Rudolf steiner



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Königin Elisabeth. Shakespeare hat darstellen wollen, was aus unter-
bewußten, brodelnden Völkerkräften heraus zu der intellektualisti-
schen Klarheit führt, die, seit dem Zeitalter der Elisabeth, von diesem
Winkel der zivilisierten Welt ganz besonders ausgeht. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus erscheint die ganze Shakespearesche Dramenwelt wie
eine Art, ich will nicht sagen Lustspiel, das befriedigend ausgeht, aber
wenigstens wie ein Drama, das einen gewissen befriedigenden Schluß
hat. Das heißt, er führt zu einer Welt, die sich dann weiterentwickelt,
die dann, nachdem der Umschwung eine Zeitlang da war - Shakespeare
führt ja seine Dramenwelt bis in seine eigene Gegenwart -, die An-
schauung der unmittelbaren Gegenwart zurückläßt, die eben weiter
geht als eine Welt, mit der man sich abfindet. Das ist ja das Merkwür-
dige, daß die Shakespearesche Dramenwelt bis zu der Shakespeare-
schen Gegenwart führt, mit der man sich dann abfindet, weil von da
aus die Geschichte mit einem befriedigenden Verlauf, in den Intellek-
tualismus verlaufend, eben weitergeht. Der Intellektualismus geht von
jenem Winkel aus, von dem Shakespeare gedichtet hat, was er dar-
gestellt hat, indem er es zu diesem Ende geführt hat.

Die Fragen, die ich meine, die gehen einem dann auf, wenn man die


Linien verfolgt herüber von dem Schüler Hamlet bis zu dem Professor
Faust und nun fragt, wie es denn mit Goethe gestanden hat in der
Zeit, in der er aus seinem Ringen heraus zu der Faust-Gestalt gekom-
men ist. Ja, sehen Sie, da hat Goethe auch den «Götz von Berlichin-
gen» gedichtet. Im «Götz von Berlichingen», wiederum aus Volkstüm-
lichem heraus, stehen einander gegenüber einerseits durchaus alte
Mächte aus der vorintellektualistischen Zeit, das alte deutsche Kaiser-
tum, das ja durchaus nicht verglichen werden darf mit dem, was spä-
ter deutsches Kaisertum geworden ist, die Ritter, die Bauern, das-
jenige also, was aus einer vorintellektualistischen Zeit durchaus nicht
von des Gedankens Blässe angekränkelt ist - was sich nicht nur so
wenig auf den Kopf beschränkt, daß es auch die Hände braucht, son-
dern sogar eine eiserne Hand gebraucht. Es wird zurückgegangen zu
etwas, was einmal gelebt hat in der neueren Zivilisation, was aber
gewissermaßen seinem ganzen Wesen nach noch im vierten nachatlan-

tischen Zeitraum wurzelt. Und dem steht andererseits gegenüber, etwa


in der Gestalt Weislingens, nun das andere, was dann heraufkommt:
die intellektualistische Zeit, die innig zusammenhängt mit dem deut-
schen Fürstentum, das dann die späteren Zustände in Mitteleuropa
bis zu der heutigen Katastrophe herbeigeführt hat.

Man sieht, wie Goethe im «Götz von Berlichingen» eigentlich an-


stürmt gegen dieses Fürstentum, wie er zurückschaut auf die Zeiten,
in denen der Intellektualismus noch nicht da war, wie er Partei nimmt
für das Alte, wie er sich auflehnt gegen das, was gerade in Mittel-
europa an die Stelle dieses Alten getreten ist. Man möchte sagen: Es
ist so, wie wenn Goethe im «Götz von Berlichingen» sagen wollte, der
Intellektualismus hat auch Mitteleuropa ergriffen. Aber hier erscheint
er nicht als etwas, was nichts Berechtigtes hat. Goethe wäre es gar
nicht eingefallen, Shakespeare zu negieren. Wir wissen, wie Goethe
sich zu Shakespeare im positiven Sinne verhalten hat. Ihm wäre es
nicht eingefallen, etwa Shakespeare deshalb zu tadeln, weil er zuletzt
zu einem Ende geführt hat, das bleiben konnte. Im Gegenteil, das
war Goethe außerordentlich sympathisch.

