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der Londoner Börse gangbaren Annuitätentabellen zu Rate ziehn. Die "Parallelogramme des
Herrn Owen" scheinen die einzige Gesellschaftsform, die er außer der bürgerlichen kannte." (Karl
Marx,"Zur Kritik etc.", p.38, 39.[1*])
[1*] Siehe Band 13 unserer Ausgabe, S.46
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zieren, Lama zähmen, fischen jagen usw. Vom Beten u. dgl. sprechen wir hier nicht, da unser Robinson
daran sein Vergnügen findet und derartige Tätigkeit als Erholung betrachtet. Trotz der Verschiedenheit
seiner produktiven Funktionen weiß er, daß sie nur verschiedne Betätigungsformen desselben Robinson,
slso nur verschiedne Weisen menschlicher Arbeit sind. Die Not selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwi-
schen seinen verschiednen Funktionen zu verteilen. Ob die eine mehr, die andre weniger Raum in seiner
Gesamttätigkeit einnimmt, hängt ab von der größeren oder geringeren Schwierigkeit, die zur Erzielung
des bezweckten Nutzeffekts zu überwinden ist. Die Erfahrung lehrt ihn das, und unser Robinson, der Uhr,
Hauptbuch, Tinte und Feder aus dem Schiffbruch gerettet, beginnt als guter Engländer bald Buch über
sich selbst zu führen. Sein Inventarium enthält ein Verzeichnis der Gebrauchsgegenstände, die er besitzt,
der verschiednen Verrichtungen, die zu ihrer Produktion erheischt sind, endlich der Arbeitszeit, die ihm
bestimmte Quanta dieser verschiednen Produkte im Durchschnitt kosten. Alle Beziehungen zwischen
Robinson und den Dingen, die seinen selbstgeschaffnen Reichtum bilden, sind hier so einfach und durch-
sichtig, daß selbst Herr M. Wirth sie ohne besondre Geistesanstrengung verstehn dürfte. Und dennoch
sind darin alle wesentlichen Bestimmungen des Werts enthalten.
Versetzen wir uns nun von Robinsons lichter Insel in das finstre europäische Mittelalter. Statt des unab-
hängigen Mannes finden wir hier jedermann abhängig – Leibeigne und Grundherrn, Vasallen und Lehns-
geber, Laien und Pfaffen. Persönliche Abhängigkeit charakterisiert ebensosehr die gesellschatlichen Ver-
hältnisse der materiellen Produktion als die auf ihr aufgebauten Lebenssphären. Aber eben weil persönli-
che Abhängigkeitsverhältnisse die gegebne gesellschaftliche Grundlage bilden, brauchen Arbeiten und
Produkte nicht eine von ihrer Realität verschiedne phantastische Gestalt anzunehmen. Sie gehn als Natu-
raldienste und Naturalleistungen in das gesellschaftliche Getriebe ein. Die Naturalform der Arbeit, ihre
Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der Warenproduktion, ihre Allgemeinheit, ist hier ihre un-
mittelbar gesellschaftliche Form. Die Fronarbeit ist ebensogut durch die Zeit gemessen wie die Waren
produzierende Arbeit, aber jeder Leibeigne weiß, daß es ein bestimmtes Quantum seiner persönlichen
Arbeitskraft ist, die er im Dienst seines Herrn verausgabt. Der demPfaffen zu leistende Zehnten ist klarer
als der Segen des Pfaffen. Wie man daher immer die Charaktermasken beurteilen mag, worin sich die
Menschen hier gegenübertreten, die gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten er-
scheinen jedenfalls als ihre eignen persönlichen
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Verhältnisse und sind nicht verkleidet in gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen, der Arbeitsprodukte.
