Rudolf steiner



Yüklə 2,15 Mb.
səhifə12/33
tarix02.01.2018
ölçüsü2,15 Mb.
#19355
1   ...   8   9   10   11   12   13   14   15   ...   33
209

unseres Wirkens. Ihm gegenüber steht derjenige, wo wir uns in


diese Gesetze vollkommen einleben. Das ist das freie Gebiet.
Sofern unser Leben ihm angehört, ist es allein als sittliches zu be-
zeichnen. Die Verwandlung des ersten Gebietes in ein solches mit
dem Charakter des zweiten ist die Aufgabe jeder individuellen
Entwickelung, wie auch jener der ganzen Menschheit.

Das wichtigste Problem alles menschlichen Denkens ist das:


den Menschen als auf sich selbst gegründete, freie Persönlichkeit
zu begreifen.

Goethes Anschauungen entspricht die grundsätzliche Trennung


von Natur und Geist nicht; er will in der Welt nur ein großes
Ganzes erblicken, eine einheitliche Entwickelungskette von Wesen,
innerhalb welcher der Mensch ein Glied, wenn auch das höchste,
bildet. «Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen -
unvermögend, aus ihr herauszutreten, und unvermögend, tiefer in
sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in
den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis
wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.» Damit vergleiche
man den schon erwähnten Ausspruch: «Wenn die gesunde Natur
des Menschen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als
in einem großen, schönen, würdigen und werten Ganzen fühlt,
wenn das harmonische Behagen ihm ein reines, freies Entzücken
gewährt: dann würde das Weltall, wenn es sich selbst empfinden
könnte, als an sein Ziel gelangt, aufjauchzen und den Gipfel des
eigenen Werdens und Wesens bewundern.» Hierin liegt das echt
Goethesche weite Hinausgehen über die unmittelbare Natur, ohne
sich auch nur im geringsten von dem zu entfernen, was das Wesen
der Natur ausmacht. Fremd ist ihm, was er selbst bei vielen be-
sonders begabten Menschen findet: «Die Eigenheit, eine Art von
Scheu vor dem wirklichen Leben zu empfinden, sich in sich selbst
zurückzuziehen, in sich selbst eine eigene Welt zu erschaffen und
auf diese Weise das Vortrefflichste nach innen bezüglich zu lei-
sten.» (Winckelmann: Eintritt.) Goethe flieht die Wirklichkeit
nicht, um sich eine abstrakte Gedankenwelt zu schaffen, die nichts

210


mit jener gemein hat; nein, er vertieft sich in dieselbe, um in
ihrem ewigen Wandel, in ihrem Werden und Bewegen, ihre un-
wandelbaren Gesetze zu finden, er stellt sich dem Individuum
gegenüber, um in ihm das Urbild zu erschauen. So erstand in
seinem Geiste die Urpflanze, so das Urtier, die ja nichts anderes
sind als die Ideen des Tieres und der Pflanze. Das sind keine
leeren Allgemeinheitsbegriffe, die einer grauen Theorie angehö-
ren, das sind die wesentlichen Grundlagen der Organismen mit
einem reichen, konkreten Inhalt, lebensvoll und anschaulich. An-
schaulich für jenes höhere Anschauungsvermögen, das Goethe in
dem Aufsatze über «Anschauende Urteilskraft» bespricht. Die
Ideen im Goetheschen Sinne sind ebenso objektiv wie die Farben
und Gestalten der Dinge, aber sie sind nur für den wahrnehmbar,
dessen Fassungsvermögen dazu eingerichtet ist, so wie Farben und
Formen nur für den Sehenden und nicht für den Blinden da sind.
Wenn wir dem Objektiven eben nicht mit einem empfänglichen
Geiste entgegenkommen, enthüllt es sich nicht vor uns. Ohne das
instinktive Vermögen, Ideen wahrzunehmen, bleiben uns diese im-
mer ein verschlossenes Feld. Tiefer als jeder andere hat hier Schil-
ler in das Gefüge des Goetheschen Genius geschaut.

Am 23. August 1794 klärt er Goethe über das Wesen, das


seinem Geiste zugrunde liegt, mit folgenden Worten auf: «Sie
nehmen die ganze Natur zusammen, um über das Einzelne Licht
zu bekommen; in der Allheit ihrer Erscheinungsarten suchen Sie
den Erklärungsgrund für das Individuum auf. Von der einfachen
Organisation steigen Sie, Schritt vor Schritt, zu der mehr verwik-
kelten hinauf, um endlich die verwickeltste von allen, den Men-
schen, genetisch aus den Materialien des ganzen Naturgebäudes zu
erbauen. Dadurch, daß Sie ihn der Natur gleichsam nacherschaf-
fen, suchen Sie in seine verborgene Technik einzudringen.» In
diesem Nacherschaffen liegt ein Schlüssel zum Verständnis der
Weltanschauung Goethes. Wollen wir wirklich zu dem Gesetz-
mäßigen im ewigen Wechsel aufsteigen, dann dürfen wir nicht
das fertig Gewordene betrachten, wir müssen die Natur im Schaf-
fen belauschen. Das ist der Sinn der Goetheschen Worte in dem
Aufsatz «Anschauende Urteilskraft»: «Wenn wir ja im Sittlichen

211

durch Glauben an Gott, Tugend und Unsterblichkeit uns in eine


obere Region erheben und an das erste Wesen annähern sollen, so
dürfte es wohl im Intellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns
durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur zur gei-
stigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten. Hatte
ich doch ... auf jenes Urbildliche, Typische rastlos gedrungen.»
Die Goetheschen Urbilder sind also nicht leere Schemen, sondern
sie sind die treibenden Kräfte der Erscheinungen.

Das ist die «höhere Natur» in der Natur, der sich Goethe be-


mächtigen will. Wir sehen daraus, daß in keinem Falle die Wirk-
lichkeit, wie sie vor unseren Sinnen ausgebreitet daliegt, etwas ist,
bei dem der auf höherer Kulturstufe angelangte Mensch stehen-
bleiben kann. Nur indem der Menschengeist diese Wirklichkeit
denkend durchdringt, wird ihm offenbar, was diese Welt im
Innersten zusammenhält. Nimmermehr können wir am einzelnen
Naturgeschehen, nur am Naturgesetze, nimmermehr am einzelnen
Individuum, nur an der Allgemeinheit Befriedigung finden. Bei
Goethe kommt diese Tatsache in der denkbar vollkommensten
Form vor. Was auch bei ihm stehenbleibt, ist die Tatsache, daß
für den modernen Geist die Wirklichkeit, die bloße Erfahrung
durch das Denken zur Versöhnung mit den Bedürfnissen des er-
kennenden Menschengeistes kommt.

Mit Goethes Stellung zur Natur hängt seine Religion auf das


Innigste zusammen. Man möchte sagen, seine Naturbegriffe waren
so hohe, daß sie ihn durch sich selbst in religiöse Stimmung ver-
setzten. Er kennt das Bedürfnis nicht: die Dinge unter Abstrei-
fung eines jeglichen Heiligen zu sich herabzuziehen, das so viele
haben. Er hat aber dem Wirklichen, Diesseitigen gegenüber das
Bedürfnis, in ihm ein Verehrungswürdiges zu suchen, demgegen-
über er in religiöse Stimmung gerät. Den Dingen selbst sucht er
eine Seite abzugewinnen, wodurch sie ihm heilig werden. Karl
Julius Schröer hat in Goethes Verhalten in der Liebe diese ans
Religiöse grenzende Stimmung gezeigt (vgl. dessen geistvolle

212


Schrift «Goethe und die Liebe», Heilbronn 1884). Alles Frivole,
Leichtfertige wird abgestreift, und die Liebe wird für Goethe ein
Frommsein. Dieser Grundzug seines Wesens ist am schönsten in
seinen Worten ausgesprochen:

«In unsers Busens Reine wogt ein Streben,


Sich einem Höhern, Reinem, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben.

Wir heißen's: fromm sein!»

