Mitteleuropa zwischen Ost und West Kosmische und menschliche Geschichte Sechster Band



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man Vernunft an und lenkt die Entwickelung in der Richtung, die sich unter allen Umständen vollzieht; dann geht die Sache gut. Oder aber man unterläßt dieses, man läßt die Dinge auf sich beruhen, man schläft, man wacht nicht; dann vollzieht sich die Sache durch Katastrophen, dann kommen Revolutionen, Kataklysmen und so weiter. - Keine Statistik, kein Programm, das noch so schön ausgedacht ist, hat einen Wert. Einen Wert hat allein die Beobachtung desjenigen, was im Schöße der Zeit liegt. Das muß aufgenommen, das muß durchdrungen werden, von dem müssen die Intentionen der Gegenwart beherrscht werden.

In den vierziger Jahren haben die mannigfaltigsten Leute, die Programm-Menschen waren, über die geringe Anzahl derjenigen, die das einsahen, was ich eben gesagt habe, gesiegt. Dadurch ist alles mögliche gekommen zur Spiritualisierung der Menschheit: Spiritismus zum Beispiel, der nur ein Versuch ist, die Menschheit mit untauglichen Mitteln zu spiritualisieren, der in materialistischer Weise reformieren, die geistige Welt darleben, offenbaren will. Man kann auch im Gedanken recht materialistisch sein. Man ist zum Beispiel dann materialistisch, wenn man sagt: Ja, aber dieser oder jener Teil der Menschheit hat doch recht, warum greifen die geistigen Mächte nicht ein und verhelfen dem zum Recht? - Wie oft hört man das sagen in der Gegenwart: Warum greifen die geistigen Mächte nicht ein? - Ich antwortete in mehr abstrakter Form neulich: Die Menschheit ist gegenwärtig auf Freiheit gestellt. - Diejenigen, die fragen: Warum greifen die geistigen Mächte nicht ein? - die gehen ja von dem Glauben aus, daß Gespenster Politik machen sollten statt der Menschen. Das wäre freilich ein leichtes Vorwärtskommen, wenn Gespenster statt der Menschen die Reformen einführen würden, auf die es ankommt. Das tun sie natürlich nicht, weil die Menschen auf Freiheit gestellt sind. Das Warten auf Gespenster, das ist dasjenige, was die Menschen am konfusesten macht, das lenkt sie von dem ab, was eigentlich geschehen soll. Und so ist denn gerade die Zeit, in der die Menschheit, ihrem Leben nach, in verfeinerte spirituelle Begriffe sich hineinarbeitete, die bei manchen deutlich leben, so ist diese Zeit auf der anderen Seite den stärksten materialistischen Versuchungen ausgesetzt gewesen. Die Menschen können nur nicht unter-

scheiden zwischen den verfeinerten spiritualisierten Begriffen und Empfindungen und zwischen dem, was versuchend an sie herantritt, und was entgegenarbeitet der Auffassung von dem, was man spiritua-lisiert in sich hat, und was wirklich auch etwas Spirituelles ist. Deshalb -weil zur rechten Zeit nicht begriffen worden ist, wie die Entwickelung geschehen muß - ist das katastrophale Zeitalter, ist unsere schwere Gegenwart notwendig geworden. Ohne diese schwere Gegenwart wäre die Menschheit noch tiefer hineingesunken in den Unglauben an sich selbst. Noch mehr wäre sie dazu gekommen, zwar Spirituelles zu entwickeln, aber dieses Spirituelle abzulehnen.

Das sind solche Hintergründe des geschichtlichen Werdens. Ich würde ja so gerne von diesen Hintergründen aus manches, was im Vordergrunde liegt, beleuchten wollen, allein aus leicht begreiflichen Gründen geht das, insbesondere in der Gegenwart, nicht. Es muß jedem einzelnen überlassen sein, mit solchen Hintergründen sich nun dasjenige, was in seiner unmittelbaren Gegenwart lebt, wirklich zu beleuchten.

