Rudolf steiner



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Aber immer mehr kommt er davon ab, sich an die geistige Welt zu
wenden.

Goethe läßt im «Faust» noch eine Ahnung auftauchen: Ich muß


mich an die geistige Welt wenden, wenn ich ihn erkennen will, den
Geist. — Aber es geht nicht. Der Erdgeist erscheint zwar, aber Faust
kann diesen Erdgeist mit dem gewöhnlichen Erkennen nicht ansehen.
Der Erdgeist sagt ihm: «Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht
mir!» Faust muß sich wegwenden, zu Wagner; in Wagner sieht er
dann den Geist, den er begreift. Nicht den Erdgeist begreift er, er
«Ebenbild der Gottheit». Goethe hat also noch in einem Zeitalter ge-
lebt, wo man sich hinrang danach, aus der geistigen Welt heraus das
Wesen des Menschen zu finden. Sehen Sie, was dann kommt, als
Goethe gestorben war. Da wollten die Menschen ja auch wieder wis-
sen, und zwar aus dem Intellektualismus heraus, was eigentlich der
Mensch ist. Nun verfolgen Sie es weiter: Die Menschen können sich
nicht an die geistige Welt wenden, um zu erfahren, was der Mensch
ist. An sich selbst finden sie es auch nicht, denn die Sprache ist schon
zur Seeleneule geworden. So gehen sie denn zu den Menschen, welche
die alte Zeit, wenigstens äußerlich noch, darbietet. Im 19. Jahrhun-
dert - was kommt da herauf? 1836 Jeremias Gotthelf: «Bauern-
spiegel»; 1839 Immermann: «Oberhof», «Drei Mühlen», «Schwarz-
wälder Bauerngeschichten»; George Sand: «La petite Fadette»; 1847
Grigorowitsch: «Anton der Unglückliche»; 1847-1851 Turgenjew:
«Aufzeichnungen eines Jägers».

Es ist die Sehnsucht, in dem einfachen Menschen das zu finden,


womit man sich die Frage beantworten kann: Was ist denn eigentlich
der Mensch? - Früher hat man sich an die geistige Welt gewendet;
jetzt wendete man sich hinunter zu den Bauern. Im Laufe von zwei
Jahrzehnten kommt über die ganze Welt hin die Sehnsucht, Dorf-
geschichten zu schreiben, weil man den Menschen studieren will. Da
die Menschen eben sich selbst nicht erkennen können, höchstens wie
die Eulen in den Spiegel schauen, deshalb gingen sie zu den einfachen
Menschen. Das aber können Sie wiederum in allen einzelnen Zügen -
von Jeremias Gotthelf bis zu Turgenjew - nachweisen, wie eigentlich
alles darauf hinausgeht, den Menschen kennenzulernen. Aus unbe-
wußten Dorfgeschichten heraus, in all den einfachen Geschichten,
auch bei George Sand und so weiter, strebt es nach Menschenkenntnis.

Das geistige Leben wird eben erst durchsichtig, wenn man es von


einem solchen Gesichtspunkte aus erkennt.

Das ist es, was ich in diesen drei Vorträgen vor Sie habe hinstellen


wollen, gewissermaßen zur Illustration des Überganges vom vierten in
den fünften nachatlantischen Zeitraum. Denn es genügt nicht, daß
man diesen Übergang mit ein paar hingepfahlten Begriffen, mit ab-
strakten Begriffen charakterisiert — wie man es zunächst natürlich
auch getan hat -, sondern es handelt sich darum, daß man die ganze
Wirklichkeit geistgemäß gerade durch Anthroposophie durchschauen
kann. Dafür wollte ich Ihnen in diesen Vorträgen ein Beispiel geben.

VIERZEHNTER VORTRAG


Dornach, 19. März 1922

Verschiedene Anlässe haben uns dazu geführt, zu betrachten, wie im


Übergänge vom 13. ins 14. und 15. Jahrhundert das Zeitalter des
Intellektualismus beginnt, das Zeitalter, das wir auch oft bezeichnet
haben als das der fünften nachatlantischen Kultur. Es ist gerade da-
durch charakterisiert, daß in diesem Zeitalter der Mensch dazu
kommt, als das Tonangebende in allem seinem Streben das Intellek-
tuelle zu betrachten. Wie sich dieser Intellektualismus auf den ver-
schiedenen Gebieten des inneren Lebens ausgebildet hat, davon haben
wir ja oft gesprochen. Alles, was charakteristisch ist für die Mensch-
heitsentwickelung, hat eine innere Seite, durch die es sich mehr aus-
lebt in den Empfindungen, in den Anschauungen der Menschen, in
den herrschenden Willensimpulsen und dergleichen. Zugleich hat es
aber auch eine äußere Seite, durch die es sich darlebt in den Zustän-
den, die sich geschichtlich in der Menschheitsentwickelung ergeben,
und da muß man sagen, daß vorläufig der am meisten bezeichnende
Ausdruck für das intellektualistische Zeitalter geschichtlich die Fran-
zösische Revolution ist, diese große Weltbewegung vom Ende des
18. Jahrhunderts.