Diese Seite seiner Natur ist nun unzertrennlich mit einer ändern
in Verbindung. Er sucht an dieses Höhere nie unmittelbar heran-
zutreten; er sucht sich ihm immer durch die Natur zu nähern.
«Das Wahre ist gottähnlich; es erscheint nicht unmittelbar, wir
müssen es aus seinen Manifestationen erraten» (Sprüche in Prosa).
Neben dem Glauben an die Idee hat Goethe auch den ändern,
daß wir die Idee durch Betrachtung der Wirklichkeit gewinnen;
es fällt ihm nicht ein, die Gottheit anderswo zu suchen als in den
Werken der Natur, aber diesen sucht er überall ihre göttliche
Seite abzugewinnen. Wenn er in seiner Knabenzeit dem großen
Gotte, der «mit der Natur in unmittelbarer Verbindung steht»
(Dichtung und Wahrheit, I.Teil, I.Buch), einen Altar errichtet,
so entspringt dieser Kultus schon entschieden aus dem Glauben,
daß wir das Höchste, zu dem wir gelangen können, durch treues
Pflegen des Verkehrs mit der Natur gewinnen. So ist denn Goethe
die Betrachtungsweise angeboren, die wir erkenntnistheoretisch
gerechtfertigt haben. Er tritt an die Wirklichkeit heran in der
Überzeugung, daß alles nur eine Manifestation der Idee ist, die
wir erst gewinnen, wenn wir die Sinneserfahrung in geistiges An-
schauen der ewigen, ursachlichen Notwendigkeit hinaufheben.
Diese Überzeugung lag in ihm; und er betrachtete von Jugend auf
die Welt auf Grund dieser Voraussetzung. Kein Philosoph konnte
ihm diese Überzeugung geben. Nicht das ist es also, was Goethe
bei den Philosophen suchte. Es war etwas anderes. Wenn seine
Weise, die Dinge zu betrachten, auch tief in seinem Wesen lag,

213


so brauchte er doch eine Sprache, sie auszudrücken. Sein Wesen
wirkte philosophisch, das heißt so, daß es sich nur in philosophi-
schen Formeln aussprechen, nur von philosophischen Voraus-
setzungen aus rechtfertigen läßt. Um nun das, was er war, auch
sich deutlich zum Bewußtsein zu bringen, um das, was bei ihm
lebendiges Tun war, auch zu wissen, sah er sich bei den Philo-
sophen um. Er suchte bei ihnen eine Erklärung und Rechtferti-
gung seines Wesens. Das ist sein Verhältnis zu den Philosophen.
Zu diesem Zwecke studierte er in der Jugend Spinoza und ließ
sich später mit den philosophischen Zeitgenossen in wissenschaft-
liche Verhandlungen ein. Schon in seinen Jünglingsjahren schie-
nen dem Dichter am meisten Spinoza und Giordano Bruno sein
eigenes Wesen auszusprechen. Es ist merkwürdig, daß er beide
Denker zuerst aus gegnerischen Schriften kennenlernte und trotz
dieses Umstandes erkannte, wie ihre Lehren zu seiner Natur stehen.
Besonders an seinem Verhältnis zu Giordano Brunos Lehren sehen
wir das Gesagte erhärtet. Er lernt ihn aus Bayles Wörterbuch, wo
Bruno heftig angegriffen wird, kennen. Und er erhält von ihm
einen so tiefen Eindruck, daß wir in jenen Teilen des «Faust», die
der Konzeption nach aus der Zeit um 1770 stammen, wo er Bayle
las, sprachliche Anklänge an Sätze von Bruno finden (s. Goethe-
Jahrbuch, VII. Band, 1886). In den «Tag- und Jahresheften» er-
zählt der Dichter, daß er sich wieder 1812 mit Giordano Bruno
beschäftigt habe. Auch diesmal ist der Eindruck ein gewaltiger,
und in vielen der nach diesem Jahre entstandenen Gedichte erken-
nen wir Anklänge an den Philosophen von Nola. Das alles ist
aber nicht so zu nehmen, als ob Goethe von Bruno irgend etwas
entlehnt oder gelernt hätte, er fand bei ihm nur die Formel, das,
was längst in seiner Natur lag, auszusprechen. Er fand, daß er
sein eigenes Innere am klarsten darlege, wenn er es mit den Wor-
ten dieses Denkers tat. Bruno betrachtet die universelle Weltseele
als die Erzeugerin und Lenkerin des Weltalls. Er nennt sie den
innern Künstler, der die Materie formt und von innen heraus
gestaltet. Sie ist die Ursache von allem Bestehenden; und es gibt
kein Wesen, an dessen Sein sie nicht liebevoll Anteil nähme. «Das
Ding sei noch so klein und winzig, es hat in sich einen Teil von

214


geistiger Substanz» (s. Giordano Bruno, «Von der Ursache etc.»,
herausgegeben von Adolf Lasson, Heidelberg 1882). Das war ja
auch Goethes Ansicht, daß wir ein Ding erst zu beurteilen wissen,
wenn wir sehen, wie es von der ewigen Harmonie der Natur-
gesetze — und nichts anderes als diese ist ihm die Weltseele — an
seinen Ort gestellt worden, wie es gerade zu dem geworden ist,
als was es uns gegenübertritt. Wenn wir mit den Sinnen wahr-
nehmen, so genügt das nicht; denn die Sinne sagen uns nicht, wie
ein Ding mit der allgemeinen Weltidee zusammenhängt, was es
für das große Ganze zu bedeuten hat. Da müssen wir so schauen,
daß uns unsere Vernunft einen ideellen Untergrund schafft, auf dem
uns dann das erscheint, was uns die Sinne überliefern; wir müs-
sen, wie es Goethe ausdrückt, mit den Augen des Geistes schauen.
Auch um diese Überzeugung auszusprechen, fand er bei Bruno
eine Formel: «Denn wie wir nicht mit einem und demselben Sinn
Farben und Töne erkennen, so sehen wir auch nicht mit einem
und demselben Auge das Substrat der Künste und das Substrat der
Natur», weil wir «mit den sinnlichen Augen jenes und mit dem
Auge der Vernunft dieses sehen» (s. Lasson, S. 77). Und mit
Spinoza ist es nicht anders. Spinozas Lehre beruht ja darauf, daß
die Gottheit in der Welt aufgegangen ist. Das menschliche Wis-
sen kann also nur bezwecken, sich in die Welt zu vertiefen, um
Gott zu erkennen. Jeder andere Weg, zu Gott zu gelangen, muß
für einen konsequent im Sinne des Spinozismus denkenden Men-
schen unmöglich erscheinen.

Der Gedanke eines Gottes, der außerhalb der Welt ein ab-


gesondertes Dasein führt und seine Schöpfung nach äußerlich auf-
gedrängten Gesetzen lenkte, war ihm fremd. Sein ganzes Leben
hindurch beherrschte ihn der Gedanke:

«Was wär' ein Gott, der nur von außen stieße,


Im Kreis das All am Finger laufen ließe?
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
So daß, was in ihm lebt und webt und ist,
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.»

215


Was mußte Goethe, dieser Gesinnung gemäß, in der Wissen-
schaft der organischen Natur suchen? Erstens ein Gesetz, welches
erklärt, was die Pflanze zur Pflanze, das Tier zum Tiere macht,
zweitens ein anderes, das begreiflich macht, warum das Gemein-
same, allen Pflanzen und Tieren zugrunde Liegende, in einer sol-
chen Mannigfaltigkeit von Formen erscheint. Das Grundwesen,
das sich in jeder Pflanze ausspricht, die Tierheit, die in allen Tie-
ren zu finden ist, die suchte er zunächst. Die künstlichen Scheide-
wände zwischen den einzelnen Gattungen und Arten mußten
niedergerissen, es mußte gezeigt werden, daß alle Pflanzen nur
Modifikationen einer Urpflanze, alle Tiere eines Urtieres sind.

Ernst Haeckel, der den Darwinschen Ideen über die Entstehung


der Organismen eine der deutschen Gründlichkeit angemessene
Vervollkommnung hat angedeihen lassen, legt den größten Wert
darauf, daß der Einklang seiner Grundüberzeugungen mit den
Goetheschen erkannt werde. Auch bei Haeckel wird die Natur-
anschauung zur Grundlage der Religion. Die Naturerkenntnis teilt
sich dem Gefühl mit und lebt sich als religiöse Stimmung aus. Für
Haeckel ist die Frage Darwins nach dem Ursprünge der organi-
schen Formen sogleich zu der höchsten Aufgabe geworden, die
sich die Wissenschaft vom organischen Leben überhaupt stellen
kann, zu der vom Ursprünge des Menschen. Und er ist genötigt
gewesen, an Stelle der toten Materie der Physiker solche Natur-
prinzipien anzunehmen, mit denen man vor dem Menschen nicht
haltzumachen braucht. Haeckel hat in seiner Schrift: «Der Monis-
mus als Band zwischen Religion und Wissenschaft», und in sei-
nen «Welträtseln», die vor kurzem erschienen sind und welche
nach meiner Überzeugung die bedeutsamste Kundgebung der
neuesten Naturphilosophie sind, ausdrücklich betont, daß er sich
einen «immateriellen lebendigen Geist» ebensowenig denken könne
wie eine «tote geistlose Materie». Und ganz übereinstimmend
damit sind Goethes Worte, daß «die Materie nie ohne Geist, der
Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann».

