheimnisse hineinblickt. Das ist schon die Faust-Frage. Denn die ganz
trockene Intellektualität, die lebt nur in Spiegelbildern. Sobald man
zur Phantasie kommt, so ist man schon um eine Stufe näher den Wachs-
tumskräften des Menschen, den Kräften, die einen durchziehen. Da
kommt man schon, wenn auch nur von der Ferne, in die plastischen
Kräfte hinein, die zum Beispiel auch das Gehirn in der Kindheit pla-
stisch machen. Da ist ja nur noch eine Stufe von der Phantasie zur
Imagination! Aber das war gerade für Goethe die Hauptfrage.

Nun läßt er den Faust in die Hexenküche eintreten, damit er das


verflixte Denken ablegt, das zwar zur Wissenschaft, aber nicht zur
Kraft der Wissenschaft führt, damit er gewissermaßen leben darf im
Reiche der Phantasie. Und von da ab entwickelt Faust eben die Kraft
der Phantasie auch. Goethe erwirbt gewissermaßen für den Faust das
Recht zur Phantasie durch den Trank in der Hexenküche. Und die
Verjüngung besteht ja in nichts anderem, als daß Faust nicht bei den
trockenen Kräften bleibt, die er als etwa, sagen wir, fünfunddreißig-
jähriger Professor hatte, sondern daß er zurückkehrt zu seiner Jugend
und die jugendlichen Gestaltungskräfte, die Wachstumskräfte herauf-
nimmt in die Seele. Denn wo Phantasie vorhanden ist, da leben eben
die jugendlichen Gestaltungskräfte in dem Seelischen fort.

Das alles war in Goethe veranlagt, denn die Hexenküche hat Goethe


schon etwa 1788 geschrieben. Das war also in ihm veranlagt, es bro-
delte in ihm, das verlangte nach Lösung. Aber durch Schiller bekam er
einen neuen Impuls. Er wurde hingedrängt auf den Weg nach der
Imagination hin. Schiller selbst lag es zunächst noch fern, nach der
Imagination hin zu gehen. Aber Schiller suchte dann im «Wallenstein»
und in der «Braut von Messina» das Kosmische. Er versuchte, hinter
die unterbewußten Kräfte des menschlichen Wesens zu kommen in der
«Jungfrau von Orleans».

Die ganze Tiefe des Ringens, die da waltete, sieht man ein, wenn


man sich sagt: Man nehme einmal das «Demetrius»-Fragment, von
dem Schiller ja mit dem Tode hinweggegangen ist. Dieses «Demetrius»-
Fragment übersteigt an dramatischer Kraft alles, was Schiller sonst

geschrieben hat. Schiller hatte im Pulte noch den Entwurf zu den


«Maltesern». Dieses Malteserdrama, wenn es Schiller hätte gestalten
können, wäre wahrscheinlich auch etwas ganz Großartiges geworden.
Der Kampf der Malteserritter, dieses geistigen Ritterordens ähnlich
dem Templerorden, gegen den Sultan Soliman - dabei entfaltet sich
das ganze Prinzip des Malteserordens. Es ist zweifellos, wenn Schiller
das einmal ausgeführt hätte, wäre er vor die Frage gedrängt worden:
Wie kann man wiederum dazu kommen, die Anschauung der geistigen
Welt hereinzubringen in das menschliche Schaffen? Denn die Frage
stand ja schon ganz lebendig vor ihm da.

Und Schiller stirbt hinweg. Goethe hat die Anregung nicht weiter.


Später, angeregt durch Eckermann - der ja weniger geistvoll als
Schiller war, um das so auszudrücken -, vollendete er seinen «Faust»;
den zweiten Teil, etwa vom Jahre 1824 an, bis zum Tode. Kurz vor
dem Tode siegelt er ihn ja ein. Es ist ein nachgelassenes Werk. Wir ha-
ben in der verschiedensten Weise diesen zweiten Teil des «Faust» be-
trachtet. Tief bedeutsame, grandiose Einblicke in mannigfaltige Ge-
heimnisse der geistigen Welt, das ist die eine Seite. Man kann natürlich
nach dieser Seite hin nicht genug tun, man muß versuchen, ihn von den
höchsten Standpunkten aus zu verstehen. Aber es kommt noch etwas
anderes in Betracht. Goethe fühlte sich gedrungen, diese Faust-Dich-
tung zu Ende zu führen. Betrachten wir einmal die Entwickelung der
Faust-Philosophie. Wir könnten noch eine Phase weiter zurückgehen.
In der Cyprianus-Gestalt habe ich Ihnen eine solche Phase vorgeführt,
und im 9. Jahrhundert entsteht die Bearbeitung der Theophilus-Sage.
Theophilus ist durchaus eine Art Faust des 8., 9. Jahrhunderts. Er geht
einen Pakt, einen Vertrag ein mit dem Satan, und es ergeht ihm ganz
ähnlich wie dem Faust.

