V
Vrreeerrknnen
15
von Metaphysik auch an pränegativistische Deutungsmuster bindet.“
12
Weit
öfter ist umgekehrt der Negativismus kritisiert worden, freilich aber auch nicht
zugunsten metaphysischer oder gar theologischer Ideen. Allen derartigen Ver-
suchen einer Vereindeutigung entgeht, dass die Perspektiven, die Adornos
Denken aufwirft, gerade in der – eben dialektischen –
Spannung von Negati-
vismus und Versöhnungsabsicht liegen, dem Versuch, in den Abgründen einer
entgleisten Welt durch deren Kritik doch auf die Möglichkeit einer anderen
hinzuweisen. Aus der steten Oszillation zwischen äußersten Extremen, die
man jeweils nicht scharf genug gegeneinander abheben kann, sind Adornos
Argumente zu verstehen. „Denn der Schritt aus Trauer in Trost ist nicht der
größte sondern der kleinste.“ (GS 2, 200)
Allerdings überwiegt in der kritischen Theorie nicht nur bei Weitem die
Trauer, sondern sie verweigert den Trost. Ihre Metaphysik ist weder „präne-
gativistisch“ noch Ausbruchsversuch aus dem Negativismus, sondern Flucht-
punkt des
äußersten Negativismus, weil sie klassische metaphysische Topoi mit
den Abgründen der historischen Erfahrung konfrontiert. Gerade in einem
Text, der sich mit ‚mystischen‘ Randbemerkungen befasst, kann nicht klar
genug herausgestellt werden, wie sehr Adornos
Werk um die Katastrophe
des nationalsozialistischen Massenmords und das vollständige Scheitern der
Gesellschaft, die sie möglich machte, kreist. Der kategorische Imperativ nach
Auschwitz – Denken und Handeln so einzurichten, dass nichts ähnliches
geschehe – wird in den
Meditationen zur Metaphysik seiner
Negativen Dialektik
formuliert. In der Folge schreibt Adorno: „Kein vom Hohen getöntes Wort,
auch kein theologisches, hat unverwandelt nach Auschwitz ein Recht.“ (GS 6,
360) Der Gang der Geschichte nötigt zur Preisgabe jeder metaphysischen
Überwelt und jedes göttlichen Sinnes, deren Setzung das Leiden verhöhnte
oder als sinnvoll verklärte. So grundsätzlich ist die geforderte „Probe“ auf
„Einwanderung“ ins „Profane“ zu verstehen. Metaphysik zieht sich demnach
in genau das zusammen, was ihre Tradition weitgehend überging, die „soma-
tische, sinnferne Schicht des Lebendigen“. (a. a. O., 358)
13
Sie ist in den Blick
auf all das zusammengeschrumpft, das an einem ahistorischen Vernunft-
begriff abprallte – Adorno stipuliert deshalb, dass Metaphysik buchstäblich
„geschlüpft ist in das materielle Dasein […], daß die armseligste physische
12
Theunissen.
Negativität bei Adorno. S. 61.
13
Von diesem somatischen Movens aus entwickelt Adornos Gesellschaftskritik (so radikal, wie
sie ist) Scheit.
Quälbarer Leib.
16
V
Vrreeerrknnen
Existenz […] mit dem obersten Interesse der Menschheit […] zusammen-
hängt.“ (NL IV/14, 183) Jenes Interesse müsste gerade auf die Bewahrung
des Verletzlichsten gehen. Das führt bereits ins Zentrum dieser Untersuchung
hinein, denn die damit reklamierte metaphysische Relevanz des Innerweltlichen
benennt Adorno als einen der „mystischen Impulse, die in der Dialektik sich
säkularisierten […].“ (GS 6, 354) Diesen Impulsen ist nun also nachzugehen.
1.2 Voraussetzungen. Zur vorliegenden Literatur
Adornos Philosophie hat – vermutlich reziprok zum Abnehmen ihrer „geis-
tespolitischen Virulenz“
14
– eine beinahe unüberschaubare Sekundärliteratur
hervorgebracht.
15
Auch religiöse und metaphysische Ansprüche seines Den-
kens sind philosophisch, theologisch und historisch nachgewiesen, bestritten,
analysiert, kritisiert und aktualisiert worden.
16
Die engeren Bezugnahmen auf
das, was er jüdische Mystik nennt, haben derweil sehr viel weniger Beachtung
erfahren. Eine wichtige Quelle, die bisher fast unberücksichtigt blieb, ist der
2015 von Asaf Angermann edierte Briefwechsel zwischen Adorno und Scho-
lem. (vgl. BW 8)
17
Es müssen aber gleich hier zwei naheliegende Missverständ-
nisse zu Adornos Scholem-Rezeption ausgeräumt werden. Erstens besteht
beider Briefwechsel nur zu einem kleinen Teil aus etwaigen Diskussionen
14
Dubiel.
Der Streit um die Erbschaft. S. 230.
15
Vgl. für einen Überblick (Stand: 2011) Klein/Kreuzer/Müller-Doohm.
Adorno-Handbuch.
S. 486–549.
16
Vgl. u. a. Brumlik.
Theologie und Messianismus im Denken Adornos, Brittain.
Adorno and Theo-
logy, Schiller.
Zergehende Transzendenz, Brändle.
Die Rettung des Hoffnungslosen, Langthaler. „
Es
käme nicht darauf an“, Liedke.
Naturgeschichte und Religion, ders.
Zerbrechliche Wahrheit, Sziborsky.
„
Erkenntnis hat kein Licht“, Türcke.
Adornos „inverse Theologie“, Bobka.
Geschichtsphilosophie vom
Standpunkt der Erlösung, Lutz-Bachmann.
Kritische Theorie und Religion, Kohlenbach/Geuss.
The
Early Frankfurt School and Religion, Braunstein.
Adornos Kritik der politischen Ökonomie. S. 357–
391, Hindrichs.
Das Absolute und das Subjekt. S. 146–160, Bartonek.
Philosophie im Konjunktiv.
S. 206–226 sowie schon Horkheimer.
Himmel, Ewigkeit und Schönheit, der Adorno allerdings für
seine hier nicht zu behandelnde „Theologie“ ganz eigener Prägung heranzieht.
17
Jürgen Habermas hat 2015 eine der ersten Rezensionen zum Adorno-Scholem-Briefwechsel
geschrieben, in der er den „Umschlag von Mystik in Aufklärung“ als gemeinsames Interesse
der Korrespondenten interpretiert und die „Aktualität“ von „Adornos Rettungsabsicht“ ge-
genüber der „jüdischen Mystik“ angesichts des neoliberalen „Schaumteppichs“ betont. Aller-
dings will er bei Adorno Reste eines „Idealismus“ ausmachen, der darin bestehe, dass er ein
philosophisches Urteil auf Augenhöhe mit der Theologie beanspruche. Im Folgenden wird
die These vertreten, dass Adornos Rezeption der Kabbala vielmehr im Innersten mit seiner
materialistischen Kritik zusammenhängt, zumal die Argumentation vor dem theologischen
Bereich nicht derart zurückzuschrecken braucht. Weder Nietzsche noch Freud haben die
Kritik auf Augenhöhe gescheut. (vgl. Habermas.
Vom Funken der Wahrheit).