Aber wiederum: die Art und Weise, wie dann der Intellektualismus


sich gerade in Goethes Umgebung ausgebildet hat, veranlaßt Goethe
dazu, daß er dieses Bestehende, Daseiende eigentlich als etwas Unbe-
rechtigtes hinstellt, daß er da seinerseits das, was in der Französischen
Revolution als das Politische zum Ausdrucke gekommen ist, geistig
anfaßte. Goethe ist in «Götz von Berlichingen» der geistige Revolutio-
när, der das Geistige negiert, so wie die Französische Revolution das
Politische negiert hat. Aber nur wendet sich Goethe in einem gewissen
Sinne zurück zu dem, was da war, das er ja gewiß nicht in der alten
Gestalt wiederum erneuert wünschen kann. Aber er will, daß es eine
andere Entwickelung nehme. Es ist außerordentlich interessant, diese
Stimmung in Goethe zu beachten, wie er wirklich sich auflehnt gegen
das, was sich an die Stelle der Götz-Welt gesetzt hat.

So ist es außerordentlich interessant, daß Shakespeare so tief erfaßt


worden ist von Lessing, von Goethe, daß sie geradezu in Anlehnung
an Shakespeare gesucht haben, was sie aus ihrer geistig-revolutionären
Stimmung heraus finden wollten, während da, wo sich der Intellek-

tualismus ganz besonders tief eingegraben hat aus den Vorbedingun-


gen heraus zum Beispiel bei Voltaire, dieser Intellektualismus auf
Shakespeare in der wüstesten Weise losschlägt. Voltaire hat bekannt-
lich Shakespeare einen besoffenen Wilden genannt. Diese Dinge müs-
sen alle durchaus berücksichtigt werden.

Nun, stellen Sie, um die große Frage, die da auftaucht, und die ins-


besondere zur Charakteristik vom Umschwung des vierten zum fünf-
ten nachatlantischen Zeiträume von so großer Bedeutung ist, zu ver-
stehen, stellen Sie zu dem etwas anderes hinzu. Stellen Sie hinzu, wie
eigentümlich nun Schiller eingegriffen hat in diese geistige Revolution,
die bei Goethe auf Goethesche Art im «Götz von Berlichingen» zum
Ausdrucke kommt. Schiller hat zunächst im engst umrissenen Kreise
das kennengelernt, wogegen er sich aufzulehnen hatte, als aus dem ein-
seitigsten, krankhaftesten Intellektualismus herauskommend. Da es
dazumal noch keine Waldorfschule gab, die sich auch gegen den ein-
seitigen Intellektualismus auflehnt, und Schiller nicht in Württemberg
auf die Waldorfschule geschickt werden konnte, wurde er auf die
Karlsschule geschickt. Und alles, was Schiller nun in seiner Jugend als
Protest entwickelt, ist im Grunde genommen aus dem Protest gegen die
Pädagogik der Karlsschule geboren. Es hat im Grunde genommen ein
wirkliches produktives Arbeiten gegen diese Pädagogik, die heute die
Weltpädagogik ist - trotzdem Schiller dagegen seine «Räuber» ge-
schrieben hat -, es hat ein wirkliches positives Arbeiten dagegen nicht
gegeben, bis zu der Begründung der Waldorfschule.

Nun, wie stellt sich Schiller, der ja später an die Seite Goethes ge-


stellt war, in diese ganze Umgebung hinein? Er dichtet seine «Räuber».
In Spiegelberg und in den ändern Gestalten erkennen wir ganz deut-
lich, wenn wir nur solche Dinge zu beurteilen wissen, daß er seine Mit-
schüler gezeichnet hat. Franz Moor konnte er natürlich nicht gerade
aus seinen Mitschülern heraus gewinnen, aber er schilderte ihn so, daß
er eigentlich all das, was nun aus der genialen Erfassung der neueren
Zeit herauskommt, in ahrimanischer Gestalt in Franz Moor hinstellte.
Und wer diese Dinge zu beurteilen vermag, der sieht überall, wie
Schiller zwar nun nicht mehr geistige Wesenheiten äußerlich darstellt,
wie sie noch im «Hamlet», in «Macbeth» auftreten, sondern wie

Schiller das ahnmanische Prinzip in Franz Moor wirksam sein läßt.


Und dem steht gegenüber das luziferische Prinzip in Karl Moor. Und
in Franz Moor sehen wir einfach einen Repräsentanten dessen, woge-
gen Schiller sich nun auflehnte. Wiederum ist es dieselbe Welt, gegen
die Goethe sich im «Götz von Berlichingen» auflehnt, nur tut Schiller
es auf eine andere Weise. Das lehrt ja später «Kabale und Liebe».

