Mitteleuropa zwischen Ost und West Kosmische und menschliche Geschichte Sechster Band



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Man muß mit dem Geist bis zu dem Materiellen vordringen, es begreifen. Das Geistige muß so verdichtet werden, daß es das Materielle finden kann. Wenn wir das, was sonst draußen in der Welt vorgeht an materiellen Erscheinungen, nur an demjenigen, was in uns ist, erfassen,

so müssen wir sagen: Ein Abgrund ist zwischen dem Äußeren und demjenigen, was in uns vorgeht. - Allein die Geisteswissenschaft ist berufen, das Äußere an uns heranzunähern und uns an das Äußere so anzunähern, daß beides sich begegnet. Das können wir für den einzelnen Menschen, das können wir für die Erdenevolution. Solche Dinge müssen begriffen werden. Die Naturwissenschaft ist, wie ich es gestern angeführt habe, am allerwenigsten geeignet, zu begreifen, daß das Haupt in Rückentwickelung ist und die Extremitäten in Überentwicke-lung begriffen sind. Diese Dinge zu begreifen, ist besonders notwendig. Wie begreift man sie? Man begreift sie dadurch, daß man über das gewöhnliche Vorstellen, über die Abstraktheit hinauskommt und ein imaginatives Anschauen von unserem eigenen Vorstellen sich bildet. Man kann nicht das eigene Vorstellen anschauen, ohne zugleich sich an dasjenige anzunähern, was in unserem Haupt materiell vorgeht, indem wir vorstellen. Wenn man das gewöhnliche Vorstellen des gewöhnlichen Bewußtseins hat, merkt man nicht, was im Haupt vorgeht. Das merkt man erst, wenn man zum imaginativen Denken aufsteigt; man erlebt den materiellen Prozeß mit.

Und wissen Sie, was vorgeht im Haupt, im Kopfe, während wir das gewöhnliche Bewußtsein entwickeln? Ein Hungerprozeß geht vor. Darin besteht das wache Vorstellungsleben, daß unser Haupt hungert. Die falschen Asketen und falschen Mystiker haben das instinktiv eingesehen. Daher haben sie den ganzen Leib hungern lassen. Normal ist das aber nicht, daß geistige Erlebnisse dadurch auftreten, daß der ganze Leib hungert. Das ist immer falsch. Die Hungeraskese, die zu mystischen Verzückungen führen soll, ist eine Einseitigkeit, eine ungesunde Richtung. Aber normalerweise ist das Gleichgewichtsverhältnis unseres Leibes so eingerichtet, daß vom Morgen bis zum Abend, vom äußeren Aufwachen bis zum Einschlafen, nicht der ganze Leib, aber das Haupt in einem fortwährenden Hungerprozeß ist. Es ist immer das Haupt unterernährt. Das ist so etwas, was zur Rückentwickelung gehört. Und durch die Unterernährung des Hauptes sind wir imstande, Platz zu machen für das vorstellende Geistesleben. Und derjenige, der das vorstellende Geistesleben als Imagination kennenlernt, der lernt auch kennen, was andere nur in etwas unteren Regionen kennen, wenn

sie das Knurren des Magens verspüren, der lernt erkennen, daß er vom Morgen bis zum Abend, bis zum Einschlafen, im Haupt Magenknurren hat. Da findet statt, was man nennen kann Annäherung des Geistes an das Materielle in unserem eigenen Leibe. Einseitige Mystik ist ein behagliches Sich-Versenken in das Innere, wo man doch nicht viel mehr erlebt, als etwas verdichteter dasjenige, was man sonst auch erlebt. Wahre geisteswissenschaftliche Entwickelung ist eine solche Erstarkung, eine solche Erkraftung des Geisteslebens, daß, wenn man es auf das eigene Erleben anwendet, man sich genauer kennenlernt, aber nun wirklich genauer kennenlernt. Man lernt dann auch das Leibliche genauer kennen, weil man das Leibliche an sich so heranrückt, daß man mit dem Leiblichen in das Geistige heraufrückt, daß man den Abgrund überbrückt, der sonst immer da ist zwischen dem Geistigen und dem Leiblichen.