216


Es gehört zu den interessantesten Tatsachen der deutschen Gei-
stesgeschichte, wie Schiller unter dem Einflüsse Goethes aus des-
sen Weltanschauung eine Ethik formt. Diese Ethik entspringt aus
einer künstlerisch-freiheitlichen Auffassung der Natur. Aber diese
Briefe werden vielfach von den systematisierenden Philosophen
nicht für genug wissenschaftlich genommen, und doch gehören
sie zu dem Bedeutendsten, was die Ästhetik und Ethik überhaupt
hervorgebracht haben. Schiller geht von Kant aus. Dieser Philo-
soph hat die Natur des Schönen in mehrfacher Hinsicht bestimmt.
Zuerst untersucht er den Grund des Vergnügens, das wir an den
schönen Werken der Kunst empfinden. Diese Lustempfindung
findet er ganz verschieden von jeder anderen. Vergleichen wir sie
mit der Lust, die wir empfinden, wenn wir es mit einem Gegen-
stande zu tun haben, dem wir etwas uns Nutzenbringendes verdan-
ken. Diese Lust ist eine ganz andere. Sie hängt innig mit dem Be-
gehren nach dem Dasein dieses Gegenstandes zusammen. Die Lust
am Nützlichen verschwindet, wenn das Nützliche selbst nicht
mehr ist. Das ist bei der Lust, die wir dem Schönen gegenüber
empfinden, anders. Diese Lust hat mit dem Besitze, mit der Exi-
stenz des Gegenstandes nichts zu tun. Sie haftet demnach gar
nicht am Objekte, sondern nur an der Vorstellung von demselben.
Während beim Zweckmäßigen, Nützlichen sogleich das Bedürfnis
entsteht, die Vorstellung in Realität umzusetzen, sind wir beim
Schönen mit dem bloßen Bilde zufrieden. Deshalb nennt Kant
das Wohlgefallen am Schönen ein von jedem realen Interesse un-
beeinflußtes, ein «interesseloses Wohlgefallen». Es wäre aber die
Ansicht ganz falsch, daß damit von dem Schönen die Zweck-
mäßigkeit ausgeschlossen sei. Das geschieht nur mit dem äußeren
Zwecke. Und daraus fließt die zweite Erklärung des Schönen: «Es
ist ein in sich zweckmäßig Geformtes, aber ohne einem äußeren
Zwecke zu dienen.» Nehmen wir ein anderes Ding der Natur
oder ein Produkt der menschlichen Technik wahr, dann kommt
unser Verstand und fragt nach Nutzen und Zweck. Und er ist
nicht eher befriedigt, bis seine Frage nach dem Wozu beantwortet
ist. Beim Schönen liegt das Wozu in dem Dinge selbst; und der
Verstand braucht nicht über dasselbe hinauszugehen. Hier setzt

217


nun Schiller an. Und er tut dies, indem er die Idee der Freiheit in
die Gedankenreihe hineinverwebt, in einer Weise, die der Men-
schennatur die höchste Ehre macht. Zunächst stellt Schiller zwei
unablässig sich geltend machende Triebe des Menschen einander
gegenüber. Der erste ist der sogenannte Stofftrieb oder das Be-
dürfnis, unsere Sinne der einströmenden Außenwelt offenzuhalten.
Da dringt ein reicher Inhalt auf uns ein, aber ohne daß wir selbst
auf seine Natur einen bestimmenden Einfluß nehmen könnten.
Mit unbedingter Notwendigkeit geschieht hier alles. Was wir wahr-
nehmen, wird von außen bestimmt; wir sind hier unfrei, unter-
worfen, wir müssen einfach dem Gebote der Naturnotwendigkeit
gehorchen. Der zweite ist der Formtrieb. Das ist nichts anderes
als die Vernunft, die in das wirre Chaos des Wahrnehmungs-
inhaltes Ordnung und Gesetz bringt. Durch ihre Arbeit kommt
System in die Erfahrung. Aber auch hier sind wir nicht frei, fin-
det Schiller. Denn bei dieser ihrer Arbeit ist die Vernunft den
unabänderlichen Gesetzen der Logik unterworfen. Wie dort unter
der Macht der Naturnotwendigkeit, so stehen wir hier unter der-
jenigen der Vernunftnotwendigkeit. Gegenüber beiden sucht die
Freiheit eine Zufluchtstätte. Schiller weist ihr das Gebiet der
Kunst an, indem er die Analogie der Kunst mit dem Spiel des
Kindes hervorhebt. Worin liegt das Wesen des Spieles? Es wer-
den Dinge der Wirklichkeit genommen und in ihren Verhältnis-
sen in beliebiger Weise verändert. Dabei ist bei dieser Umfor-
mung der Realität nicht ein Gesetz der logischen Notwendigkeit
maßgebend, wie wenn wir zum Beispiel eine Maschine bauen, wo
wir uns strenge den Gesetzen der Vernunft unterwerfen müssen,
sondern es wird einzig und allein einem subjektiven Bedürfnis
gedient. Der Spielende bringt die Dinge in einen Zusammenhang,
der ihm Freude macht, er legt sich keinerlei Zwang auf. Die
Naturnotwendigkeit achtet er nicht, denn er überwindet ihren
Zwang, indem er die ihm überlieferten Dinge ganz nach Willkür
verwendet; aber auch von der Vernunftnotwendigkeit fühlt er
sich nicht abhängig, denn die Ordnung, die er in die Dinge bringt,
ist seine Erfindung. So prägt der Spielende der Wirklichkeit seine
Subjektivität ein; und dieser letzteren hinwiederum verleiht er

218


objektive Geltung. Das gesonderte Wirken der beiden Triebe hat
aufgehört; sie sind in Eins zusammengeflossen und damit frei
geworden: das Natürliche ist ein Geistiges, das Geistige ein Natür-
liches. Schiller nun, der Dichter der Freiheit, sieht so in der Kunst
nur ein freies Spiel des Menschen auf höherer Stufe und ruft be-
geistert aus: «Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt,
... und er spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch
ist.» Den der Kunst zugrunde liegenden Trieb nennt Schiller den
Spieltrieb. Dieser erzeugt im Künstler Werke, die schon in ihrem
sinnlichen Dasein unsere Vernunft befriedigen und deren Ver-
nunftinhalt zugleich als sinnliches Dasein gegenwärtig ist. Und
das Wesen des Menschen wirkt auf dieser Stufe so, daß seine Na-
tur zugleich geistig und sein Geist zugleich natürlich wirkt. Die
Natur wird zum Geist erhoben, der Geist versenkt sich in die
Natur. Jene wird dadurch geadelt, dieser aus seiner unanschau-
lichen Höhe in die sichtbare Welt gerückt.

In Schillers «Briefen über die ästhetische Erziehung des Men-


schen» — in diesem Evangelium der von den Schranken sowohl
des Naturzwanges wie der logischen Vernunftnotwendigkeit befrei-
ten
Menschlichkeit - lesen wir die ethische und religiöse Physio-
gnomie Goethes. Man darf diese Briefe als die aus allseitiger per-
sönlicher Beobachtung geschöpfte Goethe-Psychologie bezeichnen.
«Lange schon habe ich, obgleich aus ziemlicher Ferne, dem Gang
Ihres Geistes zugesehen und den Weg, den Sie sich vorgezeichnet
haben, mit immer erneuter Bewunderung bemerkt.» So schreibt
Schiller an Goethe am 23. August 1794. Wodurch Goethe zur
Harmonie seiner Geisteskräfte gelangt ist, das konnte Schiller am
besten beobachten Unter dem Eindruck dieser Beobachtungen
entstehen die genannten Briefe. Wir dürfen sagen, daß Goethe zu
dem «ganzen Menschen, der spielend die Vollkommenheit er-
reicht», Modell gesessen hat. Nun schreibt Schiller in dem Briefe,
der die angeführten Worte enthält: «Wären Sie als ein Grieche,
ja nur als ein Italiener geboren worden, und hätte schon von der

219


Wiege an eine auserlesene Natur und eine idealisierende Kunst
Sie umgeben, so wäre Ihr Weg unendlich verkürzt, vielleicht ganz
überflüssig gemacht worden. Schon in die erste Anschauung der
Dinge hätten Sie dann die Form des Notwendigen aufgenom-
men, und mit Ihren ersten Erfahrungen hätte sich der große Stil
in Ihnen entwickelt. Nun, da Sie ein Deutscher geboren sind, da
Ihr griechischer Geist in diese nordische Schöpfung geworfen
wurde, so blieb Ihnen keine andere Wahl, als entweder selbst zum
nordischen Künstler zu werden oder Ihrer Imagination das, was
ihr die Wirklichkeit vorenthielt, durch Nachhilfe der Denkkraft
zu ersetzen, um so gleichsam von innen heraus und auf einem
rationalen Wege ein Griechenland zu gebären.» Da von Goethe
solches gilt, begreift man es, daß er die innigste Befriedigung
seines Wesens empfand, als er vor den griechischen Kunstwerken,
auf seiner italienischen Reise, sich sagen konnte, er fühle, daß die
Griechen bei Produktion ihrer Kunstwerke nach denselben Ge-
setzen verfuhren, nach denen die Natur selbst verfährt und denen
er auf der Spur ist. Und daß er in diesen Kunstwerken das findet,
was er die «höhere Natur» in der Natur nannte. Er sagt sich die-
sen Geschöpfen menschlichen Geistes gegenüber: «Da ist die Not-
wendigkeit, da ist Gott.»

Naturdienst ist Goethes Gottesdienst. Er kann Gottes Spuren


nirgends anders finden als da, wo Natur im Schaffen waltet. Er
vermag daher auch über sein Verhältnis zum Christentum nicht
anders zu sprechen, als indem er seine in der Naturanschauung
aufgehende Denkweise scharf mitbetont. «Fragt man mich, ob es
in meiner Natur sei, Christo anbetende Ehrfurcht zu erweisen, so
sage ich: Durchaus! Ich beuge mich vor ihm, als der göttlichen
Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit. Fragt man
mich, ob es in meiner Natur sei, die Sonne zu verehren, so sage
ich abermals: Durchaus! Denn sie ist gleichfalls eine Offenbarung
des Höchsten, und zwar die mächtigste, die uns Erdenkindern
wahrzunehmen vergönnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die
zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und sind,
und alle Pflanzen und Tiere mit uns. Fragt man mich aber, ob ich
geneigt sei, mich vor einem Daumenknochen des Apostels Petri

220


oder Pauli zu bücken, so sage ich: Verschont mich und bleibt mir
mit euren Absurditäten vom Leibe.»

