Rudolf steiner



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eigentlich regulär erst im 15. Jahrhundert hätte eintreten sollen. Da

ist es dann auch eingetreten, aber es wurde eben schon vorausgenom-


men zur Zeit des Mysteriums von Golgatha. Und da können wir dar-
auf hinweisen, wie die alttestamentlichen Vorstellungen, die ich Ihnen
gestern etwas charakterisiert habe, durch den Zeitgenossen des Chri-
stus-Jesus, durch Philo von Alexandrien, ganz zu Allegorien gemacht
worden sind.

Philo von Alexandrien faßt das ganze Alte Testament allegorisch


auf, das heißt, er will das ganze Alte Testament, das in Form von
Erlebnissen dargestellt wird, zu Gedankenbildern machen. Das ist
sehr geistreich, und indem es zum erstenmal in der Menschheitsent-
wickelung auftritt, kann man auch von dieser Geistreichigkeit spre-
chen. Heute ist es weniger geistreich, wenn zum Beispiel Theosophen
den «Hamlet» so erklären, daß die eine Figur Manas, die andere
Buddhi ist und so weiter, wenn also die Sache ganz ins Allegorische
gezerrt wird. Das ist natürlich ein Unsinn. Aber Philo von Alexan-
drien verwandelte gewissermaßen das ganze Testament in Gedanken-
bilder, in Allegorien. Diese Allegorien sind eben nichts anderes als
die innere Offenbarung des ertöteten Seelenlebens, des gestorbenen
und in der Gedankenkraft als Leichnam vorliegenden Seelenlebens.
Die alttestamentliche Anschauung sah in ihrer Art noch zurück zu
dem Leben vor der Geburt oder vor der Empfängnis, und aus dieser
Anschauung stellte sie das Alte Testament her.

Als man nicht mehr zurückschauen konnte, und Philo von


Alexandrien konnte nicht zurückschauen, da wurde das alles zu den
toten Gedankenbildern. Und so haben wir in der geschichtlichen Ent-
wickelung der Menschheit diese zwei bedeutsamen Erscheinungen
nebeneinander: die alttestamentliche Entwickelung gipfelte in Philo
von Alexandrien zur Zeit des Mysteriums von Golgatha. Das ganze
Alte Testament macht Philo von Alexandrien zu einer Welt von stro-
hernen Allegorien. Und gleichzeitig damit erscheint in dem Myste-
rium von Golgatha die Offenbarung, daß nicht das tote Erlebnis im
Menschen zum Übersinnlichen hinführen kann, sondern der ganze
Mensch, der durch das Mysterium von Golgatha geht, mit dem gött-
lichen Wesen in sich.

Es sind das die zwei großen polarischen Gegensätze: die abstrakte

Welt, die in ahrimanischer Art vorausgenommen ist in Philo, und die
Welt, die mit dem Christentum in die Menschheitsentwickelung ein-
ziehen soll. Man möchte sagen, von diesem Gesichtspunkte aus wird
die ganze Welt zu einer Frage. Der Abstraktling - und Philo von
Alexandrien ist vielleicht der genialste Abstraktling gewesen, weil er
die spätere Abstraktheit ahrimanisch vorausgenommen hat -, er will
die Antwort für das Weltengeheimnis finden, indem er irgendwelche
Gedanken faßt, die das Weltenrätsel lösen sollen. Dagegen ist das
Mysterium von Golgatha der umfassende lebendige Protest. Niemals
lösen Gedanken das Weltenrätsel, sondern diese Lösung bleibt leben-
dig. Der Mensch selber in seiner Totalität ist die Lösung des Welten-
rätsels. Da erscheinen die Sonnen, die Sterne, die Wolken, die Flüsse,
die Berge, die einzelnen Wesenheiten der verschiedenen Naturreiche,
indem sie von außen sich offenbaren, als eine große Frage. Und der
Mensch steht da, und in seiner ganzen Wesenheit ist er die Antwort.

Das ist auch ein Gesichtspunkt, von dem aus das Mysterium von


Golgatha betrachtet werden kann. Man sucht nicht Gedanken in ihrer
Totheit dem Weltenrätsel entgegenzustellen; man stellt dem ganzen
Menschen entgegen das, was aus dem ganzen Menschen heraus erlebt
werden kann.

