Rudolf steiner



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ähnlich vorgestellt... III. Das anthropolatrische Dogma... führt


zu der göttlichen Verehrung des menschlichen Organismus, zum
.» (Welträtsel, S. 13 f.) Die mensch-
liche Seele gilt als höheres Wesen, das den untergeordneten Orga-
nismus zeitweilig bewohnt.

Solchen mythologischen Vorstellungen setzt Haeckel seine Über-


zeugung von der «kosmologischen Perspektive» gegenüber, wonach
ewig — in dem Sinne wie der göttliche Weltgrund der Religio-
nen — nur die Materie mit der ihr inwohnenden Kraft ist und aus
den Vorgängen dieser kraftbegabten Materie sich alle Erscheinun-
gen mit Notwendigkeit entwickeln. Die Gegner der monistischen
Weltanschauung verwerfen diese deswegen, weil sie dasjenige, was
den Charakterzug der höchsten Zweckmäßigkeit trägt, den tieri-
schen und menschlichen Organismus, als das Werk einer blinden
Notwendigkeit, ohne vorherbestimmte Absicht erklärt, also im
Grunde durch einen bloßen Zufall entstanden sein läßt. Versteht
man unter Zufall dasjenige, was eintritt, ohne daß vorher ein Ge-
danke von seinem Dasein irgendwo vorhanden war, so ist in
naturwissenschaftlichem Sinne das ganze Weltall ein bloßer Zu-
fall; denn «die Entwicklung der ganzen Welt ist ein einheitlich
mechanischer Prozeß, in dem wir nirgends Ziel und Zweck ent-
decken können; was wir im organischen Leben so nennen, ist eine
besondere Folge der biologischen Verhältnisse; weder in der Ent-
wicklung der Weltkörper noch derjenigen unserer anorganischen
Erdrinde ist ein leitender Zweck nachzuweisen» (Welträtsel,
S. 316). Aber das allgemeine Gesetz, daß jede Erscheinung ihre
mechanische Ursache hat, besteht dafür im ganzen Weltall, und in
diesem Sinne gibt es keinen Zufall.

Man wird, wenn man die Ausführungen Haeckels verständnis-


voll verfolgt, zu dem wahren Begriff dessen kommen, was man
heute allein «wissenschaftliche Erklärung» nennen sollte. Die Wis-
senschaft darf nichts zur Erklärung einer Erscheinung herbei-
ziehen, als was dieser in der Zeit tatsächlich vorangegangen ist.
Alle Vorgänge in der Welt sind durch solche bestimmt, die sich
vor ihnen abgespielt haben. In diesem Sinne sind sie notwendig
und kein Zufall. Unwissenschaftlich ist aber jede Erklärung, die

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dem, was in der Zeit später liegt, irgendeinen Einfluß auf ein
früher Entstandenes beilegt. Wer den Menschen erklären will, soll
ihn aus Naturvorgängen erklären, die seinem Dasein vorangegan-
gen sind, nicht aber soll er die Sache so darstellen, als ob die Ent-
stehung des Menschen zurückgewirkt habe auf diese früheren Vor-
gänge, das heißt, wie wenn diese rückwärts gelegenen Vorgänge
sich so abgespielt haben, daß aus ihnen als Ziel der Mensch sich
ergab. Eine Weltanschauung, die sich bei ihren Erklärungen nur
an das «Vorher» hält und aus diesem das «Nachher» ableitet, ist
«Monismus». Eine solche Weltanschauung dagegen, welche von
dem «Nachher» ausgeht und das «Vorher» so darstellt, als ob es
auf dieses «Nachher» irgendwie hinwiese, ist Teleologie, Zweck-
mäßigkeitslehre und damit Dualismus. Denn wäre sie richtig,
dann wäre eine zweckmäßige Erscheinung doppelt in der Welt
vorhanden, und zwar wirklich in dem Zeiträume, in dem sie ein-
tritt, und geistig, ideell, der Anlage nach, vor ihrer wirklichen
Entstehung, als Gedanke, als leitender Zweck im allgemeinen
Weltenplane.

Mögen Haeckels lichtvolle Darstellungen dahin führen, daß der


Unterschied von Teleologie und Monismus in weitesten Kreisen
bald auf dasjenige Verständnis stoße, das man im Interesse des
geistigen Fortschrittes wünschen muß.

MODERNE WELTANSCHAUUNG


UND REAKTIONÄRER KURS

Es darf doch wohl als ein merkwürdiges Symptom der Zeit an-


gesehen werden, daß gelegentlich des Jubiläums derjenigen Kör-
perschaft des Deutschen Reiches, welche die gelehrteste sein sollte,
ein Theologe im Mittelpunkte des Festes stand. Zwar wird man
sagen: der Professor Adolf Harnack sei ein freisinniger Theologe.