Über Goethes Stellung zum Christentum ist schon alles mög-


liche gesagt worden. Von der Behauptung des Kirchenhistorikers
Nippold, der von ihm meint, er habe entschieden die «christliche
Gottesidee» gewahrt, bis zu derjenigen des Jesuitenpaters Alex-
ander Baumgartner, der von Goethes «frech antichristlichem
Geist» spricht, ist ein weiter Weg. Es wird kaum eine Station
auf diesem Wege geben, auf der sich nicht irgendein Betrachter
von Goethes religiösen Anschauungen niedergelassen hat. Und
Aussprüche Goethes, durch die sich die eine oder die andere Be-
hauptung stützen läßt, werden den Herren immer zur Verfügung
stehen. Aber man sollte, wenn man solche Aussprüche Goethes
anzieht, immer das eine bedenken, was Goethe von sich gesagt
hat. «Ich für mich kann, bei den mannigfaltigen Richtungen mei-
nes Wesens, nicht an einer Denkweise genug haben; als Dichter
und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist hingegen als Natur-
forscher, und eins so entschieden als das andre. Bedarf ich eines
Gottes für meine Persönlichkeit, als sittlicher Mensch, so ist dafür
auch schon gesorgt.» Kann man sich, da Goethe solches selbst
gesagt hat, noch wundern, wenn uns von der einen Seite gesagt
wird: Goethe sei Bekenner eines persönlichen Gottes? Ein Goethe-
Interpret braucht nur den folgenden Ausspruch Goethes zu zitie-
ren, und er hat Goethe den Gläubigen der Persönlichkeit Gottes
konstruiert: «Nun gewann Blumenbach das Höchste und Letzte
des Ausdrucks, er anthropomorphosierte das Wort des Rätsels und
nannte das, wovon die Rede war, einen nisus formativus, einen
Trieb, eine heftige Tätigkeit, wodurch die Bildung — der Lebe-
wesen — bewirkt werden sollte... Dieses Ungeheure personifiziert
tritt uns als ein Gott entgegen, als Schöpfer und Erhalter, welchen
anzubeten, zu verehren und zu preisen wir auf alle Weise auf-
gefordert sind.»

Gefielen mir Taschenspielerkunststücke des Geistes, so würde


ich nacheinander die Beweise erbringen können, daß Goethe
Polytheist, Theist, Atheist, Christ und — was weiß ich — noch alles
gewesen ist. Doch mir scheint: es kommt nicht darauf an, Goethe

221


nach einem einzelnen Ausspruche zu interpretieren, sondern nach
dem ganzen Geist seiner Weltanschauung. Mit diesem Geiste hat
er sein ganzes Gefühlsleben durchdrungen; in diesem Geiste ist er
verfahren, als er die Gesetze der Natur zu erforschen trachtete
und auf diesem Gebiete zu wichtigen Entdeckungen gekommen
ist; aus diesem Geiste heraus hat er sein ganzes Verhalten gegen-
über der Kunst eingerichtet. In der Kunst hat er eine «Mani-
festation geheimer Naturgesetze» gesehen; und die Natur war ihm
die Offenbarung des einzigen Gottes, den er suchte. In diesem
Sinne ist ein Wort aufzufassen, wie dieses: «Gott!> Dies ist ein schönes, löbliches Wort; aber Gott anerken-
nen, wo und wie er sich offenbare, das ist eigentlich die Seligkeit
auf Erden» (Sprüche in Prosa). Und bedeutsam ist auch dies:
«Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, läßt sich niemals von
uns direkt erkennen, wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel,
Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden
es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch
nicht entsagen, es dennoch zu begreifen.» Aber Goethe gehörte
nicht zu denen, die in dem Wahren, dem Göttlichen das Große,
jenseitige Unbekannte sehen. Er nennt das Wesen der Dinge nicht
deshalb unbegreiflich, weil die menschliche Erkenntnis nicht bis
zu diesem Wesen hinanreicht, sondern weil es im Grunde absurd
ist, von einem Wesen an sich zu sprechen. «Eigentlich unterneh-
men wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wir-
kungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte die-
ser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges.
Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu
schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zu-
sammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.»
Man spricht wohl ganz in Goethes Sinn, wenn man hinzufügt:
Vergebens bemühen wir uns, das Wesen Gottes zu schildern; man
stelle dagegen die Erscheinungen der Natur und ihre Gesetze zu-
sammen, und ein Bild Gottes wird uns entgegentreten.

Von diesen Gesichtspunkten aus habe ich in meinem Buche


«Goethes Weltanschauung» dessen Vorstellungsart geschildert. Ich
habe die Ausgangspunkte, die eine solche Betrachtung zu nehmen

222


hat, mit den Worten bezeichnet: «Will man Goethes Welt-
anschauung verstehen, so darf man sich nicht damit begnügen,
hinzuhorchen, was er selbst in einzelnen Aussprüchen über sie
sagt. In kristallklaren Sätzen den Kern seines Wesens auszuspre-
chen, lag nicht in seiner Natur... Er ist immer ängstlich, wenn
es sich darum handelt, zwischen zwei Ansichten zu entscheiden.
Er will sich die Unbefangenheit nicht dadurch rauben, daß er
seinen Gedanken eine scharfe Richtung gibt... Wenn man den-
noch die Einheit seiner Anschauungen überschauen will, so muß
man weniger auf seine Worte hören als auf seine Lebensführung
sehen. Man muß sein Verhältnis zu den Dingen belauschen, wenn
er ihrem Wesen nachforscht, und dabei das ergänzen, was er selbst
nicht sagt. Man muß auf das Innerste seiner Persönlichkeit ein-
gehen, das sich zum größten Teile hinter seinen Äußerungen ver-
birgt. Was er sagt, mag sich oft widersprechen; was er lebt, gehört
immer einem widerspruchslosen Ganzen an.»

Wenn man sich in Goethes Persönlichkeit vertieft, dann kann


man erst seine Aussprüche in dem rechten Sinne bewerten. Am
notwendigsten wird solches, wenn von seinem Verhältnis zum
Christentum die Rede ist. Da, wo ihm das Christentum mit allen
seinen Schattenseiten entgegentritt, wie zum Beispiel in der Per-
son Lavaters, da spricht er sich unverhohlen aus. Er schreibt an
diesen (9. August 1782): «Du hältst das Evangelium, wie es steht,
für die göttlichste Wahrheit; mich würde eine vernehmliche
Stimme vom Himmel nicht überzeugen, daß das Wasser brennt
und das Feuer löscht, daß ein Weib ohne Mann gebiert und daß ein
Toter aufersteht; vielmehr halte ich dieses für Lästerungen gegen
den großen Gott und seine Offenbarung in der Natur... In mei-
nem Glauben ist es mir so heftig Ernst, wie dir in dem deinen.»
Und wenn er sich für das Christentum ausspricht, dann deutet er
dieses in seinem Sinne um. Nichts ist für diese seine Art umzu-
deuten bezeichnender als der Satz, in dem er den als Atheisten
verschrienen Spinoza zum Christen macht. «Spinoza beweist nicht
das Dasein Gottes, das Dasein ist Gott. Und wenn ihn andere des-
halb Atheum schelten, so möchte ich ihn theissimum, ja christia-
nissimum nennen und preisen.» Man darf dabei nur nicht verges-

223


sen, daß er sich selbst «wohl keinen Widerchristen oder Un-
christen, aber einen entschiedenen Nichtchristen» nennt.

Und wenn er sich vor sich selbst in entschiedener Weise die


volle Wahrheit vergegenwärtigen will, dann tut er es mit solchen
Distichen, wie sie sich in dem Tagebuch von der schlesischen
Reise (1790) finden, die es sind, welche dem Jesuitenpater Baum-
gartner solches Entsetzen vor dem «frechen antichristlichen Geist»
einjagten:

«Zum Erdulden ist's gut, ein Christ zu sein, nicht zu wanken:


Und so machte sich auch diese Lehre zuerst.»

«Was vom Christentum gilt, gilt von den Stoikern, freien


Menschen geziemet es nicht, Christ oder Stoiker sein.»

Eine scharfe Illustration erhalten diese Verse, wenn man sie


zusammenstellt mit den religiösen Empfindungen, die Goethe in
sich selbst fand:

«Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,


Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare,»

oder:


«Im Innern ist ein Universum auch,
Daher der Völker löblicher Gebrauch,
Daß jeglicher das Beste, was er kennt,
Er Gott, ja seinen Gott benennt,
Ihm Himmel und Erden übergibt,
Ihn fürchtet und womöglich liebt.»

224


II

GOETHES RECHT IN DER NATURWISSENSCHAFT

Eine Rettung

«Goethe hat im geistigen Leben Deutschlands gewirkt wie eine


gewaltige Naturerscheinung im Physischen gewirkt hätte.»

«... Der Vergleich läßt sich ziehen, daß Goethe auf die geistige


Atmosphäre Deutschlands gewirkt habe etwa wie ein tellurisches
Ereignis, das unsere klimatische Wärme um soundsoviel Grade er-
höhte. Geschähe dergleichen, so würde eine andere Vegetation, ein
anderer Betrieb der Landwirtschaft und damit eine neue Grund-
lage unserer gesamten Existenz eintreten.»

