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folge hier den Ansichten von Georg Lukács berühmtem Buch
Die Zerstörung
der Vernunft
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– in dem er hingegen „am krassesten wohl […] die Zerstörung
von Lukács eigener“ Vernunft dokumentiert sah.
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Nichtsdestominder deutete
implications.“ (Hanegraaff.
Esotericism and the Academy. S. 312) Zu einem ähnlichen Fazit sind
unabhängig von Hanegraaff auch andere Autoren gekommen. (vgl. Hakl.
„Occultism is the
Metaphysics of Dunces“, Versluis.
The New Inquisitions. S. 95–104) Dabei wird Adornos Esoterik-
kritik in ihrer Schärfe richtig eingeschätzt. (vgl. etwa zu Eranos als „Forum von Antisemiten“
BW 4.4, 286) Doch sie wird zu Unrecht auf „the entire field of myth, symbolism, gno-
sis“ verallgemeinert. Zu einem umsichtigeren historischen Urteil auf breiterer Quellenbasis
kommt Werner Nell (
Traditionsbezüge der Esoterik und die „Dialektik der Aufklärung“ ). Adornos
esoterikkritische Beiträge sind von diesem „field“ überdies zu unterscheiden. Es geht in den
Thesen gegen den Okkultismus, in
Aberglaube aus zweiter Hand, sowie der empirischen Astrologie-
Studie
The Stars Down to Earth um Beiträge zu einer sozialpsychologischen Kritik des moder-
nen Okkultismus als Teil der kapitalistischen Kulturindustrie, vor allem bezieht er sich auf die
populäre Astrologie. (vgl. Schmid Noerr.
Aberglaube in der entzauberten Welt, Beit-Hallahmi.
Pro-
ducing Miracles) Adorno zielt letztendlich auf die ‚Versöhnung des Mythos‘ und bedient sich
(durchaus ‚religionistisch‘ im Sinne Hanegraaffs) des Motivs einer ‚häretischen Theologie‘,
um sie der offiziellen Philosophiegeschichte, die sie bekämpft habe, nach ihrem Scheitern kri-
tisch entgegenzustellen. Seine Bezüge auf Mystik oder Gnosis sind beinahe durchgehend po-
sitiv. Frankfurt hatte damit seine ganz eigene Aneignung des bisher bloß Ascona zugeschla-
genen Traditionsbestands. Zu untersuchen wäre in diesem Kontext Adornos Kontakt zu dem
Schweizer Kulturphilosophen Jean Gebser, der ebenfalls mehrfach bei den Eranos-Tagungen
zu Gast war und sich mit Figuren wie Picasso, Heisenberg und Jung umgab. Mit Hork heimer
versuchte Adorno erfolglos, Gebser ein Ehrendoktorat der Frankfurter Universität zu ver-
schaffen. (vgl. Schübl.
Jean Gebser. S. 111 ff.) In Adornos Werk taucht Gebser m. W. nicht
auf, in seinem kulturgeschichtlich gelehrten, „integralen“ esoterischen Weltentwurf handelte
Letzterer den Frankfurter Philosophen nur kurz zum Thema Musik ab. (vgl. Gebser.
Ursprung
und Gegenwart. S. 604) Für eine annähernde Gegenüberstellung von Adornos Geschichts kritik
und Gebsers stupender, historiosophischer Lehre der „Bewusstseinsstrukturen“ (vgl. zur
Einführung Gottwald.
Die Evolution des Bewusstseins im Werk von Jean Gebser) ist hier kein Platz,
beide ließen sich m. E. auch nicht ernsthaft verbinden. (siehe zu Adornos Kenntnisnahme der
modernen Esoterik auch Kapitel 6.4 im Abschnitt „Eine unterirdische mystische Tradition“).
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Vgl. Wasserstrom.
Adorno’s Kabbalah. S. 55, Hanegraaff.
Esotericism and the Academy. S. 312 f.,
Hakl. „
Occultism is the Metaphysics of Dunces“. S. 20 ff.