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Aber eines bleibt doch wahr: die Theologie kann nur so weit frei-
sinnig sein, als es ihr gewisse Grundanschauungen gestatten, ohne
deren Anerkennung sie sich selbst aufheben würde. Ja, sie kann
wissenschaftlich nur so weit sein, als ihr wesentlich zugehörige
dogmatische Vorstellungen dies erlauben. Die Frage: «Ist die
Theologie Wissenschaft im modernen Sinne?» kann nur mit einem
klaren Nein beantwortet werden. Die Wissenschaft muß, wenn
sie diesen Namen verdienen soll, souverän, von der menschlichen
Vernunft aus zu einer Weltanschauung kommen. Wir hören das
zwar heute in allen Variationen immer und immer wieder betonen.
Wenn aber eine wissenschaftliche Körperschaft ersten Ranges ein
großes Fest feiert, dann erwählt sie sich nicht einen Mann der
Wissenschaft, sondern einen Theologen zum Hauptsprecher und
zum Darsteller ihrer Geschichte. Theologische Anschauungen spiel-
ten bei diesem Feste ja auch sonst eine so bedeutsame Rolle, daß
die ultramontansten Preßorgane mit besonderer Freude von ihm
sprechen.

Für viele unserer Zeitgenossen waren erst die schrillen Miß-


klänge der lex Heinze-Debatten notwendig, um sie zum Aufmer-
ken darauf zu bringen, wie mächtig die reaktionärsten Gesinnun-
gen in unser Leben eingreifen. Für feinere Zeichen, wie das beim
Akademiefest zutage getretene, sind selbst die Artikelschreiber
«freisinniger» Journale seelenblind.

Allerdings liegen die Gründe für den reaktionären Kurs der


Gegenwart tief. Sie sind in der Tatsache zu suchen, daß die offi-
ziellen Philosophen der Gegenwart absolut macht-, ja ratlos dem
Anstürme unwissenschaftlicher Zeitströmungen entgegenstehen.
Wir werden, um diese Gründe darzustellen, auf die Elemente
blicken müssen, die den gegenwärtigen Bestand der Katheder-
philosophie bewirkt haben. Meine Ansicht ist, daß diese Philoso-
phie in der Tat ungeeignet ist, den Kampf gegen veraltete Vor-
stellungen an der Seite der freiheitlichen Naturwissenschaft zu
führen. Ich will bei dem Beweise für diese Behauptung von dem
Manne ausgehen, der den tiefgreifendsten Einfluß auf das philo-
sophische Denken der Gegenwart ausübt, auf Kant, und ich will
versuchen zu zeigen, daß dieser Einfluß ein verderblicher ist.

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Kant wurde durch die Bekanntschaft mit Humes Anschauung
in der Überzeugung erschüttert, die er in früheren Jahren hatte.
Daß wirklich alle unsere Erkenntnisse mit Hilfe der Erfahrung
gewonnen werden, daran zweifelte er bald nicht mehr. Aber ge-
wisse wissenschaftliche Lehrsätze schienen ihm doch einen solchen
Charakter von Notwendigkeit zu haben, daß er an ein bloß ge-
wohnheitsmäßiges Festhalten an denselben nicht glauben wollte.
Kant konnte sich weder entschließen, den Radikalismus Humes
mitzumachen, noch vermochte er bei den Bekennern der Leibniz-
Wolff sehen Wissenschaft zu bleiben. Jener schien ihm alles Wissen
zu vernichten, in dieser fand er keinen wirklichen Inhalt. Richtig
angesehen, stellte sich der Kantsche Kritizismus als ein Kompro-
miß zwischen Leibniz-Wolff einerseits und Hume andererseits
heraus. Und die Kantsche Grundfrage lautet mit Rücksicht darauf:
Wie können wir zu Urteilen kommen, die im Sinne von Leibniz
und Wolff notwendig gültig sind, wenn wir zugleich zugeben, daß
wir nur durch die Erfahrung zu einem wirklichen Inhalte unseres
Wissens gelangen? Aus der in dieser Frage liegenden Tendenz
läßt sich die Gestalt der Kantschen Philosophie begreifen. Hatte
Kant einmal zugegeben, daß wir unsere Erkenntnisse aus der Er-
fahrung gewinnen, so mußte er der letzteren eine solche Gestalt
geben, daß sie die Möglichkeit von allgemein- und notwendig-
gültigen Urteilen nicht ausschloß. Das erreichte er dadurch, daß
er unseren Wahrnehmungs- und Verstandesorganismus zu einer
Macht erhob, der die Erfahrung miterzeugt. Unter dieser Voraus-
setzung konnte er sagen: Was auch immer aus der Erfahrung von
uns aufgenommen wird, es muß sich den Gesetzen fügen, nach
denen unsere Sinnlichkeit und unser Verstand allein auffassen
können. Was sich diesen Gesetzen nicht fügt, das kann für uns
nie ein Gegenstand der Wahrnehmung werden. Was uns erscheint,
das hängt also von den Dingen außer uns ab; wie uns die letzteren
erscheinen, das ist von der Natur unseres Organismus bedingt.
Die Gesetze, unter denen sich derselbe etwas vorstellen kann, sind
somit die allgemeinsten Naturgesetze. In diesen liegt auch das

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Notwendige und Allgemeingültige des Weltlaufes. Wir sehen: im
Kantschen Sinne sind die Gegenstände nicht deshalb in räumlicher
Anordnung, weil die Räumlichkeit eine ihnen zukommende Eigen-
schaft ist, sondern weil der Raum eine Form ist, unter welcher
unser Sinn die Dinge wahrzunehmen befähigt ist; zwei Ereignisse
verknüpfen wir nicht deshalb nach dem Begriffe der Ursachlich-
keit, weil dies einen Grund in der Wesenheit derselben hat, son-
dern weil unser Verstand so organisiert ist, daß er zwei in auf-
einanderfolgenden Zeitmomenten wahrgenommene Prozesse die-
sem Begriff gemäß verknüpfen muß. So schreiben unsere Sinn-
lichkeit und unser Verstand der Erfahrungswelt die Gesetze vor.
Und von diesen Gesetzen, die wir selbst in die Erscheinungen
legen, können wir uns natürlich auch notwendig gültige Begriffe
machen.

