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ETHMANN
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ANGEWIESCHE
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ITTELSTRA
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IMON
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TOCK
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ANIFEST
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EISTESWISSENSCHAFT
Sollte die vom Wissenschaftsrat empfohlene “Öffnung” des Akademienpro-
gramms für Antragsteller außerhalb der Akademien verwirklicht werden – ein
Vorschlag, der mit einer deutlichen Aufstockung des Akademienprogramms
verbunden sein müßte, wofür es allerdings keine Anzeichen gibt – dann würde
sich die Union der Akademien zu einem die gegenwärtige (schon nicht ge-
ringfügige) Bedeutung erheblich übersteigenden Träger außeruniversitärer gei-
steswissenschaftlicher Forschung entwickeln können.
Aufs Ganze gesehen nur von geringer Bedeutung ist die geisteswissenschaft-
liche Forschung in den sog. geisteswissenschaftlichen Zentren, bei denen es
sich wieder einmal um eine der politischen Wende von 1989 zu verdankende
Erscheinung handelt. Der Versuch, diese Zentren, DFG-finanziert, universi-
tätsnah, aber doch nicht “inneruniversitär” einzurichten, muß als gescheitert
angesehen werden. Statt der vorgeschlagenen Schaffung eines zukunftsfähigen,
kräftigen nucleus außeruniversitärer geisteswissenschaftlicher Forschung, der
seinen Sinn nicht aus dem Umstand bezogen hätte, daß Forschungsgegenstand
und/oder Forschungsaufwand wenig bis gar nicht zur universitären Durch-
schnittsstruktur passen, wurden kaum lebensfähige “interuniversitäre” Ein-
heiten gegründet, deren projektförmigen Befristungen sie von vornherein lä-
hmen mußten.
Die Chance, mit solcher Gründung erstmalig universitäre Schwächen, die in
der Entwicklungsgeschichte unserer hohen Schulen ihre Ursachen haben, zu
kompensieren und damit einen ganz anderen “Sinn” außeruniversitärer ge-
isteswissenschaftlicher Forschung zu stiften, war verschenkt. Da die Förderung
der DFG im Jahre 2007 ausläuft, wird Inzwischen in den “gastgebenden” Län-
dern intensiv erwogen, die geisteswissenschaftlichen Zentren entweder an die
Universität zurückzuführen oder ihnen anderwärts (z.B. an den Akademien)
eine Heimstatt zu schaffen.
Mit dieser Aufzählung sind gleichsam nur die institutionalisierten “Cluster”
außeruniversitärer geisteswissenschaftlicher Forschung erfaßt. Über die Ge-
samtsumme hierher zu rechnender Forschungseinheiten ist damit nichts gesagt.
Allein im Bereich der Historiographie gibt es nicht nur eine große Zahl klei-
nerer, inländischer, in einer eigenen Vereinigung zusammengefaßter Institute,
sondern auch bedeutende, erst jüngst unter ein gemeinsames Dach gestellte,
historische Institute im Ausland. Der Sinn dieser Einrichtungen ist evident ein
anderer, offenkundig überhaupt nicht universitätsbezogener, als dies für die
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HAINOMENA
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anderen Cluster außeruniversitärer geisteswissenschaftlicher Forschung fest-
gestellt wurde. Bei den Auslandsinstituten stehen vorwiegend kulturpolitische,
auf Selbstdarstellung und Verständigung zielende Absichten im Vordergrund,
dahinter finden sich dann fallweise auch wissenschaftspolitische, auf Koope-
ration und Gemeinschaftsprojekte gerichtete Vorstellungen. Bei den kleinen
und manchmal sehr kleinen, im Inland weit verstreuten Forschungsstätten han-
delt es sich durchweg um spezialisierte Einrichtungen, die ihren Sinn von den
Trägern (z.B. die an Museen eingerichteten Forschungsabteilungen) oder den
örtlichen (z.B. heimatkundlichen) Gegebenheiten beziehen.
Der Überblick zeigt, daß die Frage nach dem Sinn außeruniversitärer gei-
steswissenschaftlicher Forschung nicht einheitlich zu beantworten ist. Teil-
weise ist es die (fehlende) Leistungskraft oder die traditionelle Funktion der
Universität (Forschung UND Lehre), die das Motiv für die Gründung außer-
universitärer Einrichtungen lieferte. Teilweise spielten universitätsbezogene
Gesichtspunkte überhaupt keine Rolle, sondern spezialisierte, fachliche, re-
gionale, lokale oder politische Bedürfnisse gaben den Ausschlag.
Am interessantesten sind jene Gründungen, die mit Blick auf entwicklungs-
geschichtlich bedingte Defizite der Universitäten veranlaßt wurden. Denn in
ihnen steckt möglicherweise ein Wink für die Zukunft. In den letzten Jahr-
zehnten wurde nicht nur die naturwissenschaftliche Forschung an den Univer-
sitäten großflächig ausgedünnt. Die geisteswissenschaftliche Forschung ist
extensiv verarmt und droht mangels bereitstehender Ausweichquartiere zum
Erliegen zu kommen.
Die neuen BA-Studiengänge, in denen die Wissenschaftspolitik vornehmlich
die Möglichkeit zur billigen Erhöhung der Ausbildungskapazität sieht, wird
diese Entwicklung noch beschleunigen. In ihnen setzt sich – verstärkt durch
die Konsequenz der vielbeklagten, oft sprachlich verhüllten (“Solidarpakt”,
“Qualitätspakt”) Sparmaßnahmen – die Transformation der Universität (und
ihrer Lehrkörper!) in (fachhoch-) schulähnliche Unterrichtsstätten fort, in de-
nen die berufsbezogene Ausbildung von 40 % bis 50 % eines Jahrgangs bewerk-
stelligt werden muß, so daß weder Zeit noch Geld für traditionelle Forschungs-
fragen und das geduldige Suchen nach vorläufigen Antworten bleibt.
Wer glaubt, daß sich die Entwicklung in dieser Richtung fortsetzen wird, ist
geradezu verpflichtet, nach kompensatorischer, außeruniversitärer geisteswis-
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