Das Verschlafen, welches ich vorhin charakterisiert habe, das bedingt, daß man auch innerlich so gerne über die Ecken und Kanten des Lebens hinwegsieht. Wenn man aber über die Ecken und Kanten des Lebens hinwegsieht, dann entstehen Kompromisse. Nun kann es Zeiten geben, die für Kompromisse sehr geeignet sind. Dasjenige, was vorangegangen ist den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, das war eine Zeit, die für Kompromisse recht geeignet war; aber unsere Zeit ist es nicht. Sie stellt an uns die Aufgabe, die Dinge zu sehen, wie sie sind, mit allen ihren Kanten und Ecken. Aber sie stellt auch in die Menschengemüter den Drang hinein, gerade weil diese Kanten und Ecken da sind, die Augen schläfrig zu verschließen vor diesen Kanten und Ecken. Selbst den allergrößten und bedeutsamsten Ereignissen der Menschheitsentwickelung gegenüber kann man das wahrnehmen, was ich jetzt eben gesagt habe.

Gegenüber dem größten Ereignis der Weltgeschichte hat es die Menschheitsentwickelung zu diesen Ecken und Kanten gebracht, selbst dem größten Ereignis der Weltgeschichte gegenüber: dem Mysterium von Golgatha. Wir wissen, was alles an Betrachtungen über das Myste-

rium von Golgatha im Laufe der theologischen Entwickelung des 19. Jahrhunderts geleistet wurde. Von der Zeit, da Lessing gesprochen hat über das Mysterium von Golgatha bis zu dem Philosophen Drews, ist ja alles mögliche geredet worden. Und man kann sagen: Diese ganze theologische Entwickelung des 19. Jahrhunderts liefert den vollsten Beweis dafür, daß man völlig verlernt hat, überhaupt noch etwas zu verstehen von dem Mysterium von Golgatha. Aber es gibt einige sehr interessante Publikationen über den Christus Jesus. Zum Beispiel eine dänische, die stellt sich ganz auf den Standpunkt des heutigen naturwissenschaftlich Denkenden. Der Mann sagt von seinem Standpunkte aus: Ich bin Psychologe, Physiologe, Psychiater, ich beobachte von meinem Standpunkte aus die Evangelien. - Zu welchem Schluß ist er gekommen? Sachgemäß im Sinne der heutigen Psychiatrie, so wie sie urteilen kann, ist der Mann zu dem Schluß gekommen: Das Bild, das die Evangelien von dem Christus Jesus entwerfen, ist ein Krankheitsbild. Man kann eigentlich den Christus Jesus nur auffassen als ein Wesen, welches zusammengesetzt ist aus Wahnsinn, Epilepsie, krankhaften Visionen und dergleichen. Alle die Symptome einer schweren Geisteskrankheit sind eigentlich da. - Wenn man, wie ich es kürzlich einmal gemacht habe, die wichtigsten Stellen dieses Buches vorliest, entsetzen sich die Menschen. Man kann das begreifen. Wenn das, was sie für heilig halten, ihnen als Krankheitssymptome entgegentritt, entsetzen sich die Menschen. Aber was liegt da eigentlich vor? Ja, es liegt vor, daß da einmal unter einer großen Anzahl von unehrlichen Kompromißlern einer aufgetreten ist, der sich nun vollständig auf den naturwissenschaftlichen Standpunkt stellt, der nicht mehr mit irgend etwas Kompromisse schließt, sondern sagt: Ich bin ganz Naturwissenschafter; und wenn ich das bin, dann muß ich es so sagen, wie ich es sage, denn das ist eine Tatsache.