Klar ist es aber auch, daß diese Begriffe einen Inhalt nur von


außen, von der Erfahrung erhalten können. An sich sind sie leer
und bedeutungslos. Wir wissen durch sie zwar, wie uns ein Gegen-
stand erscheinen muß, wenn er uns überhaupt gegeben wird. Daß
er uns aber gegeben wird, daß er in unseren Gesichtskreis eintritt,
das hängt von der Erfahrung ab. Wie die Dinge an sich, abgesehen
von unserer Erfahrung, sind, darüber können wir durch unsere
Begriffe also nichts ausmachen.

Auf diese Weise hat Kant ein Gebiet gerettet, auf dem es Be-


griffe von notwendiger Geltung gibt, aber er hat zugleich die
Möglichkeit abgeschnitten, mit Hilfe dieser Begriffe über die
eigentliche, absolute Wesenheit der Dinge etwas auszumachen.
Kant hat, um die Notwendigkeit unserer Begriffe zu retten, deren
absolute Anwendbarkeit geopfert. Um der letzteren willen wurde
aber die erstere in der Vor-Kantschen Philosophie geschätzt. Kants
Vorgänger wollten aus der Gesamtheit unseres Wissens einen zen-
tralen Kern bloßlegen, der seiner Natur nach auf alles, also auch
auf die absoluten Wesenheiten der Dinge, auf das «Innere der
Natur», anwendbar ist. Das Ergebnis der Kantschen Philosophie
ist aber, daß dieses Innere, dieses «An sich der Objekte», niemals
in den Bereich unserer Erkenntnis treten, nie ein Gegenstand un-
seres Wissens werden kann. Wir müssen uns mit der subjektiven

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Erscheinungswelt begnügen, welche in uns entsteht, wenn die
Außenwelt auf uns einwirkt. Kant setzt also unserem Erkenntnis-
vermögen unübersteigliche Schranken. Von dem «An sich der
Dinge» können wir nichts wissen. Ein offizieller Philosoph der
Gegenwart hat dieser Ansicht folgenden präzisen Ausdruck ge-
geben: «Solange das Kunststück, um die Ecke zu schauen, das
heißt ohne Vorstellung vorzustellen, nicht erfunden ist, wird es
bei der stolzen Selbstbescheidenheit Kants sein Bewenden haben,
daß vom Seienden dessen Daß, niemals aber dessen Was erkenn-
bar ist», das heißt wir wissen, daß etwas da ist, welches die sub-
jektive Erscheinung des Dinges in uns bewirkt, was aber hinter
der letzteren eigentlich steckt, bleibt uns verborgen.

Wir haben gesehen, daß Kant diese Ansicht angenommen hat,


um von jeder der zwei entgegengesetzten philosophischen Lehren,
von denen er ausging, möglichst viel zu retten. Aus dieser Ten-
denz heraus entwickelte sich eine gekünstelte Auffassung unseres
Erkennens, die wir nur mit dem zu vergleichen brauchen, was die
unmittelbare und unbefangene Beobachtung ergibt, um die ganze
Haltlosigkeit des Kantschen Gedankengebäudes einzusehen. Kant
denkt sich unsere Erfahrungserkenntnis aus zwei Faktoren zu-
stande gekommen: aus den Eindrücken, welche die Dinge außer
uns auf unsere Sinnlichkeit machen, und aus den Formen, in denen
unsere Sinnlichkeit und unser Verstand diese Eindrücke anordnen.
Die ersteren sind subjektiv, denn ich nehme nicht das Ding wahr,
sondern nur die Art und Weise, wie meine Sinnlichkeit davon
affiziert wird. Mein Organismus erleidet eine Veränderung, wenn
von außen etwas einwirkt. Diese Veränderung, also ein Zustand
meines Selbst, meine Empfindung ist es, was mir gegeben ist. Im
Akte des Auffassens nun ordnet unsere Sinnlichkeit diese Emp-
findungen räumlich und zeitlich, der Verstand wieder das Räum-
liche und Zeitliche nach Begriffen. Auch diese Gliederung der
Empfindungen, der zweite Faktor unseres Erkennens, ist somit
ganz und gar subjektiv. Diese Theorie ist weiter nichts als eine
willkürliche Gedankenkonstruktion, die vor der Beobachtung nicht
standhalten kann. Legen wir uns einmal zuerst die Frage vor: Tritt
irgendwo für uns eine einzelne Empfindung auf, einzeln für sich

