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Hochschätzung Franz Joseph Molitors). Benjamins Auseinandersetzung mit
dem Judentum schließt aber auch an seinerzeit sehr viel geachtetere Quellen
wie die Religionsphilosophie Hermann Cohens an.
69
Dieser Komplex hat eine
ausufernde Literatur hervorgebracht und soll hier nicht näher untersucht wer-
den.
70
Aber in ihm ist ‚die‘ Kabbala nicht die zentrale Legitimationsinstanz, die
Adorno aus ihr machen will. Scholem blieb so auch, entgegen aller eta blierten
Unterstellungen, skeptisch, was die Relevanz kabbalistischer Elemente für die
Philosophie Benjamins anging. Auf eine entsprechende Bitte Adornos ant-
wortete er im Februar 1968:
„Ihren Wunsch, ich möchte über die Beziehung zwischen Benjamin und der
jüdischen Mystik schreiben, haben Sie mir schon mehrfach vorgetragen, und ich
erinnere mich an ein Gespräch, das wir darüber einmal in Sils hatten. Daß die
Kabbala den Schlüssel zu seinen theologischen Jugendschriften bildet, scheint mir
sehr zweifelhaft, aber ich werde mich gern noch einmal präziser mit Ihnen darüber
unterhalten.“ (BW 8, 467)
Eher werfen die zu diskutierenden Parallelen von Adorno und Scholem die
Frage auf, ob nicht die Kabbalaforschung des Letzteren ebenso von benjami-
nischen Ideen geprägt ist wie die Philosophie des ersteren. Jedenfalls betonte
auch Scholem stets, dass er gerade vom ‚mystischen‘ Genius des Freundes
angezogen wurde. Von seiner zitierten These rückte Adorno auch in der
Antwort nicht ab. Er spekulierte, dass vielleicht das Verhältnis des frühen
Benjamin zur Kabbala ähnlich zu verstehen sei wie sein späteres zum Marxis-
mus – und beide nicht aus inhaltlicher Durchdringung des jeweiligen Gegen-
stands erwachsen. Offensichtlich ging er aber von einer tragenden Rolle der
jüdischen Mystik für das Frühwerk aus, wenn er schrieb, er werde das Gefühl
nicht los, „daß, ohne Ihren Kommentar, die frühen Schriften in der Luft hän-
gen.“ Benjamin selbst habe einer traditionslosen Theologie
71
kritisch gegen-
übergestanden, verdiene also auch eine Rekontextualisierung seiner eigenen.
69
Vgl. Deuber-Mankowski.
Der frühe Walter Benjamin und Hermann Cohen.
70
Vgl. für einen Überblick Küpper/Skandries.
Rezeptionsgeschichte. S. 35 ff. sowie für exemplari-
sche Studien zu Benjamins religiösen Themen und Quellen Weidner.
Profanes Leben, Jacobson.
Metaphysics of the Profane, Alter.
Unentbehrliche Engel, Mosès.
Gershom Scholem, Idel.
Alte Welten –
Neue Bilder. S. 269–280, Bock.
Walter Benjamin, Eusterschulte.
Geschichtlichkeit des Gegenwärtigen,
Tiedemann.
Historischer Materialismus oder politischer Messianismus, Scholem.
Walter Benjamin und
sein Engel.
71
Zum Traditionsbegriff vgl. Kapitel 5.1.
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(a. a. O., 475) In diesem Sinne liest man in Adornos
Charakteristik über Benja-
mins angeblich mystisch inspirierte Darstellungen: „Der Schlüssel zu den Rät-
selbildern ist verloren.“ (GS 10.1, 245) Die vorliegende Studie folgt in dieser
Hinsicht bloß den Spuren von Adornos Suche nach dem fehlenden Schlüssel.
Diese Spuren sind inzwischen selbst historisch
und zu einem neuen Kom-
plex von Rätselbildern geworden.
72
Der eben zitierte Brief an Scholem geht
anschließend in einen Seitenhieb gegen Hannah Arendt über, die Benjamin als
„Kritiker“ und nicht als Philosophen verstanden wissen wollte;
73
„was
hat die-
ses Weib für eine Vorstellung von Philosophie! Nun, es ist die der Herren Hei-
degger und Jaspers.“ (BW 8, 476) Das nur als Beispiel für die philosophischen
Kämpfe um das Erbe Walter Benjamins, das gleichermaßen Scholem, Adorno,
Brecht oder eben Arendt mit guten Gründen für sich reklamierten. Wie pro-
duktiv das trotz aller Gehässigkeiten philosophisch war, zeigt die Geburt von
Adornos Kabbala-Interpretation, die Benjamin eben nicht
gegen, sondern
durch
Scholem verstehen will bzw. Scholems Forschungen in Benjamins Sinne auf-
zunehmen sucht. (vgl. a. a. O., 168) Zu diesem Zweck scheinen Ideologiekritik
und Ideengeschichte ungewohnt nah aneinander
zu rücken.
74
Dabei
ging es
Adorno aber wohlgemerkt nicht um Benjamin-Forschung, sondern weiterhin
um jenen theologischen „Glutkern“ der Dialektik, dessen Herausarbeitung er
mit dem verstorbenen Freund unternehmen wollte.
72
„Sehnsucht endet nicht mit den Bildern, sondern lebt in ihnen fort, wie sie aus ihnen kommt.“
(GS 2, 199).
73
Vgl. Arendt.
Walter Benjamin.
74
Es
ist ohnehin bemerkenswert, wie bereitwillig Adorno im
Zusammenhang mit Scholems
Arbeiten philologische Methodik akzeptierte, welcher er in seiner Hegel-Studie bescheinigte,
„keine zureichende Textkritik“ zu sein. (GS 5, 326) Diesen Einwand erläuterte er an späterer
Stelle schärfer: „Auf keinen weniger wohl als auf Hegel paßt die ohnehin problematische
Norm der Philologie, den vom Autor subjektiv gemeinten Sinn herauszuarbeiten. Denn seine
von der Sache unablösbare Methode will die Sache sich bewegen lassen, nicht eigene Überle-
gungen entwickeln.“ (a. a. O., 343) In der
Negativen Dialektik schließlich kritisierte Adorno das
„beruhigende Gefühl, auf festem, womöglich auch philologisch gesichertem Boden zu ope-
rieren“ als ideologisch. (GS 6, 71) Diese Ablehnung ist jedoch keine der Philologie an sich,
sondern ein Hinweis auf ihre Grenzen: „der Ausgang von der Erfahrung eines Abgeleiteten,
ist nicht zu vermeiden sondern ins Bewußtsein hineinzunehmen.“ (a. a. O., 479).