Allerdings, vieles hat im Menschheitsleben durch lange Zeiten hin-


durch darauf hingewiesen, wie eine solche Art des sozialen Zusammen-
seins angestrebt werden soll, wie sie dann in der Französischen Revo-
lution tumultuarisch zum Ausdrucke gekommen ist. Und vieles ist
wiederum von der Französischen Revolution geblieben, das in der
einen oder in der ändern Form da oder dort auflebt, und zwar auf-
lebt in den äußeren sozialen Zuständen der Menschheit. Man braucht
sich ja nur zu überlegen, wie die Französische Revolution etwas dar-
stellt, was in der Art, wie sie sich am Ende des 18. Jahrhunderts dar-
gelebt hat, vorher nicht möglich gewesen wäre, und zwar aus dem
Grunde, weil für alles, was der Mensch hier auf der Erde anstrebte,
er eigentlich nicht die volle Befriedigung auch auf dieser Erde gesucht
hat.

Seien Sie sich doch klar darüber, es hat vor dem Zeitalter der Fran-


zösischen Revolution in der geschichtlichen Entwickelung der Mensch-
heit niemals eine Epoche gegeben, in der sich die Menschheit gesagt
hätte: Alles, was der Mensch durch sein Denken, Fühlen, Wollen an-
streben kann, das muß auch einen äußeren entsprechenden Ausdruck
im irdischen Dasein selber finden. - In jenem Zeitalter, das der Fran-
zösischen Revolution vorangegangen ist, war man sich klar darüber,
daß die Erde nicht alles hergeben kann, was der Mensch an Bedürf-
nissen seines Geistes, seiner Seele und seines Leibes haben kann. Der
Mensch hat sich immer mit einer übersinnlichen Welt verbunden ge-
fühlt und hat es dieser übersinnlichen Welt zugeschrieben, daß sie be-
friedigen müsse, was auf der Erde nicht befriedigt werden kann.

Allerdings, lange bevor die Französische Revolution ihren tumul-


tuarischen Ausdruck fand, strebte man auf den verschiedensten Ge-
bieten der zivilisierten Welt dahin, eine soziale Ordnung herbeizufüh-
ren, durch die auf der Erde möglichst viel von den menschlichen Be-
dürfnissen befriedigt werden kann. Die Französische Revolution aber
hat ihren Grundcharakter darin, daß einfach ein sozialer Zustand
hervorgerufen werden sollte, der ein entsprechender Ausdruck für
menschliches Denken, Fühlen und Wollen schon hier auf der Erde ist.
Das ist im wesentlichen das Streben des Intellektualismus.

Der Intellektualismus hat als sein Gebiet das irdische Dasein. Alles,


was in der sinnlich-physischen Welt vorliegt, das will der Intellektua-
lismus befriedigen. Er will also auch innerhalb der physischen Erden-
ordnung solche soziale Zustände herbeiführen, welche ein Ausdruck
für das Intellektuelle sind. Bis zur Anbetung der Göttin der Vernunft,
womit aber eigentlich gemeint war die Göttin des Intellekts, geht ja
dieses Streben, in den sozialen Zuständen das hervorzurufen, was der
Mensch anstreben kann. Man kann also sagen: Von sehr alten Zustän-
den, in denen die Menschen sich richteten nach den Impulsen, die
ihnen von den Eingeweihten und Mysterienschülern kamen, durch
welche sie das Göttlich-Geistige selbst in ihre soziale Ordnung auf-
nahmen, von jenen alten Zuständen her bewegte sich das soziale Stre-
ben der Menschheit etwa zu den ägyptischen Zuständen, wo in die
soziale Ordnung aufgenommen wurde dasjenige, was die Könige von

den Priestern erfuhren über den Willen der Menschheitsentwickelung,


wie er sich etwa in den Sternen ausspricht. Später dann, im älteren
Rom, noch im königlichen Rom, versuchte man - es wird das ange-
deutet durch die Unterredung des Numa Pompilius mit der Nymphe
Egeria -, durch die Erforschung der geistigen Welt das hervorzurufen,
was soziale Zustände sein sollten. Immer mehr und mehr entwickelte
sich dann aus diesem Ineinanderweben des Geistigen mit dem Sinn-
lich-Sozialen die Forderung: Alles soll auf der Erde so gestaltet wer-
den, daß es ein unmittelbarer Ausdruck des Intellekts sei.