Würden die Menschen ehrlich sich auf den Standpunkt stellen, auf den die Naturwissenschaft sich gestellt hat, dann würden sie solche Ansichten gewinnen müssen. Da gibt es diese Ecken und Kanten, da kann man nicht anders. Und man kann nicht anders, als entweder den naturwissenschaftlichen Standpunkt verlassen und zum geisteswissenschaftlichen Standpunkte übergehen - dann bleibt man auch ehrlich -, oder

man kann ehrlich bleiben auf dem naturwissenschaftlichen Standpunkte, dann muß man die Dinge, ohne Kompromisse zu machen, so betrachten, wie sie solch ein ganz bornierter Naturforscher, aber auf seinem Gebiete ehrlicher Mann betrachtet, der nur ganz borniert ist und nicht seine Borniertheit irgendwie übertüncht, borniert, aber konsequent. Man muß sich auf diesen Standpunkt stellen. Würden die Menschen sehen, was heute manche Nuance notwendig macht, wenn es beleuchtend auftritt, dann würden sie erst kompromißlos das Leben sehen.

Es wurde in diesen Tagen ein interessantes Zettelchen in meine Hand gedrückt. Ich wußte schon von dem Buche, das da erwähnt wurde, aber ich habe es nicht hier, deshalb kann ich Ihnen nur das Zettelchen vorlesen. Es wurde mir also in die Hand gedrückt, um zu bezeugen, was heute alles möglich ist.

«Wer jemals die Bank eines Gymnasiums gedrückt hat, dem werden die Stunden unvergeßlich sein, da er im Plato das Gespräch zwischen Sokrates und seinen Freunden . Unvergeßlich wegen der fabelhaften Langeweile, die diesen Gesprächen entströmte. Und man erinnert sich vielleicht, daß man die Gespräche des Sokrates eigentlich herzhaft dumm fand; aber man wagte natürlich nicht, diese Ansicht zu äußern, denn schließlich war der Mann, um den es sich handelte, ja Sokrates, . - Mit dieser ganz ungerechtfertigten Überschätzung des braven Atheners räumt das Buch von Alexander Moszkowski gehörig auf. Der Polyhistoriker Moszkowski unternimmt in dem kleinen, unterhaltend geschriebenen Werke nichts Geringeres, als Sokrates seiner Philosophenwürde so ziemlich vollständig zu entkleiden. Der Titel ist wortwörtlich gemeint. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß sich an das Buch noch wissenschaftliche Auseinandersetzungen knüpfen werden.»

Nun kann man es schrecklich finden, daß so etwas geschrieben wird, nicht wahr? Aber ich finde es gar nicht schrecklich. Ich finde es selbstverständlich und ehrlich von Moszkowski. Denn nach den Begriffen und Empfindungen, die Moszkowski hat, kann er, wenn er konsequent bleibt, den Sokrates nur einen Idioten nennen; das ist

selbstverständlich. Und wenn er es tut, so ist er ehrlicher als so und so viele andere, die eigentlich nach den Ansichten, die sie haben, Sokrates auch einen Idioten nennen müßten, aber aus Kompromißlerei es nicht tun. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß nicht irgend jemand durch die durchlässigen Wände des Münchener Zweiges jetzt hier verbreiten soll, daß ich mich einverstanden erklärt habe, wenn Moszkowski Sokrates als Idioten erklärt. Ich hoffe, daß man versteht, was ich eigentlich meine.

Aber ebenso muß ich anerkennen, daß in unserer Zeit gewisse Urteile nur dadurch in den Gemütern der Menschen zusammenkommen, weil man unehrliche Kompromisse schließt. Man kann nicht gleichzeitig so denken über Seelenkrankheiten, wie die heutige Psychiatrie denkt, und nicht ein solches Buch schreiben, wie der Däne geschrieben hat über den Christus Jesus. Man kann das nicht. Man ist nicht ehrlich, wenn man nicht entweder diese Begriffe ablehnt und durch geistige Begriffe ersetzt, oder eben auf den Standpunkt sich stellt, daß der Christus Jesus ein Geisteskranker war. Und man kann nicht, wenn man jene eigentümliche Ansicht von Alexander Moszkowski kennt, über die Strahlungstheorie, über die Quantentheorie - man muß solche Leute nur kennen, muß nur kennen die Ansichten über die Grenzbegriffe, über das ganze Gefüge des Weltenbaues, die Moszkowski hat —, man kann dann nicht anders, als Sokrates und auch Plato für Idioten halten, wenn man ehrlich und konsequent ist.