Und so überbrückt man den Abgrund, der zwischen dem Leiblichen und Geistigen da ist, auch draußen im Völkerleben. Man sehe sich darauf hin einmal die europäischen Völkerseelen an, einige wenigstens. Sie wissen: Die führenden Wesenheiten aus den höheren Hierarchien gegenüber den Völkern - Sie wissen das aus dem Zyklus über die Völkerseelen - sind die Wesen der Erzengelhierarchie, die Archangeloi. Aber wie wirken sie? Damit ist natürlich zunächst nur die Abstraktion gesagt, daß man irgendeinen Erzengel als den Dirigenten dieses oder jenes Volkes ansieht. Da hat man nicht mehr, als wenn man von der menschlichen Seele redet, die zwischen Geburt und Tod nur dadurch da sein kann, daß sie an einem Materiellen, nämlich in unserem Leib sich herausentwickelt. So ist auch der Erzengel, indem er ein Volk leitet, an das äußere Materielle gebunden. Die Brücke zwischen dem rein geistigen Wesen des Erzengels und dem Volkswesen ist eine materielle, wenn auch nicht eine so festumrissene, scharf konturierte wie unser Leib. Wir fragen zum Beispiel: Wie ist das bei dem Volk, das die apenninische Halbinsel bewohnt, wie ist das bei dem Volk, das früher die Römer waren, das heute die italienisch gewordenen Germanen sind? Denn im Grunde genommen ist dort die Mehrzahl der Bewohner von heute nur umgewandeltes Germanenvolk, aber ihre Konfiguration, ihre Volksbestimmtheit bekommen sie durch etwas anderes, bekommen sie

dadurch, daß in ihrem Atmungsprozeß, in die Luft ihres Atmungsprozesses, der Erzengel sich hinein, man kann nicht sagen, inkarniert, aber sich hinein, nun, sagen wir, verluftet. Und indem sie mit der Luft atmen, stehen die Bewohner der italienischen Halbinsel mit ihrem Erzengel in Verbindung. Und wer richtig studieren will, so daß er wirklich etwas erkennt von dem, was da eigentlich wirkt, der muß den eigentümlichen Zusammenhang der Bewohner dieser Halbinsel - auch der spanischen Halbinsel, aber da schon weniger - mit der Atmung, mit der Luft studieren. Er muß wissen, wie die Luft und der besondere Atmungsprozeß sich hineinleben in das menschliche Innenwesen.

Anders ist das bei denjenigen, die das heutige Frankreich bevölkern. Da schlägt der Erzengel eine andere Brücke, da wirkt er auf den Menschen durch alles dasjenige, was in des Menschen Naturentwickelung flüssig ist. Die Franzosen trinken vielfach ihren Volkscharakter mit ihren Weinen, aber auch noch mit anderem, was in dem Organismus als flüssiges Element figuriert. Sie sehen, auf diesem Wege kommt man nicht bloß zu abstrakten Schilderungen des Zusammenhanges der geistigen Welt mit der physischen. Es ist da ein Schildern, das gleichsam den Erzengel nur andeutet, und unten wimmeln die Völker, die Menschen, und der Erzengel führt die Menschen. Durch wahre Geisteswissenschaft kann man den Prozeß in seiner ganzen Konkretheit begreifen.

Die Bewohner der britischen Insel, sie empfangen mit dem im Leibe sich entwickelnden Festen dasjenige, was ihnen der Erzengel zu geben hat. Sie nehmen es auf, indem sich die festen Bestandteile in ihrem Leibe bilden, mit der festen Organisation. Es ist natürlich nur auf einem Gebiet, wo es sich radikal ausdrückt, aber es ist trotzdem nicht bloß eine bissige Wahrheit, sondern eine geisteswissenschaftliche Wahrheit: Indem der Engländer sein Beefsteak ißt, wirkt der Erzengel an ihm. Natürlich kann das nicht - denn die einzelne Individualität sondert sich davon aus - in chauvinistischem Sinn ausgedeutet werden. Der Mensch gehört ja nur mit einem Teil seines Wesens dieser Sache an, aber insofern der Mensch dem Volk angehört, ist das in ihm wirksam. Man lernt sich über die Erde nur dadurch auskennen, daß man sich in der Zukunft nicht scheuen wird, auf diese Dinge einzugehen. Der

Mensch hat eine heillose Angst vor der Wahrheit, weil durch die Wahrheit natürlich unbequeme Sachen herauskommen. Aber sobald Ernst gemacht wird mit der Wahrheit, ist es notwendig, daß man vor dieser Unbequemlichkeit nicht zurückschreckt.