Will man schematisch solch einen Gang darstellen, so muß man ihn


in der Form einer absteigenden Kurve darstellen. Im Tiefpunkt steht
dann die Französische Revolution (siehe Zeichnung), von hier aus

mußte es dann wieder aufwärtsgehen. Dieses Aufwärtsgehen wurde


auch sogleich wiederum als eine Reaktion auf die Französische Revo-
lution versucht, und wir sehen ja genau, wie zum Beispiel Schiller -
wir können es in den Briefen «Über die ästhetische Erziehung» selber
lesen - angeregt worden ist, durch das, was durchaus in der Franzö-
sischen Revolution auf äußerliche Weise zum Ausdruck kam, nun im
Inneren des Menschen wiederum einen Anschluß an die geistige Welt
zu suchen. Für Schiller entstand die Frage: Wenn es unmöglich ist,
hier auf der Erde eine vollkommene soziale Ordnung hervorzurufen,
wie kann der Mensch zu dem kommen, was ihn in bezug auf sein
Denken, Fühlen und Wollen befriedigen kann; wie kann der Mensch
auf dieser Erde zur Freiheit kommen?

Und Schiller beantwortete diese Frage dahin, daß er sagte: Wenn

der Mensch logisch, der Vernunftnotwendigkeit nachlebt, so ist er
eben ein Diener der Vernunftnotwendigkeit, er ist kein freies Wesen.
Wenn der Mensch seinen sinnlichen Trieben folgt, seinen bloßen
Instinkten, dann gehorcht er wiederum der Naturnotwendigkeit, er
ist kein freies Wesen. - Und Schiller kam dazu, sich zu sagen: Eigent-
lich ist der Mensch ein freies Wesen nur dann, wenn er entweder
künstlerisch schafft oder genießt. Eine Verwirklichung der Freiheit in
der Welt kann es einzig und allein nur dadurch geben, daß der Mensch
künstlerisch arbeitend oder künstlerisch genießend ist. Da wird im
künstlerischen Anschauen ausgeglichen, was sonst Zwang der Ver-
nunftnotwendigkeit ist oder Zwang der Naturnotdurft, wie Schiller
sich ausdrückt. Indem der Mensch im Künstlerischen lebt, ist es ja so,
daß er in dem Kunstobjekte nicht einen solchen Zwang des Gedan-
kens empfindet wie beim logischen Forschen. Auch in dem, was ihm
entgegentritt durch die Sinne, empfindet er nicht den sinnlichen Reiz,
sondern der sinnliche Reiz wird geadelt durch das geistige Anschauen
im Künstlerischen. Der Mensch ist also, insofern er ein der Kunst
fähiges Wesen ist, auch fähig, die Freiheit innerhalb des irdischen
Daseins zu entfalten.

Schiller sucht also die Frage zu beantworten: Wie kann der Mensch


als soziales Wesen zur Freiheit kommen? - Und er kommt zu der
Antwort, daß der Mensch nur als ein für Kunst empfängliches Wesen
zur Freiheit kommen kann, daß er nicht frei sein könne in der Hin-
gabe an die Vernunftnotwendigkeit, und ebensowenig in der Hin-
gabe an die Naturnotwendigkeit.

Es kam in der Zeit, in der Schiller seine Briefe» Über die ästhetische


Erziehung des Menschen» schrieb, dies gerade im wechselseitigen Ver-
kehr Goethes und Schillers in einer großartigen Weise zum Ausdrucke.
Dies zeigt sich darin, wie Schiller aufgenommen hat dasjenige, was
Goethe dazumal umarbeitete an seinem «Wilhelm Meister», wie er hin-
gerissen war von dieser Art der Darstellung, von dieser innerlichen Frei-
heitsdarstellung, weil Goethe als Künstler gar nicht ein intellektuali-
stischer, sondern ein im freien Gedanken schaffender Geist war, der
aber auf der ändern Seite durchaus innerhalb des sinnlichen Erlebens
in der Kunst stehenblieb. Das empfand Schiller. Er empfand Goethes

künstlerische Betätigung so frei, wie das Spiel des Kindes frei ist.


