Niederrhein-Magazin



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innen wie nach außen gleichermaßen zum Prestigeobjekt erklärt worden, visualisierte 

wirtschaftliche Prosperität und den Wohlstand der Stadtgemeinde.  

Die symbolische Beanspruchung der Stadtbefestigung in den diversen Medien ver-

anschaulicht exemplarisch den Stellenwert, der einer Infrastruktur zu Eigen sein 

kann. An derartigen Zeitzeugnissen lässt sich ablesen, dass auch mittelalterliche Ak-

teure zumindest im Ansatz ein Bewusstsein von der komplexen soziokulturellen 

Funktionalität von derartigen Systemen und Institutionen, die wir heute als Infra-

strukturen erfassen, gehabt zu haben scheinen. In welchem Ausmaß dieses Bewusst-

sein vorhanden war, ist eine spannende Frage, der  es sicherlich nachzugehen  lohnt. 

Um ergründen zu können, warum eine Infrastruktur auf eine je spezifische Art und 

Weise von den je spezifischen Akteuren zu einem je spezifischen Zweck errichtet 

und unterhalten wurde, scheint es mir unausweichlich, auch die Soziologie, insbe-

sondere die Raum-  und Architektursoziologie und gegebenenfalls auch die Anthro-

pologie noch stärker in die ISG zu integrieren. Auf diese Weise ließe sich die sozio-

kulturelle Bedeutung von Infrastrukturen in den jeweiligen historischen Kontexten 

unter Zuhilfenahme entsprechender soziologischer Hilfskonstruktionen analysieren. 

Dabei sollte dies stets in dem Bewusstsein geschehen, dass ein derartiger For-

schungsansatz nicht nur auf die Auseinandersetzung mit einer spezifischen Infra-

struktur und ihre Geschichte abzielt, sondern implizit immer auch die Frage nach 

dem großen Ganzen, dem „Zustand der Kulturlandschaft“

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 in die sie implementiert 



ist, stellt. Insofern ist das Plädoyer von Lina Schröder für eine Verquickung von Lan-

desgeschichte und ISG perspektivisch folgerichtig.  

                                                                                                                    

raum. Beiträge zur Stadtgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Leipzig 2001, S. 479; Schmid, 

Wolfgang: Heilige Städte, alte Städte, Kaufmannsstädte. Zum Image deutscher Metropolen um 1500, in: 

Johanek, Peter (Hg.): Bild und Wahrnehmung der Stadt (Städteforschung Reihe A, Darstellungen 63). 

Wien 2012, S. 139.  

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 Schwinges, Rainer Christoph: S. 17. 




  

 

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Labor Duisburg-Essen

 

Bei den folgenden Texten handelt es sich um studentische Beiträge, die auf den 



Forschungsergebnissen basieren, die im Zusammenhang mit Lehrveranstaltungen des 

vergangenen Sommersemesters erzielt wurden.  In dieser Ausgabe finden die 

Resultate gleich zweier historischer Projekte ihren Niederschlag: die Unter-

suchungen der Arbeitsgemeinschaft Reichskammergericht, betreut und geleitet von 

Prof. Dr. Ralf-Peter Fuchs sowie die Forschungen zu Handlungsinfrastrukturen im 

Rahmen einer Übung, durchgeführt von Lina Schröder.



 

„mit solchem messerlein inn den bauch…“ Ein Monheimer 

Gerichtsverfahren aus dem Jahr 1609

 

von Romina Leiding 

Tatort – gegenwärtige Vergangenheit 

 

 



Es kommt zu einem Streit zwischen zwei Männern. In einem hitzigen Wortgefecht 

droht der jüngere der beiden, den älteren umzubringen, wobei er gleichzeitig sein Ar-

beitswerkzeug, ein „gaffbeil“, erhebt und sein Gegenüber niederzuschlagen versucht. 

Zwei Männer eilen herbei, um die gefährliche Situation aufzulösen, indem sie den 

jüngeren ergreifen, doch dieser reißt sich los und stürzt sich erneut auf den Gegner. 