Gehen wir hinüber nach Amerika: schon äußerlich, in der äußerlichen Konfiguration, zeigt sich ja da, wie abhängig die Menschen werden von dem, was aus dem Boden ausstrahlt! In Italien aus der Luft, in Frankreich aus dem Wasser, in England aus dem, was bestimmt ist, als feste Ingredienzien in den Leib hineinzugehen, oder in ihm fest zu werden. In Amerika ist das noch anders.

Sie werden überhaupt sehen, daß die geisteswissenschaftlichen Wahrheiten, an der Wirklichkeit gemessen, überall ihre Bestätigung finden. Man sucht nur heute diese Bestätigung noch nicht. Ich habe in früheren Jahren einmal angeführt, daß die Entwickelung der Bewußtseinsseele, die die Egoität des Menschen besonders heraushebt, äußerlich materiell durch den Zucker gehoben wird. Ich habe damals darauf hingewiesen, wie unendlich größer der Zuckergenuß auf den britischen Inseln ist als zum Beispiel bei dem selbstlosen russischen Volk, wo der Zuckergenuß unendlich viel geringer ist. Aber wenn man schildert, daß erst mit dem 15. Jahrhundert die Bewußtseinsseele heraufkommt, um sich zu entwickeln, so sehe man nur in der Geschichte der Zuckerproduktion nach: Sie beginnt erst mit dem 15. Jahrhundert. Woher stammt denn eigentlich unsere Zuckerproduktion? Die Menschen fangen erst mit dem 15. Jahrhundert an, auf den Zucker angewiesen zu werden. Alles, was geisteswissenschaftlich wirklich aus den geistigen Welten hervorgerufen wird, wird voll bekräftigt gerade dann, wenn es so stark geistig sich entwickelt, daß es untertauchen kann in das Materielle, wo es lebt und deshalb erkannt werden muß. Sobald man hinübergeht nach Amerika, findet man nicht bloß äußerlich, daß die Europäer, die nach Amerika hinüberkommen, nach und nach andere Arme und Hände bekommen: es nähert sich die Arm- und Handbildung derjenigen der alten Indianer an, des alten Indianervolks, das in Amerika ausgerottet worden ist. Und das gilt auch von der Konfiguration der Gesichtsbildung, wenn es auch leise und erst in der dritten, vierten Generation auftritt, und natürlich darf man sich das nicht so vorstellen, daß da in der dritten,

vierten Generation ein biederer britischer Spießer nun gleich ein Indianer werden könnte, sondern es zeigt sich nur in den feineren Gesichtszügen; aber es tritt schon hervor. Diesen Dingen muß man ins Gesicht sehen, denn nur dadurch wird es möglich sein, durch die Erkenntnis richtige Liebe über die Erde hin zu entwickeln. Liebe läßt sich nur dadurch entwickeln, daß man sich wirklich in die anderen Menschen hineinfindet. Dazu ist aber notwendig, daß man sie kennenlernt. Der Volksgeist wirkt auf das amerikanische Volk durch die Untergründe von der Erde herauf, durch die in der Erde schlummernden magnetischen und elektrischen Kräfte. Das Unterirdische ist es, das da heraufstrahlt und das da in Amerika das Medium abgibt, durch das der Volksgeist das Volk dirigiert.

