V
Vrreeerrknnen
23
Diesem Fazit kann ich mich weitgehend anschließen, ansonsten scheint mir
Wasserstroms mit spitzer Feder geschriebener Aufsatz – der ja immerhin
auch mit
Some Preliminary Observations betitelt ist – eher als eine erste Material-
sammlung und Dokumentation brauchbar. Zentrale Äußerungen Adornos
zum Thema werden zwar ausführlich zitiert, kaum jedoch systematische
Bezüge zu dessen sonstigem Werk hergestellt. Dass Adorno Kabbalistisches
bei Kafka, Beethoven, Mahler, Goethe oder Borchardt sieht, ist aus ideenge-
schichtlicher Perspektive im Einzelnen durchaus unhaltbar, aber
neben die-
sen historischen Feststellungen ist es durchaus hilfreich zu untersuchen, was
diese Zuschreibungen ausdrücken sollen. Weiterhin ist Wasserstroms These
einer diesbezüglichen Abhängigkeit Adornos von Benjamin und Scholem
zwar zutreffend, allerdings behandelt er sie irritierenderweise vor allem von
ihren Divergenzen her. Wozu auch immer beispielsweise eine Apologie von
Scholems Konzept des „Astralleibs“ gut sein mag,
39
das Thema gehört m. E.
nur bedingt in den Kontext von Adornos Kabbalarezeption, denn der Begriff
Astralleib fällt
bei ihm nur im Rahmen der Okkultismuskritik.
40
Letztere scheint
überhaupt Wasserstroms eigentlicher Stein des Anstoßes zu sein, denn er
behandelt Benjamin und Scholem als freundliche Beobachter, ja Sympathi-
santen von Esoterik.
41
Wasserstroms Umweg an Adornos philosophischen
Thesen vorbei dokumentiert andererseits anschaulich
die Schwierigkeiten,
welche die Interpretation von dessen Texten nach wie vor bereitet. „Häme
ist der Effekt, den dieses Denken auslöst, als würde man es ständig ertappen
wollen.“
42
Damit sollen die Ergebnisse von Wasserstroms Analyse allerdings
nicht in Gänze abgewiesen werden. Vielmehr wird im Folgenden auch der
Versuch unternommen, den dort monierten Irrtümern Rechnung zu tragen,
ohne den Pfad einer empathischen Rekonstruktion zu verlassen. Dazu scheint
39
Vgl. a. a. O. S. 68 f.
40
„Das zetert über Materialismus. Aber den Astralleib wollen sie wiegen. […] Die gleiche ra-
tionalistische und empiristische Apparatur, die den Geistern den Garaus gemacht hat, wird
angedreht, um sie denen wieder aufzudrängen, die der eigenen ratio nicht mehr trauen.“
(GS 4, 278 f.).
41
Während Adorno sich vor allem auf populäre Astrologie bezieht (vgl. GS 8, 147–176) und
den Begriff
Okkultismus wählt, hat sich in der zeitgenössischen Forschung der Ausdruck
Eso-
terik (bzw. „Western Esotercisim“) durchgesetzt. Ein synonymer Gebrauch scheint mir – im
Rahmen
dieser Studie – gerechtfertigt, da beide Phänomene zunächst Sammelbegriffe darstel-
len, deren vorzugsweiser Gebrauch sich in der Zwischenzeit umgekehrt hat. Das Problem
beider Begriffe besteht in der Weite und Heterogenität der religiösen, therapeutischen, aber-
gläubischen usw. Praktiken, die unter ihnen subsumiert werden. (vgl. zum Kontext Hane-
graaff.
Esotericism and the Academy. S. 177–191).
42
Garcia Düttmann.
So ist es. S. 137.
24
V
Vrreeerrknnen
es hilfreich, immer wieder Diskrepanzen und gegenseitige Kritiken Scholems
und Adornos aufzuzeigen – und zumindest gelegentlich auf die zum Teil
beträchtliche Kritik der späteren Kabbalaforschung an ihrem Gründervater
einzugehen. An dieser Diskussion lässt sich eine werkimmanente Rekon-
struktion mit einer Problematisierung der jeweiligen Rezeption kabbalistischer
Topoi bei Adorno verbinden.
1.3 Spezifisches. Zu Adornos Stil und Terminologie
Einleitend muss noch auf einen methodisch-stilistischen Grundsatz des
Adornoschen Œuvres eingegangen werden, der sich auch maßgeblich auf die
Rekonstruktion und Diskussion desselben auswirkt.
43
Das zeigt ein Aphoris-
mus aus den
Minima Moralia, in dem Adorno das Bemühen um angemessenen
sprachlichen Ausdruck eines Sachverhalts gegen den ‚Schematismus‘ akademi-
scher Fachterminologien verteidigt. „Beim Ausdruck auf die Sache schauen,
anstatt auf die Kommunikation, ist verdächtig: Das Spezifische, nicht bereits
dem Schematismus Abgeborgte erscheint rücksichtslos, ein Symptom der
Eigenbrötelei, fast der Verworrenheit.“ (GS 4, 114) Die Ablehnung subsumie-
render Allgemeinbegriffe ist ein Kernmoment von Adornos Philosophie, ver-
bunden mit grundsätzlichem Misstrauen gegen systematische Deduktion, die
er als Kehrseite des sozioökonomischen Identitäts- und Konformitätszwangs
erkennt. Systematischer Anordnung von Argumenten stellt er ein essayisti-
sches Schreiben gegenüber, dem System zieht er den Aphorismus vor.
44
Eine
Rekonstruktion seiner Texte kann sich dem nie völlig entziehen und würde
sonst auch Gefahr laufen, durch sprachliche Glättungen wesentliche Pointen
unsichtbar zu machen, weil sich die Inhalte dieser Philosophie dem Korpus
ihrer Sprache nochmals eingliedern. „In der Dialektik ergreift das Rhetorische
Moment, entgegen der vulgären Meinung, die Partei des Inhalts.“ (GS 6, 66)
Das ist in dieser Arbeit verstärkt zu
beachten, weil eben auch Adornos kab-
balistisch inspirierte Wendungen vielfach im geschilderten Sinne rhetorisch,
zugleich inhaltliche und stilistische Elemente sind: Rand- und Nebenbemer-
kungen, die sich rings um die eigentliche Erörterung einfinden.
43
„Adornos Gedanken sind zerbrechlich, fragil […] Eine von außen angelegte Konstruktion
bringt sie zum Einsturz.“ (Claussen.
Fußnoten zur Literatur. S. 185).
44
Vgl. Sonderegger.
Essay und System, Claussen.
Adornos Heimkehr.