H e r m e n e V t I k a in humanistika II



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ETHMANN



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ANGEWIESCHE

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ANIFEST



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EISTESWISSENSCHAFT

ein derartiges Programm, das unterschiedliche, bisher im wesentlichen national

geführte und finanzierte Projekte in einem einheitlichen konzeptionellen Ra-

hmen bündelte, neben die bereits im Bereich der Naturwissenschaften be-

stehenden Wissenschaftszentren wie CERN und EMBL treten. Dies würde der

genuin europäischen Idee der Geisteswissenschaften (von der Renaissance bis

zum Deutschen Idealismus) auch in institutioneller Hinsicht wieder verstärkt

Geltung verschaffen.

2.

 Wissenschaftstheoretische Grundlagen

Die Geisteswissenschaften haben heute im wesentlichen zwei Probleme: ein

theoretisches und ein institutionelles. Das theoretische Problem bezieht sich

auf ein systematisch ungeklärtes Verständnis des eigenen Wissenschaftsbe-

griffs, damit auch auf die systematische Stelle im Wissenschaftssystem,

das institutionelle Problem auf organisatorische Defizite der Geisteswissen-

schaften.

2.1 Zur Genese der Philosophischen Fakultät

Die universitäre Heimat der Geisteswissenschaften ist die Philosophische Fa-

kultät. Diese stellt sich historisch als die Nachfolgeeinrichtung der alten Arti-

stenfakultät dar – mit den exakten Wissenschaften des so genannten Qua-

driviums (Arithmetik, Geometrie, Astronomie, rationale Harmonienlehre) und

mit den Renaissancedisziplinen der so genannten studia humanitatis (Geschi-

chte, Literatur, Sprachen wie das Griechische und das Hebräische). Diese Ent-

wicklung setzt früh ein. Schon in Melanchthons Universitätskonzeption besteht

die Artistenfakultät aus Grammatik, Dialektik und Rhetorik, d.h. den Diszi-

plinen des alten Triviums, aus Mathematik, Physik (im sich entwickelnden

Sinne einer philosophia naturalis bzw. experimentalis) und Astronomie, also

einem modifizierten Quadrivium, ferner aus Poesie bzw. Poetik, Griechisch

und Hebräisch. Aus der Ethik im humanistischen Rahmen der studia huma-

nitatis entwickeln sich später die Ökonomie und die Politik und in diesem Sinne

die Staatswissenschaften. Hinzu treten noch die Ästhetik als Theorie der schö-

nen Wissenschaften (nach Baumgarten) und die neueren Sprachen (und mit

diesen die neueren Literaturen).

Der Aufstieg der Philosophischen Fakultät ist auch der Aufstieg der Geistes-

wissenschaften und zugleich der Beginn der wachsenden Unübersichtlichkeit

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OKUMENTI


und blasser werdender Systematik beider. Was für Kant, im Streit der Fakul-

täten (1798) noch eine auch systematisch begreifbare Ordnung war, löst sich

in eine nur noch historisch verstehbare Entwicklung auf, die schließlich zum

Auszug der Naturwissenschaften aus der Philosophischen Fakultät und zu der

mal als glücklich mal als schmerzlich empfundenen Einsamkeit der Geistes-

wissenschaften (in wissenschaftstheoretischer Bedeutung) führt.

Institutionell nicht weniger bedeutsam ist ein weiterer Umstand, der mit dieser

Entwicklung – von der Artistenfakultät über Kants Konzeption der Universität

zur Humboldtschen Universitätsreform – einhergeht. Die mittelalterliche Arti-

stenfakultät war einerseits so etwas wie ein universitäres Gymnasium, das

universitätsfähig machen sollte, andererseits besaß sie im wissenschaftstheo-

retischen Sinne eine propädeutische Funktion, d.h., sie sollte das wissenschaft-

liche Fundament für ein Studium in den so genannten oberen Fakultäten (Theo-

logie, Jurisprudenz, Medizin) legen. Mit Kant bzw. mit der von ihm vertretenen

Universitätskonzeption wird das anders. Zwar findet sich auch bei Kant der

Hinweis, daß die Philosophische Fakultät für 

,die praeliminarien‘ im Studium

der oberen Fakultäten zuständig sei, doch tritt dieser Gedanke ganz hinter den

einer Wahrheitsfunktion, die dieser Fakultät als Vernunftzweck zugeschrieben

wird, zurück. Die untere, d.h. die Philosophische, Fakultät soll Einfluß auf die

oberen Fakultäten nehmen, nur eben nicht im propädeutischen, sondern im

Wahrheitssinne. Es geht Kant in erster Linie um eine Wissenschaftssystematik,

nicht – wie Fichte, Schleiermacher und Humboldt – um ein Bildungsprogramm,

auch wenn dieses sich als institutionelle Konsequenz aus Kants Konzeption

der Universität ergibt. Schleiermachers Bezeichnung der Philosophischen Fa-

kultät als 

,eigentlicher Universität‘ gibt dieser Konzeption ihre institutionelle

Form – nunmehr unter Gesichtspunkten einer Bildungsreform.

Kants Konzeption ist kein Glück beschieden. Im Zuge ihrer Transformation in

eine universitäre Bildungsreform verändert sich der Charakter der Philoso-

phischen Fakultät. Diese verliert mit wachsender disziplinärer und fachlicher

Vielfalt nicht nur ihre Übersichtlichkeit und Systematik, sie wird alsbald auch

zur Ausbildungsfakultät für Gymnasiallehrer. Das heißt: sie gleicht sich in einer

Ausbildungsperspektive den oberen Fakultäten an und verliert damit ihren im

systematischen Sinne Kants herausgehobenen Charakter. Aus der Wahrheits-

idee wird nicht nur eine Bildungsidee, sondern auch eine berufliche Ausbil-

dungsidee. Damit ist der Grundstein zur Philosophischen Fakultät und den sie

bestimmenden Geisteswissenschaften im derzeitigen Sinne gelegt.

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