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ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche
Verhältnisse der Sachen.
Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von ihrer sinnlich verschiednen Ge-
brauchsgegenständlichkeit getrennte, gesellschaftlich gleich Wertgegenständlichkeit. Diese Spaltung des
Arbeitsprodukts in nützliches Ding und Wertding betätigt sich nur praktisch, sobalt der Austausch bereits
hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit gewonnen hat, damit nützliche Dinge für den Austausch pro-
duziert werden, der Wertcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst in Betracht kommt.
Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der Produzenten tatsächlich einen doppelten gesell-
schaftlichen Charakter. Sie müssen einerseits als bestimmte nützliche Arbeiten ein bestimmtes ge-
sellschftliches Bedürfnis befriedigen und sich so als Glieder der Gesamtarbeit, des naturwüchsigen Sy-
stems der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit, bewähren. Sie befriedigen andrerseits nur die mannigfa-
che Bedürfnisse ihrer eignen Produzenten, sofern jede besondre nützliche Privatarbeit mit jeder andren
nützlichen Art Privatarbeit austauschbar ist, also ihr gleichgilt. Die Gleichheit toto coelo[1*] verschiedner
Arbeiten kann nur in einer Abstraktion von ihrer wirklichen Ungleichheit bestehn, in der Reduktion auf
den
[1*] völlig
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gemeinsamen Charakter, den sie als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, abstrakt menschliche Ar-
beit, besitzen. Das Gehirn der Privatproduzenten spiegelt diesen doppelten gesellschaftlichen Charakter
ihrer Privatarbeiten nur wider in den Formen, welche im praktischen Verkehr, im Produktenaustausch
erscheinen – den gesellschaftlich nützlichen Charakter ihrer Privatarbeiten also in der Form, daß das Ar-
beitsprodukt nützlich sein muß, und zwar für andre – den gesellschaftlichen Charakter der Gleichheit der
verschiedenartigen Arbeiten in der Form des gemeinsamen Wertcharakters dieser materiell verschiednen
Dinge, der Arbeitsprodukte.
Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen
als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschieden-
artigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten
einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es[27]. Es steht daher dem
Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in
eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Später suchen die Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern,
hinter das Geheimnis ihres eignen gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn die Bestimmung der
Gebrauchsgegenstände als Werte ist ihr gesellschaftliches Produkt so gut wie die Sprache. Die späte wis-
senschaftliche Entdeckung, daß die Arbeitsprodukte, soweit sie Werte, bloß sachliche Ausdrücke der in
ihrer Produktion verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Entwicklungsgeschichte
der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Cha-
rakter der Arbeit. Was nur für diese besondre Produktionsform, die Warenproduktion, gültig ist, daß
nämlich der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer
Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte an-
nimmt, erscheint, vor wie nach jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der Warenproduktion Befan-
genen ebenso endgültig, als daß die wissenschaftliche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform
als eine physikalische Körperform fortbestehn läßt.
[27] Note zur 2. Ausg. Wenn daher Galiani sagt: Der Wert ist ein Verhältnis zwischen Personen –
"La Ricchezza è una ragione tra due persone" – , so hätte er hinzusetzen müssen: unter dinglicher
Hülle verstecktes Verhältnis. (Galiani,"Della Moneta", p. 221, t. III von Custodis Sammlung der
"Scrittori Classici Italiani di Economia Politica", Parte Moderna, Milano 1803.)