So sehen wir, daß hier, in Mitteleuropa, diese Geister, Goethe und


Schiller, nicht so zeichnen wie Shakespeare. Sie lassen die Geschehnisse
nicht einlaufen in etwas, was dann bleiben kann, sondern sie stellen
etwas dar, was da war, aber nach ihrer Ansicht eine ganz andere Ent-
wickelung hätte nehmen sollen. Also das, was sie eigentlich wollen, ist
nicht da, und das, was auf dem physischen Plane da ist, gegen das leh-
nen sie sich zunächst in einer geistigen Revolution auf. So daß wir hier
ein merkwürdiges Ineinanderspielen haben von dem, was auf dem phy-
sischen Plane da ist, und dem, was in diesen Geistern lebt.

Wenn ich das in einem etwas gewagten Bilde graphisch darstellen


sollte, was da eigentlich ist, so möchte ich es so zeichnen: Wir haben
bei Shakespeare das Bild so, daß die Geschehnisse durchaus erden-
mäßig weiterlaufen (siehe Zeichnung, blau), daß das, was er aus der

früheren Zeit, in der noch das Geistige gewirkt hat, heraufnimmt,


weiterwirkt (rot), und daß es überläuft in eine Gegenwart, die dann
eben die Tatsache des weltgeschichtlichen Verlaufs bildet.

Wir gewahren dann, wenn wir bei Goethe und bei Schiller nehmen,



was sie an Ahnungen einer alten Zeit haben (rot), einer Zeit, wo noch


die geistige Welt mächtig war, im vierten nachatlantischen Zeitraum,
daß sie das heraufführen bloß in ihren Intentionen, in ihre Geistigkeit,
während sie das, was sich auf der Erde abspielt (blau), im Kampfe da-
mit auffassen. Ich möchte sagen, da haben wir das eine in das andere
hineinspielend auf dem Umwege durch den menschlichen Geistes-
kampf. Und das ist durchaus der Grund, warum hier dann in Mittel-
europa der Übergang gefunden wurde zu dem reinen Menschheits-
problem. So daß - und das werde ich noch weiter ausführen können
in den folgenden Betrachtungen - tatsächlich in der besonderen Auf-
fassung des Menschen als eines Wesens, das im sozialen Zusammen-
hange drinnensteht, durch die Goethe-Schiller-Zeit ein mächtiger Um-
schwung geschieht.

Sehen wir jetzt nach dem Osten hinüber, nach dem Osten Europas.


Ja, in derselben Weise können Sie überhaupt nicht nach dem Osten
hinüberschauen. Wer bloß die äußeren Tatsachen schildert und kein
Verständnis hat für das, was in den Seelen Goethes, Schillers und na-
türlich vieler anderer lebte, der wird zwar die äußeren Tatsachen
schildern, aber nicht das, was da hineinspielt aus einer geistigen Welt,
die immerhin vorhanden ist, die aber nur in den Köpfen der Menschen
vorhanden ist. In Frankreich wird revolutionär auf dem politischen
Boden, auf dem physischen Plane der Kampf vollzogen. In Deutsch-
land geht er nicht bis zu dem physischen Plane herunter, aber durch
die Menschenseelen geht er noch hindurch, in den Menschenseelen zit-
tert er. Aber diese ganze Betrachtung läßt sich nicht ausdehnen nach
dem Osten, denn im Osten ist die Sache anders. Da kommt man näm-
lich, wenn man das nun weiterverfolgen will, erst mit der Anthropo-
sophie der Sache nahe; denn da ist, was in den Seelen Goethes und
Schillers, also immerhin schon auf der Erde, wenn auch durch Erden-
seelen wirbelt, das ist noch erst in der höheren Welt vorhanden, und es
kommt überhaupt nicht unten auf der Erde zum Ausdrucke.

Wenn Sie das, was sich zwischen Goethes und Schillers Geist in der


physischen Welt abspielt, nach Rußland hinüber verfolgen wollen,
dann müssen Sie schon etwa so schildern, wie man die Schlachten
schilderte in der Attila-Zeit, wo sich etwas über den Köpfen der Men-

sehen in den Lufträumen oben abspielte, wo die Geister miteinander


ihre Schlachten ausführten.