Und gehen wir nach Mitteleuropa; da ist es gut, die Menschen selbst nachdenken zu lassen. Aber einiges kann doch gesagt werden: Da ist eigentlich etwas stark Labiles, etwas sehr stark Intimes, was mit der materiellen Ausgestaltung des Volksgeistes, mit der materiellen Auswirkung des Volksgeistes zusammenhängt. Da ist es im wesentlichen die Wirkung von Wärme auf Wärme. Die Wärmedifferenzen, die auftreten zwischen äußerem Warmsein und innerem Warmsein, Wärme des Winters, des Frühlings, des Sommers, kurz alles, was sich in den Wärmeverhältnissen ausdrückt, das ist das Medium, durch das der Volksgeist in Mitteleuropa wirkt. Alles das, was aus" den Wärmeverhältnissen heraus auf die Blutzirkulation und die Atmung wirkt, das ist der Umweg, durch den der Volksgeist hier wirkt. Sie können das auch im Seelischen verfolgen. Wir haben noch die Möglichkeit — wenn wir nicht gerade Fritz Mauthner sind -, im Element der Sprache etwas von der Nachwirkung, ich möchte sagen, des Durchwärmtseins zu fühlen. Wenn man nicht von allen guten Geistern der Sprache verlassen ist, so ist man ßoch im Deutschen zum Beispiel imstande, in die Sprache sich hineinzufühlen, nicht bloß beim abstrakten Element stehenzubleiben, sondern sich hineinzufühlen in den Geist der Sprache, weil Wärme in Wärme physisch verwandt dem Seelischen ist. Nichts ist physisch so verwandt mit dem Seelischen als die Seelenwärme und Seelenkälte mit der physischen Wärme und physischen Kälte. Dasjenige, was in der Empfindungsseele lebt, ist schon viel fremder der Luft; dasjenige,

was in der Verstandes- oder Gemütsseele lebt, ist viel fremder dem Element des Wassers, und gar dasjenige, was in der Bewußtseinsseele lebt, ist fremd dem Beefsteak, will sagen der Erde. Und gar furchtbar fremd ist, was in der menschlichen Seele zum Ausdruck kommt, demjenigen, was an magnetischen und elektrischen Kräften vom Unterirdischen hereinstrahlt in die menschliche Entwickelung im amerikanischen Volkscharakter. Daher ist so vieles da, was im amerikanischen Volkscharakter so aussieht, als ob der Amerikaner von dem, was er treibt, besessen ist, im Gegensatz zum Mitteleuropäer, der bei allem, was er treibt, mit dem Seelischen dabei sein muß, der daher auch mystische Wärme entwickeln kann, während der Amerikaner so leicht spiritistische Gesinnung entwickeln, besessen sein kann von irgendeinem Geistigen, wie man auch besessen wird von dem, was nicht mehr unmittelbar in den Menschen hereinströmt, wie Luft, Wasser, Erde, sondern nur vom Unterirdischen der Erde aus heraufwirkt, um die Volksstrukturen zu bilden.

Im russischen Volkscharakter, in dem, was sich im Osten vorbereitet - wir werden über solche Dinge noch übermorgen weiterreden -, da wirkt der Volksgeist, der aber erst berufen ist in der Zukunft, durch sein Volk eine besondere Rolle zu spielen, da wirkt der Volksgeist durch das Licht, und zwar so durch das Licht, daß er nicht durch das unmittelbar von der Sonne herstrahlende Licht wirkt, sondern durch das Licht, das sich erst einsaugt in die Vegetation und in die Erde selbst und wieder zurückstrahlt. Die von der Erde, namentlich von der Vegetation zurückgestrahlte Sonnenkraft, die vom Boden aus wirkende Sonnenkraft ist dasjenige, was der russische Volksgeist benützt als sein Medium, um die Volksstruktur, die Volksorganisation zu bewirken.