Zu denjenigen Impulsen, die der Menschheit besonders notwendig sind, gehört vor allen Dingen dieser: Kompromisse abzulehnen, Kompromisse nicht zu schließen, wenigstens im Gemüte zunächst. Das ist wichtig, außerordentlich wichtig, daß man dies als eine Forderung unserer Zeit ansieht. Denn gerade das gehört zu den wichtigsten Impulsen des Zeitgeistes Michael, Klarheit hineinzugießen, unbedingte Klarheit hineinzugießen in die menschlichen Seelen. Will man dem Erzengel Michael folgen, dann ist es notwendig, Klarheit hineinzugießen in die menschliche Seele, die Schläfrigkeit zu überwinden. Sie tritt auf anderen Gebieten auch auf, aber es ist ein unbedingtes Erfordernis vor allen Dingen, sich überall heute die Konsequenzen einer Sache klarzumachen. In früheren Zeiten war das anders. In früheren Zeiten,

durch die Jahrhunderte, in denen vor dem Erzengel Michael im wesentlichen die europäische Menschheit durch Gabriel regiert worden ist, war es so, daß dasjenige, was der Mensch hier als Kompromiß gedacht hat, von der geistigen Welt her abgeschwächt worden ist. Michael ist der Geist, der mit der Freiheit der Menschen im eminentesten Sinne arbeitet. Daher macht Michael schon das Richtige. Sie dürfen nicht glauben, daß Michael nicht das Richtige macht, er macht schon das Richtige. In den unbewußten Regionen der Seele ist heute bei jedem Menschen scharf hingestellt jede Kante und Ecke des geistigen Lebens. Es ist schon da. Wer nur die geringste Anlage - sei es eine noch so geringe - dafür hat, das heraufzubringen, was im Untergrunde des Seelenlebens ist an latenten Visionen, der weiß, was heute alles auf dem Grunde der Seele an Diskrepanz, an Unzusammengehörigem lebt. Er weiß, wie in den Seelen nebeneinander wohnen die heutige materialistische Psychiatrie, die sich nicht scheut, in ihm einen Epileptiker zu sehen, und sogar die Anerkennung des Christus Jesus. Er weiß das. Wenn sich die Dinge nur ein wenig ins Bewußtsein heraufheben, wenn jemand nur ein wenig die Anlage dazu hat, die Dinge ins Bewußtsein hinaufzuheben, ja, dann wird er schon gewahr, wie die Dinge sind. Es wäre interessant, wenn mit einem wirklichen Sinne für die Gegenwart einmal ein guter Maler malen würde «Christus, gesehen von einem Psychiater der Gegenwart», und würde das, was sich abspielt, expressionistisch zum Ausdruck bringen. Es wäre sehr interessant, was da herauskommen würde, wenn der Maler wirklich Verständnis hätte für dasjenige, was sich in der Gegenwart in den Untergründen des seelischen Lebens abspielt.

Sie sehen, man muß schon gerade für unsere Zeit tief schürfen, wenn man verstehen will, was sich an der Oberfläche des Daseins abspielt. Aber man begreift auf der anderen Seite auch, daß die Menschen von einer gewissen Feigheit und Mutlosigkeit befallen werden, wenn sie an die angedeutete Sache herankommen sollen. Und das ist das andere, was eben in der Gegenwart notwendig ist: Mut, sogar eine gewisse Kühnheit der Anschauungsweise, der Denkweise, eine solche Kühnheit, welche die Begriffe nicht abstumpft, sondern sie vielleicht möglichst spitzig werden läßt. Ich habe diese Dinge alle gesagt, damit sie, soweit

sie jedem geistig zugänglich sind, von jedem selbst beobachtet werden. Man kann sie selbst beobachten, wenn man das geistige Leben in der Gegenwart wirklich beobachten will. Man kann schon alles das, was heute gerade gesagt werden muß, aus den äußeren Ereignissen heraus finden; der Geistesforscher wird es nur präziser beschreiben, weil er den Hintergrund dazu sieht. Und wenn man dann vom Geistesforscher diesen Hintergrund geschildert bekommt, dann wird man um so mehr in den Ereignissen bewahrheitet finden, worauf zum Beispiel heute hingedeutet worden ist.

