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4. Vom Sinn außeruniversitärer geisteswissenschaftlichen Forschung
Wer davon ausgeht, daß die Universität das Zentrum der Wissenschaft, ihre
ursprüngliche und eigentliche Heimat ist, muß die Existenz außeruniversitärer
Forschung, will er sie rechtfertigen, gesondert und überzeugend begründen.
Für die Naturwissenschaften geschieht dies in der Regel durch den Hinweis
auf die Notwendigkeit, bestimmte Forschung und bestimmte Forscher von den
Aufgaben der Lehre und Verwaltung freizustellen, ungewöhnlichen apparativen
Aufwand zu betreiben und große Mittelkonzentrierungen zu gewährleisten, die
von einer Universität nicht geschultert werden können, wenn das klassische
Gefüge einigermaßen intakt bleiben soll.
Für die Geisteswissenschaften werden meistens vergleichbare Argumente ins
Feld geführt, was schon deshalb nicht verwundert, weil die geisteswissen-
schaftliche Forschung von der Projektförmigkeit ihrer Organisation bis zur
“Abrechnung” “relevanter” Ergebnisse sich so vollständig nach dem Erfolgs-
modell der Naturwissenschaften stilisiert hat (oder stilisieren ließ), daß ihr die
eigenen Rechtfertigungen ausgegangen sind. Schwierigkeiten ergaben und er-
geben sich hier vor allem aus dem Umstand, daß diese geisteswissenschaftliche
Forschung ihr Essentiale, nämlich ihre fundamentale Bezogenheit auf die Le-
hre, die ihr erst die Existenzberechtigung garantiert, beiseite schieben muß.
Außeruniversitäre geisteswissenschaftliche Forschung trifft man aus histori-
schen Gründen in der Bundesrepublik an vielerlei Orten und in den verschie-
densten organisatorischen Zusammenhängen.
So verfügt etwa die Max-Planck-Gesellschaft über eine geisteswissenschaft-
liche Sektion, die diesen Namen trotz massiver Anstrengungen bisher nur offi-
ziell, aber nicht wirklich losgeworden ist. In dieser Sektion befinden sich heute
vorwiegend handlungswissenschaftlich (vor allem juristisch und soziologisch)
ausgerichtete Institute, aber auch traditionell geisteswissenschaftlich (etwa
historisch/kunsthistorisch) orientierte Einrichtungen.
Das Harnack-Prinzip (“dem besten Kopf die besten Möglichkeiten”) war schon
bei der Gründung dieser Institute in der Regel zugunsten des Gesichtspunkts,
große, die universitären Gegebenheiten und Möglichkeiten übersteigende Auf-
gaben erledigen zu wollen, aufgegeben worden. Von einigen Ausnahmen ab-
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gesehen, kann dieser letztere Gesichtspunkt bis heute Gültigkeit beanspruchen.
Eine Einrichtung wie z.B. das patentrechtliche Institut in München könnte an
keiner juristischen Fakultät einen sinnvollen Platz finden. Nachdem die bis
in die 80er Jahre hartnäckig verfolgte Politik, die Distanz zwischen Universi-
täten und Max-Planck-Gesellschaft möglichst deutlich zu markieren und aus-
zubauen, inzwischen von der MPG auf breiter Front aufgegeben wurde, dürfte
einer der Haupteinwände gegen diese Forschung - die mangelnde Lehrbe-
zogenheit - allmählich grundlos werden.
Deutlich anders ist die Lage bei den geisteswissenschaftlichen Einrichtungen,
die sich in der Wissenschaftsgemeinschaft G. W. Leibniz (GWL, früher: blaue
Liste) befinden. Hier stand bei der Aufnahme in die “Liste” zwar immer der
Gedanke Pate, daß es sich bei dem Arbeitsgebiet des jeweiligen Instituts um
gesamtstaatlich relevante Aufgaben handele, deren Erledigung die Kräfte eines
einzelnen Bundeslandes übersteige, weshalb der Bund für die Gemeinschaft
mitfinanzieren und damit mitentscheiden müsse.