Für die Betrachtung gemeinsamer, d. h. unmittelbar vergesellschafteter Arbeit brauchen wir nicht zurück-
zugehn zu der naturwüchsigen Form derselben, welche uns an der Geschichtsschwelle aller Kulturvölker
begegnet[30]. Ein näherliegendes Beispiel bildet die ländlich patriarchalische Industrie einer Bauernfa-
milie, die für den eignen Bedarf Korn, Vieh, Garn, Leinwand, Kleidungsstücke usw. produziert. Diese
verschiednen Dinge treten der Familie als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegenüber, aber
nicht sich selbst wechselseitig als Waren. Die verschiednen Arbeiten, welche diese Produkte erzeugen,
Ackerbau, Viehzucht, Spinnen, Weben, Schneiderei usw. sind in ihrer Naturalform gesellschaftliche
Funktionen, weil Funktionen der Familie, die ihre eigne, naturwüchsige Teilung der Arbeit besitzt so gut
wie die Warenproduktion. Geschlechts – und Altersunterschiede wie die mit dem Wechsel der Jahreszeit
wechselnden Naturbedingungen der Arbeit regeln ihre Verteilung unter die Familie und die Arbeitszeit
der einzelnen Familienglieder. Die durch die Zeitdauer gemeßne Verausgabung der individuellen Ar-
beitskräfte erscheint hier aber von Haus aus als gesellschaftliche Bestimmung der Arbeiten selbst, weil
die individuellen Arbeitskräfte von Haus aus nur als Organe der gemeinsamen Arbeitskraft der Familie
wirken.
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Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen
Produktionsmitteln arbeiten und ihre Arbeitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinsons Ar-
beit wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell. Alle Produkte Robinsons
[30] Note zur 2. Ausgabe."Es ist ein lächerliches Vorurteil in neuester Zeit verbreitet, daß die
Form des naturwüchsigen Gemeineigentums spezifische, sogar ausschließlich russische Form sei.
Sie ist die Urform, die wir bei Römern, Germanen, Kelten nachweisen können, von der aber eine
ganze Musterkarte mit mannigfachen Proben sich noch immer, wenn auch zum Teil ruinenweise,
bei den Indiern vorfindet. Ein genaueres Studium der asiatischen, speziell der indischen Gemein-
eigentumsformen würde nachweisen, sie aus den verschiednen Formen des naturwüchsigen Ge-
meineigentums sich verschiedne Formen seiner Auflösung ergeben. So lassen sich z. B. die ver-
schiednen Originaltypen von römischem und germanischem Privateigentum aus verschiednen
Formen des indischen Gemeineigentums ableitn."(Karl Marx,"Zur Kritik etc.", p. 10.[1*])
[1*] Siehe Band 13 unserer Ausgabe, S.21
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waren sein ausschließlich persöniches Produkt und daher unmittelbar Gebrauchsgegenstände für ihn. Das
Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als
Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird als Lebensmittel von den Ve r-
einsgiedern verzehrt. Er muß daher unter sie verteilt werden. Die Art dieser Verteilung wird wechseln mit
der besondren Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und der entsprechenden ge-
schichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten. Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzten wir
voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Ar-
beitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die
richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits
dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und
daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehun-
gen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der
Produktion aowohl als in der Distribution.
Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis
darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werten, zu verhalten und in dieser sachlichen
Form ihre Privatarbeiten aufeinander zu beziehn als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum mit
seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestan-
tismus, Deismus usw., die entsprechendste Religionsform. In den altasiatischen, antiken usw. Produkti-
onsweisen spielt die Verwandlung des Produkts in Ware, und daher das Dasein der Menschen als Waren-
produzenten, eine untergeordnete Rolle, die jedoch um so bedeutender wird, je mehr die Gemeinwesen in
das Stadium ihres Untergangs treten. Eigentliche Handelsvölker existieren nur in den Intermundien der
alten Welt, wie Epikurs Götter[30] oder wie Juden in den Poren der polnischen Gesellschaft. Jene alten
gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind außerrodentlich viel einfacher und durchsichtiger als der
bürgerliche, aber sie beruhen entweder auf der Unreife des indeividuellen Menschen, der sich von der
Nabelschnur des natürlichen Gattungszusammenhangs mit andren noch nicht losgerissen hat, oder auf
unmittelbaren Herrschats- und Knechtschaftsverhältnissen. Sie sind bedingt durch eine niedrige Ent-
wicklungsstufe der Produktivkräfte der Arbeit und entsprechend befangene Verhältnisse der Menschen
innerhalb ihres materiellen Lebenserzeugungsprozesses, daher zueinander und zur Natur.
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Diese wirkliche Befangenheit spiegelt sich ideell wider in den alten Natur- und Volksreligionen. Der reli-
giöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des
praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernüngtige Beziehungen zueinander
und zur Natur darstellen. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d. h. des materiellen Pro-
duktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesell-
schafteter Menschen unter deren bewußter planmäßiger Kontrolle steht. Dazu ist jedoch eine materielle