«Goethe hat unsere Sprache und Literatur geschaffen.»

Diese Sätze Herman Grimms (siehe dessen «Goethe-Vorlesun-
gen») drücken dasjenige aus, was in bezug auf Goethe mit jedem
Tag mehr die Überzeugung der gebildeten Welt wird. Goethe hat
unserer Epoche ihr Gepräge aufgedrückt. Dasjenige, was sie von
anderen Epochen in der geistigen Entwickelung der Menschheit
unterscheidet, ist zum weitaus größten Teile auf Goethe zurück-
zuführen.

In diesem Bilde hingebungsvollster Verehrung des großen


Genius sehen wir aber noch immer einen dunklen Punkt, der mit
der übrigen Helle desselben in störender Disharmonie steht. Er
betrifft die naturwissenschaftlichen Schriften Goethes.

Wohl ist man auch hier — den physikalischen Teil der Farben-


lehre ausgenommen, der heute noch als ein ungeheurer Irrtum gilt —
von der absoluten Zurückweisung abgekommen. Man ist heute
vielfach der Ansicht, daß Goethes Naturanschauung auf Ideen
ruhe, die auch die moderne Naturwissenschaft beherrschen. Ver-
gleicht man aber die Anerkennung dieser Richtung Goetheschen
Geistes mit der, die ihm auf anderen Gebieten gezollt wird, so fin-
det man, daß sie auf einer ganz anderen Basis ruht. Unsere Dich-
tung, unsere ästhetische Weltanschauung, ja, unser Stil sind das,
was sie heute sind, durch Goethe geworden. Er ist der Schöpfer

227


einer völlig neuen Zeitströmung; seine wissenschaftliche Richtung
aber wird nur als Prophetie einer neuen Epoche angesehen, die
letztere selbst ist durch andere geschaffen worden.

Der Grund dieser Tatsache wird darin gesucht, daß Goethe die


Prinzipien gefehlt hatten, welche die moderne Naturanschauung
zur wissenschaftlichen Überzeugung gemacht haben. Weil ihm
diese Prinzipien fehlten, sind seine Leistungen ohne Einfluß auf
die Gestaltung der neueren Wissenschaft geblieben. Diese wäre
heute das, was sie ist, auch wenn Goethe ihr seine Tätigkeit nie-
mals zugewendet hätte. Dasjenige, was in anderen Gebieten geisti-
gen Lebens die Grundlage der Anerkennung ist, die Schaffung
einer neuen Ära, wird auf dem Gebiete der Wissenschaft Goethe
nicht zugestanden.

Unter diesen Voraussetzungen schwindet aber der Wert von


Goethes wissenschaftlicher Tätigkeit in ein vollständiges Nichts
zusammen. Denn, das muß man sich doch wohl gestehen, daß eine
wissenschaftliche Anschauung nicht den geringsten Wert hat,
wenn ihr die Prinzipien fehlen, auf denen sie als auf einer festen
Grundlage ruhen könnte. Sie ist dann weiter nichts als eine An-
einanderreihung willkürlicher Annahmen, deren Macht, zu über-
zeugen, dahingestellt bleiben muß. Fehlen Goethes naturwissen-
schaftlichen Ansichten die Prinzipien, dann sind sie nicht zu hal-
ten, möge in ihnen noch so viel Zukunftvorahnendes liegen. Wis-
senschaft hat sich nicht auf zufällige Einfalle, sondern auf Grund-
sätze zu stützen.

Bevor man aber diese Annahme macht, sieht man sich zu der


Frage gedrängt: Wie ist die in sich unvollendete wissenschaftliche
Ansicht Goethes bei dem harmonischen Zusammenwirken aller
seiner geistigen Kräfte möglich, in dem doch heute überall eine
Vorbedingung seiner Sendung gesehen wird? Diese Frage ist
eigentlich noch nie mit aller Schärfe gestellt und noch weniger
der Versuch zu ihrer Beantwortung gemacht worden. Wer sie ein-
gehend erwägt, gelangt zu einer Ansicht über die Goethesche
naturwissenschaftliche Anschauung, die von der heute allgemein
geltenden weit verschieden ist. In diesem Zusammenhange darf
vielleicht hingewiesen werden auf die soeben erschienene Aus-

228


gabe der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes* in Spemanns
«Deutsche National-Literatur», in denen der Versuch gemacht
wird, Goethe aus sich selbst heraus zu erklären und seine Rechte
nachzuweisen. Professor Dr. K. J. Schröer hat in der Vorrede zu
dieser Ausgabe die Bedeutung eines solchen Umschwunges in der
Ansicht über Goethes wissenschaftliche Arbeiten für die Erkennt-
nis und Würdigung Goetheschen Wesens niedergelegt. Hier kann
ich mich wohl nur in aller Kürze über einen Hauptgesichtspunkt
aussprechen.

Wer von Wissenschaft nichts weiter verlangt, als daß sie eine


möglichst treue Photographie der Wirklichkeit liefere, der wird
allerdings über Goethes wissenschaftliche Methode nicht ins reine
kommen können. Allein man muß bedenken, daß die unmittelbar
gegebene Wirklichkeit Momente enthält, die den Forderungen
eines vernünftigen Zusammenhanges der Dinge nicht genügen.
Diese Momente lassen sich nicht auf Prinzipien zurückführen, sie
entspringen aus der in der Wirklichkeit enthaltenen Zufälligkeit.
Das ist auch der Grund, warum die Wirklichkeit unseren Geist so
wenig befriedigt, warum ideale Naturen so oft mit ihr in Konflikt
geraten. Goethe empfand das Unbefriedigende dieser Konflikte
mehr als irgend jemand. Gar oft spricht er über den «niederträch-
tigen» Zufall, der das zerstört, was sich aus einem Wesen mit
innerer Notwendigkeit entwickelt. Die Wirklichkeit der Zufällig-
keit ganz zu entkleiden und allein auf den ihr zugrunde liegenden
vernünftigen Kern loszugehen, ist seine künstlerische, ist aber auch
seine wissenschaftliche Sendung. «Das wirkliche Leben verliert oft
dergestalt seinen Glanz, daß man es manchmal mit dem Firnis der
Fiktion wieder auffrischen muß» («Dichtung und Wahrheit», II,
9. Buch), sagt Goethe und deutet dadurch seine poetische Sendung
an.** Dabei geht er aber auch nie in der Dichtung über das dem
Menschen Gegebene hinaus, so daß Merck zu ihm sagen konnte:
«Dein Bestreben, deine unablenkbare Richtung ist, dem Wirk-

* «Goethes naturwissenschaftliche Schriften», herausgegeben von Rudolf


Steiner, mit einem Vorworte von K. J. Schröer.

** K. J. Schröer: Ausgabe von Goethes Dramen, Band I, Spemanns


«Deutsche National-Literatur».

229


liehen eine poetische Gestalt zu geben; die ändern suchen das
sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das
gibt nichts wie dummes Zeug» («Dichtung und Wahrheit», IV,
18. Buch). Nichts liegt Goethe ferner als das willkürliche Erschaf-
fen leerer Hirngespinste, die nicht in der Wirklichkeit wurzeln.
Nur sucht er den allein für den Geist erreichbaren Kern dieser
Wirklichkeit, das innere Wesen derselben, das wir voraussetzen
müssen, wenn sie uns erklärlich sein soll.

Dieses Wesen zu fassen, dazu gehört Produktivität des Geistes.
Es ist noch mehr hierzu nötig als die Beobachtung der Zufälligkeit
einzelner Fälle. Die Gesetze gehören der Wirklichkeit an, aber wir
können sie aus ihr nicht entlehnen, wir müssen sie an der Hand
der Erfahrung schaffen. Allen Bahnbrechern auf dem Gebiete der
engeren Wissenschaft war dieses schöpferische Vermögen des
Geistes eigen. Die Erscheinungen der Pendelbewegung und des
Falles waren erst begreiflich, als Galilei die Gesetze dieser Erschei-
nungen geschaffen hatte. Wie Galilei die Mechanik durch seine
Gesetze begründet hat, so Goethe die Wissenschaft des Organi-
schen. Das ist sein wahres Verhältnis zur Wissenschaft. Goethes
Organik ist ebenso ein Reflex der Erscheinungen der organischen
Welt, wie die theoretische Mechanik der Reflex der mechanischen
Naturerscheinungen ist. Die organische Wissenschaft kann ins
Unendliche neue Tatsachen entdecken, selbst ihre wissenschaftliche
Grundlage erweitern, der Wendepunkt, an dem sie sich von einer
unwissenschaftlichen zu einer wissenschaftlichen Methode erhoben
hat, ist bei Goethe zu suchen.

