Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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von Metaphysik auch an pränegativistische Deutungsmuster bindet.“
12
 Weit 
öfter ist umgekehrt der Negativismus kritisiert worden, freilich aber auch nicht 
zugunsten metaphysischer oder gar theologischer Ideen. Allen derartigen Ver-
suchen  einer  Vereindeutigung  entgeht,  dass  die  Perspektiven,  die  Adornos 
Denken aufwirft, gerade in der – eben dialektischen – 
Spannung von Negati-
vismus und Versöhnungsabsicht liegen, dem Versuch, in den Abgründen einer 
entgleisten Welt durch deren Kritik doch auf  die Möglichkeit einer anderen 
hinzuweisen.  Aus  der  steten  Oszillation  zwischen  äußersten  Extremen,  die 
man jeweils nicht scharf  genug gegeneinander abheben kann, sind Adornos 
Argumente zu verstehen. „Denn der Schritt aus Trauer in Trost ist nicht der 
größte sondern der kleinste.“ (GS 2, 200)
Allerdings überwiegt in der kritischen Theorie nicht nur bei Weitem die 
Trauer, sondern sie verweigert den Trost. Ihre Metaphysik ist weder „präne-
gativistisch“ noch Ausbruchsversuch aus dem Negativismus, sondern Flucht-
punkt des 
äußersten Negativismus, weil sie klassische metaphysische Topoi mit 
den  Abgründen  der  historischen  Erfahrung  konfrontiert.  Gerade  in  einem 
Text,  der  sich  mit  ‚mystischen‘  Randbemerkungen  befasst,  kann  nicht  klar 
genug herausgestellt werden, wie sehr Adornos Werk um die Katastrophe 
des nationalsozialistischen Massenmords und das vollständige Scheitern der 
Gesellschaft, die sie möglich machte, kreist. Der kategorische Imperativ nach 
Auschwitz  –  Denken  und  Handeln  so  einzurichten,  dass  nichts  ähnliches 
geschehe – wird in den 
Meditationen zur Metaphysik seiner Negativen Dialektik 
formuliert. In der Folge schreibt Adorno: „Kein vom Hohen getöntes Wort, 
auch kein theologisches, hat unverwandelt nach Auschwitz ein Recht.“ (GS 6, 
360)  Der  Gang  der  Geschichte  nötigt  zur  Preisgabe  jeder  metaphysischen 
Überwelt und jedes göttlichen Sinnes, deren Setzung das Leiden verhöhnte 
oder als sinnvoll verklärte. So grundsätzlich ist die geforderte „Probe“ auf  
„Einwanderung“ ins „Profane“ zu verstehen. Metaphysik zieht sich demnach 
in genau das zusammen, was ihre Tradition weitgehend überging, die „soma-
tische, sinnferne Schicht des Lebendigen“. (a. a. O., 358)
13
 Sie ist in den Blick 
auf   all  das  zusammengeschrumpft,  das  an  einem  ahistorischen  Vernunft-
begriff  abprallte – Adorno stipuliert deshalb, dass Metaphysik buchstäblich 
„geschlüpft  ist in  das  materielle Dasein  […],  daß  die armseligste  physische 
12 
Theunissen. 
Negativität bei Adorno. S. 61.
13 
Von diesem somatischen Movens aus entwickelt Adornos Gesellschaftskritik (so radikal, wie 
sie ist) Scheit. 
Quälbarer Leib.


16 
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Existenz  […]  mit  dem  obersten  Interesse  der  Menschheit  […]  zusammen-
hängt.“ (NL IV/14, 183) Jenes Interesse müsste gerade auf  die Bewahrung 
des Verletzlichsten gehen. Das führt bereits ins Zentrum dieser Untersuchung 
hinein, denn die damit reklamierte metaphysische Relevanz des Innerweltlichen 
benennt Adorno als einen der „mystischen Impulse, die in der Dialektik sich 
säkularisierten […].“ (GS 6, 354) Diesen Impulsen ist nun also nachzugehen.
1.2  Voraussetzungen. Zur vorliegenden Literatur
Adornos Philosophie hat – vermutlich reziprok zum Abnehmen ihrer „geis-
tespolitischen Virulenz“
14
 – eine beinahe unüberschaubare Sekundärliteratur 
hervorgebracht.
15
 Auch religiöse und metaphysische Ansprüche seines Den-
kens sind philosophisch, theologisch und historisch nachgewiesen, bestritten, 
analysiert, kritisiert und aktualisiert worden.
16
 Die engeren Bezugnahmen auf  
das, was er jüdische Mystik nennt, haben derweil sehr viel weniger Beachtung 
erfahren. Eine wichtige Quelle, die bisher fast unberücksichtigt blieb, ist der 
2015 von Asaf  Angermann edierte Briefwechsel zwischen Adorno und Scho-
lem. (vgl. BW 8)
17
 Es müssen aber gleich hier zwei naheliegende Missverständ-
nisse  zu  Adornos  Scholem-Rezeption  ausgeräumt  werden.  Erstens  besteht 
beider  Briefwechsel  nur  zu  einem  kleinen  Teil  aus  etwaigen  Diskussionen 
14 
Dubiel. 
Der Streit um die Erbschaft. S. 230.
15 
Vgl.  für  einen  Überblick  (Stand:  2011)  Klein/Kreuzer/Müller-Doohm. 
Adorno-Handbuch
S. 486–549.
16 
Vgl.  u. a.  Brumlik. 
Theologie und Messianismus im Denken Adornos,  Brittain.  Adorno and Theo-
logy, Schiller. Zergehende Transzendenz, Brändle. Die Rettung des Hoffnungslosen, Langthaler. „Es 
käme nicht darauf  an“, Liedke. Naturgeschichte und Religion, ders. Zerbrechliche Wahrheit, Sziborsky. 

Erkenntnis hat kein Licht“, Türcke. Adornos „inverse Theologie“, Bobka. Geschichtsphilosophie vom 
Standpunkt der Erlösung, Lutz-Bachmann. Kritische Theorie und Religion, Kohlenbach/Geuss. The 
Early Frankfurt School and Religion, Braunstein. Adornos Kritik der politischen Ökonomie. S. 357–
391, Hindrichs. 
Das Absolute und das Subjekt. S. 146–160, Bartonek. Philosophie im Konjunktiv
S. 206–226 sowie schon Horkheimer. 
Himmel, Ewigkeit und Schönheit, der Adorno allerdings für 
seine hier nicht zu behandelnde „Theologie“ ganz eigener Prägung heranzieht.
17 
Jürgen Habermas hat 2015 eine der ersten Rezensionen zum Adorno-Scholem-Briefwechsel 
geschrieben, in der er den „Umschlag von Mystik in Aufklärung“ als gemeinsames Interesse 
der Korrespondenten interpretiert und die „Aktualität“ von „Adornos Rettungsabsicht“ ge-
genüber der „jüdischen Mystik“ angesichts des neoliberalen „Schaumteppichs“ betont. Aller-
dings will er bei Adorno Reste eines „Idealismus“ ausmachen, der darin bestehe, dass er ein 
philosophisches Urteil auf  Augenhöhe mit der Theologie beanspruche. Im Folgenden wird 
die These vertreten, dass Adornos Rezeption der Kabbala vielmehr im Innersten mit seiner 
materialistischen Kritik zusammenhängt, zumal die Argumentation vor dem theologischen 
Bereich  nicht  derart  zurückzuschrecken  braucht.  Weder  Nietzsche  noch  Freud  haben  die 
Kritik auf  Augenhöhe gescheut. (vgl. Habermas. 
Vom Funken der Wahrheit).


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