Was Sie in Mitteleuropa ausgeführt finden durch Goethe und Schiller


- bei Schiller, indem er die «Räuber», bei Goethe, indem er den «Götz
von Berlichingen» schreibt -, das finden Sie im Osten noch als geistige
Tatsache, über dem physischen Plan in der geistigen Welt sich abspie-
lend. Wollen Sie da die Paralleltaten für das Schreiben der «Räuber»,
des «Götz» suchen, dann müssen Sie es bei den Geistern in der über-
sinnlichen Welt suchen; Sie können sie nicht auf dem physischen Plane
suchen. So daß man für diesen Osten es dann so darstellen könnte:
Wie Wolken, über dem physischen Plane sich abspielend, haben wir
das, was die Sache erst verständlich macht, und unten, ganz unberührt
davon das, was verzeichnet werden kann äußerlich auf dem physischen
Plane.

Und man kann sagen: Man weiß also, wie sich ein westlicher


Mensch, der ein Schüler des Faust geworden war, verhalten hat, ver-
halten konnte, denn man hat den Hamlet. Den russischen Hamlet
könnte man nicht haben. Oder doch? Ja, vor dem geistigen Blick
könnte man ihn haben, wenn man sich vorstellen würde, daß, während
Faust in Wittenberg lehrt -, ich meine immer den Goetheschen Faust,
keine historischen Tatsachen, aber das, was wahrer als die Geschichts-
darstellung ist - und Hamlet ihm zuhört, der sich ja alles aufschreibt,
selbst das, was ihm der Geist sagt und daß es Schurken gibt in Däne-
mark und so weiter, also alles das, was das Buch des Gehirns braucht,
sich aufschreibt; man bedenke, was Shakespeare aus der Gestalt ge-
macht hat, die er dem Saxo Grammatikus entnommen hat, wo die
Sache ganz anders ist, kein Anhaltspunkt dafür ist, wie Shakespeare
wirklich den Schüler des Faust gestaltet hat -, daß da auch eine Engel-

Wesenheit ihm zugehört hätte. Also, während Hamlet auf der Schul-


bank gesessen hat, Faust auf dem Katheder gestanden hat, hätte hinten
ein Engel zugehört; der wäre dann nach Osten geflogen. Da hätte er
dann im Osten seinerseits das entwickelt, was sich parallel in den Ta-
ten des Hamlet im Westen hätte abspielen können.

Ich glaube nicht, daß man zu einem wirklich eindringenden Ver-


ständnis kommt, wenn man bloß die äußeren Tatsachen beachtet und
nicht die tiefgehenden Eindrücke, die diese äußeren Tatsachen gerade
auf die bedeutendsten Persönlichkeiten der Zeit gemacht haben, na-
mentlich wenn es sich um etwas so Einschneidendes handelt wie den
Umschwung vom vierten in den fünften nachatlantischen Zeitraum.

ZWÖLFTER VORTRAG


Dornach, 25. Februar 1922

Von den Aufgaben habe ich Ihnen sprechen wollen, welche den Füh-


rern des geistigen Lebens gestellt waren aus dem Umschwung heraus,
der sich vom vierten zum fünften nachatlantischen Zeitraum herüber
vollzogen hat. Und ich versuchte anschaulich zu machen, welche
Kräfte da ausgegangen sind und sich gezeigt haben in der Faust-
Gestalt, in der Hamlet-Gestalt. Wenn man auf das Wesentliche den
Blick wendet, so sieht man, daß solche geistige Führer wie die Dichter
der genannten Gestalten sich vor die Aufgabe gestellt sahen, dichterisch
die Frage zu beantworten: Was wird aus dem Menschen, wenn er seine
innere Seelenbefriedigung suchen muß aus dem bloßen intellektua-
listischen Leben heraus, aus dem Leben in abstrakten Gedanken? -
Denn selbstverständlich, von diesem besonderen Eindruck, der auf die
Seele dadurch hervorgerufen wird, daß sie genötigt ist, mit Hilfe von
abstrakten Gedanken auf das hinzuschauen, was ihr das Teuerste, das
Bedeutsamste ist, was ihr Sinn und Ziel ihres eigenen Daseins zeigt,
von einer solchen Stellung zum Gedankenleben kommt eben die ganze
Seelenverfassung. Aus all den Entwickelungsmomenten heraus, die wir
gestern skizzenhaft uns vor die Seele gestellt haben, mußten ja im
Grunde genommen Goethe und Schiller schaffen.