Und wir sehen, wie Schiller enthusiasmiert ist von dieser an das Spiel
des Kindes erinnernden freien künstlerischen Betätigung des Men-
schen. Das begeisterte ihn ja zu dem Ausspruche: Der Künstler ist der
einzige wahre Mensch, und der beste Philosoph ist gegen ihn nur eine
Karikatur - wie es in einem Briefe an Goethe heißt. Das begeisterte
ihn aber auch zu dem Ausspruch: Der Mensch ist nur dann ganz
Mensch, wenn er spielt, und er spielt eigentlich nur, wenn er ganz
Mensch ist. - Damit ist nicht ein frivoles oder ein unterhaltsames
Spiel gemeint, sondern es ist das künstlerische Tun und das künst-
lerische Genießen gemeint. Es ist das Verweilen des Menschen im
künstlerischen Erleben gemeint, und es ist damit gemeint das wirk-
liche Freiwerden des Menschen.

Nun, um welchen Preis wollte man sich denn da, wo man von dem,


was in der Französischen Revolution als soziale Ordnung angestrebt
worden war, wieder hinaufstrebte zu etwas, was der Mensch sich
innerlich erringen muß, was ihm nicht durch äußere staatliche Ein-
richtungen gegeben werden kann - um welchen Preis wollte sich denn
da der Mensch diese soziale Freiheit erkaufen? Er wollte sie sich er-
kaufen um den Preis, daß sie ihm nicht gegeben werden könne beim
logischen Nachdenken, nicht gegeben werden könne äußerlich im ge-
wohnlichen physischen Leben, sondern nur in der ausschließlichen Be-
tätigung im künstlerischen Erleben.

Man möchte sagen, man findet einen Abdruck dieser Empfindungen


gerade bei den besten Geistern dieses Zeitalters, bei Schiller in theoreti-
scher Form, bei Goethe, der ja praktisch dies Leben in der Freiheit geübt
hat. Sehen wir uns einmal die Gestalten Goethes an, die er aus dem
Leben heraus schuf, und an denen er darstellen wollte das echt
Menschliche, das wahrhaft Menschliche. Sehen wir uns den «Wilhelm
Meister» an. Wilhelm Meister ist eine Persönlichkeit, an der Goethe
das echte, wahre Menschentum darstellen wollte. Aber für das Ge-
samtauffassen des Lebens ist ja Wilhelm Meister im Grunde genom-
men ein Bummler. Er ist kein Mensch, der im höchsten Sinne des
Wortes nach einer die Seele tragenden Weltanschauung sucht. Er ist
auch kein Mensch, der im äußeren Leben einen Beruf, eine Arbeit ver-

treten kann. Er bummelt so durch das Leben. Dem liegt zugrunde,


daß eigentlich jenes Freiheitsideal, das bei Goethe und Schiller ange-
strebt wurde, nur erreicht werden konnte von Menschen, die sich
aus dem denkerischen und arbeitsamen Leben herausreißen. Man
möchte sagen, Schiller und Goethe wollten hinweisen auf die Illusion
der Französischen Revolution, auf den illusionären Glauben, als ob
irgend etwas Äußeres, ein Staat, dem Menschen die Freiheit geben
könne. Sie wollten darauf hinweisen, wie der Mensch sich diese Frei-
heit nur im Inneren erringen könne.

Damit ist allerdings jener große Gegensatz zwischen Mitteleuropa


und dem romanischen Westeuropa gegeben. Das romanische West-
europa glaubte in einem absoluten Sinne an die Macht des Staates,
glaubt ja bis heute daran. Und in Mitteleuropa entstand dagegen die
Reaktion, daß das Menschenideal eigentlich nur innerlich gefunden
werden könne. Aber es geschah eben auf Kosten des sich voll Hin-
einstellens in das Leben. Heraus aus dem Leben mußte solch ein
Mensch wie Wilhelm Meister streben.