Man sehe sich auf diese Dinge hin alle Einzelheiten an - ich werde davon übermorgen noch mehr sprechen -, dann wird man sehen, wie die Gegenwart und nächste Zukunft nötig haben, nicht eine allgemeine, verschwommene, phrasenhafte Mystik, sondern ein geistig wirklich so starkes Geist-Erkennen, daß es untertauchen kann, daß es sich hineinversetzen kann in das materielle Dasein, mit dem man zu leben hat. So daß das materielle Dasein, wenn es in seiner Verwandtschaft mit dem Geiste beschaut werden kann, nicht, wie man es durch Irrtum

getan hat, als etwas betrachtet wird, aus dem man am liebsten herausfahren möchte wie aus seiner Haut, um zum Geist zu kommen, sondern das gerade betrachtet werden muß als eine Offenbarung des Geistes. Der hat noch nicht zum Geiste das richtige Verhältnis, der nicht einzusehen vermag, daß dasjenige, was physisch ist, in Wahrheit eine Offenbarung des Geistes ist. Alles, was um uns ist, ist Körper des Geistes. Und erst wenn man den Geist so begreift, daß man die Natur als einen Körper des Geistes anzusehen vermag, erst dann ist man imstande, eine wirkliche Geist-Erkenntnis zu bekommen. Das sind aber die Dinge, die als konkrete Geist-Erkenntnis angestrebt werden müssen. Aber liegt es nicht eigentlich in diesen Dingen, sobald man nur mit vollem Ernst an sie herantritt, daß sie den Menschen unbequem werden, diesen Menschen der Gegenwart, die ja natürlich solche Wahrheiten nicht lieben, die am liebsten nur hören möchten: Die Menschen müssen sich über die Erde hinüber lieben! - Ja, gewiß, aber sie müssen sich zuerst erkennen. Und es muß die Liebe unabhängig werden von dem, was in der Erkenntnis einem entgegentritt, aber sie kann nur unabhängig werden, wenn einem das in der Erkenntnis entgegentritt. Denn dasjenige, was ich geschildert habe, auch das, was ich über die Völkerseelen geschildert habe, Sie wissen es alle, Ihre Nerven, Ihre Muskeln, Ihr Blut weiß es: darin ist es verzaubert, daraus muß es geholt werden; und wird es dies nicht in der nächsten Zeit, so wird es in den Nerven, in den Muskeln, im Blut rumoren, und es wird als Disharmonie, als Impuls zu Streit und Krieg über die Erde hingehen. Daß dies nicht geschehe, kann nur dadurch eintreten, daß der Geist, der sonst in sein ahrimanisches oder luziferisches Gegenbild sich verwandelt, erlöst wird aus Nerven und Muskeln und Blut und in das Bewußtsein geführt wird, denn nur im Bewußtsein will er leben hier auf Erden. Nur wenn er im Bewußtsein lebt, ist er in sein richtiges Dasein eingesetzt und führt die Menschen zu dem, wozu sie in Zukunft kommen müssen. Er darf nicht da unten gelassen werden im ahrimanischen und luziferi-schen Gebiet, weil er sich verwandelt, wenn er seinen Platz nicht finden kann. Diese Verwandlungsfähigkeit des Geistes, die muß man einsehen, denn ihrer Einsicht ergeben sich die Aufgaben für die Zukunft. Nicht leichten Sinns kann man sich erheben zu demjenigen, was

von der Menschheit gefordert ist für die Zukunft, sondern es ist notwendig, tief zu schürfen mit der Erkenntnis, damit die Aufgaben der Zukunft gelöst werden können. Dazu ist notwendig, daß die Menschen manche Unbequemlichkeiten überwinden. Und weil sie sie nicht überwinden wollen, werden sie noch vielfach Feinde einer geistigen Ent-wickelung werden. Damit wird zu rechnen sein, gerade wenn sich die Geisteswissenschaft ausbreitet. Um so mehr wird damit zu rechnen sein, je stärker so etwas da ist, und je mehr an Sie alle die Aufforderung ergeht, den Übergang zu gewinnen von dem behaglichen Sektierern zu dem weltmännischen Blick, zu dem Wirken auf dem Welten-plan, zum Heraustragen dieser Geisteswissenschaft aus den vorderen und hinteren guten Stuben auf jene Plätze hinaus, auf denen man glaubt, die Angelegenheiten der Menschheit verhandeln zu müssen. Davon wollte ich heute sprechen; übermorgen dann weiter.