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und abgesondert von anderen Elementen der Erfahrung? Blicken
wir auf den Inhalt der uns gegebenen Welt. Er ist eine kontinuier-
liche Ganzheit. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf irgend-
einen Punkt unseres Erfahrungsgebietes richten, so finden wir, daß
sich ringsherum anderes anschließt. Ein Abgesondertes, für sich
allein Bestehendes gibt es hier nirgends. Eine Empfindung schließt
sich an die andere. Wir können sie nur künstlich herausheben aus
unserer Erfahrung, in Wahrheit ist sie mit dem Ganzen der uns
gegebenen Wirklichkeit verbunden. Hier liegt ein Fehler, den
Kant gemacht hat. Er hatte eine ganz falsche Vorstellung von der
Beschaffenheit unserer Erfahrung. Die letztere besteht nicht, wie
er glaubt, aus unendlich vielen Mosaiksteinchen, aus denen wir
durch rein subjektive Vorgänge ein Ganzes machen, sondern sie
ist uns als eine Einheit gegeben: eine Wahrnehmung geht in die
andere ohne bestimmte Grenze über.

II
Die Gründe der Reaktion innerhalb der modernen Wissenschaft

Eine Weltanschauung strebt darnach, die Gesamtheit der uns ge-
gebenen Erscheinungen zu begreifen. Wir können aber stets nur
Einzelheiten der Wirklichkeit zum Gegenstande unserer Erfah-
rungserkenntnis machen. Wollen wir eine Einzelheit für sich ab-
gesondert betrachten, dann müssen wir sie erst künstlich aus dem
Zusammenhange herausheben, in dem sie sich befindet. Nirgends
ist uns zum Beispiel die Einzelempfindung des Rot als solche ge-
geben, allseitig ist sie von anderen Qualitäten umgeben, zu denen
sie gehört und ohne die sie nicht bestehen könnte. Wir müssen
von allem übrigen absehen und unsere Aufmerksamkeit auf die
eine Wahrnehmung richten, wenn wir sie in ihrer Vereinzelung
betrachten wollen. Dieses Herausheben eines Dinges aus seinem
Zusammenhange ist für uns eine Notwendigkeit, wenn wir die
Welt überhaupt betrachten wollen. Wir sind so organisiert, daß
wir die Welt nicht als Ganzes, als eine einzige Wahrnehmung
auffassen können. Das Rechts und Links, das Oben und Unten,

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das Rot neben dem Grün in meinem Gesichtsfelde sind in Wirk-
lichkeit in ununterbrochener Verbindung und gegenseitiger Zu-
sammengehörigkeit. Wir können den Blick aber nur nach einer
Richtung wenden und das in der Natur Verbundene nur getrennt
wahrnehmen. Unser Auge kann immer nur einzelne Farben aus
einem vielgliedrigen Farbenganzen wahrnehmen, unser Verstand
einzelne Begriffsglieder aus einem in sich zusammenhängenden
Ideengebäude. Die Absonderung einer Einzelempfindung aus dem
Weltzusammenhange ist somit ein seelischer Akt, bedingt durch
die eigentümliche Einrichtung unseres Geistes. Wir müssen die
einheitliche Welt in Einzelempfindungen auflösen, wenn wir sie
betrachten wollen.

Wir müssen uns aber darüber klar sein, daß diese unendliche


Vielheit und Vereinzelung in Wahrheit gar nicht besteht, daß sie
ohne alle objektive Bedeutung für die Wirklichkeit selbst ist. Wir
schaffen ein zunächst von der Wirklichkeit abweichendes Bild
derselben, weil uns die Organe fehlen, sie in ihrer ureigenen Ge-
stalt in einem Akte aufzufassen. Aber das Trennen ist nur der eine
Teil unseres Erkenntnisprozesses. Wir sind beständig damit beschäf-
tigt, jede Einzelwahrnehmung, die an uns herantritt, einer Gesamt-
vorstellung einzuverleiben, die wir uns von der Welt machen.

Die sich hier notwendig anschließende Frage ist nun die: Nach


welchen Gesetzen verknüpfen wir das, was wir erst getrennt ha-
ben? Die Trennung ist eine Folge unserer Organisation, sie hat
mit der Sache selbst nichts zu tun. Deshalb kann auch der Inhalt
einer Einzelwahrnehmung durch den Umstand nicht verändert
werden, daß sie für uns zunächst aus dem Zusammenhange ge-
rissen erscheint, in den sie gehört. Da aber dieser Inhalt durch
den Zusammenhang bedingt ist, so erscheint er in seiner Abson-
derung zunächst ganz unverständlich. Daß an einer bestimmten
Stelle des Raumes gerade die Wahrnehmung des Rot auftrete, ist
von den mannigfaltigsten Umständen bewirkt. Wenn ich nun das
Rot wahrnehme, ohne gleichzeitig auf diese Umstände meine Auf-
merksamkeit zu richten, so bleibt es mir unverständlich, woher das
Rot kommt. Erst wenn ich andere Wahrnehmungen heranziehe,
und zwar solche Dinge und Vorgänge, an die sich jene Wahr-

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nehmung des Rot anschließt, dann verstehe ich die Sache. Jede
Wahrnehmung weist mich also über sich selbst hinaus, weil sie
aus sich selbst nicht zu erklären ist. Ich verbinde deswegen die
durch meine Organisation aus dem Weltganzen abgesonderten
Einzelheiten gemäß ihrer eigenen Natur zu einem Ganzen. In
diesem zweiten Akte wird somit das wiederhergestellt, was in dem
ersten zerstört wurde: die Einheit des Wirklichen tritt wieder in
ihr Recht gegenüber der von meinem Geiste zunächst in sich auf-
genommenen Vielheit.

