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zwischen Erzbischof und Kommune um die politische Vormachtstellung
innerhalb
Kölns blieben, war die Bürgergemeinde schon früh damit betraut, Bauarbeiten und
Instandhaltungsmaßnahmen zu planen und Wachdienste zu organisieren.
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Die bür-
gerliche Emanzipation ist in Köln sicherlich außergewöhnlich intensiv verlaufen und
die Kommune hat entsprechend viel politische Handlungsfreiheit gewonnen, weshalb
die Entwicklung dort sicherlich nur bedingt als exemplarisch gelten kann. Aber auch
andernorts zeichnen sich seit dem Hochmittelalter ähnliche Tendenzen ab. Bisweilen
wurden Festungsrecht, Wehrhoheit und Schlüsselgewalt durch den Stadtrat sukzes-
sive abgekauft oder okkupiert, teilweise aber auch freiwillig durch den Stadtherrn an
die Kommune abgetreten.
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So ist es vielerorts der Stadtrat oder ein vergleichbares
Gremium, der, respektive das, als öffentlicher Träger der städtischen Verteidigungs-
anlagen in Erscheinung tritt.
Das Spezifikum der öffentlichen Trägerschaft lässt sich auch an Aspekten der Finan-
zierung festmachen. Die zur Verteidigung der Stadt aufzubringenden Wehrmittel
mussten gemeinschaftlich geschultert werden.
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Der Bau und die Instandhaltung von
Stadtmauer, Türmen und Toren, aber auch die Anstellung von Wachpersonal waren
ein ungeheurer finanzieller Kraftakt für die Bürgerschaft.
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Die Unterhaltskosten für
die Befestigung der Stadt konnten auf das Jahr gerechnet insgesamt schnell etwa ein
Drittel des städtischen Gesamtetats und mehr betragen.
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Der Erwerb des teuren Bau-
materials Stein, der Transport und ggf. die Anstellung von Fachpersonal, das die
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Heinrich IV. übertrug der Kölner Kommune der Kölner Königschronik zufolge 1106 die Wehrhoheit
und das Festungsrecht. Faktisch war dieser Akt nicht rechtswirksam, da Heinrich durch seinen Sohn
Heinrich V. und dessen Parteigänger 1105 auf dem Fürstentag zu Ingelheim abgesetzt worden war. Die
Kölner Bürgerschaft beanspruchte die Privilegien dennoch, was die Kompetenzstreitigkeiten mit dem
Erzbischof auslöste. Zu den Maßnahmen militärischer Organisation in Köln siehe auch: Groten, Manfred:
Köln im 13. Jahrhundert. Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung (Städteforschung Reihe
A, Darstellungen 36), Köln 1998, insbesondere S. 1 und 8 f.; Fuchs, Peter: S. 163 f.
16
Planitz, Hans: S. 317; Isenmann, Eberhard: S. 101, 146 f. und 452-457; Cohausen, August von: Die Be-
festigungsweisen der Vorzeit und des Mittelalters. Unveränd. Nachdr. d. Ausg. v. 1898, Augsburg 1996, S.
182; Burger, Daniel: Rechtliche und finanzielle Aspekte des Stadtmauerbaus am Beispiel der Reichsstädte
Weißenburg und Nürnberg. In: Olaf Wagener (Hg.): „Vmbringt mit starcken turnen, murn“. Ortsbefes-
tigungen im Mittelalter, Frankfurt am Main (u.a.) 2010, S. 43.
17
Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Mittelalter. S. 432f. und 452-457; Burger, Daniel: S. 43f.
18
Burger, Daniel: S. 60; Lückerrath, Carl August: S. 28 f.; Schwarz, Jörg: Stadtluft macht frei. Leben in
der mittelalterlichen Stadt, Darmstadt 2008, S. 91 und 101-103; Schmieder, Felicitas: Die mittelalterliche
Stadt. 2. Aufl., Darmstadt 2009, S. 135; Fuhrmann, Bernd: Die Stadt im Mittelalter. Darmstadt 2006, S.
47; Isenmann, Eberhard: S. 99.