Nur ganz langsam und allmählich konnte die Menschheit den Weg


finden, um das zu verstehen. Und heute ist er ja noch nicht gefunden.
Anthroposophie will diesen Weg eröffnen. Aber seitdem die Abstrakt-
heit Platz gegriffen hat, hat man gewissermaßen sogar das Bewußt-
sein verloren, daß dieser Weg gesucht werden müsse. Bis dahin war
ein Ringen darnach vorhanden, und das Ringen zeigt sich gerade am
deutlichsten noch an dieser Wende vom vierten in den fünften nach-
atlantischen Zeitraum hinein. Indem sich das Christentum als eine
äußere Erscheinung ausbreitet, ringen gerade die besten Geister dar-
nach, dieses Christentum innerlich zu verstehen. Man hatte eben die
beiden Strömungen von alten Zeiten her übernommen: auf der einen
Seite die heidnische Strömung, die im Grunde genommen eine Natur-
weisheit war, die in allen Naturwesen geistig-elementarische Wesen-
heiten, dämonische Wesenheiten sah, eben jene dämonischen Wesen-
heiten, von denen das Evangelium erzählt, indem es darauf hinweist,

daß die Dämonen sich aufbäumten, als der Christus unter die Men-


schen trat, weil sie jetzt wußten, ihre Herrschaft ist dahin. Die Men-
schen haben den Christus nicht erkannt. Die Dämonen haben ihn er-
kannt. Sie wußten, jetzt wird er Besitz ergreifen von den Herzen, von
den Seelen der Menschen; sie müssen sich zurückziehen. Aber sie spiel-
ten noch lange eine Rolle in den Gemütern und im Erkenntnisstreben
der Menschen. Das heidnische Bewußtsein, das die dämonisch-elemen-
tarisch-geistige Natur in allen Naturwesen auf alte Art suchte, das
spielte noch lange eine Rolle. Es war eben ein Ringen um jene Er-
kenntnisart, die überall in dem Irdischen nun auch dasjenige suchen
sollte, was durch das Mysterium von Golgatha sich mit dem Erden-
leben als die Substanz des Christus selber vereinigt hatte.

Das war die eine Strömung, die heidnische Strömung, die eine Na-


tur-Sophia war, die überall in der Natur das Geistige sah und daher
auch auf den Menschen zurücksehen konnte, den sie zwar als ein
Naturwesen ansah, aber dennoch als ein Geistiges, weil sie eben in
allen Naturwesen auch ein Geistiges sah. Am reinsten, schönsten
kommt das heraus in Griechenland und insbesondere wiederum in der
griechischen Kunst, wo wir sehen, wie das Geistige als Schicksal das
Menschenleben durchwebt, so wie die Naturgesetze die Naturerschei-
nungen durchweben. Und wenn wir auch manchmal schaudernd ste-
hen vor dem, was sich in der griechischen Tragödie darbietet, so ha-
ben wir auf der ändern Seite doch das Gefühl: der Grieche empfand
noch nicht bloß die abstrakten Naturgesetze, wie wir heute, sondern
er empfand auch das Wirken von göttlich-geistiger Wesenheit in allen
Pflanzen, in allen Steinen, in allen Tieren, und daher auch in dem
Menschen selber, in dem sich die starre Notwendigkeit des Naturgeset-
zes zu dem Schicksal formte, wie es zum Beispiel im Ödipus-Drama
zu finden ist. Wir haben da die innige Verwandtschaft des natürlich-
geistigen Daseins mit dem menschlich-geistigen Dasein. Daher waltet
in diesen Dramen noch nicht die Freiheit und auch noch nicht das
menschliche Gewissen. Es waltet eine innere Notwendigkeit, ein
Schicksalsmäßiges in dem Menschen, in ähnlicher Art, wie draußen
die Naturgesetzmäßigkeit in der Natur waltet.

Das ist die eine Strömung, die heraufkommt in die neuere Zeit.

