Niederrhein-Magazin



Yüklə 0,84 Mb.
Pdf görüntüsü
səhifə15/38
tarix14.12.2017
ölçüsü0,84 Mb.
#15606
1   ...   11   12   13   14   15   16   17   18   ...   38

  

 

35 



Vorinstanzen diese Ehre verletzt hatte. Das Appellationslibell in den Akten der nun 

dritten Instanz, des Reichskammergerichts, zeigt die Sichtweise der Partei des älteren 

Mannes Johann Höffgen. Die Ehre der Familie ist seinen Angehörigen ein wichtiges 

Anliegen. Zudem geht es um die finanzielle Überlebenssicherung der Witwen, die 

sich nach dem Tod der jeweiligen Ernährer versorgt wissen wollten. Der Begriff der 

Ehre war in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit zentral. Über Reichskammer-

gerichtsakten wird er ebenso erforschbar wie andere alltags- und kulturgeschichtliche 

Aspekte dieser Epoche. Aus diesem Anlass heraus stellte sich eine studentische 

Arbeitsgruppe „Reichskammergericht“ des Historischen Instituts der Universität 

Duisburg-Essen Fragen nach Mord und Totschlag sowie der Zivilisation der Frühen 

Neuzeit. Einige Ergebnisse dieser Forschungen werden im Folgenden präsentiert.

 

 



„Schätze auf Papier“: Über den Quellenwert von Reichskam-

mergerichtsakten am Beispiel eines Monheimer Untertanenpro-

zesses (1609-1624) 

 

 

von Anna Krakowski 

 

Einleitung

 

Die stetig zunehmende Verzeichnung und Digitalisierung frühneuzeitlicher 



Reichskammergerichtsakten eröffnet nicht nur Historikern zahlreiche Forschungs-

ansätze.


1

  Die Aufarbeitung bisher noch nicht edierter Originalquellen ermöglicht 

mithilfe der Digitalisate erste Zugänge und eine neue Öffentlichkeit der vielseitigen 

Aktenstücke des RKG. Vor allem Studierende können so an die wertvollen Archiv-

schätze der Frühen Neuzeit herangeführt werden und eigene Forschungsfragen durch 

den Umgang mit dem inhaltlich oftmals noch wenig erschlossenen Archivgut des 

Alten Reiches entwickeln. Der durchaus beachtliche Bestand des Landesarchivs 

Nordrhein-Westfalen von rund 6.800 RKG-Prozessen

2

  bietet Studierenden somit 



nicht mehr nur allein durch einen instruktiven Besuch vor Ort ein wertvolles 

Quellenkonglomerat, dessen Erforschung vielversprechend ist.

3

  Um ihrem For-



                                                 

1

 Gegenwärtig lagern in deutschen Archiven rund 77.000 Prozessakten des RKG, die für die Nutzer bereits 



überwiegend gut zugänglich gemacht wurden. 

2

  Eine Übersicht, sowie das Online-Findbuch d. Duisburger RKG-Bestandes ist aufrufbar unter: 



http://www.archive.nrw.de/LAV_NRW/jsp/bestand.jsp?archivNr=185&tektId=996&expandId=996 (aufge-

rufen am 01.07.2015). 

3

  Einen aufschlussreichen Überblick über Form u. Inhalt d. Reichskammergerichtsakten als Archivalie u. 



Quelle liefern Peter Oestmann u. Wilfried Reininghaus: Die Akten des Reichskammergerichts. Schlüssel 


  

 

36 



Abb. 1: Besuch im Landesarchiv 

Duisburg. Foto(Ausschnitt): Dr. Martin 

Früh.

 

 



schungsinteresse an den Duisburger Kammeralakten nachzugehen, beschäftigt sich 

die Essener Arbeitsgruppe mit dem Untertanenprozess Höffgen vs. Sturm, der im 

frühen 17. Jahrhundert den langen Weg von Monheim nach Speyer fand.

4

 



Ausgangspunkt der Forschungen war zunächst die Transkription und Aufarbeitung 

eines Appellationslibells von 1620, welches sich im RKG-Dossier des Falls befindet. 

Im Folgenden wurden sowohl Teile der Interrogatoria  als auch der dazu gehörigen 

Zeugenaussagen der Untergerichte in die  Quellenarbeit mit einbezogen. Eine voll-

ständige Transkription und Auswertung der überlieferten Akte und ihrer Beilagen 

stehen gegenwärtig noch aus. Im Konvolut des Falls finden sich zusätzlich beispiels-

weise die Urteile der Vorinstanzen sowie zahl-

reiche verfahrenstechnische Streitigkeiten zwi-

schen den Prokuratoren. Die Aufarbeitung der bis 

vor einigen Wochen noch ungeöffneten Vor-

instanzakten, die das erste Purgationsverfahren 

Höffgens dokumentieren, verspricht noch weitere 

aufschlussreiche Erkenntnisse. Neben dem Aus-

bau paläographischer Fähigkeiten und der Ver-

tiefung des eigenen Wissens über Recht-  und 

Rechtssprache sowie die Gerichtspraxis des Hei-

ligen Römischen Reichs steht jedoch vor allem 

die Quellenkritik im Vordergrund der studen-

tischen Arbeit. Die verschiedenen im Duisburger 

Aktenkonvolut enthaltenen Textsorten sollen da-

bei exemplarisch hinsichtlich ihres Quellenwerts 

untersucht und aufgearbeitet werden, um den rein 

rechtlichen Kenntnisbereichen möglicherweise 

noch weitere Wissenskategorien und Forschungs-

ansätze hinzufügen zu können.  