Kein anderer als dieser Geist beherrscht aber auch das physika-


lische Kapitel, dem Goethes Bestrebungen zugewandt waren: die
Farbenlehre.
Nur von dieser Seite kommt man diesem merkwürdi-
gen Werke näher. Der Kampf gegen Newton war nur im Anfang
die Hauptsache für Goethe, war nur Ausgangspunkt, nicht Ziel
seiner optischen Arbeiten. Das Ziel war kein anderes als das, die
reiche Mannigfaltigkeit der Farbenwelt auf ein systematisches Gan-
zes zurückzuführen, so daß uns aus diesem Ganzen jedes Farben-
phänomen ebenso verständlich wird, wie es irgendein Zusammen-
hang von Raumgrößen aus dem System der Mathematik wird. Der

230


Jahrhunderte überdauernde, wohlgegliederte, sich selbst tragende
Bau der Mathematik stand Goethe bei dem Aufbau der Farben-
lehre als Ideal vor Augen. Wenn man dieses hohe Ziel übersieht
und den Streit mit Newton in den Vordergrund rückt, erweckt
man von vornherein nur Mißverständnisse. Denn es gewinnt die
Sache dann den Anschein, als ob Goethe gegen eine von Newton
gefundene Tatsache gekämpft hätte, während doch sein Streben
nichts anderes im Auge hatte, als eine sich selbst mißverstehende
Methode, eine hypothetische Erklärung einer Tatsache zu korri-
gieren. Daß so betrachtet der in Rede stehende Gegensatz eine
ganz andere Bedeutung gewinnt als die, die man ihm gewöhnlich
beilegt, wurde wiederholt von geistvollen Denkern wie Joh. Müller,
Karl Rosenkranz anerkannt. Newtons Behauptungen tragen eigent-
lich den Charakter des Aphoristischen an sich. Sie dehnen sich
bloß über einen Teil der Farbenlehre, über die bei der Brechung
des Lichtes entstehenden Farben aus. Sie modifizieren sich so-
gleich von selbst, wenn man sie in das System einfügt, das die
Totalität der Farbenerscheinungen behandelt. Was hier schwer
einzusehen ist, ist eigentlich nur, daß nicht Behauptung gegen
Behauptung steht, sondern ein Ganzes gegen ein einzelnes Kapi-
tel. In einer Harmonie hat man nicht bloß das Ganze aus seinen
Teilen mechanisch zusammenzufügen, sondern es werden auch die
Teile durch die Natur des Ganzen bestimmt.

Wer Goethes Naturanschauung nähertritt, findet, daß sie mit


allen übrigen Zweigen seines Schaffens eines Ursprunges ist. Man
kann sagen: bei seiner Geistesrichtung war nur diese Anschauung
möglich, und hinwiederum: seine poetische Sendung setzte eine
solche Naturanschauung voraus, wie er sie hatte. Die Prinzipien
Goethescher Naturanschauung liegen da, wo die Grundlagen sei-
ner Kunst liegen.

Nur wer diese Zusammenhänge verkennt, kann Goethes Natur-


lehre eine prinzipienlose nennen. Sie hat aber den Schlüssel zu
ihrem Verständnis in Goethes Wesen und trägt die Garantie ihrer
Wahrheit in sich selbst. Nicht durch später gefundene Gesetze,
durch die in ihr selbst liegende Kraft muß es ihr gelingen, dem
Wissenschafts-Bedürfnis der Menschheit zu genügen. Ob dies

231


wirklich einmal der Fall sein und ob es ihr doch einmal gegönnt
sein wird, auf die Entwickelung des menschlichen Geistes einen
fruchtbareren Einfluß auszuüben, als dies bisher der Fall war,
bleibt natürlich der Zukunft anheimgestellt.

EIN FREIER BLICK IN DIE GEGENWART

Es war im Beginne dieses Jahrhunderts, als inmitten des deut-
schen Volkes ein mächtiges Geistesstreben entstand und durch die
Kraft des menschlichen Denkens in die tiefsten Geheimnisse des
Weltenbaues einzudringen suchte. Es bildete sich eine ursprüng-
liche Wissenschaft heraus, die sich von jeder praktischen Betäti-
gung emanzipierte und in den höchsten Sphären des Idealismus
schwebend nur die Bedürfnisse des Geistes befriedigen wollte. Es
war der tiefernste, von sittlichem Hochsinn durchtränkte deutsche
Zug, der dieses Streben beseelte.

Wenn wir die deutsche Poesie aus jener Zeit ins Auge fassen,


so müssen wir sagen, auch sie ist erfüllt von jenem Zaubersaft,
der den deutschen Denkern aus dem Streben nach der innigsten
Verbrüderung mit dem Weltgeiste erquoll. Das Forschen wie das
künstlerische Schaffen, beide hatten in dieser Hinsicht einen
religiösen Zug, weil sie die erste Grundbedingung der Religion
erfüllten, den Menschen hinwegzuheben aus dem Alltäglichen und
Gewöhnlichen in eine höhere, rein geistige Region.

Es war ein Brechen mit alten Traditionen, aber es war ein Bre-


chen anderer Art als das fast gleichzeitige der Französischen Revo-
lution. Die Deutschen bäumten sich gegen das Althergebrachte,
gegen die überlebten Formen der Religion, Kunst und Wissen-
schaft auf, weil sich eine neue Welt in ihrem Innern erschloß, weil
das Echte, die innere Wahrheit, den Schein verdrängte. Bei den
Franzosen war es denn doch nichts anderes als der klügelnde Ver-
stand, die Leerheit der Aufklärer, denen das Alte nicht genügte,
und gerade deshalb schlägt die Liberalität der Franzosen so leicht
in Frivolität um.

232


Diese Kulturhöhe, auf der die Deutschen einst standen, er-
scheint uns heute nur mehr als ein Gewesenes, wir Jüngern blicken
mit Wehmut auf jene bessere Zeit zurück; scheint uns ja doch
fast nichts anderes als die wenig tröstliche Aufgabe geblieben zu
sein, die Totengräber und Denkmalsetzer jener großen Geister zu
sein, die die gewaltige Epoche herbeiführten.

Was bringen wir zustande, was sich mit jenen Leistungen auch


nur im entferntesten messen könnte? Die Kraft, Ursprüngliches
zu schaffen, scheint längst dahingeschwunden zu sein und unsere
ganze Kunst darin zu bestehen, Biographien unserer großen
Ahnen und Kommentare ihrer Werke zu schaffen. Wo ist die
deutsche Kraft, die einst Lessing, Schiller, Goethe, Fichte, Schel-
ling, Hegel, Jean Paul zeugte?

Es könnte fast scheinen, als ob der mächtige germanische Riese


inmitten Europas schliefe. Aber bei schärferem Zusehen weicht
das düstere Bild einem noch immer höchst erfreulichen, und wir
gewinnen die Überzeugung, daß wir doch auch an der Gegenwart
durchaus nicht zu verzweifeln brauchen, sondern in vieler Hinsicht
ihrer froh sein können.

Wenn wir das Geistesleben Europas ins Auge fassen, so gleicht


es einem System von Fäden, die vielfach verschlungen sind, wir
mögen aber welchen immer dieser Fäden verfolgen, so kommen
wir doch auch heute nach Deutschland als dem Kreuzungspunkte,
in dem sich alle treffen. Das wissenschaftliche, künstlerische und
wirtschaftlich-soziale Leben Europas ist ein Zusammenhang von
Kräften, die sämtlich in Deutschland ihr Zentrum haben.

Wenn wir die Wahrheit dieses Satzes erweisen wollen, so brau-


chen wir uns bloß an zweierlei Interessen zu halten, das eine be-
herrscht das wissenschaftliche, das andere das wirtschaftlich-soziale
Streben der Gegenwart.

Mit dem ersten Punkte meinen wir den Darwinismus, die natur-


wissenschaftliche Lehre, daß alle jetzt lebenden Tierformen nur
Abkömmlinge einiger oder einer einzigen Grundform sind, die
sich im Laufe sehr langer Zeiträume vervollkommnet hat, und daß
der Mensch nur die vollkommenste, entwickeltste Tierform ist, daß
seine Ahnen nirgends anders zu suchen sind als da, wo auch die

233


der ändern Säugetiere zu finden sind. Diese Lehre ist englischen
Ursprungs. Aber so, wie sie aus dem Haupte des Engländers
Darwin um die Mitte unseres Jahrhunderts hervorging, war
sie eine verschwommene, in sich unklare Ansicht; es waren
weder die sittlichen Konsequenzen gezogen, noch war der not-
wendige allseitige wissenschaftliche Ausbau vorhanden. In der
Mitte war eine Anzahl von Beobachtungen, Erfahrungen und
zweifellosen Wahrheiten, Anfang und Ende war aber vollständig
in Nebel gehüllt.