Der Grund, warum wir uns der objektiven Gestalt der Welt


nur auf dem gekennzeichneten Umwege bemächtigen können,
liegt in der Doppelnatur des Menschen. Als vernünftiges Wesen
ist er sehr wohl imstande, sich den Kosmos als eine Einheit vor-
zustellen, in der jedes Einzelne als Glied des Ganzen erscheint.
Als sinnliches Wesen jedoch ist er an Ort und Zeit gebunden,
er kann nur einzelne der unendlich vielen Glieder des Kosmos
wahrnehmen. Die Erfahrung kann daher nur eine durch die Be-
schränktheit unserer Individualität bedingte Gestalt der Wirklich-
keit liefern, aus welcher die Vernunft erst das gewinnen muß, was
den einzelnen Dingen und Vorgängen innerhalb der Wirklichkeit
ihren gesetzmäßigen Zusammenhang gibt. Die sinnenfällige An-
schauung entfernt uns also von der Wirklichkeit, die vernünftige
Betrachtung führt uns darauf wieder zurück. Ein Wesen, dessen
Sinnlichkeit in einem Akte die Welt anschauen könnte, bedürfte
der Vernunft nicht. Ihm lieferte eine einzelne Wahrnehmung, was
wir mit unserer geistigen Organisation nur durch das Zusammen-
fassen unendlich vieler einzelner Erfahrungsakte erreichen können.

Die eben angestellte Untersuchung unseres Erkenntnisvermö-


gens führt uns zu der Ansicht, daß die Vernunft uns die eigent-
liche Gestalt der Wirklichkeit liefert, wenn sie die einzelnen
Erfahrungserkenntnisse in entsprechender Weise verarbeitet. Wir
dürfen uns nicht täuschen lassen durch den Umstand, daß die Ver-
nunft scheinbar ganz innerhalb unseres Selbst liegt. Wir haben
gesehen, daß in Wahrheit ihre Tätigkeit dazu bestimmt ist, gerade
den unwirklichen Charakter, den unsere Erfahrung durch die sinn-
liche Wahrnehmung erhält, aufzuheben. Durch diese Tätigkeit

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stellen die Wahrnehmungsinhalte selbst in unserem Geiste den
objektiven Zusammenhang wieder her, aus dem sie unsere Sinne
gerissen haben.

Wir sind nun an dem Punkte, wo wir das Irrtümliche der Kant-


schen Auffassung durchschauen können. Was eine Folge unserer
Organisation ist: das Auftreten der Wirklichkeit als unendlich
viele getrennte Einzelheiten, das faßt Kant als objektiven Tat-
bestand auf; und die Verbindung, die sich wieder herstellt, weil
sie der objektiven Wahrheit entspricht, die ist ihm eine Folge
unserer subjektiven Organisation. Gerade das Umgekehrte von
dem ist wahr, was Kant behauptet hat. Ursache und Wirkung zum
Beispiel, sind ein zusammengehöriges Ganzes. Ich nehme sie ge-
trennt wahr und verbinde sie in der Weise, wie sie selbst zu-
einander streben. Kant hat sich durch Hume in den Irrtum hinein-
treiben lassen. Letzterer sagt: Wenn wir zwei Ereignisse immer
und immer wieder in der Weise wahrnehmen, daß das eine auf
das andere folgt, so gewöhnen wir uns an dieses Zusammensein,
erwarten es auch in künftigen Fällen und bezeichnen das eine als
Ursache, das andere als Wirkung. — Das widerspricht den Tatsachen.
Wir bringen zwei Ereignisse nur dann in eine ursächliche Verbin-
dung, wenn eine solche aus ihrem Inhalte folgt. Diese Verbindung
ist nicht weniger gegeben als der Inhalt der Ereignisse selbst.

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet findet die alltäg-


lichste sowohl wie die höchste wissenschaftliche Denkarbeit ihre
Erklärung. Könnten wir die ganze Welt mit einem Blick umspan-
nen, dann wäre diese Arbeit nicht notwendig. Ein Ding erklären,
verständlich machen heißt nichts anderes, als es wieder in den
Zusammenhang hineinsetzen, aus dem es unsere Organisation her-
ausgerissen hat. Ein Ding, das an sich vom Weltganzen abgetrennt
ist, gibt es nicht. Alle Sonderung hat bloß eine subjektive Geltung
für uns. Für uns legt sich das Weltganze auseinander in Oben und
Unten, Vor und Nach, Ursache und Wirkung, Gegenstand und
Vorstellung, Stoff und Kraft, Objekt und Subjekt und so weiter.
Alle diese Gegensätze sind aber nur möglich, wenn uns das Ganze,
an dem sie auftreten, als Wirklichkeit gegenübertritt. Wo das nicht
der Fall ist, können wir auch nicht von Gegensätzen sprechen.