Die andere ist die alttestamentlich-jüdische Strömung. Sie hat keine
Naturweisheit. Sie hat in bezug auf die Natur nur das Anschauen des
sinnlich-physischen Daseins. Dafür ist aber diese alttestamentliche
Anschauung hinaufgerichtet zu den Urquellen des Moralischen, die
zwischen dem Tod und einer neuen Geburt liegen, zu jenen Urquellen,
die aber jetzt nicht hinschauen auf das Naturhafte im Menschen. Für
das Alte Testament gibt es keine Naturwissenschaft, sondern nur das
Einhalten göttlicher Gebote. Die Dinge geschehen, im Sinne des Alten
Testaments, nicht nach Naturgesetzen. Die Dinge geschehen, weil
Jahve es will. Und so sehen wir, daß es aus dem Alten Testament her-
aus bildlos ertönt, in einem gewissen Sinne abstrakt, aber hinter die-
sen Abstraktionen steht bis auf Philo von Alexandrien, der nun alles
zu Allegorien macht, der Herrscher Jahve, der diese Abstraktionen
mit einer ins Übersinnliche hinauf idealisierten, allgemeinen Men-
schennatur durchdringt, der wie ein menschlicher Herrscher alles das
durchdringt, was als Gebote von ihm herabklingt auf die Erde. Es ist
in dieser alttestamentlichen Anschauung ein bloßes Hinschauen auf
die moralische Welt, geradezu ein Sich-Scheuen davor, die Welt in
ihrer äußeren Sinnlichkeit anzuschauen. Während die Heiden darauf
bedacht waren, überall die göttlich-geistigen Wesenheiten zu sehen,
ist der Judengott bloß der Eine. Der Jude ist Monotheist. Sein Gott,
sein Jahve, ist der Eine, weil er sich nur auf das beziehen kann, was
im Menschen als Einheitliches ist: Du sollst allein an einen Gott glau-
ben; und diesen Gott sollst du nicht ausdrücken durch etwas Irdisches,
nicht durch ein plastisches Bild, nicht einmal durch das Wort, das nur
der Eingeweihte bei besonders festlichen Gelegenheiten aussprechen
darf: du sollst den Namen deines Gottes nicht unheilig aussprechen.

Und so ist überall der Hinweis auf das Unanschauliche, auf das,


was nicht durch die Natur zum Ausdrucke kommen kann, was nur
gedacht werden kann. Aber im Alten Testament denkt man hinter die-
sen Gedanken noch die lebendige Jahve-Natur. Diese verschwindet in
den Allegorien des Philo von Alexandrien.

Nun handelt es sich darum, in dem christlichen Ringen der ersten


Jahrhunderte und bis ins 15., 16., 17. Jahrhundert herein den Zusam-
menklang zu finden zwischen dem, was man sehen kann als das Gei-

stige in der äußeren Natur und dem, was als das Göttliche erlebt


wird, wenn wir auf die eigene Moralität, auf das Seelische im Men-
schen schauen. Wenn man diese Sache theoretisch nimmt, so sieht sie
einfach aus. In Wirklichkeit war das Suchen nach dem Zusammen-
klang zwischen dem Anschauen des Geistigen in der äußeren Natur
und dem Hinauflenken der Seele zu dem Geistigen, aus dem der
Christus Jesus heruntergestiegen ist, ein ungeheures Ringen. Und in-
dem das Christentum von Asien herüberzieht und die griechische, die
römische Welt ergreift, sehen wir in den späteren Jahrhunderten des
Mittelalters dieses Ringen noch am stärksten auf jenem Boden Euro-
pas, der sich noch viel Ursprünglichkeit erhalten hatte. In Griechen-
land selbst war noch das alte heidnische Element, die Anschauung des
Geistigen in allen Naturdingen so groß, daß das Christentum zwar
durch das Griechentum durchgegangen ist, sogar viele Sprachformen
durch das Griechische erhalten hat, aber nicht innerhalb des Grie-
chischen Wurzel fassen konnte. Nur die Gnosis, die geistige Anschau-
ung vom Christentum, hat in Griechenland noch Wurzel fassen
können.

Dann hatte das Christentum das prosaischste Element in der Welt-


entwickelung zu passieren: das Römertum, das ja in seiner Ab-
straktheit wiederum auch nur Abstraktes fassen konnte, gleichfalls
das Spätere ahrimanisch vorausnehmend, das, was im Christentum
lebendig ist. Aber ein wirklich lebendiges Ringen finden wir dann in
Spanien, wo tatsächlich die Frage, aber nicht theoretisch, sondern als
intensive Lebensfrage auftritt: Wie kann der Mensch, ohne daß er die
Anschauung des Geistigen in den Naturdingen und Naturvorgängen
verliert, den ganzen Menschen finden, der ihm durch den Christus
Jesus vor die Augen der Seele gestellt ist? Wie kann der Mensch sich
durchchristen? - Am lebendigsten tauchte sie gerade in Spanien auf,
und wir sehen in Calderon einen Dichter, der dieses Ringen ganz beson-
ders intensiv darzustellen wußte. In Calderon lebt, wenn ich so sagen
darf, dramatisch dieses Ringen nach dem Durchchristetwerden des
Menschen.