Diese Vorstellung war jedoch bei der Gründung der Institute kaum jemals
leitend. In der Regel handelte es sich um Landeseinrichtungen, die mit spe-
ziellem Auftrag deshalb außeruniversitär gegründet wurden, weil die Bezie-
hung zur Lehre weder ersichtlich noch beabsichtigt war. Museen, Labore mit
speziellem Forschungsauftrag oder hilfswissenschaftlicher Orientierung (z.B.
wissenschaftlicher Film) waren, wenn sie nach ihrer Gründung erfolgreich
expandierten und ihren Gründern allmählich über die Köpfe wuchsen, typische
und häufig auch erfolgreiche Kandidaten für die Blaue Liste.
Eine schlagartige und nachhaltige Erweiterung hat die Liste durch die Wende
erfahren. Eine dem damaligen Bestand etwa gleichgroße Menge von Instituten
wurde vom Wissenschaftsrat aus dem Nachlaß der Akademie der Wissenschaf-
ten der DDR der Blauen Liste zugeschlagen. In der Regel deshalb, weil andere
institutionelle Möglichkeiten nicht in Sicht waren.
Die aus der Liste hervorgegangene WGL hat erhebliche und im Ganzen un-
leugbare Fortschritte bei dem Bemühen gemacht, sich ein festes korporatives
Band zu schneidern, durch strikte Selbstevaluation die wissenschaftlichen Welt-
standards zu erreichen und die kontingenten und ausschließlich finanzpolitisch
bestimmten Anfänge in Vergessenheit geraten zu lassen. Inzwischen bildet die
Leibnizgemeinschaft eine zwar immer noch schwache, aber doch markante
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Säule der deutschen Wissenschaftslandschaft, die sich auch um Vernetzung
mit den Universitäten bemüht, so daß für ihre geisteswissenschaftlichen Institute
mpg-ähnliche Argumente ins Feld geführt werden können.
Gleichwohl ist die WGL im Zuge der Föderalismusdiskussion und der damit
zusammenhängenden Entflechtungsdebatte in die Diskussion geraten. Von
Seiten des Bundes wurde zwar nicht die völlige Auflösung, aber doch eine
drastische Reduktion der Zahl der Institute vorgeschlagen. Für die betroffenen
Einrichtungen stünde dann eine Rückführung an die Universitäten in Aussicht.
Kein erhebender Gedanke - trotz der gerade modisch gewordenen Überzeu-
gung, man müsse einer “Zersplitterung der Kräfte” vorbeugen und könne die
oftmals fehlende Exzellenz der Universitäten durch Reintegration jener Außer-
universitären erwerben, die einstmals zur Exzellenzgewinnung ausgezogen
waren.
Ein dritter Platz, an dem außeruniversitäre geisteswissenschaftliche Forschung
siedelt, sind die deutschen Akademien. Die dort verwalteten und betreuten
Langzeitvorhaben unterscheiden sich in vielfacher Weise von den bisher er-
wähnten geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen. Sie werden als
Projektforschung geführt und durch das sog. “Akademienprogramm” der Bund-
Länder-Kommission für Forschungsförderung und Bildungsplanung finanziert.
Allerdings läßt sich die Art der in den Vorhaben betriebenen Forschung - über-
wiegend: Editionen, Wörterbücher, Dokumentationen - nicht häufig mit der
geläufigen Vorstellung von einem “Projekt” vereinbaren. Das verhindern schon
die enormen Laufzeiten mit vielfach fiktiven Befristungen.
Der Pseudoprojektcharakter, die quasi-hilfswissenschaftliche Orientierung
(deshalb gern als “Grundlagenforschung” bezeichnet,) und die letztlich (ab-
gesehen von der Zeit) äußerst geringfügigen Aufwendungen für Ausstattung
und Finanzierung sind die hervorstechenden Merkmale akademischer geistes-
wissenschaftlicher Forschung. Aus ihnen ist schwerlich abzuleiten, daß diese
Forschung außerhalb der Universität oder notwendig durch Akademien be-
trieben werden müßte. Das “Projekt” Germania Sacra, die umfassende Be-
schreibung der Klöster und Kirchen auf deutschem Boden, würde als Akade-
mienvorhaben, als langfristiges Institutsprojekt an einer Universität, als Spe-
zialforschung in der WGL kein Aufsehen erregen. Tatsächlich handelt es sich
um ein am Max Planck-Institut für Geschichte in Göttingen angesiedeltes Un-
ternehmen. Ohne Mühe könnte man sich aber auch weitere alternative Träger
von der DFG bis zu eigens gegründeten “Grundlagenzentren” – vorstellen.
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