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aus den Eingeweiden der Erde herauszieht[93], begrüßt im Goldgral die glänzende Inkarnation ihres ei-
gensten Lebensprinzips.
Die Ware als Gebrauchswert befriedigt ein besondres Bedürfnis und bildet ein besondres Element des
stofflichen Reichtums. Aber der Wert der Ware mißt den Grad ihrer Attraktionsfraft auf alle Elemente des
stofflichen Reichtums, daher den gesellschaftlichen Reichtum ihres Besitzers. Dem barbarisch einfachen
Warenbesitzer, selbst einem westeuropäischen Bauer, ist der Wert unzertrennlich von der Wertform,
Vermehrung des Gold- und Silberschatzes daher Wertvermehrung. Allerdings wechselt der Wert des Gel-
des, sei es infolge seines eignen Wertwechsels, sei es des Wertwechsels der Waren. Dies verhindert aber
einerseits nicht, daß 200 Unzen Gold nach wie vor mehr Wert enthalten als 100, 300 mehr als 200 usw.,
noch andrerseits, daß die matallne Naturalform dieses Dings die allgemeine Äquivalentform aller Waren
bleibt, die unmittelbar gesellschaftliche Inkarnation aller menschlichen Arbeit. Der Trieb der Schatzbil-
dung ist von Natur maßlos. Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos, d.h. allgemeiner
Repräsentant des stofflichen Reichtums, weil in jede Ware unmittelbar umsetzbar. Aber zugleich ist jede
wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel von beschränkter Wirkung. Die-
ser Widerspruch zwischen der quantitavien Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes
treibt den Schtzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Akkumulation. Es geht ihm wie dem Welter-
oberer, der mit jedem neuen Land nur eine neue Grenze erobert.
Um das Gold als Geld festzuhalten und daher als Element der Schatzbildung, muß es verhindert werden
zu zirkulieren oder als Kaufmittel sich in Genußmittel aufzulösen. Der Schatzbildner opfert daher dem
Goldfetisch seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem Evangelium der Entsagung. Andrerseits kann er
der Zirkulation nur in Geld entziehn, war er ihr in Ware gibt. Je mehr er produziert, desto mehr kann er
verkaufen. Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kardinaltugenden, viel verkaufen,
wenig kaufen, die Summe seiner politischen Ökonomie.[94]
Neben der unmittelbaren Form des Schatzes läuft seine ästhetische Form, der Besitz von Gold- und Sil-
berwaren. Er wächst mit dem Reichtum
[93] "Der Geiz hofft Pluton selbst aus dem Innern der Erde zu ziehen."(Athen[aeus],"Deipnos".)
[94] "Die Zahl der Verkäufer jeder Ware soweit wie möglich zu vermehren, die Zahl der Käufer
soweit wie möglich zu vermindern, das sind die Angelpunkte, um die sich alle Maßnahmen der
politischen Ökonomie drehen."(Verri, l.c.p.53,53.)
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der bürgerlichen Gesellschaft. "Soyons riches ou paraissons riches."[1*] (Diderot.) Es bildet sich so teils
ein stets ausgedehnterer Markt für Gold und Silber, unabhängig von ihren Geldfunktionen, teils eine la-
tente Zufuhrquelle des Geldes, die namentlich in gesellschaftlichen Sturmperioden fließt.
Die Schatzbildung erfüllt verschiedne Funktionen in der Ökonomie der metallischen Zirkulation. Die
nächste Funktion entspringt aus den Umlaufsbedingungen der Gold- oder Silbermünze. Man hat gesehn,
wie mit den beständigen Schwankungen der Warenzirkulation in Umfang, Preisen und Geschwindigkeit
die Umlaufsmasse des Geldes rastlos ebbt und flutet. Sie muß also der Kontraktion und Expansion fähig
sein. Bald muß Geld als Münze attrahiert, bald Münze als Geld repelliert werden. Damit die wirklich
umlaufende Geldmasse dem Sättigungsgrad der Zirkulationssphäre stets entspreche, muß das in einem
Lande befindliche Gold- oder Silberquantum größer sein als das in Münzfunktion beriffenne. Diese Be-
dingung wird erfüllt durch die Schatzform des Geldes. Die Schatzreservoirs ddienen zugleich als Abfuhr-
und Zufuhrkanäle des zirkulierenden Geldes, welches seine Umlaufskanäle daher nie überfüllt.[95]
b) Zahlungsmittel
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In der bisher betrachteten unmittelbaren Form der Warenzirkulation war dieselbe Wertgröße stets doppelt
vorhanden, Waren auf dem einen Pol,
[95] "Um Handel zu treiben, bedarf jede Nation einer bestimmten Summe von specifick mo-
ney[2*], die wechselt nun manchmal größer, manchmal kleiner ist, so wie es die Verhältnisse
fordern ... Diese Ebben und Fluten des Geldes regeln sich selbst ohne jede Hilfe der Politiker ...