Da sehen wir auf das charakteristischste Drama des Calderon hin,


auf den «Cyprianus», der eine Art wundertätiger Magier ist, also ein

Mensch zunächst, der in den Naturdingen und Naturvorgangen lebt,


indem er jene Geistigkeit durchforschen will. Wenn Sie das Bild eines
solchen Menschen nach seiner späteren Metamorphose, nach der
Faust-Metamorphose nehmen, so haben Sie nicht die volle Lebendig-
keit, mit der etwa bei Calderon Cyprianus auftritt. Denn dieses
Drinnenstehen in dem Geiste der Natur bei Cyprianus hat noch vol-
les Leben. Da ist noch eine volle Selbstverständlichkeit; während bei
Faust alles schon in Zweifel gehüllt ist. Während Faust von Anfang
an nicht mehr recht an das Finden des Geistigen in der Natur glaubt,
ist der Cyprianus des Calderon durchaus noch eine mittelalterliche
Figur. So, wie der heutige Physiker oder Chemiker in seinem Labora-
torium von seinen Apparaten umgeben ist, der Physiker von den
Geißlerschen Röhren und ändern Apparaten, der Chemiker von sei-
nen Retorten und von seinen Wärmeöfen und dergleichen, so ist
Cyprianus für seine Seelenverfassung überall von dem umgeben, was
als das Geistige aufleuchtet und aufquillt aus den Naturvorgängen
und Naturwesenheiten.

Da tritt - und das ist charakteristisch - in das Leben dieses Cypria-


nus Justina ein. Hier haben wir den Hinweis auf etwas, was im
Drama ganz menschlich dargestellt wird als ein weibliches Wesen,
was wir aber doch, wenn wir es bloß als ein weibliches Wesen auf-
fassen, eben nicht voll erfassen. Denn diese mittelalterlichen Dichter
werden nicht richtig verstanden, wenn man so, wie das ihre neueren
Erklärer tun, immer sagt: Da muß nur das ganz derb materiell Kon-
krete aufgefaßt werden; wir dürfen zum Beispiel bei der Beatrice des
Dante an nichts anderes denken als an ein weiches, weibliches We-
sen. - Oder aber die Erklärer gehen an dem Richtigen auch vorbei,
indem sie wiederum alles allegorisieren, in eine geistige Sphäre hinauf-
heben. So weit voneinander, wie für die Köpfe der modernen Erklä-
rer, waren eben damals die geistigen Bilder und die wirklichen Erden-
wesen noch nicht. Und so dürfen wir, indem da in dem Calderön-
Drama Justina auftritt, wiederum an die die Welt durchziehende Gerech-
tigkeit denken, die eben nicht so etwas Abstraktes war wie das, was
heute auch die Juristen nicht mehr haben, sondern was in ihrer Biblio-
thek steht und was sie herausnehmen in Form von einzelnen Bänden.

Es wurde eben die Jurisprudenz auch als etwas Lebendiges emp-


funden.

So tritt Justina an Cyprianus heran. Und nun wird es natürlich


wiederum schwierig für den modernen wissenschaftlichen Interpreten,
der jetzt die Hymne verstehen soll, die Cyprianus auf Justina singt.
Ja, die modernen Advokaten tun das nicht auf ihre Jurisprudenz,
aber so jemand wie der Cyprianus empfand eben auch die Gerechtig-
keit, die die Welt durchwebt und durchlebt als etwas, dem er Hym-
nen singen konnte. Es ist eben das geistige Leben anders geworden,
das muß immer wieder betont werden. Aber Cyprianus ist zu gleicher
Zeit auch Magier, der es mit den Geistwesen der Natur zu tun hat,
jener Welt der Dämonen, unter der auch das mittelalterliche Wesen
Satanas ist. Nun fühlt sich Cyprianus nicht fähig, wirklich an Justina
heranzukommen. Da wendet er sich an den Satan, den Anführer die-
ser Naturdämonen. Der soll ihm Justina verschaffen.

Da haben Sie die ganze tiefe Tragik des christlichen Konfliktes;


nämlich das, was an Cyprianus herantritt in Justina, das ist die Ge-
rechtigkeit, die der christlichen Entwickelung angemessen ist. Sie soll
an Cyprianus, den noch halb heidnischen Naturgelehrten, heran-
gebracht werden. Das ist die Tragik: er kann aus der Naturnotwen-
digkeit, die etwas Starres hat, nicht die christliche Gerechtigkeit fin-
den. Aber er kann sich auch nur an den Anführer der Dämonen, an
den Satanas wenden, daß der ihm Justina verschaffe.