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Ein unmöglicher Gegensatz ist der, den Kant als «Erscheinung»
und «Ding an sich» bezeichnet. Dieser letztere Begriff ist ganz
bedeutungslos. Wir haben nicht die geringste Veranlassung, ihn
zu bilden. Er hätte nur für ein Bewußtsein Berechtigung, das
außer der Welt, die uns gegeben ist, noch eine zweite kennt, und
welches beobachten kann, wie diese Welt auf unseren Organismus
einwirkt und das von Kant als Erscheinung Bezeichnete zur Folge
hat. Ein solches Bewußtsein könnte dann sagen: die Welt der
Menschen ist nur eine subjektive Erscheinung jener zweiten, mir
bekannten Welt. Die Menschen selbst aber können nur Gegen-
sätze innerhalb der ihnen gegebenen Welt anerkennen. Die Summe
alles Gegebenen zu etwas anderem in Gegensatz bringen ist sinn-
los. Das Kantsche «Ding an sich» folgt nicht aus dem Charakter
der uns gegebenen Welt. Es ist hinzuerfunden.

Solange wir mit solchen willkürlichen Annahmen, wie das


«Ding an sich» eine ist, nicht brechen, können wir niemals zu
einer befriedigenden Weltanschauung kommen. Unerklärlich ist
uns etwas nur, solange wir das nicht kennen, was notwendig da-
mit zusammenhängt. Dies haben wir aber innerhalb, nicht außer-
halb unserer Welt zu suchen.

Die Rätselhaftigkeit eines Dinges besteht nur, solange wir es


in seiner Besonderheit betrachten. Diese ist aber von uns hervor-
gebracht und kann auch von uns wieder aufgehoben werden. Eine
Wissenschaft, welche die Natur des menschlichen Erkenntnis-
prozesses versteht, kann nur so verfahren, daß sie alles, was sie
zur Erklärung einer Erscheinung braucht, auch innerhalb der uns
gegebenen Welt sucht. Eine solche Wissenschaft kann als Monis-
mus oder einheitliche Naturauffassung bezeichnet werden. Ihr
steht der Dualismus oder die Zweiweltentheorie gegenüber, welche
zwei voneinander absolut verschiedene Welten annimmt und die
Erklärungsprinzipien für die eine in der ändern enthalten glaubt.

Diese letztere Lehre beruht auf einer falschen Auslegung der


Tatsachen unseres Erkenntnisprozesses. Der Dualist trennt die
Summe alles Seins in zwei Gebiete, von denen jedes seine eigenen
Gesetze hat und die einander äußerlich gegenüberstehen. Er ver-
gißt, daß jede Trennung, jede Absonderung der einzelnen Seins-

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gebiete nur eine subjektive Geltung hat. Was eine Folge seiner
Organisation ist, das hält er für eine außer ihm liegende objektive
Naturtatsache.

Ein solcher Dualismus ist auch der Kantianismus. Denn für


diese Weltanschauung sind Erscheinung und «An sich der Dinge»
nicht Gegensätze innerhalb der gegebenen Welt, sondern die eine
Seite, das «An sich», liegt außerhalb des Gegebenen. Solange wir das
letztere in Teile trennen, mögen dieselben noch so klein sein im
Verhältnis zum Universum, folgen wir einfach einem Gesetze
unserer Persönlichkeit; betrachten wir aber alles Gegebene, alle
Erscheinungen als den einen Teil und stellen ihm dann einen
zweiten entgegen, dann philosophieren wir ins Blaue hinein. Wir
haben es dann mit einem bloßen Spiel mit Begriffen zu tun. Wir
konstruieren einen Gegensatz, können aber für das zweite Glied
keinen Inhalt gewinnen, denn ein solcher kann nur aus dem Ge-
gebenen geschöpft werden. Jede Art des Seins, die außerhalb des
letzteren angenommen wird, ist in das Gebiet der unberechtigten
Hypothesen zu verweisen. In diese Kategorie gehört das Kant-
sche «Ding an sich» und nicht weniger die Vorstellung, welche
ein großer Teil der modernen Physiker von der Materie und deren
atomistischer Zusammensetzung hat. Wenn mir irgendeine Sinnes-
empfindung gegeben ist, zum Beispiel Farbe- oder Wärme-Emp-
findung, dann kann ich innerhalb dieser Empfindung qualitative
und quantitative Sonderungen vornehmen; ich kann die räum-
liche Gliederung und den zeitlichen Verlauf, die ich wahrnehme,
mit mathematischen Formeln umspannen, ich kann die Erschei-
nungen gemäß ihrer Natur als Ursache und Wirkung ansehen und
so weiter: ich muß aber mit diesem meinem Denkprozesse inner-
halb dessen bleiben, was mir gegeben ist. Wenn wir eine sorg-
fältige Selbstkritik an uns üben, so finden wir auch, daß alle un-
sere abstrakten Anschauungen und Begriffe nur einseitige Bilder
der gegebenen Wirklichkeit sind und nur als solche Sinn und
Bedeutung haben. Wir können uns einen allseitig geschlossenen
Raum vorstellen, in dem sich eine Menge elastischer Kugeln nach
allen Richtungen bewegt, die sich gegenseitig stoßen, an die
Wände an- und von diesen abprallen; aber wir müssen uns dar-

