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weltweit und somit für offene und grenzenlose Angebote für alle. Gleichzeitig
verlieren die Beteiligten die volle Kontrolle über das Geschehen.
Schon das
Zusammenkoppeln vorhandener Programme auf einem einzigen Computer oder
das Öffnen zugestellter Fremddokumente führt häufig zu Schnittstellenproble
men und Fehlfunktionen, geschweige denn die Vernetzung beliebiger Systeme.
n
Numerische Probleme
Ein sehr spezielles Problem bei numerischen Berechnungen ergibt sich aus der
beschränkten Stellenzahl der verwendeten Zahlenwerte. Bei zum Beispiel nur
zehnstellig exakten Rechenoperationen können sich nach Tausenden von Re
chenschritten aufgrund aufsummierter Rundungsdifferenzen völlig unerwarte
te oder gar völlig falsche Resultate ergeben.
n
Modellierungsfehler
Bei jeder Modellbildung besteht die Gefahr, dass wesentliche Eigenschaften der
Realität
nicht berücksichtigt werden, was dramatische Konsequenzen haben
kann (neuestes Grossbeispiel aus der Finanzkrise 2008: das Ungenügen aktuel
ler Weltwirtschaftsmodelle wegen Nichtbeachtung schlechter USAHypotheken
risiken). Die reale Welt ist immer komplexer als ein virtuelles Modell, und auch
Digitalisierungsfehler – wegen allzu grobmaschiger Darstellung von Sachverhal
ten – können zu kritischen Abweichungen von der realen Welt führen.
n
Datenfehler
Von der Datenerfassung bis zur Datenausgabe existieren vielfältigste Fehler
möglichkeiten. Beim Einsatz umfangreicher, automatisch gewonnener Messwerte
muss die Datenqualität sorgfältig geprüft werden. Besonders wichtig, aber auch
heikel sind dabei die eingesetzten Regeln (Metadaten).
Diese Problemaufzählung ist keineswegs vollständig. Daher kann es in Maturitäts
schulen bei der Behandlung von virtuellen
Modellen nicht darum gehen, eine Viel
zahl von Problemen vertieft anzugehen. Was aber zweifellos mit der Hochschulreife
erwartet werden darf, ist ein geschärftes Problembewusstsein. Virtuelle Modelle
sind kein ideales oder gar exaktes Abbild der realen Welt, sondern lassen immer
Teilbereiche unberücksichtigt und gelten nur innerhalb bestimmter Grenzen, deren
Missachtung höchst gefährlich sein kann. Daher ist es wichtig,
dass beim Umgang
mit virtuellen Modellen auch eine notwendige kritische Distanz geweckt und wich
tigste Gefahrenquellen schon in den Maturitätsschulen zum Thema gemacht wer
den. In Kapitel 4.9 wird gezeigt, wie dies in der Schulpraxis gezielt angegangen
werden kann.
Informatikdenken in anderen Disziplinen
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Über mehr als zwei Jahrzehnte hat der «persönliche Computer», der PC, als Tisch
computer am Arbeitsplatz und zu Hause die Informatik geprägt, heute häufig auch
in Form des tragbaren Notebooks. Inzwischen sind die Computer meist vernetzt,
per Kabel oder auch drahtlos, und haben Zugang zum Internet. Dieses Computer
sortiment erfährt gegenwärtig eine starke Erweiterung, indem das Mobiltelefon,
das Handy, zu einem leistungsfähigen Computersystem (mobiler Assistent, Tablet
Computer) weiterentwickelt wurde, das namentlich die internetbezogenen Funktio
nen weitgehend abdecken kann.
Diese Entwicklungen haben nicht nur einen starken Einfluss auf jeden Einzel
nen, sondern auch auf die Gesellschaft insgesamt. Hier ist viel Platz für neue kre
ative Projekte. Es bestehen aber auch Risiken bei unkontrolliertem Umgang mit
den neuen Informatikmitteln, sodass gerade für Jugendliche ein grosser Ausbil
dungsbedarf besteht, zwar nicht für die praktische Handhabung – da sind die Ju
gendlichen schneller als alle Lehrkräfte –, sondern
für die damit verbundenen
Hintergründe und Nebenwirkungen. Die Tabelle 8 zeigt einige Ausprägungen dieser
«neuen» Informatik, wobei wir den Fokus auf die Bereiche Recherchieren, Analysie
ren und Lernen legen.
4.8
Informatik im PostPCZeitalter
Informatikdenken in anderen Disziplinen
100
Kollektives Wissen
Mit der Einführung des Web 2.0 ist ein Paradigmenwechsel bei
den Rollen für Informationsproduzenten und -konsumenten
erfolgt. Jeder Einzelne kann sich heute auch als Informations-
lieferant auf entsprechenden Plattformen einbringen.
Je mehr
Produzenten agieren, umso mächtiger wird ein System. Der
Erfolg von Wikipedia zeigt, welch hohes Niveau ein kollektiver
Wissensverbund erreichen kann. Dass solch kollektives und in
Computern gespeichertes Wissen nicht nur durch Menschen
nutzbar ist, sondern auch durch Maschinen, zeigt das Beispiel
von Jeopardy!, wo ein Computer erstmals in komplexen Frage-
Antwort-Situationen schneller als der Mensch war.
Dem Men-
schen bleibt aber genug zu tun, und er nutzt dazu wiederum
die Informatik. Das Erstellen und Recherchieren von Wissens-
bausteinen, deren Kombination und mediale Aufbereitung,
oft auch kollaborativ im Team, bilden auch künftig wichtige
Arbeitsbereiche im rohstoffarmen Land Schweiz,
dessen
wirtschaftlicher Erfolg massgeblich von einem guten Wissens-
management abhängig ist. War früher der Bundesordner
physisch im Bücherregal platziert, finden wir ihn heute als
Artefakt gemeinsam nutzbar via Cloud Computing.
Mashups
Das Zusammenführen und Kombinieren von öffentlich zugängli-
chen Daten (namentlich auch von Open Government Data, OGD)
sowie deren zeitliche bzw. ortsbezogene Darstellung können
völlig neuartige Erkenntnisse und darauf aufbauend auch neue
Geschäftsmodelle liefern. So macht
eine ortsbezogene Darstel-
lung von Verbrechensfällen Gebiete mit hoher Kriminalitäts-
dichte unmittelbar sichtbar. Dank solchen Verknüpfungen
können neue anspruchsvolle und viel gefragte Dienste entstehen,
wie das Beispiel von mapnificent.net zeigt: «Zeige mir die
Gebiete einer Grossstadt, die ich von einer gegebenen Adresse
aus in weniger als 30 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln
erreichen kann.» Koppelt man eine solche Umgebung an weitere
Datenquellen wie zum Beispiel aktuelle
Stellenanzeigen oder
mietbare Wohnungen, kann wichtige Information personalisiert
und kontextgenau gefiltert werden.
Informatikdenken in anderen Disziplinen