Da bemächtigten sich am Anfange der sechziger Jahre deutsche


Gelehrte dieser Ansicht; wie ein Blitz schlug deutscher Tiefsinn,
deutsche Gründlichkeit und tiefer sittlicher Ernst in das verwor-
rene Gewebe ein. Das Ganze wurde bis in seine letzten Konse-
quenzen mit Einsetzung aller Kraft des Geistes durchgedacht und
durchgeführt, und unter der Pflege deutscher Forscher entstand
bald ein wissenschaftlicher Bau, festgefügt und begründet in allen
seinen Teilen. Was der Engländer Darwin angedeutet, hat der
Deutsche Haeckel in wunderbarer, monumentaler Weise voll-
endet. Was letzterer geschaffen, ist ein vollendetes Gebäude des
Geistes, bis in alle Details mit bewunderungswertem Scharfsinn
ausgeführt. In England hatte man ein geheimnisvolles Dokument
der Natur gefunden, es war aber ein dichter Schleier darüber, da
kam ein Deutscher und riß den Schleier hinweg, und jetzt erst
wußte die Welt, was auf dem geheimnisvollen Schriftstück gestan-
den. Aber dabei blieb es nicht. Der sittliche Hochsinn der Deut-
schen mußte auch die notwendigen Konsequenzen der neuen
Lehre in bezug auf die Moral und das öffentliche Leben erwägen.
Und zahlreich sind die Schriften deutscher Forscher, die mit mehr
oder weniger Glück entweder die Harmonie des Darwinismus mit
einer reinen Moral oder die Gefährdung der letzteren durch den
ersteren zeigen wollen. Man erinnerte sich hierbei auch an den
Glanzpunkt der deutschen Kultur, an den deutschen Idealismus
und an den größten Vertreter desselben: an Goethe. Man hatte das
Bedürfnis, die Ideen dieses großen Genius mit den neuen Lehren
in Einklang zu bringen. Und es ist nicht gering anzuschlagen, daß
der Deutsche so durchdrungen ist von jener idealen Welt, daß

234


ihm jede Disharmonie neuer Anschauungen mit dieser Welt pein-
lich ist. Das Streben der deutschen Gelehrten, die Resultate der
modernen Weltanschauung mit dem Goetheanismus in Einklang
zu bringen, ist die Reaktion des deutschen Gewissens auf die wis-
senschaftliche Moderichtung, der Wille des Deutschen, daß nur
Ideales im Leben Eingang finden darf, endlich der Glaube, daß
der Idealismus wahr sein muß.

Eine spezifisch deutsche Erscheinung ist es, daß sich der Pes-


simismus in seiner tiefsten Gestalt als eine Folge des Darwinis-
mus einstellt. Nicht gering ist die Zahl der innigen, durchaus
guten und hochbegabten Seelen, die die neue Lehre zur Verzweif-
lung an Welt und Leben bringt. Man muß ein so tiefes Gemüt
haben, wie es der Deutsche hat, man muß so ferne jeder Art von
Frivolität und Leichtsinn sein, wie er, man muß sein Streben nach
dem Göttlichen besitzen, und man wird bei vollem Durchdenken
der Nichtigkeit des Menschen und seines Geschlechtes, wie sie
folgt, wenn man den Darwinismus in seinem vollen Umfange gel-
ten läßt, dem Pessimismus nicht leicht entkommen. Es erregt das
eine Gedankenreihe, die sich wohl noch lange fortsetzen ließe, in-
des, soviel haben wir gesehen: die gewaltigste Kraft, welche die
wissenschaftliche Welt heute bewegt, weist uns nach Deutschland.
Der Westen hat ein Problem aufgeworfen, Deutschland sucht es
zu lösen. Und wenn einst Erlösung kommen sollte aus dem Banne
der ungeheuren Einseitigkeit der modernen Weltansicht, sie kann
nur aus Deutschland kommen. Die Kraft des deutschen Geistes
wird es sein, die zeigen wird, was am Darwinismus wahr ist, und
welche zugleich zeigen wird, daß er über ein gewisses Maß hinaus
angewendet innerlich unwahr, flach und seicht ist; sie wird ihn
überwinden, indem sie sein Machtgebiet beschränken, indem sie
ihn verstehen wird.

Die zweite Erscheinung, auf die wir hinweisen wollen, ist das


Streben der europäischen Völker, jene Form des Staates zu fin-
den, in dem die sittliche Würde und die Freiheit jedes einzelnen
Staatsbürgers am vollsten zur Geltung kommt. Wieder war es der
Westen, Frankreich und England, wo sich dieses Streben zuerst
geltend machte. Es sollte an Stelle von Willkür Vernunftnotwen-

235


digkeit, von Vorrecht Gleichberechtigung, von Unfreiheit Freiheit
treten. Aber es ist wohl nicht zu gewagt, wenn man behauptet,
die ersten wirklich lebensfähigen Keime, an die Stelle des Staates,
in dem Zufall und subjektive Willkür herrschen, jenen zu setzen,
in dem die Vernunft die oberste Regentschaft führt, werden so-
eben in Deutschland gelegt. Der Staat hat dafür zu sorgen, daß
das Glück des Einzelnen nicht von Zufall oder Willkür abhängt,
sondern daß das nach den Grundsätzen der Vernunft aufgebaute
Ganze die Wohlfahrt des Individuums soweit sichert, daß letzte-
res in physischer und geistiger Richtung sich frei entwickeln
kann. Nicht der Staat kann die Menschen frei machen, das kann
nur die Erziehung; wohl aber hat der Staat dafür zu sorgen, daß
jeder den Boden findet, auf dem seine Freiheit gedeihen kann.
Daß zu einer Entwickelung in dieser Hinsicht von den Stufen des
Thrones, den einst Friedrich der Große eingenommen, heute das
Losungswort gegeben, daß in Deutschland die Führung des Staa-
tes einem Manne obliegt, der tief durchdrungen ist von jener Mis-
sion des Staates, wird die Geschichte einst als eines der größten
ihrer politischen Fakten verzeichnen.

Und nun noch eines: Es gibt Deutsche, die an der großen


Arbeit, die das deutsche Volk heute in sozialer Beziehung voll-
bringt, nicht teilzunehmen berufen sind. Wir sprechen hier ja zu
einer großen Zahl solcher Deutscher. Aber wir möchten es nicht
als ein Unglück bezeichnen, daß es so ist. Denn vielleicht fällt
heute gerade diesen Deutschen nicht der unbedeutendste Teil der
gemeinsamen Kulturarbeit unseres Volkes zu. Wir akzeptieren
mit ungeheuchelter Resignation die heutigen Verhältnisse und
machen den Umstand geltend, daß es im hohen Grade wünschens-
wert ist, daß es so ist. Man darf nicht vergessen, daß über den
großen wirtschaftlichen Problemen der Gegenwart dem deutschen
Volke im Reiche heute vielfach der ideale Schwung für höhere
geistige Angelegenheiten abhanden gekommen ist; man darf nicht
außer acht lassen, daß selbst die deutsche Jugend, einst die bewährte
Hüterin des deutschen Idealismus, den letzteren über sozial-
reformatorischen Gedanken vergißt, und wir werden einsehen,
daß das deutsche Wesen in seiner schönsten Entfaltung gerade bei

236


solchen Deutschen eine Zufluchtsstätte braucht, die außerhalb des
deutschen Vaterlandes leben.

Hiermit eröffnet sich eine schöne Perspektive für diese letzte-


ren deutschen Volksstämme. Wir wissen ein Volk, das es von
jeher mit diesem Grundsatze gehalten hat, das deshalb allen deut-
schen Stämmen ebenbürtig — sehr vielen um sehr vieles voraus ist
in Kultur und Bildung: die Sachsen in Siebenbürgen! Möge dieses
Journal dazu beitragen, daß diese Kultur und Bildung noch immer-
fort wachse, möge es ihm gelingen, in dem angedeuteten Sinne
zu einem deutschen Volke in einem nichtdeutschen Lande zu
sprechen.

DIE NATUR UND UNSERE IDEALE


Sendschreiben an die Dichterin des «Hermann»: M. E. delle Grazie

Hochverehrte Dichterin!

Sie haben in Ihrem so gedankenreichen philosophischen Gedichte


«Die Natur» der Grundstimmung Ausdruck gegeben, die sich in
dem modernen Menschen geltend macht, wenn er die dermalige
Natur- und Geistesauffassung auf sich wirken läßt und dabei jene
Tiefe des Empfindens besitzt, die ihn die Disharmonie erkennen
läßt, die zwischen jener Auffassung und den Idealen unseres Gei-
stes und Herzens besteht. Jawohl, sie sind vorüber, jene Zeiten,
da der leichtfertige, flache Optimismus, der in dem Glauben an
unsere Gotteskindschaft besteht, den Menschen über jenen Zwie-
spalt der Natur und des Geistes hinwegführte. Sie sind vorüber,
die Zeiten, in denen man oberflächlich genug war, leichten Her-
zens hinwegzusehen über die tausend Wunden, aus denen die
Welt allerorten blutet. Unsere Ideale sind nicht mehr flach genug,
um von dieser oft so schalen, so leeren Wirklichkeit befriedigt
zu werden.

237


Dennoch kann ich nicht glauben, daß es keine Erhebung aus
dem tiefen Pessimismus gibt, der aus dieser Erkenntnis hervor-
geht. Diese Erhebung wird mir, wenn ich auf die Welt unseres
Innern schaue, wenn ich an die Wesenheit unserer idealen Welt
näher herantrete. Sie ist eine in sich abgeschlossene, in sich voll-
kommene Welt, die nichts gewinnen, nichts verlieren kann durch
die Vergänglichkeit der Außendinge. Sind unsere Ideale, wenn sie
wirklich lebendige Individualitäten sind, nicht Wesenheiten für
sich, unabhängig von der Gunst oder Ungunst der Natur? Mag
immerhin die liebliche Rose vom unbarmherzigen Windstoße zer-
blättert werden, sie hat ihre Sendung erfüllt, denn sie hat hundert
menschliche Augen erfreut; mag es der mörderischen Natur mor-
gen gefallen, den ganzen Sternenhimmel zu vernichten: durch
Jahrtausende haben Menschen verehrungsvoll zu ihm empor-
geschaut, und damit ist es genug. Nicht das Zeitensein, nein das
innere Wesen der Dinge macht sie vollkommen. Die Ideale unse-
res Geistes sind eine Welt für sich, die sich auch für sich ausleben
muß und die nichts gewinnen kann durch die Mitwirkung einer
gütigen Natur.