Und wir haben auch schon gesehen, wie Goethe und Schiller sich


hineinverstrickt sahen in die Entwickelungsmomente, auf die wir da
deuten konnten. Wir haben gesehen, wie bei beiden durchaus zum Aus-
drucke kommt, daß sie eigentlich fühlen: in der großen, in der wirk-
lichen Dichtung läßt sich nicht auskommen ohne eine gewisse Hin-
neigung zu der eigentlichen geistigen Welt. Aber jene alte Hinneigung
zur geistigen Welt, die noch im 11.,12.,13. Jahrhundert für die abend-
ländische geistige Entwickelung charakteristisch war, die war im
Grunde genommen nicht mehr möglich für den Menschen der darauf-
folgenden Zeit. Sie zog sich zurück, könnte man sagen, vor der bloßen
intellektualistischen Betrachtung. Auf der ändern Seite aber war diese
intellektualistische Betrachtung, dieses Leben in Gedanken, noch nicht

so weit, daß etwa im Gedankenleben selbst das reale, das wirkliche


Geistige hätte erreicht werden können.

Das ist nun eigentlich das Charakteristische der Stellung Schillers


und Goethes in der Geistesentwickelung der Menschheit, daß ihr Auf-
treten, ihre wichtigste Wirksamkeit in eine Zeit fällt, in welcher die alte
Geistigkeit dahingegangen war, und aus dem neuen Intellektualismus
noch nicht die lebendige Geistigkeit hervorsprießen konnte. Wir haben
ja vor einiger Zeit hier gesehen, wie das, was die Seele als Intellektua-
lismus erfüllt, eigentlich der Leichnam jenes geistigen Lebens ist, wel-
ches die Seele in der geistig-seelischen Welt vor ihrer Geburt bezie-
hungsweise vor der Konzeption durchmacht. Dieser Leichnam muß
selbstverständlich wiederum belebt werden. Er muß wiederum hinein-
gestellt werden in das ganze Leben des Kosmos. Aber dazu war man
eben in jener Zeit noch nicht gekommen, und das Ringen Goethes und
Schillers gerade in ihrer allerbedeutsamsten Zeitepoche besteht darin,
nun doch in diesem Ubergangszeitalter eine irgendwie befriedigende
Seelenverfassung zu erringen, die auch dichterisch produktiv sein
konnte.

Am klarsten, am intensivsten tritt das gerade hervor in dem Zusam-


menarbeiten zwischen Goethe und Schiller. Als die beiden bekannt
wurden, hatte Goethe einen größeren Teil seiner Faust-Dichtung fertig:
was 1790 als Fragment des «Faust» erschienen war und einiges andere
darüber hinaus. Wenn man dieses Fragment, das 1790 erschienen war,
und auch das, was dazumal von Goethe aus irgendwelchen Gründen
zurückgehalten wurde, prüft - es ist ja zum Beispiel die Kerkerszene
zurückgehalten worden, trotzdem sie damals schon fertig war, und das
Fragment beginnt unmittelbar, ohne irgendwelchen «Prolog im Him-
mel» mit der Szene: «Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei.. . durch-
aus studiert», wenn man das prüft, so muß man sagen, in diesem Frag-
ment steht Faust allein da, aus seinem Inneren heraus ringend nach
einer befriedigenden Seelenverfassung. Er sieht sich unbefriedigt vom
bloßen Intellektualismus, strebt hin nach einem Zusammenkommen
mit der geistigen Welt. Der Erdgeist in der bekannten Fassung, wie wir
sie jetzt haben, tritt auf. Wir haben durchaus schon ein Hinstreben
Goethes nach der geistig-seelischen Welt, aber was da zum Beispiel

vollständig fehlt, was Goethe dazumal im Grunde genommen fern lag,


das war das Hineinstellen des Faust in den ganzen kosmischen Zusam-
menhang. Der «Prolog im Himmel» war nicht da. Also, Faust war
noch nicht hineingestellt in jenen Kampf des Gottes mit dem Satan.
Das kam erst dazu, als Goethe die Anregung von Schiller bekam, sei-
nen «Faust» fortzusetzen.

