Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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Diesem Fazit kann ich mich weitgehend anschließen, ansonsten scheint mir 
Wasserstroms  mit  spitzer  Feder  geschriebener  Aufsatz  –  der  ja  immerhin 
auch mit 
Some Preliminary Observations betitelt ist – eher als eine erste Material-
sammlung  und  Dokumentation  brauchbar.  Zentrale  Äußerungen  Adornos 
zum  Thema  werden  zwar  ausführlich  zitiert,  kaum  jedoch  systematische 
Bezüge zu dessen sonstigem Werk hergestellt. Dass Adorno Kabbalistisches 
bei Kafka, Beethoven, Mahler, Goethe oder Borchardt sieht, ist aus ideenge-
schichtlicher Perspektive im Einzelnen durchaus unhaltbar, aber neben die-
sen historischen Feststellungen ist es durchaus hilfreich zu untersuchen, was 
diese Zuschreibungen ausdrücken sollen. Weiterhin ist Wasserstroms These 
einer  diesbezüglichen  Abhängigkeit  Adornos  von  Benjamin  und  Scholem 
zwar zutreffend, allerdings behandelt er sie irritierenderweise vor allem von 
ihren Divergenzen her. Wozu auch immer beispielsweise eine Apologie von 
Scholems Konzept des „Astralleibs“ gut sein mag,
39
 das Thema gehört m. E. 
nur bedingt in den Kontext von Adornos Kabbalarezeption, denn der Begriff  
Astralleib fällt 
bei ihm nur im Rahmen der Okkultismuskritik.
40
 Letztere scheint 
überhaupt  Wasserstroms  eigentlicher  Stein  des  Anstoßes  zu  sein,  denn  er 
behandelt  Benjamin  und  Scholem  als  freundliche  Beobachter,  ja  Sympathi-
santen  von  Esoterik.
41
 Wasserstroms Umweg an Adornos philosophischen 
Thesen vorbei dokumentiert andererseits anschaulich die Schwierigkeiten
welche die Interpretation von dessen Texten nach wie vor bereitet. „Häme 
ist der Effekt, den dieses Denken auslöst, als würde man es ständig ertappen 
wollen.“
42
 Damit sollen die Ergebnisse von Wasserstroms Analyse allerdings 
nicht in  Gänze  abgewiesen werden. Vielmehr wird im Folgenden auch der 
Versuch unternommen, den dort monierten Irrtümern Rechnung zu tragen, 
ohne den Pfad einer empathischen Rekonstruktion zu verlassen. Dazu scheint 
39 
Vgl. a. a. O. S. 68 f.
40 
„Das zetert über Materialismus. Aber den Astralleib wollen sie wiegen. […] Die gleiche ra-
tionalistische und empiristische Apparatur, die den Geistern den Garaus gemacht hat, wird 
angedreht,  um  sie  denen  wieder  aufzudrängen,  die  der  eigenen  ratio  nicht  mehr  trauen.“ 
(GS 4, 278 f.).
41 
Während Adorno sich vor allem auf  populäre Astrologie bezieht (vgl. GS 8, 147–176) und 
den Begriff  
Okkultismus wählt, hat sich in der zeitgenössischen Forschung der Ausdruck Eso-
terik (bzw. „Western Esotercisim“) durchgesetzt. Ein synonymer Gebrauch scheint mir – im 
Rahmen 
dieser Studie – gerechtfertigt, da beide Phänomene zunächst Sammelbegriffe darstel-
len, deren vorzugsweiser Gebrauch sich in der Zwischenzeit umgekehrt hat. Das Problem 
beider Begriffe besteht in der Weite und Heterogenität der religiösen, therapeutischen, aber-
gläubischen usw. Praktiken, die unter ihnen subsumiert werden. (vgl. zum Kontext Hane-
graaff. 
Esotericism and the Academy. S. 177–191).
42 
Garcia Düttmann. 
So ist es. S. 137.


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es hilfreich, immer wieder Diskrepanzen und gegenseitige Kritiken Scholems 
und  Adornos  aufzuzeigen  –  und  zumindest  gelegentlich  auf   die  zum  Teil 
beträchtliche Kritik der späteren Kabbalaforschung an ihrem Gründervater 
einzugehen.  An  dieser  Diskussion  lässt  sich  eine  werkimmanente  Rekon-
struktion mit einer Problematisierung der jeweiligen Rezeption kabbalistischer 
Topoi bei Adorno verbinden.
1.3  Spezifisches. Zu Adornos Stil und Terminologie
Einleitend  muss  noch  auf   einen  methodisch-stilistischen  Grundsatz  des 
Adornoschen Œuvres eingegangen werden, der sich auch maßgeblich auf  die 
Rekonstruktion und Diskussion desselben auswirkt.
43
 Das zeigt ein Aphoris-
mus aus den 
Minima Moralia, in dem Adorno das Bemühen um angemessenen 
sprachlichen Ausdruck eines Sachverhalts gegen den ‚Schematismus‘ akademi-
scher Fachterminologien verteidigt. „Beim Ausdruck auf  die Sache schauen, 
anstatt auf  die Kommunikation, ist verdächtig: Das Spezifische, nicht bereits 
dem  Schematismus  Abgeborgte  erscheint  rücksichtslos,  ein  Symptom  der 
Eigenbrötelei, fast der Verworrenheit.“ (GS 4, 114) Die Ablehnung subsumie-
render Allgemeinbegriffe ist ein Kernmoment von Adornos Philosophie, ver-
bunden mit grundsätzlichem Misstrauen gegen systematische Deduktion, die 
er als Kehrseite des sozioökonomischen Identitäts- und Konformitätszwangs 
erkennt.  Systematischer  Anordnung  von  Argumenten  stellt  er  ein  essayisti-
sches Schreiben gegenüber, dem System zieht er den Aphorismus vor.
44
 Eine 
Rekonstruktion seiner Texte kann sich dem nie völlig entziehen und würde 
sonst auch Gefahr laufen, durch sprachliche Glättungen wesentliche Pointen 
unsichtbar zu machen, weil sich die Inhalte dieser Philosophie dem Korpus 
ihrer Sprache nochmals eingliedern. „In der Dialektik ergreift das Rhetorische 
Moment, entgegen der vulgären Meinung, die Partei des Inhalts.“ (GS 6, 66) 
Das ist in dieser Arbeit verstärkt zu beachten, weil eben auch Adornos kab-
balistisch inspirierte Wendungen vielfach im geschilderten Sinne rhetorisch, 
zugleich inhaltliche und stilistische Elemente sind: Rand- und Nebenbemer-
kungen, die sich rings um die eigentliche Erörterung einfinden.
43 
„Adornos Gedanken sind zerbrechlich, fragil […] Eine von außen angelegte Konstruktion 
bringt sie zum Einsturz.“ (Claussen. 
Fußnoten zur Literatur. S. 185).
44 
Vgl. Sonderegger. 
Essay und System, Claussen. Adornos Heimkehr.


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