Welch erbarmungswürdiges Geschöpf wäre der Mensch, wenn


er nicht innerhalb seiner eigenen Idealwelt Befriedigung gewin-
nen könnte, sondern dazu erst der Mitwirkung der Natur be-
dürfte? Wo bliebe die göttliche Freiheit, wenn die Natur uns,
gleich unmündigen Kindern, am Gängelbande führend, hegte und
pflegte? Nein, sie muß uns alles versagen, damit, wenn uns Glück
wird, dieses ganz das Erzeugnis unseres freien Selbstes ist! Zer-
störe die Natur täglich, was wir bilden, auf daß wir uns täglich
aufs neue des Schaffens freuen können! Wir wollen nichts der
Natur, uns selbst alles verdanken!

Diese Freiheit, könnte man sagen, ist doch nur ein Traum. In-


dem wir uns frei dünken, gehorchen wir der ehernen Notwendig-
keit der Natur. Die erhabensten Gedanken, die wir fassen, sind ja
nur das Ergebnis der in uns blind waltenden Natur.

Oh, wir sollten doch endlich zugeben, daß ein Wesen, das sich


selbst erkennt, nicht unfrei sein kann! Indem wir die ewige Ge-
setzlichkeit der Natur erforschen, lösen wir jene Substanz aus ihr

238


los, die ihren Äußerungen zugrunde liegt. Wir sehen das Gewebe
der Gesetze über den Dingen walten, und das bewirkt die Not-
wendigkeit.
Wir besitzen in unserem Erkennen die Macht, die
Gesetzlichkeit der Naturdinge aus ihnen loszulösen und sollten
dennoch die willenlosen Sklaven dieser Gesetze sein? Die Natur-
dinge sind unfrei, weil sie die Gesetze nicht erkennen, weil sie,
ohne von ihnen zu wissen, durch sie beherrscht werden. Wer
sollte sie uns aufdrängen, da wir sie geistig durchdringen? Ein
erkennendes Wesen kann nicht unfrei sein. Es bildet die Gesetz-
lichkeit zuerst in Ideale um und gibt sich diese selbst zum Gesetze.
Wir sollten endlich zugeben, daß der Gott, den eine abgelebte
Menschheit in den Wolken wähnte, in unserem Herzen, in unse-
rem Geiste wohnt. Er hat sich in voller Selbstentäußerung ganz
in die Menschheit ausgegossen. Er hat für sich nichts zu wollen
übrig behalten, denn er wollte ein Geschlecht, das frei über sich
selbst waltet. Er ist in der Welt aufgegangen. Der Menschen
Wille ist sein Wille, der Menschen Ziele seine Ziele. Indem er
den Menschen seine ganze Wesenheit eingepflanzt hat, hat er
seine eigene Existenz aufgegeben. Es gibt einen «Gott in der Ge-
schichte» nicht; er hat aufgehört zu sein um der Freiheit der
Menschen willen, um der Göttlichkeit der Welt willen. Wir haben
die höchste Potenz des Daseins in uns aufgenommen. Deswegen
kann uns keine äußere Macht, können uns nur unsere eigenen
Schöpfungen Befriedigung geben. Alles Wehklagen über ein Da-
sein, das uns nicht befriedigt, über diese harte Welt, muß schwin-
den gegenüber dem Gedanken, daß uns keine Macht der Welt
befriedigen könnte, wenn wir ihr nicht zuerst selbst jene Zauber-
kraft verleihen, durch die sie uns erhebt und erfreut. Brächte ein
außerweltlicher Gott uns alle Himmelsfreuden, und wir sollten sie
so hinnehmen, wie er sie ohne unser Zutun bereitete, wir müß-
ten sie zurückweisen, denn sie wären die Freuden der Unfreiheit.
Wir haben keinen Anspruch darauf, daß uns von Mächten Be-
friedigung werde, die außer uns sind. Der Glaube versprach uns
eine Aussöhnung mit den Übeln dieser Welt, wie eine solche ein
außerweltlicher Gott herbeiführen sollte. Dieser Glaube ist im
Verschwinden begriffen, er wird einst gar nicht mehr sein. Es

239


wird aber die Zeit kommen, wo die Menschheit nicht mehr auf
Erlösung von außen hoffen wird, weil sie erkennen wird, daß sie
sich selbst ihre Seligkeit bereiten muß, wie sie sich selbst so tiefe
Wunden geschlagen hat. Die Menschheit ist die Lenkerin ihres
eigenen Geschickes. Von dieser Erkenntnis können uns selbst die
Errungenschaften der modernen Naturwissenschaft nicht abbrin-
gen, denn sie sind die Erkenntnisse, die wir durch Auffassung der
Außenseite der Dinge erlangen, während die Erkenntnis unserer
Idealwelt auf dem Eindringen in die innere Tiefe der Sache beruht.
Da Sie, verehrte Dichterin, mit Ihrem Gedichte die Kreise der
Philosophie so hart bedrängt haben, werden Sie wohl nicht ab-
geneigt sein, die Antwort dieser letzten zu hören; und damit bin

ich in vorzüglicher Hochachtung ergebenst



Rudolf Steiner

DAS ANSEHEN DER DEUTSCHEN PHILOSOPHIE


EINST UND JETZT

Als Rosenkranz 1844 seine Hegel-Biographie vollendet hatte,


schrieb er in der Vorrede die bedeutungsvollen Worte: «Scheint
es nicht, als seien wir heutigen Tages nur die Totengräber und
Denkmalsetzer für die Philosophen, welche die zweite Hälfte des
vorigen Jahrhunderts gebar, um in der ersten des jetzigen zu ster-
ben? Kant fing 1804 dies Sterben der deutschen Philosophen an.
Sehen wir einen Nachwuchs für diese Ernte des Todes? Sind wir
fähig, in die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts ebenfalls eine
heilige Denkerschar hinüberzusenden?» Es sind nun vier Jahr-
zehnte dahingegangen, seit der geist- und gemütvolle Hegelianer
diese Frage gestellt. Blicken wir um uns! Was erteilt uns unsere
Zeit für eine Antwort? Jetzt müssen sie ja Männer geworden sein,
von denen Rosenkranz fragte: «Leben unter unseren Jünglingen
die, welchen platonischer Enthusiasmus und aristotelische Arbeits-
seligkeit das Gemüt zu unsterblicher Anstrengung für die Speku-
lation begeistert?»

240


Eine ziemlich oberflächliche Kenntnis des Geisteslebens unserer
Zeit genügt, um einzusehen, daß die Antwort auf obige Frage
eine wenig erfreuliche sein wird. Das Häuflein Philosophen, das
heute für Spekulation schwärmt, ist klein, sehr klein, groß aber
die Schar jener, die achselzuckend auf das ganze philosophische
Zeitalter des deutschen Volkes herabschauen. Es scheint fast, als
ob wir mit den deutschen Philosophen die deutsche Philosophie
begraben hätten.

Was bedeutet dem Deutschen die Philosophie am Beginne


unseres Jahrhunderts, was heute? Damals war sie die Losung des
Tages; der Philosoph konnte auf die Teilnahme jedes gebildeten
Deutschen rechnen, seinen Worten lauschte nicht nur eine begei-
sterte Zuhörerschar in den Hörsälen, sie drangen überallhin, wo
überhaupt geistige Interessen vorhanden waren. Heute lesen die
Philosophie-Professoren — vor leeren Bänken. Philosophische Fra-
gen waren für eine Zeitlang Tagesfragen, sie wurden behandelt,
wie man heute politische, nationale oder wirtschaftliche Fragen
behandelt. Eine Weltanschauung zu haben, erschien als Not-
wendigkeit für jeden denkenden Menschen. Die Philosophie schien
dazu ausersehen, allen anderen Wissenschaften die Fackel voran-
zutragen, ihnen Richtung und Ziel zu bestimmen. Die volle
Energie des menschlichen Denkens erwachte, und mit der Energie
vereinte sich das vollste Vertrauen in die Menschen-Vernunft. Im
Herzen erwachte das tiefste Bedürfnis, in die Geheimnisse des
Welträtsels einzudringen, und der Geist hielt sich zugleich für
fähig, gestützt auf seine eigene Kraft — ohne Offenbarung, ohne
Erfahrung —, diesem Bestreben Genüge zu tun. Wie anders liegen
die Dinge heute! Das Vertrauen in unser Denken ist uns völlig
verlorengegangen. Man betrachtet es einzig und allein als Werk-
zeug der Beobachtung, der Erfahrung, wie man es einst nur als
Werkzeug für die Auslegung der von der Kirche aufgestellten
Dogmen gehalten hat. Man verzichtet überhaupt auf die Lösung
der großen Rätselfragen, die Natur und Leben an uns stellen. Ari-
stotelische Arbeitsseligkeit haben wir; platonischer Enthusiasmus
fehlt uns aber. Wir verschwenden unendliche Mühe auf die Detail-
forschung, die ohne große leitende Gesichtspunkte denn doch

Yüklə 2,15 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   8   9   10   11   12   13   14   15   ...   33




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©genderi.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

    Ana səhifə