Unter dieser Anregung suchte er jetzt Faust nicht mehr allein zu las-


sen, sondern ihn in den ganzen kosmischen Zusammenhang hineinzu-
stellen. Und so gestaltete er dann seinen «Faust», mehr oder weniger
angeregt durch Schiller, so daß wir sagen können: da Faust zum zwei-
ten Male dann 1808 vor die Welt tritt, sehen wir aus dem Persönlich-
keitsdrama, das doch der «Faust» 1790 noch war, ein Weltendrama
entstehen. Wir sehen in der Prologszene: «Die Sonne tönt nach alter
Weise in Brudersphären Wettgesang», im Auftreten der Engel, im
Auftreten der ganzen geistigen Welt, in dem Gegensatze des Satans,
einen Kampf, der sich in jener Welt abspielt um die Gestalt des Faust.
Vorher, 1790, war Faust mit sich selbst beschäftigt. Wir sehen auf
seine Person hin. Er ist einzig und allein der Mittelpunkt. Später tritt
ein ganzes Weltentableau vor uns auf, in das Faust hineingestellt ist.
Um ihn kämpfen gute und böse Mächte. Goethe hat 1797 diese Szene
geschrieben, durch die Faust in ein Weltentableau hineingestellt wird,
nachdem Schiller von ihm geradezu die Fortsetzung des «Faust» ge-
fordert hatte.

Goethe fühlte sich in einem gewissen Sinne, wie ja die «Zueignung»


zeigt, schon entfremdet der Art und Weise, wie er sich in jungen Jah-
ren zu seinem «Faust» gestellt hatte. Was da eigentlich in den Seelen
hervorragendster Menschen geschehen ist, sehen wir zum Beispiel an
Schiller. Schiller hat eigentlich realistisch begonnen. Ich habe Ihnen
gestern gesagt, wie das luziferische und das ahrimanische Element in
Karl Moor und Franz Moor einander gegenübertreten. Aber dabei ist
gar nicht die Rede von einem Hereinragen der geistigen Welten in
irgendeiner ureigenen Gestalt, sondern wir können nur in den Cha-
raktereigentümlichkeiten des Karl Moor und Franz Moor das Luzi-
ferische und das Ahrimanische verfolgen. Es ist Schiller durchaus eigen,
daß er von einem gewissen realistischen Elemente ausgeht. Aber als er

in dieser Art seine Jugenddramen vollendet hatte, und als er dann mit


Goethe bekannt wird, da sehen wir, wie er, als er in den neunziger
Jahren wiederum zur Dichtung zurückkehrt, sich genötigt findet, die
geistige Welt in seine dichterische Gestaltung hereinspielen zu lassen.
Und es gehört wiederum zu den interessantesten Tatsachen, wie Schiller
sich nun genötigt fühlt, die geistige Welt hereinspielen zu lassen in seine
dichterischen Gestalten.

Betrachten Sie den «Wallenstein». Wallenstein richtet sich in seinen


Entschlüssen nach seinem Sternenglauben. Wallenstein unternimmt
seine Handlungen, bildet sich seine Absichten im Sinne seines Sternen-
glaubens. Es spielt also der Kosmos in Schillers Gestaltendichtungen
durchaus herein. Das ganze Wallenstein-Drama kann man nur ver-
stehen, wenn man ins Auge faßt, wie Wallenstein sich durchdrungen
fühlt von denjenigen Kräften, die von den Sternkonstellationen aus-
gehen. Man kann geradezu sagen: Schiller fühlte sich am Ende des
18. Jahrhunderts gedrungen, zu jener Sternenanschauung zurückzu-
kehren, die im 16. und 17. Jahrhundert für die Menschen, die über-
haupt über solche Dinge nachdachten, die gewöhnliche war. Also
Schiller glaubte das Menschenleben in hervorragenden Erscheinungen
nicht darstellen zu können, ohne dieses Menschenleben in den Kosmos
hineinzustellen.

Und weiter, nehmen Sie eine solche Dichtung wie «Die Braut von


Messina». Schiller macht ein Experiment. Er versucht, den alten
Schicksalsgedanken in Verbindung mit der Sternenweisheit in die dra-
matische Handlung hineinzugestalten. Und hier bei dieser «Braut von
Messina» ist es ganz besonders auffällig, daß Schiller sich gedrängt
fühlt, das zu tun, denn bei der «Braut von Messina» können Sie näm-
lich wiederum ein gewisses Experiment machen. Werfen Sie einmal
den ganzen Sternenglauben und das ganze Schicksal heraus und neh-
men Sie das, was dann noch bleibt: dann haben Sie immer noch eigent-
lich ein großartiges Drama in der «Braut von Messina». So daß also
Schiller schon in der «Braut von Messina» ein Drama hätte gestalten
können ohne Sternenglauben und ohne die Schicksalsidee — und er hat

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