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Ziel dieser philosophisch-essayistischen Verfahrensweise ist es, „das eta-
blierte Bewusstsein, den Alltagsverstand, zu irritieren und aufzustören […], in
einem spezifischen Medium des Allgemeinen, der Sprache […] den Konfor-
mismus, die gesellschaftliche Arbeitsteilung und den tautologischen Charakter
von Begriffen zu unterlaufen.“
45
So soll die Sprachform selbst durch genaue
Wortwahl Medium von Ideologiekritik werden.
46
Adornos Texte verstricken
Begriffe und Topoi nicht selten in äußerste Aporien und Antinomien, in über-
steigerte Zuspitzungen ihrer Extreme, die so zum Zerbrechen gebracht werden
sollen. Dieses dialektische Verfahren erzeugt „Kippfiguren“
47
, die, wie man sie
auch wendet, keinen Halt gewähren wollen, in verschiedenen Texten mal von
der einen, mal von der anderen Seite aufgebaut oder kritisiert werden, so dass
man die unterschiedlichen Äußerungen gegeneinander ausspielen kann – oder
aber als dialektische Behandlungen einer widersprüchlich verfassten Wirklich-
keit verstehen. So begreift Adorno seine einzelnen Analysen als miniaturhafte
Abbildungen, als „Modelle“ des jeweils problematisierten Sachverhalts.
48
Seine
„Utopie der Erkenntnis wäre, das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne
es ihnen gleichzumachen.“ (GS 6, 22)
49
Dazu
werden Termini nicht nur bis
zum Widerspruch entfaltet, sondern auch verschiedene Begriffe verwendet
(„herbei zitiert“), um den Gegenstand in deren konstellativer Anordnung zu
treffen. Ich möchte hier nur auf eine Tendenz hinweisen: Freilich gibt es bei
Adorno viele konsequent und spezifisch benutzte Begriffe. Diese Tendenz
zeigt sich aber unter anderem an einem Umstand,
der zumindest religions-
philosophisch zunächst irritiert: Adorno grenzt die Begriffe Metaphysik
und Theologie zum Teil durchaus voneinander ab,
verwendet sie zum Teil
aber auch austauschbar. Deren Inhalt wird mal als „Sakrales“, als „Absolu-
tes“ oder als „Transzendenz“ bezeichnet. Auch die Begriffe Säkularisierung,
45
Demirovic.
Der nonkonformistische Intellektuelle. S. 684. Zur soziologischen Systematisierung
dieses ‚nonkonformistischen‘ Standpunkts vgl. Martin.
Denken im Widerspruch. – „Je tiefer
der Kritiker in der eigenen Bedeutungslosigkeit versinkt, desto stärker wird sein Bedürfnis,
sich durch Gesten der Radikalität von den profanen Gebrauchsschreibern abzugrenzen,
zu denen nicht zu gehören in der Epoche etablierten Stumpfsinns sein einzig verbliebenes
Distinktions merkmal ist.“ (Klaue.
Verschenkte Gelegenheiten. S. 7).
46
Vgl. Braunstein/Hesse.
Philosophie als Mähmachendes.
47
Vgl. Wussow.
Logik der Deutung. S. 20.
48
„Das Modell trifft das Spezifische und mehr als das Spezifische, ohne es in seinen allgemei-
neren Oberbegriff zu verflüchtigen. Philosophisch denken ist so viel als in Modellen denken
[…].“ (GS 6, 39).
49
Vgl. Tiedemann.
Begriff, Bild, Name.
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Profanisierung, Rationalisierung oder Entmythologisierung können synonym
verwendet oder gegeneinander gestellt werden.
50
„Die gleitenden Übergänge
sind nicht notwendig ein Makel der Theorie, denn dadurch kann er ihre Beweg-
lichkeit für die konkrete Arbeit erhalten.“
51
Die langen begriffsgeschichtlichen
Debatten, die sich mit den einzelnen Terminologien
verbinden, sollen weniger
ignoriert als konterkariert werden.
52
Der eben zitierte Philipp von Wussow dif-
ferenziert entsprechende Begriffe Adornos und macht sie durch diese philo-
sophische Kritik einer weiterführenden Diskussion fruchtbar. Im Folgenden
wird es nicht näher um die, wenngleich verführerische, Metadiskussion einer
solchen philosophischen Vorgehensweise gehen, sondern eben um Adornos
Marginalien zur Kabbala. Dazu soll versucht werden, der terminologischen
„Beweglichkeit“ tendenziell zu folgen und derart die argumentativen Figuren
deutlich werden zu lassen, die unter der Oberfläche wechselnder Begrifflich-
keiten auftauchen und sich dabei als keineswegs inkohärent erweisen. Im Fol-
genden wird somit nur gelegentlich
zu diskutieren sein, warum Adorno im
konkreten Fall vom Absoluten oder von Transzendenz, von Säkularisierung
oder Profanisierung, von Theologie oder Metaphysik spricht, weil er die zur
Rede stehenden ‚mystischen‘ Motive schlicht unter verschiedenen begriffli-
chen Deckmänteln bemüht.
50
Liedke.
Naturgeschichte und Religion. S. 147–214, hat die Begriffe der ‚Entmythologisierung‘,
‚Säkularisierung‘, ‚Entzauberung‘ und ‚Rationalisierung‘ sowie Adornos
Auseinandersetzung
mit den einschlägigen soziologischen und philosophischen Theorien untersucht, kommt
dabei aber ebenfalls immer wieder zu dem Fazit, dass diese Termini Facetten desselben
(religions-) geschichtlichen Prozesses behandeln sollen.
51
Wussow.
Logik der Deutung. S. 186.
52
Etwa in folgender Rückanbindung des Metaphysikbegriffs an den der Theologie: „Meta-
physik ist gegenüber der Theologie nicht bloß, wie nach positivistischer Doktrin, ein histo-
risch späteres Stadium, nicht nur die Säkularisation der Theologie in den Begriff. Sie bewahrt
Theologie auf in der Kritik an ihr, indem sie den Menschen als Möglichkeit freilegt, was die
Theologie ihnen aufzwingt und damit schändet.“ (GS 6, 390).