Es fragt heute mancher, was er eigentlich tun solle. - Es liegt so nahe, was man tun soll. Man möchte sagen: Die Augen aufmachen soll man, allerdings die geistigen Augen! - Der Wille kommt dann schon, wenn man die Augen aufmacht. Der Wille hängt ja vielfach ab von dem Platze, wo man hingestellt ist. Man kann nicht immer gerade an seinem Platze seinem Karma gemäß das Richtige machen, aber man muß versuchen, die Augen geistig aufzumachen. Heute ist es ja allerdings vielfach so, daß wenn man versucht, in Worten Vor die Menschen irgend etwas hinzustellen, was notwendig ist für die Gegenwart, sie dann schnell die Augen zumachen; dann wenden sie schnell den Sinn davon ab. Das ist nur das andere Ausschlagen der Waagschale.

Wenn man so spricht, könnte das sehr leicht aufgefaßt werden, als wenn man eigentlich eine Kritik der Zeit geben wollte. Das meine ich nie. Was ich meine, ist: aufmerksam zu machen auf das, was als Impulse aus der spirituellen Welt in die menschlichen Seelen, in die menschlichen Gemüter hinein muß, wenn wir aus der katastrophalen Zeit, in die wir hereingekommen sind, hinaus wollen. Wie gesagt, auf konkrete Einzelheiten einzugehen, ist leider nicht möglich. Das kann jeder für sich selbst tun.

ELFTER VORTRAG

München, 2, Mai 1918

Heute, am ersten Tage unserer Zweigbetrachtungen, wollen wir, wie es den Zeitverhältnissen angemessen ist, eine Betrachtung anstellen, die sich auf dasjenige erstreckt, was von unserer geisteswissenschaftlichen Bestrebung als Licht fallen kann auf manches, das dem Menschen in unserer Zeit entgegentritt, fragend, fordernd entgegentritt, und ihn mit Aufgaben wenigstens erfüllen sollte, Aufgaben, die ja im eminentesten Sinn durch den Geist der Zeit gestellt werden und von deren Erfassung durch jeden einzelnen vielleicht vieles von dem Schicksal der Menschheit in der nächsten Zukunft abhängen könnte. Gehen wir von etwas aus, was uns ja naheliegen kann. Sie werden wohl bemerkt haben, daß schon seit längerer Zeit in gewissem Sinn eine Änderung in der Stimmung der Außenwelt gegenüber unserer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft eingetreten ist, eine Änderung der Stimmung dahingehend, daß man mit einer wachsenden Feindseligkeit da und dort auf diese Geisteswissenschaft blickt. Nur derjenige, der die Geschichte von geistigen Bewegungen nicht in der richtigen Weise würdigt, kann überrascht sein davon, daß solcher Stimmungswechsel, solche Stimmungsänderung einmal gekommen ist; sie wird noch in größerer Intensität kommen. Solange sich eine solche Bewegung wie diese in ihrer Hauptsache innerhalb eines gewissen sektiererischen Betriebes hält, solange sie sich so hält, daß da oder dort in den verschiedenen Städten ein paar Leute zusammenkommen, sektenartig sich in Vorderoder Hinterhäusern vereinigen, um dieses oder jenes sektenartig zu treiben, so lange betrachtet man solche aufstrebenden Bewegungen mit einem gewissen nachsichtigen Wohlwollen, das sich gewiß da oder dort auch in etwas anderes verwandelt, das aber dabei stehen bleibt, man habe nicht nötig, im Ernst einzugehen auf solche Bewegungen; sie werden schon wieder verschwinden, und die Räume in den Vorder- und Hinterhäusern, in denen sektiererisch, in mehr familienhafter Art solche Dinge getrieben werden, die werden schon wiederum durch etwas anderes in Anspruch genommen werden. Solche Stimmung war ja durch

