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falls zu einer Rechtssphäre.
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Selbstredend wird die Stadtmauer im Zusammenhang
mit Fehden und Kriegen auch zum militärischen Moment. Mittelalterliche Straßen
und Wasserstraßen mögen als Infrastrukturen funktional in gewisser Weise ebenso
polyvalent gewesen sein. Auch sie sind durch verschiedenartige Nutzer gebaut und
beansprucht worden. Der Zweck der Nutzung ist jedoch fast ausnahmslos die Fort-
bewegung – sei es aus ökonomischen, politischen, militärischen oder zivilen Mo-
tiven. Der direkte Vergleich lässt ersichtlich werden, dass das Mittelalter wohl kaum
ein anderes Bauwerk kannte, dessen funktionales Spektrum derart von einer pragma-
tischen wie soziokulturellen Polyvalenz geprägt gewesen ist, wie die Stadtmauer.
Forschungsperspektive Kultur- und Machtspeicher
Besonders vielversprechend erscheint es, die mittelalterliche Stadtbefestigung aus der
Perspektive der ISG in ihrer Funktion als Kultur- und Machtspeicher zu unter-
suchen.
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Im Falle vieler Städte stellte die Stadtmauer über das gesamte Mittelalter
hinweg in je spezifischer Weise ein Politikum dar, um das sich diverse Akteure kon-
kurrierend bemühten. In Köln nahm die städtische Befestigung in der Frühphase der
Kommunalisierung in dieser Hinsicht eine besondere Rolle ein, wurde sie doch vom
erzbischöflichen Stadtherrn und der Kommune als politisches Moment gleicher-
maßen beansprucht und avancierte so zu einem wesentlichen Machtindikator. Viel-
fach mündete diese Auseinandersetzung auch in der Belagerung der Stadt, so dass die
Mauer der Stadt räumlich die beiden Gegenspieler voneinander schied und einige
Male, so z. B. 1263 und 1265, zum Schauplatz militärischer Auseinandersetzung ge-
worden ist.
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In derartigen Kontexten wird ersichtlich, dass sich die Stadtmauer in
23
Dabei ist der Aspekt Rechtssphäre vor dem Hintergrund des Phänomens der Pfahlbürger weniger streng
topographisch zu begreifen.
24
Siehe zum Konzept des Machtspeichers: Schröder, Lina: Infrastruktur-Geschichte und Landes-
geschichte. In: Niederrhein-Magazin 18 (2014), S. 10 f., Förster, Birte/Bauch, Martin: Einführung: Was-
serinfrastrukturen und Macht. Politisch-soziale Dimensionen technischer Systeme. In: dies.: Wasser-
infrastrukturen und Macht von der Antike bis zur Gegenwart, S. 16 f.; Engels, Jens Ivo/Schenk, Gerrit
Jasper: Infrastrukturen der Macht – Macht der Infrastrukturen. Überlegungen zu einem Forschungsfeld, in:
Förster, Birte/Bauch, Martin: S. 47-50.
25
Erzbischof Engelbert II. wurde zunächst von der Kölner Stadtgemeinde über einige Wochen festgesetzt,
nachdem er immer wieder durch diverse Maßnahmen versucht hatte, den politischen Handlungsspielraum
der Kommune zu beschneiden. Er wurde nach seiner Freilassung der Stadt verwiesen, belagerte diese dann
aber 1265 unterstützt durch Verbündete wie den Grafen von Kleve. (Siehe hierzu: Groten, Manfred: S. 269
und Floß, Heinrich: Kölnische Chronik (1087-1378). In: Annalen des historischen Vereins für den
Niederrhein 15 (1864). S. 181.
29
vielen Städten des Reiches zum wesentlichen Symbol kommunaler Eigenständigkeit
entwickelte.
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Die Funktion der Stadtmauer als Machtspeicher lässt sich auch auf reichspolitischer
Ebene beobachten. Ein prägnantes Beispiel stellt diesbezüglich eine Episode aus der
Amtszeit der Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg dar. Philipp glaubte sich als
Teil der niederrheinisch-welfisch-englischen Allianz gegen Kaiser Friedrich I. mili-
tärisch erwehren zu müssen und forcierte spätestens 1187 die Erweiterung der Stadt-
befestigung. Deren Ausbau durch die Kölner Bürgerschaft hatte er gerade einmal sie-
ben Jahre zuvor noch zu unterbinden versucht.
27
Gegen den Kaiser waren Bischof
und Bürgerschaft geeint vorgegangen.
28
Als Bischof und Stadt sich 1188 letztlich
Friedrich unterwarfen, forderte dieser eine Zahlung von 2.260 Mark ein. Ferner ver-
anlasste er Stadt und Bischof, wie die Kölner Königschronik zu berichten weiß,
„[e]ins von den Thoren […] bis auf ein Gewölbe ein[zu]reißen, den Graben an vier
Stellen auf eine Länge von vierhundert Fuß aus[zu]füllen.“
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Dass es sich dabei um
einen rein symbolischen Akt der Unterwerfung handelte, die Stadtmauer in diesem
Zusammenhang als Machtspeicher interpretiert und inszeniert worden ist, zeigt sich
darin, dass Friedrich den Kölnern zugestand, die Stadtmauer bereits am folgenden
Tag wieder errichten zu dürfen. Es ging so gesehen nur darum, den Machtspeicher
Stadtmauer in einem Akt symbolischer Kommunikation kurzfristig zu entladen.
Die Zusammenhänge, in denen sich die städtische Befestigung als infrastruktureller
Machtspeicher offenbart, sind mannigfaltig. Dies kann auch ein Beispiel aus der eng
mit Kurköln verwobenen Neusser Stadtgeschichte veranschaulichen. So ist die vom
Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden 1255 getroffene Entscheidung, die ihm
unterstehenden landesherrlichen Befestigungsanlagen in Neuss schleifen zu lassen
26
Siehe hierzu meinen in der kommenden Ausgabe der Annalen des historischen Vereins für den
Niederrhein 2016 erscheinenden Beitrag „Die Stadtmauer als Objekt korporativer Identifikation? Zur
symbolischen und soziokulturellen Bedeutung der Stadtmauer für die Kölner Kommune im Hoch- und
Spätmittelalter“.
27
Fuchs, Peter: S. 164.
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Zu diesem Zeitpunkt stand die Stadt aufgrund der Bedeutung der Handelsbeziehungen zu England auf
der Seite Philipps von Heinsberg. Vgl.: Stehkämper, Hugo: England und die Stadt Köln als Wahlmacher
König Ottos IV. (1198). In: ders. (Hg.): Köln, das Reich und Europa. Abhandlungen über weiträumige
Verflechtungen der Stadt Köln in Politik, Recht und Wirtschaft im Mittelalter (Mitteilungen aus dem
Stadtarchiv von Köln 60), Köln 1971, S. 224-228; Neddermeyer, Uwe: Schutz für die Kölner Kaufleute in
England. Die erste Erwähnung der Gildehalle („Stalhof“) in London 1176, in: Förderverein Geschichte in
Köln (Hg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln. Bd. 1, Antike und Mittelalter. Von den Anfängen bis
1396/97, Köln 1999, S. 148-153.
29
Die Kölner Königschronik. Übersetzt von Karl Platner, überarbeitet von Wilhelm Wattenbach, Leipzig²
1896, S. 128.