ZWÖLFTER VORTRAG München, 4. Mai 1918

Aus den Betrachtungen, die wir vorgestern hier angestellt haben, vielleicht auch im weiteren Sinne aus den öffentlichen Betrachtungen dieser Tage, wird zu ersehen sein, daß gerade in der Gegenwart eine gewisse Notwendigkeit vorliegt für die Menschheit, geisteswissenschaftliche Interessen zu entwickeln. Denn diese Geisteswissenschaft ist neben ihren anderen Aufgaben, die sie im engeren Sinn für den einzelnen Menschen, für sein Gemüt, seine Lebensbedürfnisse, seine Seelenangelegenheiten hat, in der Lage, Klarheit zu schaffen über gewisse Dinge, die der Mensch in der Gegenwart unbedingt einmal betrachten muß. Und gerade von diesem Gesichtspunkt aus habe ich darauf hingewiesen, wie es nötig ist, den Ernst, mit dem heute Geisteswissenschaft von denen, die ihr nahetreten wollen, ins Auge gefaßt werden muß, vor allen Dingen auf die Seele wirken zu lassen. Man muß versuchen, heute nach den mannigfaltigsten Richtungen hin zu erforschen, womit es eigentlich zusammenhängt, daß die Menschheit in eine solche katastrophale Lage kommen konnte. Denn, was diese katastrophale Lage bedeutet, es wird heute noch nicht von vielen Menschen eigentlich in der ganzen Tiefe und mit dem vollen Ernst betrachtet. Es wird aber die Zeit kommen, wo die Ereignisse, die Tatsachen selber, diesen Ernst noch in ganz anderer Weise offenbaren werden, als das heute schon der Fall ist. Aber gerade auf dem Boden der Geisteswissenschaft stehend, sollte man einsehen, daß es nicht genügt, gewissermaßen bis zum allerletzten Augenblick zu warten mit dem Verständnis dessen, was man zu verstehen nötig hat gegenüber den tief ruhenden Forderungen der Zeit. Vor allem ist es notwendig, schon darauf einzugehen, daß gewisse Wahrheiten, die der Menschheit notwendig sind in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft, eben unbequem sind, daß es viel bequemer ist, Loblieder anzustimmen, wie wir es in dieser oder jener Beziehung, durch die großen kulturwissenschaftlichen Errungenschaften vor allen Dingen, so herrlich weit gebracht haben, als auf dasjenige hinzuweisen, was in den Verhältnissen der Menschen selbst zu-

einander wirkt und lebt über das Erdenrund hin, und was namentlich wirkt und lebt, um gewissermaßen den Charakter der gegenwärtigen Menschheit zu bedingen. Die gegenwärtige Menschheit ist zu mancherlei herausgefordert, ist notwendigerweise dazu geführt, dieses und jenes zu verstehen; aber manches, was verstanden werden soll, ist eben unbequem zu verstehen, erfordert eine gewisse rückhaltlose, vorurteilsfreie Beurteilung des eigenen menschlichen Wesens.

Es bestehen gewisse Tendenzen in der Zeitentwickelung. Man kann hypothetisch sagen: Es wäre ja wohl möglich, daß man fortfahren würde, solche Dinge für etwas Großes zu betrachten, wie die vorgestern erwähnte sogenannte Begabungsprüfung. Gewisse Pädagogen der Gegenwart nämlich propagieren diese Dinge, betrachten sie als etwas ungeheuer Großes, und die übrige Menschheit verschmäht es, sich ein Urteil über diese Dinge zu verschaffen, findet es unbequem, nicht zu schlafen gegenüber solchen ahrimanischen Tendenzen, wie sie hereingeführt werden durch so etwas wie die Begabungsprüfung und noch vieles andere. Wenn solche Bestrebungen, solche Ideale - Ideale sind es natürlich auch - weiter bestehen sollen, dann wird dies einen tiefgehenden Einfluß haben auf die ganze Entwickelung des menschlichen Seelenwesens, vor allen Dingen einen ganz bestimmt konfigurierten Einfluß auf die Grundkräfte des menschlichen Seelenwesens: Denken, Fühlen und Wollen. Man darf sich einmal hypothetisch fragen, denn es soll ja die Sache nicht stattfinden, es soll ja der Sache abgeholfen werden durch die Bestrebungen derer, die sich zur anthroposophischen Weltanschauung bekennen, aber hypothetisch kann man sich fragen, um zu wissen, was man zu tun hat: Welche Konfiguration müssen die drei Haupt-Seelenkräfte des Menschen gewinnen, wenn solche Tendenzen, wie sie in der Gegenwart aus der materialistischen Gesinnung, aus dem Ahrimanischen heraus herrschend sind, allein Platz greifen würden, wenn nicht geistiges Streben, geistiges Wollen ihnen entgegentreten würden? - So groß und gewaltig auf dem Gebiet der Technik, die ja von der Naturwissenschaft gespeist wird, und auf anderen Gebieten der naturwissenschaftliche Fortschritt wirken kann: dem menschlichen Vorstellen, dem menschlichen Denken wird ja allmählich gerade dieser naturwissenschaftliche Fortschritt, gerade die Grundstruktur des heu-