19
Im Falle Kölns fallen für den „Schutz der Stadt nach aussen“ im Zeitraum vom 22. Februar 1380 bis 6.
März 1381 beispielsweise Gesamtausgaben von 23.703 Mark an. Siehe hierzu: Die Kölner Stadt-
rechnungen des Mittelalters mit einer Darstellung der Finanzverwaltung. Hg. von Richard Knipping, 2.
Bde. (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 12), Bonn 1897, hier Bd. II, S. 421.
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Bauarbeiten anleitete, waren wesentliche Kostenfaktoren sowohl bei der Errichtung
der Bauten als auch im Zusammenhang mit Instandhaltungsmaßnahmen. Oftmals
geben die zeitgenössischen Stadtrechnungen minutiös Auskunft über die anfallenden
Fix- und Gemeinkosten. Sowohl das Kriterium eines großen Investitionsaufwands als
auch ein hoher Fix- und Gemeinkostenanteil sind klassische Kriterien der Infrastruk-
turforschung, die Simonis, Tinbergen und Hirschman zur Definition einer Infrastruk-
tur heranziehen. Sie lassen sich auch für die mittelalterliche Stadtbefestigung beob-
achten und sprechen insofern dafür, die Befestigungsanlagen der mittelalterlichen
Stadt analytisch als Infrastruktur zu begreifen. Rein ökonomisch betrachtet war die
Unterhaltung einer Stadtmauer in erster Instanz ein defizitäres Unterfangen – ein
Charakteristikum einer Infrastruktur
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– dem vor allem durch die Erhebung von Un-
geldern und Zöllen beizukommen war.
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Es wird ersichtlich, dass die mittelalterliche Stadtbefestigung nach den Maßstäben
der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung durchaus als Infrastruktur gelten kann.
Warum die Stadtmauer auch im Rahmen einer ISG des Mittelalters ein besonders viel
versprechender Untersuchungsgegenstand sein dürfte, mag der Verweis auf ein letz-
tes definitorisches Kriterium verdeutlichen. Die Rede ist von der Polyvalenz der In-
frastruktur, also der universellen Beanspruchung der Infrastruktur „durch verschie-
denartige Nutzer und für verschiedenartige Zwecke.“
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Die mittelalterliche Stadt-
mauer ist, so meine ich, in verschiedenster Hinsicht ein
durch und durch von Poly-
valenz geprägtes Bauwerk. Sie tritt in zeitgenössischen Quellen oft als eine Schnitt-
stelle zwischen verschiedenen Determinanten des städtischen Lebensraumes in Er-
scheinung, in ihr kulminieren gewissermaßen Funktionalitäten. Sie stellt eine mehr
oder weniger fixe Territorialgrenze dar, die ebenfalls einen Fiskal- und Wirt-
schaftsraum bedingt. Sie ist Fortifikation, trennt die Stadt vom Umland – scheidet da-
mit im Grunde Natur und Kultur voneinander – und schirmt die Einwohner von äu-
ßeren Bedrohungen ab. Damit wird die städtische Befestigung gleichermaßen auch
zur Determinante eines Schutz- und Friedensraumes, dessen Qualität letztlich durch
die Entwicklung und Anwendung eines ius civitatis potenziert wird. So transformiert
ein spezifisches Recht der Stadt den von der Stadtmauer umgebenen Bereich eben-
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Schatz, Klaus-Werner: S. 129.
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Im Jahr 1212 verlieh König Otto IV. Köln beispielsweise das Recht, eine Brau- und Mahlsteuer (Akzise)
zu erheben um den Ausbau der Stadtbefestigung zu ermöglichen. Zur Finanzierung des Stadtmauerbaus im
Mittelalter allgemein siehe auch: Fuhrmann, Bernd: Die Stadt im Mittelalter. S. 33; Schmieder, Felicitas:
S. 134; Hirschmann, Frank G.: Die Stadt im Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 84). München
2009, S. 16; Burger, Daniel: S. 48 und 60.
22
Schatz, Klaus-Werner: S. 128.