Der bereits am Boden liegende ältere Mann 

greift in seiner Not zu einem Brotmesser 

und sticht damit zu.

 

Das beschriebene Geschehen könnte so-



wohl in einem aktuellen Kinofilm, als auch 

in den Tagesnachrichten der heutigen Zeit 

auftauchen. Doch dieser Streit zwischen Jo-

hann Sturm und Johann Höffgen trug sich 

in Wirklichkeit 1609 zwischen Monheim 

am Rhein und Hitdorf zu. Heute, über 400 

Jahre  später, können wir im Landesarchiv 

NRW, Abt. Rheinland, in Duisburg die dazu gehörigen Gerichtsprotokolle in den 

Akten des Reichskammergerichts (RKG) nachlesen. Die eigentliche Frage lautet 

aber: Wieso interessiert ein uralter Fall von damals den (Jung-)Historiker heute? Die 

Gründe sind vielfältig. Anhand eines Beispiels ist zu erkennen, wie das 

Reichskammergericht gewöhnlich arbeitete und wie der eigentümliche Aufbau einer 



Abb. 1: Bleerstraße –  Vermutlich in der Nähe 

des Tatorts. Foto: Romina Leiding.

 

 


  

 

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Abb. 2: Orientierung in der Vergangenheit mit 

Stadtarchivar Herrn Hohmeier. Foto: Romina 

Leiding.

 

 

Reichskammergerichtsakte aussieht. Es sind aber die Dinge, die darüber hinausgehen 

bzw. tiefer gehend sind, welche die Beschäftigung mit den Reichskammer-

gerichtsakten spannend machen: Der Vorfall, der oben beschrieben wurde, fand nicht 

nur praktisch vor der eigenen Haustür statt, wodurch er Informationen zur Landes- 

bzw. Regionalgeschichte enthält und damit komplexere Zusammenhänge des 

damaligen Zeitgeschehens –  teils auch nur implizit –  mitliefert, er bietet außerdem 

durch eine mikrogeschichtliche Perspektive einen Einblick in die Kultur-  und 

Mentalitätsgeschichte des frühen 17. Jahrhunderts. Die Benennung mancher 

Gegenstände wie z. B. des „gaffbeils“ lassen den Leser ins Überlegen geraten, wie 

diese Werkzeuge aussahen und benutzt wurden. Im Laufe der Jahrhunderte ging das 

Wissen über derartige Dinge verloren, sodass heute nur Spekulationen darüber 

angestellt werden können, wie sie einst aussahen. Die Beschreibung des „gaffbeils“, 

welches genutzt wurde, „damit uff den Buschen die abfällige Bäum gezeichnet wer-

den“,

1

 lässt ein gebogenes, sichelartiges Werkzeug vermuten, worauf auch das noch 



heute im Angelsport bekannte „Gaff“ und die alte kölsche Mundart der „gaffel“ für 

„Gabel“ hindeutet. Auch die Mode der Bauern wird in den Akten beschrieben: 

„weÿll daß Wambß für offen pro more Rusticorum

2

, unndt nur daß Hembdt darüber 



gehangen.“

3

 



Somit  können die Reichskammergerichts-

akten auch den Modehistorikern als Fund-

grube für neue Erkenntnisse, die sich 

bislang mehr auf Gemälde als Quellen fo-

kussiert haben, dienen. Aber nicht nur die 

beschriebenen kulturellen Gegenstände 

bringen Erkenntnisse über die Vergangen-

heit, auch über die Mentalität der Men-

schen ist einiges zu erfahren. Der oben be-

schriebene Fall wurde vor dem Reichs-

kammergericht verhandelt, weil die Toch-

ter Johann Höffgens stellvertretend für den 

niedergeschlagenen alten Mann – der allerdings die Purgation noch vor seinem Tod 

einleitete – die Ehre der Familie wiederherstellen wollte, da ein Schuldspruch in den 

                                                 

1

 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RKG H 1460/4662, Bd. 1; fol. 27



r

2



 Nach Bauernart. 

3

 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RKG H 1460/4662, Bd. 1; fol.27



v




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