{89}
Was die Produktenaustauscher zunächst praktisch interessiert, ist die Frage, wieviel fremde Produtke sie
für das eigne Produkt erhalten, in welchen Proportionen sich also die Produtkte austauschen. Sobald diese
Proportionen zu einer gewissen gewohnheitsmäßigen Festigkeit herangereift sind, scheinen sie aus der
Natur der Arbeitsprodukte zu entspringen, so daß z. B. eine Tonne Eisen und 2 Unzen Gold gleichwertig,
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sie ein Pfund Gold und ein Pfund Eisen trotz ihrer verschiednen physikalischen und chemischen Eigen-
schaften gleich schwer sind. In der Tat befestigt sich der Wertcharakter der Arbeitsprodukte erst durch
ihre Betätigung als Wertgrößen. Die letzteren wechseln beständig, unabhändig vom Willen, Vorwissen
und Tun der Austauschenden. Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie sie Form einer Bewe-
gung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren. Es bedarf vollständig ent-
wickelter Warenproduktion, bevor aus der Erfahrung selbst die wissenschaftliche Einsicht herauswächst,
daß die unabhängig voneinander betriebenen, aber als naturwüchsige Glieder der gesellschaftlichen Tei-
lung der Arbeit allseitig voneinander abhängigen Privatarbeiten fortwährend auf ihr gesellschaftlich pro-
portionelles Maß reduziert werden, weil sich in den zufälligen und stets schwankenden Austauschverhält-
nissen ihrer Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als regelndes Na-
turgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwas das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf
zusammenpurzelt[28]. Die Bestimmung der Wertgröße durch die Arbeitszeit ist daher ein unter den er-
scheinenden Bewegungen der relativen Warenwerte verstecktes Geheimnis. Seine Entdeckung hebt den
Schein der bloß zufälligen Bestimmung der Wertgrößen den Arbeitsprodukte auf, aber keineswegs ihre
sachliche Form.
Das Nachdenken über die Formen des menschlichen Lebens, also auch ihre wissenschaftliche Analyse,
schlägt überhaupt einen der wirklichen Entwicklung entgegengesetzten Weg ein. Es beginnt post festum
und daher mit den fertigen Resultaten des Entwicklungsprozesses. Die Formen, welche Arbeitsprodukte
zu Waren stempeln und daher der Warenzirkulation vor-
[28] "Was soll man von einem Gesetze denken, das sich nur durch periodische Revolutionen
durchsetzten kann?" (Friedrich Engels,"Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" in
"Deutsch-Französische Jahrbücher", herausg. von Arnold Ruge und Karl Marx, Paris 1844.[1*])
[1*] Siehe Band 1 unserer Ausgabe, S.515
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ausgesetzt sind, besitzen bereits die Festigkeit von Naturformen des gesellschaftlichen Lebens, bevor die
Menschen sich Rechenschaft zu geben suchen nicht über den historischen Charakter dieser Formen, die
ihnen vielmehr bereits als unwandelbar gelten, sondern über deren Gehalt. So war es nur die Analyse der
Warenpreise, die zur Bestimmung der Wertgröße, nur der gemeinschaftliche Geldausdruck der Waren,
der zur Fixierung ihres Wertcharakters führte. Es ist aber ebendiese fertige Form – die Geldform – der
Warenwelt, welche den gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen
Verhältnissen der Privatarbeiter sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren. Wenn ich sage, Rock, Stie-
fel usw. beziehen sich auf Leinwand als die allgemeine Verkörperung abstrakter menschlicher Arbeit, so
springt die Verrücktheit dieses Ausdrucks ins Auge. Aber wenn die Produzenten von Rock, Stiefel usw.
diese Waren auf Leinwand – oder auf Gold und Silber, was nichts an der Sache ändert – als allgemeines
Äquivalent beziehn, erscheint ihnen die Beziehung ihrer Privatarbeiten zu der gesellschaftlichen Gesamt-
arbeit genau in dieser verrückten Form.
Denartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie. Es sind gesellschaftlich gültig,
also objektive Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesell-
schaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion. Aller Mystizismus der Warenwelt, all der Zauber
und Spuk, welcher Arbeitsprodukte auf Grundlage der Warenproduktion umnebelt, verschwindet daher
sofort, sobald wir zu andren Produktionsformen flüchten.
Da die politische Ökonomie Robinsonaden liebt[29], erscheine zuerst Robinson auf seiner Insel. Beschei-
den, wie er von Haus aus ist, hat er doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muß daher
mützliche Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Möbel fabri-
[29] Note zur 2. Ausgabe. Auch Ricardo ist nicht ohne seine Robinsonade."Den Urfischer und
den Urjäger läßt er sofort als Warenbesitzer Fisch und Wild austauschen, im Verhältnis der in
diesen Tauschwerten vergegenständlichten Arbeitszeit. Bei dieser Gelegenheit fällt er in den
Anachronismus, daß Urfischer und Urjäger zur Berechnung ihrer Arbeitsinstrumente die 1817 auf