Nehmen wir diesen Theophilus, diesen Faust des 9. Jahrhunderts,


und nehmen wir den sagenhaften Faust des 16. Jahrhunderts, an den
Goethe doch angeknüpft hat. Das 9. Jahrhundert verdammt tief den
Pakt mit dem Teufel. Theophilus wendet sich zuletzt an die Jungfrau
Maria und wird erlöst von allem, dem er verfallen wäre, wenn der
Vertrag mit dem Satan in Erfüllung gegangen wäre. Das 16. Jahrhun-
dert macht die Faust-Sage protestantisch, das heißt, es wird nicht in

positiver Weise dargestellt, wie in der Theophilus-Sage, wie die An-


lage zur Verdammung da ist, aber die Erlösung durch die Jungfrau
Maria dazukommt - es wird protestiert. Es wird in der Weise, wie es
dem Protestantismus entspricht, die Faust-Sage dargestellt. Faust
schließt seinen Pakt mit dem Teufel und verfällt ihm auch.

Lessing schon und Goethe machen wiederum dagegen Protest. Das


kann nicht so sein, daß der Mensch, der eben mit den weltlichen Mäch-
ten und innerhalb der Wirkungsweise der weltlichen Mächte, sich in
die Hand der Satansgestalt begibt und auf dessen Pakt eingeht, daß
ein solcher Mensch, weil er aus Wissensdrang handelt, durchaus zu-
grunde gehen müsse. Goethe protestiert gegen diese Auffassung, gegen
diese protestantische Auffassung der Faust-Sage. Er will Faust retten.
Während er im ersten Teil die Sache noch so dargestellt hat, daß er
eigentlich die Konzession an den Untergang des Faust gemacht hat -
denn im ersten Teil geht ja Faust zugrunde -, kann aber Goethe dabei
nicht stehenbleiben: Faust muß gerettet werden. Nun führt uns Goethe
in grandioser Weise durch die Erlebnisse, die im zweiten Teil des
«Faust» geschildert sind. Wir sehen die innere kraftvolle Wesenheit
des Menschen sich geltend machen: «In deinem Nichts hoff ich das
All zu finden!» Man braucht sich nur an solche Worte zu erinnern,
die eine gesunde, kraftvolle Menschennatur dem Verderber entgegen-
stellt.

Wir sehen, wie Faust die ganze Geschichte, bis zum Griechentum,


durchmacht. Faust darf nicht zugrunde gehen. Und Goethe macht alle
Anstrengungen, zu Bildern zu kommen, zu Bildern, die zwar in anderer
Form gestaltet sind, aber die er doch aus dem katholischen Kultus, aus
der katholischen Symbolik nimmt. Und wenn Sie das, was speziell
goethisch-imaginativ ist, zu dem er sich durch ein ganzes, so reiches
Menschenleben, wie es eben das Goethe-Leben war, hinaufgearbeitet
hat, wenn Sie das wegnehmen, dann sind Sie wieder bei der Theo-
philus-Sage, dann sind Sie wieder zurückgekehrt zu dem 9. Jahrhun-
dert. Denn es ist zuletzt die Himmelskönigin, die sich im Glänze naht.
Und wenn man das spezifisch Goethesche wegnimmt, hat man wie-
derum den Theophilus der seligen Nonne Hroswitha vor sich,
natürlich nicht genau dasselbe, aber doch etwas, das eben noch nicht

zu einer selbständigen Gestaltung des dichterischen Problems gelangt


ist, sondern das noch Anleihen machen muß bei dem Früheren.

Sie sehen also, wie bei einer so großen Persönlichkeit wie Goethe


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