Satanas macht sich heran an die Aufgabe. Die Menschen können


schwer begreifen, weil natürlich Satanas ein sehr gescheites Wesen ist,
daß er immer wieder an Aufgaben geht, an denen er schon so und so
oft gescheitert ist. Aber das ist eben eine Tatsache. Wir mögen uns
noch so gescheit dünken, wir können in dieser Weise nicht ein so ge-
scheites Wesen wie Satanas kritisieren. Man müßte sich sagen, es muß
doch etwas geben, was ein so gescheites Wesen immer wieder dazu
bringt, das Glück aufs Neue zu versuchen, um die Menschen auf diese
Weise zu verderben. Denn natürlich würde Verderbnis der Menschen
eingetreten sein, wenn es Satan gelungen wäre, die christliche Gerech-
tigkeit - wenn ich mich so ausdrücken darf - herumzukriegen, um sie
an Cyprianus heranzubringen. Also Satan macht sich daran, aber es

gelingt ihm nicht. Die ganze Gesinnung Justinas widerstrebt dem


Satanas; und sie entflieht dem Satan, und er behält ein Phantom von
ihr zurück, ein Schattenbild.

Sie sehen, wie bei Calderon manches Motiv, das Sie dann im


«Faust» wiederfinden, auftaucht, aber alles eben gewissermaßen in
dieses urchristliche Ringen getaucht. Der Satan behält ein Schatten-
bild zurück, das bringt er dem Cyprianus. Cyprianus kann natürlich
mit dem Phantom, mit dem Schattenbild nichts rechtes anfangen. Es
hat nicht Leben. Es hat nur ein Schattenbild der Gerechtigkeit in sich.
Oh, es ist wunderbar ausgedrückt, wie das, was aus der alten Natur-
weisheit geworden ist und als neuere Naturwissenschaft auftritt, wenn
es an so etwas herankommen will wie an das soziale Leben, an die
Justina, wie es nicht das wirkliche Lebendige liefert, sondern nur Ge-
dankenphantome. Wie es jetzt, weil die Menschheit mit dem fünften
nachatlantischen Zeitraum zu der toten Gedankenwelt vorgedrungen
ist, eben nur Phantome liefert, die Phantome der Gerechtigkeit, die
Phantome der Liebe, die Phantome von allem - ich will nicht sagen
im Leben, aber in der Theorie.

Und über alledem wird Cyprianus verrückt. Justina, die wirkliche


Justina, kommt mit ihrem Vater in die Gefangenschaft. Sie wird zum
Tode verurteilt. Cyprianus hört das in seinem Wahnsinne und fordert
für sich auch den Tod. Und eben auf dem Schafott finden sie sich.
Über ihrem Sterben erscheint die Schlange, und auf ihr reitend der
Dämon, der Justina dem Cyprianus zuführen wollte, und erklärt, sie
seien erlöst. Sie können aufsteigen in die himmlischen Welten: «Ge-
rettet ist das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen!»

Das ganze christliche Ringen des Mittelalters liegt darinnen. Der


Mensch ist eingeschaltet zwischen dem, was er erleben kann vor der
Geburt in der geistig-seelischen Welt, und was er erleben soll, nach-
dem er durch die Pforte des Todes gegangen ist. Der Christus ist
heruntergestiegen auf die Erde, weil nicht mehr gesehen werden
konnte, was in früheren Zeiten noch im mittleren Menschen, im
rhythmischen Menschen, gesehen worden ist, als gerade dieser mittlere
Mensch durch die Atmungsübungen des Jogasystems ausgebildet
wurde, die also nicht eine Kopfausbildung waren, sondern eine Aus-

bildung des rhythmischen Menschen. Der Mensch kann den Christus


in dieser Zeit nicht finden. Er strebt danach, ihn zu finden. Der
Christus ist heruntergestiegen. Der Mensch soll, weil er ihn nicht mehr
in der Erinnerung hat aus der Zeit, die er zwischen dem Tode und
einer neuen Geburt durchlebt hat, er soll ihn hier finden.

