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Vorbemerkungen
Interne Modelle in der Schadenversicherung basieren üblicherweise auf dem ökonomi-
schen Kapital nach einem Jahr, welches sich aus dem ökonomischen Kapital zu Beginn des
Jahres zuzüglich einer stochastischen Gewinn- und Verlustrechnung ergibt. Dabei ergibt
sich das ökonomische Kapital fiktiv als die sofortige Realisation aller Aktiva und Passiva zu
Marktpreisen, was nicht immer eine realistische Hypothese darstellt. Gerade eine unver-
zügliche Liquidation aller Vermögens- und Verpflichtungspositionen führt in der Regel zu
höheren Zuschlägen bei den Verpflichtungen bzw. Abschlägen bei den Aktiva. Darüber
hinaus führen Anspannungen auf den Finanzmärkten teilweise zu hohen Verzerrungen in
den Marktpreisen (beispielsweise in Form von Liquiditätsabschlagen), die nicht unbedingt
die mittel- bis langfristige Wertsituation widerspiegeln. Dies führt zu einem teilweise nur
schwer zu vermittelnden Anpassungsbedarf in den einzelnen Unternehmenswertmodel-
len.
Viele der Bewertungsprobleme würden sich ganz oder teilweise vermeiden lassen, wenn
man nicht auf die unmittelbare, sondern eher auf eine mittel- bis langfristige Realisation
der „Fair Values“ abstellen würde, wie dies beim Konzept des „Embedded Values“ der Fall
ist. Der Embedded Value eines Unternehmens realisiert sich nicht sofort, sondern über die
(fiktive, aber durchaus realistische) Abwicklung eines Unternehmens über einen längeren
Zeitverlauf.
Im Unterschied zur Lebensversicherung ist dieses Konzept in der Schadenversicherung
noch nicht
sehr etabliert, obwohl in der Schadenversicherung dieses Konzept aus den
nachfolgenden Gründen deutlich einfacher zu handhaben ist als in der Lebensversiche-
rung:
1.
Das Schadenversicherungsgeschäft ist weniger langfristig als das Lebensversiche-
rungsgeschäft und reagiert somit weniger sensitiv auf Parameteränderungen, bei-
spielsweise beim Zins.
2.
Mit Ausnahme von Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr gibt es keine Pro-
dukte mit Kapitalmarktoptionen; dies vereinfacht
die Modellierung dahingehend,
dass
a.
der Embedded Value zu Beginn eines Jahres deterministisch gerechnet
werden kann und dass
b.
für den stochastischen Embedded Value nach einem Jahr das Problem der
Stochastik in der Stochastik nicht auftritt.
Die nachfolgenden Überlegungen zum Embedded Value in der Schadenversicherung im
Vergleich zum ökonomischen Kapital stellen eine Erweiterung und Ergänzung der Ansätze
in [14] dar; hier wurden insbesondere die erläuterten Zahlenbeispiele noch einmal intensiv
bearbeitet. In verkürzter Form wurden einige der hier vertieften Aspekte bereits in [15]
dargestellt.
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Für den Vergleich zwischen dem Embedded Value und dem klassischen internen Modell in
der Schadenversicherung werden im nächsten Abschnitt diese beiden unterschiedlichen
Konzepte im Gesamtzusammenhang der Unternehmenswertmodelle kurz erläutert.
Will man darüber hinaus das Konzept des Embedded Values bei internen Modellen in der
Schadenversicherung im Rahmen von Solvency
II anwenden, muss man einige Besonder-
heiten beachten. Auch auf diese Aspekte wird gesondert eingegangen.
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Unternehmenswertmodelle
Ein Unternehmenswertmodell eines Versicherungsunternehmens hängt immer auch von
den getroffenen Geschäftsannahmen ab; insofern ist dieser Begriff keineswegs eindeutig
definiert. Unabhängig von allen weiteren Modellannahmen kann man hier prinzipiell
- die sofortige Realisation aller Aktiva und Passiva,
- die Abwicklung des Bestandes (Run Off) mit und ohne Erneuerungsgeschäft (Re-
newals) oder
- die normale Fortführung des Geschäfts (Going Concern)
als das abzubildende Geschäftsmodell wählen; der daraus resultierende Unternehmens-
wert wird sich teilweise erheblich unterscheiden. Weiterhin spielt der Modellierungszeit-
raum eine Rolle, z. B. sofort oder erst in einem oder mehreren Jahren.
Unternehmensbewertungen spielen dabei nicht nur im Zusammenhang von Solvency II
eine Rolle, sondern auch bei Unternehmensveräußerungen (Mergers & Acquisitions). Wäh-
rend bei Mergers & Acquisitions alles erlaubt ist, was die Gegenpartei akzeptiert, gibt es im
Zusammenhang von Solvency II Vorgaben zum Vorgehensmodell, die sich bei Lebens- und
Schadenversicherern durchaus unterscheiden. In der nachfolgenden Abbildung sind die
wichtigsten Unternehmenswertmodelle im Hinblick auf ihre Solvency II Zulässigkeit und
Anwendbarkeit illustriert.
Abbildung 1: Klassifikation von Unternehmenswertmodellen.
Solvency II stellt zunächst einmal ganz klar auf einen Betrachtungshorizont von einem Jahr
ab. Der in den internen Schadenversicherungsmodellen meistens gewählte (und Solvency
II zulässige) Modellierungsansatz auf Basis der Marktwertbilanz geht dabei konzeptionell
von der sofortigen Realisierung zu Marktpreisen (Mark-to-Market Ansatz) aus. Abgesehen
von immer mal wieder zu beobachteten Marktverzerrungen liegt das größte Problem für
Going Concern
Liquidationswert
Marktwert
Appraisal Value
mit Abschlägen
ohne Abschläge
ohne Renewals
mit Renewals
mit Renewals
(1a)
(1b)
(2a)
(2b)
(3)
Zeitpunkte
Periodenbeginn t = 0
wie zuvor
Periodenende t = 1
wie zuvor
Eigenschaften
Unternehmenswert
I. d. R. deutlich
geringer als (1b)
U. U. nur fiktiv
I. d. R. etwas ge-
ringer als (1b)
I. d. R. deutlich
höher als (1b)
I. d. R. deutlich
höher als (2b)
Zulässig nach Solvency II
ja
ja
ja, SVU
ja, LVU
nein
Anwendung in der VU
Steuerung
keine, da gerin-
ger Wert des VU
Solvency II +
WOS in der SV
derzeit keine in
der SV
Solvency II +
WOS in der LV
Mergers & Akqui-
sitions in LV & SV
I. d. R. stochastisch in der SV, ggf.
Stochastik in der Stochastik in der LV
wie zuvor
I. d. R. deterministisch in der SV,
i. d. R. stochastisch in der LV
wie zuvor
Geschäftsmodell
Sofortige Realisation
Auslauf des Bestandes
Embedded Value