viele Jahre hindurch in der Außenwelt unserer Bewegung gegenüber vorhanden, und was als Feindseligkeit aufgetreten ist, hob sich mehr oder weniger nur oasenhaft aus dieser allgemeinen Stimmung heraus. Aber die Sachen haben sich ja ein klein wenig geändert dadurch, daß wenigstens von einer Seite her immer mehr und mehr gestrebt worden ist, den sektiererischen Charakter der Bewegung abzustreifen. Obwohl gerade aus den Reihen unserer Gesellschaft selber heraus immer wieder und wiederum Widerstände erwachsen gegen das Abstreifen dieses Sektiererischen, gegen das Sich-Vereinigen mit der allgemeinen Kultur der Gegenwart, so muß doch in energischer Weise der Versuch gemacht werden, gegen alle Widerstände und gegen alle Feindseligkeiten sich zusammenzufinden mit dem, was sonst in der Kultur der Gegenwart strebt. Man wird ferner nicht sich nur zusammensetzen und in behaglicher Weise Vorträge vorlesen können und dergleichen - obwohl das selbstverständlich eine schöne familiäre Aufgabe sein kann -, man wird genötigt sein, sich mit dem auseinanderzusetzen, was Menschen da und dort wollen, anzuknüpfen an das, was da und dort gewollt wird, um gerade durch das Wechselverhältnis mit den vielleicht widerstrebenden Bewegungen der Außenwelt dasjenige zu finden, was für die Gegenwart gerade durch die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gefunden werden muß.

Und eine sehr bedeutsame Aufgabe unserer Freunde wird es sein, die notwendige Beweglichkeit des Geistes zu entfalten, die etwa dazu gehören wird, um dieses Herausgehen aus dem Behaglichen, Sicheren, Warmen, Familienhaften wirklich zu finden. Notwendig ist es, aber empfunden wird die Notwendigkeit noch nicht überall. Dies führt aber direkt dazu, sich zu fragen: Wie wird sich denn in der Zukunft das eine oder das andere aus den Impulsen unserer geistigen Bewegung auseinanderzusetzen haben mit demjenigen, was althergebracht oder auch neu erstehend ist, oder mit dem Glauben ausgerüstet, daß es vielleicht etwas Neues sei, wie wird sich das, was von uns kommt, mit solchen Bewegungen auseinanderzusetzen haben? Wie wird sich das gestalten?

Nun, vor allen Dingen, trotz aller scheinbaren da und dort auftretenden Zustimmungen von dieser oder jener Seite, wird der Widerstand insbesondere groß werden von Seiten der offiziellen Vertreter

religiöser, konfessioneller Weltanschauungen. Diese religiösen, konfessionellen Vertreter von Weltanschauungen, aus deren Reihen ja gewiß musterhafte Bekenner unserer Bewegung hervorgehen werden, sie werden doch in ihrer Mehrzahl immer wieder und wiederum dasjenige betonen, was sie gerade auflesen können aus dem ererbten Gute ihrer Anschauungen, und werden bei der Masse der Menschen der heutigen Zeit, die ja selbstverständlich nicht autoritätsgläubig sind, aber auf jede Autorität hineinfallen, reichlich Zustimmung finden. Insbesondere wird es schwer werden, gegen eine Stimmung das geisteswissenschaftliche Gut durchzubringen, und diese eine Stimmung, die ruht in einer gewissen außerordentlich bequemen Art und Weise, wie die Menschenseelen gewohnt worden sind, ihr Verhältnis zu der geistigen Welt zu finden. Wie viele Menschen in der Gegenwart sind doch eigentlich vorhanden, die da sagen: Ach, da kommen solche Geistesforscher, die eine ganze Etagen weit von Hierarchien konstruieren! Man soll durch die Hierarchien der Angeloi, Archangeloi und so weiter erst hinaufkommen zu einem höchsten Geistigen, zu einem höchsten Göttlichen. - Das alles finden solche Menschen viel zu «intellektuell», um mitzugehen, und sie weisen hin auf das einfache, wie sie es nennen, naive Verhältnis, in das durch inneres starkes Erleben die Seele kommen kann zu dem Gott oder auch zu Christus und dergleichen. Das ist ja heute dasjenige, was man von den Bessermeinenden immer wieder und wiederum hören kann: Unmittelbares Erleben des höchsten Göttlichen! Warum sollte der Mensch erst so und so vieler hierarchischer Vermittlungen brauchen, um zu einer geistigen Erkenntnis zu kommen? Er kann in seinem kindlich einfachen Erleben den Zusammenschluß mit dem höchsten Göttlichen ja finden.