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„Höchst undialektisch rechnete darin der approbierte Dialektiker alle irrationalistischen Strö-
mungen der neueren Philosophie in einem Aufwaschen der Reaktion und dem Faschismus zu,
ohne sich viel dabei aufzuhalten, daß in diesen Strömungen, gegenüber dem akademischen
Idealismus, der Gedanke auch gegen eben jene Verdinglichung von Dasein und Denken sich
sträubte, deren Kritik Lukács’ eigene Sache war. […] Unter der Hülle vorgeblich radikaler
Gesellschaftskritik schmuggelte er die armseligsten Clichés jenes Konformismus wieder ein,
dem die Gesellschaftskritik einmal galt.“ (GS 11, 252) Davon unabhängig ist freilich die Be-
deutung von
Geschichte und Klassenbewusstsein (1923) sowie die Rolle der
Theorie des Romans – die
schon das gesamte Werk Siegfried Kracauers prägt – für Adornos Philosophie und Gesell-
schaftskritik nicht zu unterschätzen. Das gilt auch für seine Metaphysik: „Ausgangspunkt
meiner metaphysischen Erfahrung war doch die Lukács’sche Theorie sinnerfüllter Epochen.“
(FAB 8, 22) Die Reflexion auf den „Sinn“-Verlust in der modernen „transzendentalen Ob-
dachtlosigkeit“ (Lukács.
Die Theorie des Romans. S. 30) wird hier zum Ausgangspunkt der Frage
des ontologischen Gottesbeweises. (vgl. zum weiteren Hintergrund Braunstein/Duckheim.
Adornos Lukács, Scheit.
Der Gelehrte im Zeitalter der „vollendeten Sündhaftigkeit“, Liedke.
Natur-
geschichte und Religion. S. 50–57).
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er den modernen Okkultismus als fatal gescheiterten Versuch einer Vermitt-
lung von Sakralem und Profanem.
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Das steht in auffälligem Gegensatz zu
seiner Bewertung der jüdischen Mystik, der er eine innere Affinität zur Säku-
larisierung bescheinigt. Wasserstrom derweil stellt eigenartigerweise Adornos
Thesen gegen den Okkultismus (vgl. GS 4, 273–280) als kritische Reaktion auf
Benjamins Thesen
Über den Begriff der Geschichte (BGS I.2, 690–708) und Scho-
lems
Zehn unhistorische Sätze über Kabbala
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dar, begründet mit der Thesenform
dieser drei Texte.
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Tatsächlich schätzte Adorno die beiden anderen „Thesen“,
während sich seine zum Okkultismus um schlicht andere Themen drehen.
Ausführlich geht Wasserstrom auf die kabbalistische Kafka-Rezeption im
Dreieck Benjamin-Scholem-Adorno ein, deren Motive er nicht näher darlegt,
stattdessen erklärt er die entsprechenden Kafka-Deutungen zu Produkten der
übersteigerten Apotheose eines den dreien gemeinsamen Kultheiligen.
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Zum
Ende hin zitiert er ausführlich mystische Motive Adornos aus musikphiloso-
phischen und metaphysischen Kontexten, die jedoch nicht weiter inhaltlich
kontextualisiert werden.
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Im mit
Odd Angels überschriebenen Fazit kommt
Wasserstrom unter Rückgriff auf Adornos Konzept der Einwanderung theo-
logischen Gehalts ins Profane zu dem Schluss:
„If truth can and perhaps must arrive from these farthest commentarial reaches
[…] then Adorno’s very estrangement from Judaism would have been paradoxically
salutary for his expropriation of kabbalah. Estrangement was Adorno’s alienation
as absolute. ‚Only what does not fit into this world is true‘. This could be said of
Adorno himself, of course; and it certainly seems more than likely that he would
have beheld the self-reflexive accuracy of his own aphorism. Only what does not fit
into this world is Adorno; and his kabbalah rests on an abyss that, in its profoundly
absent glow, verges on divinity itself. Adorno saw in kabbalah a bright reflection of
these darkest thoughts.“
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„Der Okkultist zieht aus dem Fetischcharakter der Ware die äußerste Konsequenz: Die
rohend vergegenständlichte Arbeit springt ihn mit ungezählten Dämonenfratzen aus den
Gegen ständen an. Was in der zum Produkt geronnenen Welt vergessen ward, ihr Produziert-
sein durch Menschen, wird abgespalten, verkehrt erinnert, als ein Ansichseiendes dem An
sich der Objekte hinzugefügt und gleichgestellt.“ (GS 4, 274) Zum „Fetischcharakter der
Ware“ und seinem „okkulten“ Charakter vgl. Marx.
Das Kapital. S. 85 ff.
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Vgl. Scholem.
Zehn unhistorische Sätze über Kabbala.
35
Vgl. Wasserstrom.
Adorno’s Kabbalah. S. 64, 66–69.
36
Vgl. a. a. O. S. 70 ff.
37
Vgl. a. a. O. S. 72 ff.
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A. a. O. S. 76.