Man sieht, im ersten Anhub konnte nicht das volle Menschentum


in dem wirklichen Menschen gefunden werden. Natürlich, wenn alle
Menschen Künstler werden sollten, um, wie Schiller sagte, die ästhe-
tische Gesellschaft zu begründen, dann würden wir vielleicht eine
ästhetische Gesellschaft haben, aber sehr lebensfähig würde diese
ästhetische Gesellschaft nicht sein. Ich kann mir zum Beispel, um
gleich etwas Radikales zu sagen, nicht recht vorstellen, wie in dieser
ästhetischen Gesellschaft die Kloaken geräumt würden. Ich kann mir
auch nicht vorstellen, wie in dieser ästhetischen Gesellschaft mancher-
lei von dem geleistet werden sollte, was nun einmal nach strengen
logischen Begriffen zu leisten ist. Das Ideal der Freiheit stand leuch-
tend vor den Menschen, aber der Mensch konnte nicht aus einem vol-
len Darinnenstehen im Leben nach einer Verwirklichung dieses Ideals
der Freiheit streben. Es mußte jener Hinaufschwung nach dem Über-
sinnlichen wiederum gesucht werden, und zwar jetzt in bewußter
Form, wie früher ein Herunterschwung atavistisch stattgefunden
hatte; es mußte ein Wiederhinaufschwung in die geistige Welt ge-
sucht werden. Das Ideal der Freiheit mußte festgehalten werden, aber

der Aufschwung mußte gesucht werden. Man mußte zunächst die


Möglichkeit gewinnen, für das Handeln des Menschen, für das
Darinnenstehen im handelnden Leben die Freiheit zu sichern. Das
konnte man nur, wie mir schien, auf dem Wege, der in meiner «Philo-
sophie der Freiheit» vorgezeichnet ist.

Wenn der Mensch sich zu jener inneren Seelenverfassung auf-


schwingt, durch die er überhaupt fähig wird, im reinen Gedanken,
wie ich jetzt dargestellt habe, sittliche Impulse zu finden, dann wird
er ein freier Mensch trotz dem völligsten Sich-Hineinstellen ins Le-
ben. Daher mußte ich in meiner «Philosophie der Freiheit» einen Be-
griff einführen, den man sonst in Moralbeschreibungen, in Moral-
predigten nicht findet: den Begriff des sittlichen Taktes, des selbst-
verständlichen Handelns aus sittlichem Takt, des Übergehens sitt-
licher Impulse in gewohnheitsmäßiges Handeln.

Nehmen Sie die Rolle, die der Takt, der moralische Takt in meiner


«Philosophie der Freiheit» spielt, so werden Sie sehen, wie da nicht
bloß, wie in der ästhetischen Gesellschaft, in das Fühlen, sondern
wie da auch in das Wollen die wirkliche menschliche Freiheit, das
heißt das gesamte Menschtum eingeführt werden sollte. Derjenige
Mensch, der dann überhaupt dazu gekommen ist, eine solche Seelen-
verfassung zu haben, daß in seinem Wollen reine Gedanken als sitt-
liche Impulse leben können, der darf sich dann in das Leben, und
wenn es sonst noch so lastend ist, hineinstellen — er wird die Möglich-
keit haben, als ein freier Mensch in diesem Leben drinnenzustehen,
insofern das Leben Handlung, Tat von uns verlangt.

Und dazu mußte dann die Möglichkeit gesucht werden, auch für


das, was Vernunftnotwendigkeit ist, was gedankliche Erfassung der
Welt ist, das zu finden, was dem Menschen die Freiheit sichert, die
Unabhängigkeit von dem äußeren Zwange. Das wiederum konnte nur
geschehen durch anthroposophische Geisteswissenschaft. Dadurch,
daß der Mensch die Möglichkeit verstehen lernt, sich in das hinein-
zufinden, was im Geiste von den Weltengeheimnissen und Welten-
rätseln erlebt wird, lebt er sich in Gedanken mit seinem Menschtum
zusammen mit dem inneren Geiste der Welt. Und er gelangt durch
Freiheit in die Wissenschaft vom Geiste hinein.

Was da vorliegt, kann man am besten daran sehen, wie die Men-


schen auf diesem Gebiete eigentlich heute noch sich furchtbar sträu-
ben, frei zu werden. Das ist wiederum ein Gesichtspunkt, von dem
aus man die Gegnerschaft gegen die Anthroposophie verstehen kann.
Die Menschen wollen nicht frei sein auf geistigem Gebiete. Sie wollen
durch irgend etwas gezwungen, geführt, gelenkt werden. Und weil es
jedem freisteht, das Geistige anzuerkennen oder abzulehnen, so lehnen
die Menschen es eben ab und wählen dasjenige, demgegenüber es dem
Menschen nicht freisteht, es anzuerkennen oder abzulehnen.