 

 



 

 

                                                                                                                    

zur  vormodernen Geschichte, Düsseldorf 2012 (Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-

Westfalen, 44). 

4

  Forschungsgrundlage d. Arbeitskreises: Der Tötungsfall Höffgen u. Sturm: Ein Untertanenprozess am 



Reichskammergericht, Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RKG H 1460/4662.

 



  

 

37 



Ein genauerer Blick auf den Fall Höffgen contra Sturm (Monheim 1609)

5

 

 

Nach einem schon länger schwelenden Nachbarschaftsstreit  soll am Abend des 4. 

Novembers 1609 der vermutlich betrunkene Johann Sturm (~30 J.) seinen Bekannten 

Johann Höffgen (~70 J.) angegriffen haben. Der Alte befand sich in Begleitung 

zweier Männer auf dem Weg zu einer Gesellschaft von Hitdorf nach Monheim (heute 

Kreis Leverkusen bzw. Mettmann). Nachdem der bewaffnete Sturm von den Beglei-

tern Höffgens abgewehrt werden konnte, soll dieser mit einem Gaffbeil auf den Alten 

eingeschlagen haben. Aus Notwehr habe Höffgen dem Angreifer schließlich mit ei-

nem Brotmesser eine Bauchverletzung zugefügt.

6

  Ein zu Hilfe gerufener Barbier, 



mutmaßlich ebenfalls trunken,

7

 begünstigte womöglich den Tod des Verletzten, der 



zur Wundversorgung in ein nahe gelegenes Haus gebracht wurde. Auf diesen Vorfall 

folgte ca. 1610/11 das von Höffgen angestrebte Purgationsverfahren vor dem Stadt- 

und Hauptgericht Düsseldorf (1. Instanz), welches den Beklagten schließlich nach ei-

nem Zeugenverhör straffrei sprach.

8

  Die zweite Instanz, das jülisch-klevische Hof-



gericht zu Düsseldorf, revidierte jedoch das untergerichtliche Urteil und erlegte der 

Tochter des Beklagten, Eva Höffgen, die Zahlung eines Schmerzensgeldes an die 

Hinterbliebenen des Getöteten auf. Da dieses Verdikt jedoch eine große Ehrver-

letzung für Eva Höffgen und ihre Kinder darstellte, appellierte sie schließlich in 

dritter Instanz an das RKG in Speyer (1620-1624).

 

 

Quellenwert der Reichskammergerichtsakten und Forschungsperspek-

tiven

 

 



Zunächst ist es für jeden Historiker wichtig, sich über die bewusste und zielgerichtete 

Produziertheit eines (frühneuzeitlichen) Aktenstücks und dem damit einhergehenden 

Abstraktions-  und Fiktionalitätsgehalt

9

  der Quelle bewusst zu werden. Im Vorder-



                                                 

5

  Regest d. Appellation: Antweiler, Wolfgang/Kasten, Brigitte/Hoffman, Paul: Reichskammergericht Teil 



IV, Siegburg 1990 (Das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und seine Bestände, 9), S. 354 f.

 

6



  „Daruff sich zuegetragen […] daß Hoffgen in solcher Eussersten Lebenßgefahr […] ein kleines 

Brodtmesserlin […] ußgezogen, damit nothzwanglich sich zur Gegenwehr gestellt habe.“ RKG H 

1460/4662, fol. 27

v

.



 

7

 „welcher allß nach ettlichen Stunden wohl beschenckt ahnkommen.“ RKG H 1460/4662, fol. 28



r

.

 



8

 „cum omnibus Defensio a natura insita sit.“ RKG H 1460/4662, fol. 27

v

.

 



9

 Zur Fiktionalität sowie d. literarischen Qualität v. Prozessakten u. deren quellenkundlichen Nutzen vgl.: 

Zemon Davis, Natalie: Der Kopf in der Schlinge. Gnadengesuche und ihre Erzähler, Frankfurt am Main 

1991 und: dies.: Fiction in the Archives. Pardon Tales and Their Tellers in Sixteenth-Century France, Stan-

ford 1990. Weiterführend zu dieser Thematik empfiehlt sich das Standardwerk v. Luckmann u. Berger: 

Berger, Peter L./Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie 




Yüklə 0,84 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   11   12   13   14   15   16   17   18   ...   38




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©genderi.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

    Ana səhifə