Die Eimer arbeiten abwechselnd: wenn das Geld knapp ist, werden Barren gemünzt; sind Barren
knapp, werden Münzen eingeschmolzen."(Sie D. North, l.c.[Postscript,] p.3.) John Stuart Mill,
lange Zeit Beamter der Ostindischen Kompanie, bestätigt, daß in Indien immer noch der Silber-
schmuck unmittelbar als Schatz funktioniert. Die "silbernen Schmuckstücke werden zum Aus-
münzen gebracht, wenn ein hoher Zinssatz Zinssatz besteht; sie wandern zurück, wenn der Zins-
satz fällt".(J.St.Mills Evidence [in] "Repts. on Bankacts", 1857, n.2084,2101.) Nach einem par-
lamentarischen Dokument von 1864 über Gold- und Silberimport und -export in Indien überstieg
1863 der Import von Gold und Silber den Export um 19367764 Pfd.St. In den letzten 8 Jahren vor
1864 betrug der Excess des Imports über den Export der edlen Metalle 109652917 Pfd.St. Wäh-
rend dieses Jahrhunderts wurden weit über 200000000 Pfd.St. in Indien gemünzt.
[1*] "Laßt uns reich sein oder reich erscheinen." – [2*] Metallgeld
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Geld auf dem Gegenpol. Die Warenbesitzer traten daher nur in Kontakt als Repräsentanten wechselseitig
vorhandner Äquivalente. Mit der Entwicklung der Veräußerung der Ware von der Realisierung ihres Prei-
ses zeitlich getrennt wird. Es genügt, die einfachsten dieser Verhältnisse hier aunzudeuten. Die eine Wa-
renart erheischt längere, die andere kürzere Zeitdauer zu ihrer Produktion. Die Produktion verschiedner
Waren ist an verschiedne Jahreszeiten geknüpft. Die eine Ware wird auf ihrem Marktplatz geboren, die
andre muß zu entferntem Markt reisen. Der eine Warenbesitzer kann daher als Verkäufer auftreten, bevor
der andre als Käufer. Bei steter Wiederkehr derselben Transaktionen unter denselben Personen regeln sich
die Verkaufsbedingungen der Waren nach ihren Produktionsbedingungen. Andrerseits wird die Benut-
zung gewisser Warenarten, z.B. eines Hauses, für einen bestimmten Zeitraum verkauft. Erst nach Ablauf
des Termins hat der Käufer den Gebrauchswert der Ware wirklich erhalten. Er kauft sie daher, bevor er
sie zahlt. Der eine Warenbesitzer verkauft vorhandne Ware, der andre kauft als bloßer Repräsentant von
Geld oder als Repräsentant von künftigem Gelde. Der Verkäufer wird Gläubiger, der Käufer Schuldner.
Da die Metamorphose der Ware oder die Entwicklung ihrer Wertform sich hier verändert, erhält auch das
Geld eine andre Funktion. Es wird Zahlungsmittel.[96]
Der Charakter von Gläubiger oder Schuldner entspringt hier aus der einfachen Warenzirkulation. Ihre
Formveränderung drückt dem Verkäufer und Käufer diese neuen Stempel auf. Zunächst also sind es
ebenso verschwindende und wechselweis von denselben Zirkulationsagenten gespielte Rollen wie die von
Verkäufer und Käufer. Jedoch sieht der Gegensatz jetzt von Haus minder gemütlich aus und ist größerer
Kristallisation fähig.[97] Dieselben Charaktere können aber auch von der Warenzirkulation unabhängig
auftreten. Der Klassenkampf der antiken Welt z.B. bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes
zwischen Gläubiger
[96] Luther unterscheidet zwischen Geld als Kaufmittel und Zahlungsmittel. "Machest mir einen
Zwilling aus dem Schadewacht, das ich hie nicht bezalen und dort nicht kauffen kann."(Martin
Luther,"An die Pfaffherrn, wider den Wucher zu predigen", Wittenberg 1540.)
[97] Über die Schuldner- und Gläubigerverhältnisse unter den englischen Handelsleuten Anfang
des 18. Jahrhunderts: "Unter den Handelsleuten herrscht hier in England ein solcher Geist der
Grausamkeit, wie er in keiner anderen menschlichen Gesellschaft und in keinem anderen Land
der Welt anzutreffen ist."("An Essay on Credit and the Bankrupt Act", Lond. 1707, p.2.)
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und Schuldner und endet in Rom mit dem Untergang des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven
ersetzt wird. Im Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der seine poli-
tische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüßt. Indes spiegelt die Geldform – und das Verhältnis von