Da müssen wir uns nun aber fragen: Was geschieht denn in den Seelen derjenigen, die, wirklich mit einer gewissen Ehrlichkeit, wenn auch diese Ehrlichkeit eine bequeme ist, ihr Streben so charakterisieren: Sie reden von dem Göttlichen, das sie erleben. Es gibt ja Menschen, die durchaus einen gewissen Umschwung in ihrem Seelenleben erfahren haben, durch den ihnen alles das, was sie das Göttliche, das Geistige nennen, anders erscheint, als es ihnen früher erschienen ist. Die einen nennen es Evangelisation, die anderen anders, darauf kommt

es schon nicht an. Es ist der Glaube, daß diese Menschen einen Zugang gefunden haben auf kindliche, naive Weise zu dem höchsten Göttlichen. Das stellen sich manche Menschen recht einfach vor, den Christus im Inneren zu erleben. Was erleben sie aber wirklich?

Nun, ich gehe davon aus, daß die Erlebnisse, welche hier gemeint sind, echt und ehrlich sind, daß die Leute wirklich etwas erleben, daß sie wirklich einen Umschwung in ihrem Seelenleben erfahren haben. Ich gehe von einer ganz ehrlichen Überzeugung aus. Ich gehe auch aus von einer gewissen Vorurteilslosigkeit gegenüber den hergebrachten konfessionellen Glaubensrichtungen. Dasjenige, was diese Menschen erleben, ist dann höchstens das nächste Geistige, das der Mensch erleben kann. Und was ist dieses nächste Geistige? Dieses nächste Geistige ist jenes Wesen aus der Hierarchie der Angeloi, das jedem Menschen zu seiner Führung zugeteilt ist, das man taufen kann, wie man will: Christus, den höchsten Gott, wenn man will! - Darauf, wie man es benennt, kommt es nicht an, sondern darauf, was das wirklich ist, was sich da der Seele nähert, wenn man ein ehrliches, wirkliches Erlebnis hat: Es ist der Angelos, der Engel, und diesen Engel sieht man nur als den höchsten Gott an. Man ist zu bequem, zu etwas anderem fortzuschreiten, und das Nächste, das man erlebt, bezeichnet man als seinen Gott und konstruiert sich damit - ja, was denn eigentlich? - die egoistischste Religion, die man sich nur konstruieren kann! Daß da alle Menschen sich verständigen, indem sie die Sache einheitlich benennen, darauf kommt es nicht an, denn indem die Menschen nichts anderes erleben wollen als das Angedeutete, erlebt eben jeder nur seinen Engel, jeder betet nur seinen Engel an. Und wenn noch so viele Prediger von dem einheitlichen Gott reden, von dem scheinbar monotheistischen Gott, in Wahrheit sprechen sie nur von den Millionen Engeln, welche die Menschen anbeten und denen sie den gleichen Namen geben, so die Menschen in die Konfusion hineintreibend, daß diese Millionen von Wesen nur ein Wesen seien. Das ist die Wirklichkeit, und das deutet zugleich auf die Illusion hin, in die man sich begibt, wenn man sich in dieser Weise mit dem egoistischsten Gott vereinen will.


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