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über klar sein, daß dies eine einseitige Vorstellung ist, die einen
Sinn erst gewinnt, wenn wir uns das rein mathematische Bild mit
einem sinnenfällig wirklichen Inhalt erfüllt denken. Wenn wir
aber glauben, einen wahrgenommenen Inhalt ursächlich durch
einen unwahrnehmbaren Seinsprozeß, der dem geschilderten mathe-
matischen Gebilde entspricht und der außerhalb unserer gegebenen
Welt sich abspielt, erklären zu können, so fehlt uns jede Selbst-
kritik. Den beschriebenen Fehler macht die moderne mechanische
Wärmetheorie. Wenn wir sagen, das «Rot» ist nur eine subjektive
Empfindung, wie es die moderne Physiologie tut, und außen im
Räume sei ein mechanischer Vorgang, eine Bewegung, als Ursache
dieses «Rot» anzunehmen, so begehen wir eine Inkonsequenz.
Wenn das «Rot» nur subjektiv wäre, so wären auch alle mecha-
nischen Vorgänge, die mit dem «Rot» zusammenhängen, nur sub-
jektiv. Sobald wir etwas von der in sich zusammenhängenden
Wahrnehmungswelt in den Geist hereinnehmen, so müssen wir
alles, auch die Atome und ihre Bewegungen, hereinnehmen. Wir
müßten die ganze Außenwelt leugnen.

Ganz dasselbe kann in bezug auf die moderne Farbentheorie


gesagt werden. Auch sie verlegt etwas, was nur ein einseitiges Bild
der Sinnenwelt ist, hinter diese als Ursache derselben. Die ganze
Wellentheorie des Lichtes ist nur ein mathematisches Bild, das
die räumlich-zeitlichen Verhältnisse dieses bestimmten Erschei-
nungsgebietes einseitig darstellt. Die Undulationstheorie macht
dieses Bild zu einer realen Wirklichkeit, die nicht mehr wahr-
genommen werden kann, sondern die vielmehr die Ursache dessen
sein soll, was wir wahrnehmen.

III


Die Gründe der Reaktion innerhalb der Wissenschaft

Es ist nun gar nicht zu verwundern, daß es dem dualistischen


Denker nicht gelingt, den Zusammenhang zwischen den beiden
von ihm angenommenen Welten - der subjektiven in uns und der
objektiven außer uns — begreiflich zu machen. Die eine ist ihm

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erfahrungsmäßig gegeben, die andere von ihm hinzugedacht. Er
kann also auch folgerichtig alles, was die eine enthält, nur durch
Erfahrung, was in der ändern enthalten ist, nur durch Denken
gewinnen. Da aber aller Erfahrungsinhalt nur eine Wirkung des
hinzugedachten wahren Seins ist, so kann in der unserer Beobach-
tung zugänglichen Welt nie die Ursache selbst gefunden werden.
Ebensowenig ist das Umgekehrte möglich: aus der gedachten Ur-
sache die erfahrungsmäßig gegebene Wirklichkeit abzuleiten. Dies
letztere deshalb nicht, weil nach unseren bisherigen Auseinander-
setzungen alle solche erdachten Ursachen nur einseitige Bilder der
vollen Wirklichkeit sind. Wenn wir ein solches Bild überblicken,
so können wir mittels eines bloßen Gedankenprozesses nie das
darin finden, was nur in der beobachteten Wirklichkeit damit ver-
bunden ist. Aus diesen Gründen wird derjenige, welcher zwei
Welten annimmt, die durch sich selbst getrennt sind, niemals zu
einer befriedigenden Erklärung ihrer Wechselbeziehung kommen
können.

Wer die eigentlichen wirklichen Wesenheiten außerhalb der


Welt der Erfahrung ihr Wesen treiben läßt, der setzt unserer Er-
kenntnis Grenzen. Denn wir nähmen, wenn seine Voraussetzung
richtig ist, nur die Wirkung wahr, welche die wirklichen Wesen
auf uns ausüben. Diese, als die Ursachen, sind ein uns gänzlich
unbekanntes Land. Und hiermit sind wir bei der Pforte angelangt,
wo die moderne Wissenschaft alle alten religiösen Vorstellungen
einlassen kann. Bis hierher und nicht weiter, sagt diese Wissen-
schaft. Warum sollte der Herr Pastor mit seinem Glauben nun
nicht dort anfangen, wo Du Bois-Reymond mit seinem wissen-
schaftlichen Erkennen aufhört.