Solche Dramen, wie das Cyprianus-Drama des Calderon stellen


das Ringen nach diesem Finden dar, und es stellt eben die Schwierig-
keiten dar, die der Mensch hat, der nun wirklich in die geistige Welt
wiederum zurückkommen soll, der den Zusammenklang mit der gei-
stigen Welt erleben soll. Cyprianus ist noch befangen von dem, was
an Dämonenhaftem aus der alten heidnischen Welt nachklingt. Er hat
aber auch das Jüdisch-Althebräische noch nicht so weit überwunden,
daß es ihm ein Gegenwärtig-Irdisches geworden ist. Jahve thront für
ihn noch in überirdischen Welten, ist nicht durch den Kreuzestod
herabgestiegen und hat sich noch nicht mit der Erde vereinigt.
Cyprianus und Justina erleben ihr Zusammengehen mit der geistigen
Welt, indem sie durch die Pforte des Todes gehen. So furchtbar ist
dieses Ringen, um den Christus hereinzubekommen in die mensch-
liche Natur in der Zeit zwischen Geburt und Tod. Und ein Bewußt-
sein davon ist vorhanden, daß das Mittelalter eben noch nicht reif ist,
um ihn in dieser Weise hereinzubekommen.

In dem spanischen Cyprianus-Drama tritt uns das ganze Lebendige


dieses Christus-Ringens viel deutlicher entgegen als in der Theologie
dieses Mittelalters, die sich ja an abstrakte Begriffe halten wollte, und
die in ihre abstrakten Begriffe das Mysterium von Golgatha einfan-
gen wollte. In der dramatisch-tragischen Lebendigkeit des Calderon
lebt dieses mittelalterliche Ringen nach dem Christus, das heißt, nach
dem Durchchristetwerden der menschlichen Natur. Und wenn man
dieses Calderon-Drama von dem Cyprianus mit dem späteren Faust-
Drama vergleicht - es ist das charakteristisch genug -, dann sieht
man, da tritt zuerst bei Lessing das Bewußtsein auf: Der Mensch muß
im irdischen Leben den Christus finden können, denn der Christus ist
durch das Mysterium von Golgatha gegangen und hat sich mit der
irdischen Menschheit vereinigt. Nicht, daß das in klaren Ideen bei
Lessing gelebt hat, aber ein deutliches Gefühl davon hat in Lessing

gelebt. Und als er seinen «Faust» schreiben wollte - er hat ja nur ein


kurzes Stückchen davon zu Papier bringen können -, endete er damit,
daß den Dämonen, also denen, die noch den Cyprianus abhalten
konnten, während des irdischen Lebens den Christus zu finden, zuge-
rufen wird: Ihr sollt nicht siegen!

Damit war zu gleicher Zeit das Thema für den späteren Goethe-


schen «Faust» gegeben; und im Grunde genommen ist es auch noch
beim Goetheschen Faust äußerlich, wie der Mensch sich zum Christen-
tum findet. Nehmen Sie den ganzen Goetheschen «Faust», nehmen Sie
den ersten Teil: da ist das Ringen. Nehmen Sie den zweiten Teil: da
soll zunächst durch die klassische Walpurgisnacht, durch das Helena-
Drama, das Aufnehmen des Christentums erfahren werden an der
griechischen Welt. Dann aber weiß Goethe: der Mensch muß hier im
Erdenleben den Anschluß finden an Christus. Er muß daher seinen
dramatischen Helden hinführen zu dem Christentum. Allein, wie
führt er ihn hin? Es ist ja nur ein theoretisches Bewußtsein, möchte
ich sagen. Goethe war ein zu großer Dichter, als daß man das nicht
bemerkt, daß es nur ein theoretisches Bewußtsein war. Denn zuletzt
ist schließlich doch nur im letzten Akt das Aufsteigen im christlichen
Sinne an das ganze Faust-Drama angeleimt. Es ist gewiß alles groß-
artig, aber es ist nicht aus der inneren Natur des Faust herausgeholt,
sondern Goethe hat das katholische Dogma genommen. Goethe hat
den katholischen Kultus genommen und hat den fünften Akt an die
ändern angeleimt. Er wußte, es muß der Mensch zu der Durchchristet-
heit geführt werden. Im Grunde genommen ist es nur die ganze Ge-
sinnung, die im zweiten Teile des «Faust» lebt, die dieses Durchdrin-
gen mit dem Christus darstellt. Denn bildhaft konnte es auch Goethe
noch nicht geben, und eigentlich ist es auch erst nach dem Tode des
Faust, wo der ganze christliche Aufstieg entfaltet wird.

Ich wollte das alles nur anführen, um Ihnen zu zeigen, wie ver-


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