Ob es blitzt und donnert, ob im Laboratorium durch einen gewissen


Vorgang sich Sauerstoff und Wasserstoff vereinigen, darüber gibt es
keinen Entschluß, es anzuerkennen, oder nicht anzuerkennen. Ob es
Angeloi und Archangeloi gibt, das anzuerkennen, steht dem Menschen
frei. Er kann es auch leugnen. Der Mensch aber, der nun einen wirk-
lichen Freiheitsimpuls hat, der kommt schon durch diesen Freiheitsim-
puls zur Anerkennung des Geistigen im Denken. Es kann dasjenige, was
als erster Anhub in Schillers Briefen «Über die ästhetische Erziehung des
Menschen», in Goethes ganzem künstlerischem Wirken enthalten
war — die Verwirklichung der menschlichen Freiheit durch inneres
Ringen, durch inneres Streben -, es kann das eben nur dann erreicht
werden, wenn man anerkennt, daß der Mensch zu dem, was er im
künstlerischen Erleben als freies Wesen hat, auch hinzufügen kann ein
freies Erleben in dem Reiche des Denkens, ein freies Erleben im Reiche
des Wollens, das nur in der richtigen Weise ausgebildet werden muß.

Schiller nahm eben einfach das, was das intellektuelle Zeitalter dar-


geboten hat. Die Kunst strebte im Zeitalter Schillers noch aus diesem
Intellektualismus heraus. Darin fand Schiller noch die menschliche
Freiheit. Was aber der Intellektualismus dem Gedanken darbietet, ist
unfrei, unterliegt dem logischen Zwang. Da erkannte Schiller nicht
die Möglichkeit an, daß Freiheit walte, ebensowenig im Handeln, im
gewöhnlichen harten Leben. Das mußten wir uns erst erringen durch
die Einführung anthroposophischer Geisteswissenschaft, daß die Frei-
heit auch anerkannt werden konnte auf dem Gebiete des Denkens
und auf dem Gebiete des Wollens. Denn Schiller und Goethe erkann-
ten sie nur an auf dem Gebiete des Fühlens.

Aber ein solcher Weg zur vollen Anerkennung der menschlichen


Freiheit ist ja nur möglich, wenn der Mensch auch zu einer inneren
Anschauung von dem Zusammenhang dessen, was ihm in der Seele
als Geistiges erlebbar ist, mit dem Natürlichen kommt. Solange wie
zwei abstrakte Begriffe, Natur und Geist, nebeneinander stehen für die
menschliche Anschauung, so lange kann der Mensch nicht in einem
solchen Sinne zu einer wirklichen Auffassung der Freiheit fortschrei-
ten, wie ich es angeführt habe. Derjenige, der, ohne daß er sich selber
durch Meditation, Konzentration und so weiter in die geistige Welt
hineinlebt, der nur durch seinen gesunden Menschenverstand das
anerkennt, was durch Imagination, Inspiration und Intuition gefun-
den ist, der erlebt aber bei diesem Anerkennen durchaus etwas. So
zum Beispiel wird jemand, der einfach in den Büchern liest oder in
Vorträgen hört, ohne daß er dabei schläft, was durch Imagi-
nation aus der Welt hervorgeholt wird, schon nötig haben, der wird
schon, obwohl alles durch den gesunden Menschenverstand geschehen
kann, nötig haben, sich anders an diese Offenbarungen der geistigen
Welt heranzumachen als an das, was in einem heutigen Physik- oder
Chemiebuche oder in einer Botanik oder in einer Zoologie geschrie-
ben ist.

Man kann, ohne innerlich viel zur Aktivität überzugehen, alles das


aufnehmen, was in einer heutigen Botanik oder Zoologie geschrieben
ist. Man kann aber nicht, ohne sich innerlich in Tätigkeit, in Aktivität
zu versetzen - wie es aber durchaus im gesunden Menschenverstand
nötig ist —, das aufnehmen, was zum Beispiel in meiner «Geheim-
wissenschaft im Umriß» dargestellt ist. Alles kann begriffen werden,
und wer da sagt, es sei unbegreiflich, der will einfach nicht innerlich
aktiv mit seinem Denken vorgehen, sondern er will es so passiv neh-
men, wie man die Vorstellungen eines Kinos passiv hinnimmt. Da
braucht man allerdings sein Denken nicht viel in Bewegung zu setzen,
und so möchten die Menschen heute alles hinnehmen. Sie können auch

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