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Gläubiger und Schuldner besitzt die Form eines Geldverhältnisses – hier nur den Antagonismus tiefer
liegender ökonomischer Lebensbedingungen wider.
Kehren wir zur Sphäre der Warenzirkulation zurück. Die gleichzeitige Erscheinung der Äquivalente Ware
und Geld auf den beiden Polen des Verkaufsprozesses hat aufgehört. Das Geld funktioniert jetzt erstens
als Wertmaß in der Preisbestimmung der verkauften Ware. Ihr kontraktlich festgesetzter Preis mißt die
Obligation des Käufers, d.h. die Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktioniert
zweitens als ideelles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geldversprechen des Käufers existiert, bewirkt es
den Händewechsel der Ware. Erst am fälligen Zahlungstermin tritt das Zahlungsmittel wirklich in Zirku-
lation, d.h. geht aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers über. Das Zirkulationsmittel verwandelte
sich in Schatz, weil der Zirkulationsprozeß mit der ersten Phase abbrach oder die verwandelte Gestalt der
Ware der Zirkulation entzogen wurde. Das Zahlungsmittel tritt in die Zirkulation hinein, aber nachdem
die Ware bereits aus ihr ausgetreten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den Prozeß. Es schließt ihn selb-
ständig ab, als absolutes Dasein des Tauschwerts oder allgemeine Ware. Der Verkäufer verwandelte Ware
in Geld, um ein Bedürfnis durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um die Ware in Geldform zu
präservieren, der schuldige Käufer, um zahlen zu können. Zahlt er nicht, so finden Zwangsverkäufe sener
Habe statt. Die Wertgestalt der Ware, Geld, wird also jetzt zum Selbstzweck des Verkaufs durch eine den
Verhältnissen des Zirkulationsprozesses selbst entspringende, gesellschaftliche Notwendigkeit.
Der Käufer verwandelt Geld zurück in Ware, bevor er Ware in Geld verwandelt hat, oder vollzieht die
zweite Warenmetamorphose vor der ersten. Die Ware des Verkäufers zirkuliert, realisiert ihren Preis aber
nur in einem privatrechtlichen Titel auf Geld. Sie verwandelt sich in Gebrauchuswert, bevor sie sich in
Geld verwandelt hat. Die Vollziehung ihrer ersten Metamorphose folgt erst nachträglich.[98]
[98] Note zur 2. Ausg. Aus folgendem, meiner 1859 erschienenen Schrift entlehnten Zitat wird
man sehn, warum ich im Text keine Rücksicht nehmen auf eine entgegengesetzte Form: "Umge-
kehrt kann im Prozeß G – W das Geld als wirkliches Kaufmittel entäußert
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In jedem bestimmten Zeitabschnitt des Zirkulationsprozesses repräsentieren die fälligen Obligationen die
Preissumme der Waren, deren Verkauf sie hervorrief. Die zur Realisierung dieser Preissumme nötige
Geldmasse hängt zunächst ab von der Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel. Sie ist bedingt durch
zwei Umstände: die Verkettung der Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner, so daß A, der Geld von
seinem Schuldner B erhält, es an seinen Gläubiger C fortzahlt usw. – und die Zeitlänge zwischen den
verschiednen Zahlungsterminen. Die prozessierende Kette von Zahlungen oder nachträglichen ersten
Metamorphosen unterscheidet sich wesentlich von der früher betrachteten Verschlingung der Metamor-
phosenreihen. Im Umlauf des Zirkulationsmittels wird der Zusammenhang zwischen Verkäufern und
Käufern nicht nur ausgedrückt. Der Zusammenhang selbst entsteht erst in und mit dem Geldumlauf. Da-
gegen drückt die Bewegung des Zahlungsmittels einen schon vor ihr fertig vorhandnen gesellschaftlichen
Zusammenhang aus.
Gleichzeitigkeit und Nebeneinander der Verkäufe beshränken den Ersatz der Münzmasse durch Umlaufs-
geschwindigkeit. Sie bilden umgekehrt einen neuen Hebel in der Ökonomie der Zahlungsmittel. Mit der
Konzentration der Zahlungen an demselben Platz entwickeln sich naturwüchsig eigne Anstalten und Me-
thoden ihrer Ausgleichung. So z.B. die Virements im mittelaltrigen Lyon. Die Schuldforderungen von A
an B, B an C, C an A usw. brauchen bloß konfrontiert zu werden, um sich wechselseitig bis zu einem
gewissen Belauf als positive und negative Größen aufzuheben. So bleibt nur eine Schuldbilanz zu saldie-
ren. Je massenhafter kie Konzentration der Zahlungen, desto kleiner relativ die Bilanz, also die Masse der
zirkulierenden Zahlungsmittel.
Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schließt einen unvermittelten Widerspruch ein. Soweit sich
die Zahlungen ausgleichen, funktioniert es nur ideell als Rechengeld oder Maß der Werte. Soweit wirkli-
che Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Zirkulationsmittel auf, als nur verschwindende
und der Preis der Ware so realisiert werden, ehe der Gebrauchswert des Geldes realisiert oder die
Ware veräußert wird. Dies findet z.B. statt in der alltäglichen Form der Pränumeration. Oder in
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der Form, worin die englische Regierung das Opium der Ryots in Indien ... kauft. So wirkt jedoch
das Geld nur in der schon bekannten Form des Kaufmittels ... Kapital wird natürlich auch in der
Form des Geldes avanciert ... Dieser Gesichtspunkt fällt aber nicht in den Horizont der einfachen
Zirkulation."("Zur Kritik etc.", p.119, 120.[1*])
[1*] Siehe Band 13 unserer Ausgabe, S.117
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und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die individuelle Inkarnation der gesellschaftlichen
Arbeit, selbständiges Dasein des Tauschwerts, absolute Ware. Dieser Widerspruch eklatiert in dem Mo-
ment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise heißt.[99] Sie ereignet sich nur, wo die prozes-
sierende Kette der Zahlungen und ein künstliches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind. Mit
allgemeineren Störungen dieses Mechanismus, voher sie immer entspringen mögen, schlägt das Geld
plötzlich und unvermittelt um aus der nur ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld. Es wird uner-
setzlich durch profane Waren. Der Gebrauchswert der Ware wird wertlos, und ihr Wert verschwindet vor
seiner eignen Wertform Eben noch erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das
Geld für leeren Wahn. Nur die Ware ist Geld. Nur das Geld ist Ware! gellt's jetzt über den Weltmarkt.
Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reich-
tum.[100] Inder Krise wird der Gegensatz zwischen der Ware und ihrer Wertgestalt, dem Geld, bis zum
absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungsform des Geldes ist ier daher auch gleichgültig. Die
Geldhungersnot bleibt dieselbe, ob in Gold oder Kreditgeld, Banknoten etwa, zu zahlen ist.[101]
[99] Die Geldkrise, sie im Text bestimmt als besondre Phase jeder allgemeinen Produktions- und
Handelskrise, ist wohl zu unterscheiden von der speziellen Sorte der Krise, die man auch Geldkri-
se nennt, die aber selbständig auftreten kann, so daß sie auf Industrie und Handel nur rückschla-
gend wirkt. Es sind dies Krisen, deren Bewegungszentrum das Geld-Kapital ist, und daher Bank,
Börse, Finanz ihre unmittelbare Sphäre.(Note von M. zur 3. Aufl.)
[100] "Dieses plötzliche Umschlagen aus dem Kreditsystem in das Monetarsystem fügt den theo-
retischen Schrecken zum praktischen Panik: und die Zirkulationsagenten schaudern vor dem un-
durchdringlichen Geheimnis ihrer eignen Verhältnisse."(Karl Marx, l.c.p.126.[1*]) "Die Armen
haben keine Arbeit, weil die Reichen kein Geld haben, um sie zu beschäftigen, obwohl sie die
gleichen Ländereien und die gleiche Arbeitskräfte besitzen wie früher, um Lebensmittel und
Kleider herstellen zu lassen: diese aber bilden den wahren Reichtum einer Nation und nicht das
Geld."(John Bellers, "Proposals for raising a Colledge of Industry", Lond. 1696, p.3,4.)
[101] Wie solche Momente von den "amis du commerce"[2*] ausgebeutet werden: "Bei einer
Gelengenheit"(1839)"hob ein alter habsüchtiger Bankier"(der City)"in seinem Privatzimmer den
Deckel des Schreibtisches, an dem er saß, und breitete vor einem Freunde Bündel von Banknoten
aus; mit innigem Vergnügen sagte er, das seien 600000 Pfd.St., die zurückgehalten worden wä-
ren, um das Geld kanpp zu machen, und
[1*] Siehe Band 13 unserer Ausgabe, S.123 – [2*] "Freunden des Handels"
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Betrachten wir nun die Gesamtsumme des in einem gegebnen Zeitabschnitt umlaufenden Geldes, so ist
sie, bei gegebner Umlaufsgeschwindigkeit der Zirkulations- und Zahlungsmittel, gleich der Summe der zu
realisierenden Warenpreise plus der Summe der fälligen Zahlungen, minus der sich ausgleichenden Zah-
lungen, minus endlich der Anzahl Umläufe, worin dasselbe Geldstück abwechselnd bald als Zirkulations-,
bald als Zahlungsmittel funktioniert. Z.B. der Bauer verkauft sein Getreide für 2 Pfd.St., die so als Zirku-
lationsmittel dienen. Am Verfalltag zahlt er damit Leinwand, die ihm der Weber geliefert hat. Dieselben 2
Pfd.St. funktionieren jetzt als Zahlungsmittel. Der Weber kauft nun eine Bibel gegen bar – sie funktionie-
ren von neuem als Zirkulationsmittel – usw. Selbst Preise, Geschwindigkeit des Geldumlaufs und Öko-
nomie der Zahlungen gegeben, decken sich daher nicht länger die während einer Periode, eines Tags z.B.,
umlaufende Geldmasse und zirkulierende Warenmasse. Es läuft Geld um, das der Zirkulation längst ent-
zogne Waren repräsentiert. Es laufen Waren um, deren Geldäquivalent erst in der Zukunft erscheint. And-