Der Anhänger der monistischen Weltanschauung weiß, daß die


Ursachen zu den ihm gegebenen Wirkungen im Bereiche seiner
Welt liegen müssen. Mögen die ersteren von den letzteren räum-
lich oder zeitlich noch so weit entfernt liegen: sie müssen sich im
Bereiche der Erfahrung finden. Der Umstand, daß von zwei Din-
gen, die einander gegenseitig erklären, ihm augenblicklich nur das
eine gegeben ist, erscheint ihm nur als eine Folge seiner Individua-
lität, nicht als etwas im Objekte selbst Begründetes. Der Bekenner

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einer dualistischen Ansicht glaubt die Erklärung für ein Bekanntes
in einem willkürlich hinzugedachten Unbekannten annehmen zu
müssen. Da er dieses letztere unberechtigterweise mit solchen
Eigenschaften ausstattet, daß es sich in unserer ganzen Welt nicht
finden kann, so statuiert er hier eine Grenze des Erkennens. Unsere
Auseinandersetzungen haben den Beweis geliefert, daß alle Dinge,
zu denen unser Erkenntnisvermögen angeblich nicht gelangen
kann, erst zu der Wirklichkeit künstlich hinzugedacht werden
müssen. Wir erkennen nur dasjenige nicht, was wir erst unerkenn-
bar gemacht haben. Kant gebietet unserem Erkennen Halt vor
einem Geschöpfe seiner Phantasie, vor dem «Ding an sich», und
Du Bois-Reymond stellt fest, daß die unwahrnehmbaren Atome
der Materie durch ihre Lage und Bewegung Empfindung und Ge-
fühl erzeugen, um dann zu dem Schlüsse zu kommen: wir können
niemals zu einer befriedigenden Erklärung darüber gelangen, wie
Materie und Bewegung Empfindung und Gefühl erzeugen, denn
«es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer
Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff-
usw. -Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich
bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich
bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem
Zusammenwirken Bewußtsein entstehen könne». Diese ganze
Schlußfolgerung fällt in nichts zusammen, wenn man erwägt, daß
die sich bewegenden und in bestimmter Weise gelagerten Atome
ein Geschöpf des abstrahierenden Verstandes sind, dem ein abso-
lutes, von dem wahrnehmbaren Geschehen abgesondertes Dasein
gar nicht zugeschrieben werden darf.

Eine wissenschaftliche Zergliederung unserer Erkenntnistätig-


keit führt, wie wir gesehen haben, zu der Überzeugung, daß die
Fragen, die wir an die Natur zu stellen haben, eine Folge des
eigentümlichen Verhältnisses sind, in dem wir zur Welt stehen.
Wir sind beschränkte Individualitäten und können deshalb die
Welt nur stückweise wahrnehmen. Jedes Stück an und für sich
betrachtet ist ein Rätsel oder anders ausgedrückt eine Frage für
unser Erkennen. Je mehr der Einzelheiten wir aber kennenlernen,
desto klarer wird uns die Welt. Eine Wahrnehmung erklärt die

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andere. Fragen, welche die Welt an uns stellt und die mit den
Mitteln, die sie uns bietet, nicht zu beantworten wären, gibt es
nicht. Für den Monismus existieren demnach keine prinzipiellen
Erkenntnisgrenzen. Es kann zu irgendeiner Zeit dies oder jenes
unaufgeklärt sein, weil wir zeitlich oder räumlich noch nicht in
der Lage waren, die Dinge aufzufinden, welche dabei im Spiele
sind. Aber was heute noch nicht gefunden ist, kann es morgen
werden. Die hierdurch bedingten Grenzen sind nur zufällige, die
mit dem Fortschreiten der Erfahrung und des Denkens verschwin-
den. In solchen Fällen tritt dann die Hypothesenbildung in ihr
Recht ein. Hypothesen dürfen nicht über etwas aufgestellt werden,
das unserer Erkenntnis prinzipiell unzugänglich sein soll. Die
atomistische Hypothese ist eine völlig unbegründete, wenn sie
nicht bloß als ein Hilfsmittel des abstrahierenden Verstandes, son-
dern als eine Aussage über wirkliche, außerhalb der Empfindungs-
qualitäten liegende wirkliche Wesen gedacht werden soll. Eine
Hypothese kann nur eine Annahme über einen Tatbestand sein,
der uns aus zufälligen Gründen nicht zugänglich ist, der aber sei-
nem Wesen nach der uns gegebenen Welt angehört. Berechtigt
ist zum Beispiel eine Hypothese über einen bestimmten Zustand
unserer Erde in einer längst verflossenen Periode. Zwar kann die-
ser Zustand nie Objekt der Erfahrung werden, weil mittlerweile
ganz andere Bedingungen eingetreten sind. Wenn aber ein wahr-
nehmendes Individuum zu der vorausgesetzten Zeit dagewesen
wäre, dann hätte es den Zustand wahrgenommen. Unberechtigt
dagegen ist die Hypothese, daß alle Empfindungsqualitäten nur
quantitativen Vorgängen ihre Entstehung verdanken, weil quali-
tätslose Vorgänge nicht wahrgenommen werden können.

Der Monismus oder die einheitliche Naturerklärung geht aus


einer kritischen Selbstbetrachtung des Menschen hervor. Diese
Betrachtung führt uns zur Ablehnung aller außerhalb der Welt
gelegenen erklärenden Ursachen derselben. Wir können diese Auf-
fassung aber auch auf das praktische Verhältnis des Menschen zur
Welt ausdehnen. Das menschliche Handeln ist ja nur ein speziel-
ler Fall des allgemeinen Weltgeschehens. Seine Erklärungsprin-
zipien dürfen daher gleichfalls nur innerhalb der uns gegebenen

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