tigen Denkens immer mehr und mehr den Charakter der Beschränktheit, der Borniertheit aufdrücken. Man kann das nicht anders charakterisieren, denn im weitesten Umkreis zeigt sich ja heute schon, ich möchte sagen, der Anfang dieser Borniertheit, dieser Beschränktheit, die darin bestehen wird, daß man immer mehr und mehr sündigen wird gegen eine Sache, die gestern im öffentlichen Vortrag geltend gemacht worden ist: sündigen wird gegen das Aufschließen der ganzen Seele der Welt gegenüber. Man wird sich immer mehr darauf beschränken, theoretisch, intellektuell auf dasjenige zu hören, was die Begriffe, die Vorstellungen sagen. Ich wollte einmal öffentlich auch darauf hinweisen, daß ja zwei Menschen ganz dasselbe sagen können mit Worten, und man durchaus nicht berechtigt ist zu meinen, daß dasjenige, was von beiden Menschen ausgeht, dasselbe ist.

Heute leben wir in der Zeit der Programme. Die Zeit der Programme ist eben die Zeit des Intellektualismus. Was tut man heute eigentlich am liebsten, wenn man sich dem Wohl der Menschheit opfert? Man gründet einen Verein für alles mögliche und stellt Programme, Ideale auf. Diese können ja selbstverständlich sehr geistvoll, sehr wohlwollend, sehr einleuchtend sein; für die Entwickelung der Menschheit brauchen sie für keinen Schuß Pulver Wert zu haben. Aber man geht darauf aus, sich zu fragen: Was will denn der Betreffende? - Und wenn der Betreffende sagt - nun, nehmen wir irgend etwas Abstraktes, heute liebt man Abstraktes -: ich will allgemeine Menschenliebe kultivieren -, dann denkt man: Was kann man Schöneres tun? Da muß man sich natürlich einem solchen Verein anschließen! - Aber wir leben doch in einer Zeit, in der durch eine gewisse Übersättigung, welche die Kultur erlangt hat, es ungeheuer leicht ist, die schönsten Programme, die schönsten Ideen aufzustellen. Man kann dabei mit Bezug auf dasjenige, was man an Sinn und Interesse für das Gesamtwohl der Menschheit und ihre wahren Angelegenheiten hat, ein sehr beschränkter Mensch sein. Man hat heute auch, ich möchte sagen, in feineren Angelegenheiten der Kultur manchmal im höheren Sinn recht mit Dingen, in denen man nach der Ansicht sehr vieler Leute vielleicht ganz und gar nicht recht hat. So zum Beispiel kann man heute in die Lage kommen, dichterisches Gestammel, das aber wirklich und wahrhaftig innere Seelen-

kraft ankündigt, höher zu stellen als vollendete Verse, die einfach dadurch als solche auftreten, daß ja in bezug auf die äußere Konfiguration des Dichtens, die Sprache selbst, der Sprachgeist heute Verse schreibt und nur die Menschenseele dazu benützt. Glänzende Verse in bezug auf den alten Versstil kann heute einer machen, der da gar keine starke Seelenkraft hat. Solche Dinge muß man berücksichtigen in einer Zeit, in der große, eminent große Fragen an die Menschheitsentwickelung herantreten, wie in dieser jetzigen Zeit.


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