Landtag Plenarprotokoll Nordrhein-Westfalen 16/133 16. Wahlperiode 25. 01. 2017 133. Sitzung


Ingrid Hack (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. Danke schön. Vizepräsident Eckhard Uhlenberg



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Ingrid Hack (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. Danke schön.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Wir kommen jetzt zur Aussprache, und ich erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Jörg das Wort.

Wolfgang Jörg*) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin 1963 geboren – auch wenn ich älter aussehe – und in einem Arbeiterviertel in Hagen groß geworden. Als Kinder haben wir die Mama zu Hause gehabt, der Papa ging arbeiten. Wir hatten ein großes Stahlwerk in der Nachbarschaft, in dem 15.000 Menschen gearbeitet haben. Alle Kinder haben im gleichen Rhythmus gelebt. Morgens ging man in die Schule, nachmittags hat man mehr oder weniger auf sich selbst oder auf die Freunde aufgepasst. Um 18 Uhr musste man zu Hause sein. Das Leben war geregelt.

Wir hatten drei Programme. Wir konnten uns „Daktari“, „Bonanza“ oder, wenn es unheimlich wurde, „Belphégor“ anschauen. Wir hatten einen ähnlichen Rhythmus. Unsere Eltern hatten auch einen ähnlichen Rhythmus und einen Korridor von Problemen, der nicht sehr groß war.

Das hat sich gewaltig geändert. In den letzten 20, 30 Jahren hat sich die Situation von Familien derart verändert, dass heute kaum noch eine Familie lebt und arbeitet wie die nächste. Insofern war es richtig und gut von der SPD-Fraktion, die Einsetzung dieser Enquetekommission zu beantragen. Wir haben zwei Jahre geforscht, um genau diese Erkenntnislage, die uns alle schon im Unterbewusstsein begleitet hat, zu dokumentieren: Keine Familie lebt genau wie die andere. Da reicht nicht mehr nur eine Antwort auf die Frage nach der zukünftigen Familienpolitik, sondern wir brauchen tausend Antworten. Wir haben in der Enquetekommission entsprechend viele Fragen gestellt.

Gemeinsam mit allen Fraktionen haben wir uns drei Punkte als Überschriften gegeben, wonach wir dann vorgegangen sind. Erstens. Wie können wir Familien weiter entlasten? Der Druck auf die Familien ist nämlich erheblich gestiegen. Zweitens. Wie können wir Familien weiter unterstützen? Die Situationen rund um Erziehung und die Familie sind auch nicht einfacher geworden. Drittens. Wie können wir dazu beitragen, dass wir mit unseren Maßnahmen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreichen?

Diese Fragen haben uns geleitet. Wir haben festgestellt, dass es immer noch eine große strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien gibt. Ich will mal einige Beispiele nennen, an denen wir das identifiziert haben:

Eltern geben ein Vermögen für die Bildung ihrer Kinder aus; im Verlauf der Jahre werden Hunderttausende Euros investiert. Wir alle kennen das Problem mit hohen Kitagebühren. Der Nachhilfemarkt setzt bundesweit – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – über 4 Milliarden € um. Zwischendurch hatten wir es auch mit hohen Studiengebühren zu tun; Eltern investieren da ein Vermögen.

Wenn dann der erwünschte Bildungserfolg eintritt, wenn aus den Schülern – auch heute sind wieder einige Schülerinnen und Schüler zu Besuch – gut ausgebildete Fachkräfte werden – Krankenschwestern, Polizisten, Ingenieure oder Mitarbeiter der Stadtverwaltung –, dann hat die gesamte Gesellschaft etwas von der Ausbildung dieser Kinder. Alle Mitglieder der Gesellschaft setzen auf die Ausbildung der Kinder; ob die Kinderlosen, die Rentner, die Unternehmer, die Gewerkschaften – wir alle haben etwas von der Ausbildung dieser Kinder. Deshalb sagen wir: Wir müssen die Familien entlasten, Bildung muss steuerfinanziert und nicht gebührenfinanziert sein!

(Beifall von der SPD)

Es würde eine erhebliche Entlastung für die Familien bedeuten, wenn sie nicht mehr jeden Monat zum Teil mehrere Hundert Euro gerade an Kitagebühren auf den Tisch legen müssten.

Das hat auch nichts – um das noch einmal deutlich zu sagen – mit dem Einkommensniveau zu tun. Jeder, der 5.000 € netto verdient, hat ein gutes Einkommen. Wenn man jedoch 5.000 € netto verdient und drei Kinder hat, dann zahlt man schnell 1.000 € oder mehr an Kitagebühren, und dann bleibt nicht mehr so viel vom Netto. Demjenigen, der keine Kinder hat, verbleibt wesentlich mehr Geld; aber die Kinder desjenigen, dessen Nettoeinkommen durch die Ausgaben für die Kinder schrumpft, zahlen hinterher die Renten auch für den Kinderlosen. Das ist eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit.

(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: So ist das!)

Da müssen wir innerhalb der Gesellschaft für mehr Gerechtigkeit sorgen, unabhängig vom Einkommen der Eltern.

Wir haben strukturelle Rücksichtlosigkeit auch im Zusammenhang mit Stadtverwaltungen und mit Ämtern erlebt. Da gibt es Öffnungszeiten, die nicht familienfreundlich sind. Familien werden mit ihren Problemen in den Ämtern von einer Ecke zur anderen geschickt. Um für das Kind bestimmt Dinge auf den Weg zu bringen, müssen zig Amtsgänge erledigt werden.

Wir konnten in diesem Bereich allerdings auch gute Beispiele verzeichnen. Manche Kommunen haben Familienbüros eingerichtet. Dadurch wird den Familien die Chance eröffnet, dass sie mit ihren Problemen nur eine einzige Stelle der Stadtverwaltung anlaufen müssen. Sie bekommen dann von dieser Stelle Hilfe und müssen nicht mehr von Hinz zu Kunz geschickt werden. Solche Entwicklungen begrüßen wir natürlich ausdrücklich.

Wir haben aber auch eine strukturelle Rücksichtslosigkeit in der Arbeitswelt festgestellt. Es gibt immer noch zu viele befristete Verträge, auf deren Grundlage man keine Familie gründen kann. Das ist dann unendlich schwierig, weil man nie über ein Jahr hinaus planen kann. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass Schichtbetriebe wenig Rücksicht auf junge Mütter, auf junge Familien nehmen. Unternehmen können und müssen sich in diesem Bereich noch erheblich bewegen.

Erfreulicherweise – das will ich deutlich sagen – gibt es inzwischen schon viele Unternehmen, die den Zug der Zeit erkannt haben, und nach meiner Überzeugung sind das die schlauen Unternehmer. Sie binden ihre Mitarbeiter an das Unternehmen; sie sorgen dafür, dass es den Familien gut geht. Das ist nachhaltige unternehmerische Politik, die wir ausdrücklich alle gemeinsam begrüßt haben. Leider gibt es davon immer noch zu wenig.

Darüber hinaus haben wir das Verhältnis zwischen Zeit, Infrastruktur und Geld untersucht. Diese Balance ist entscheidend für das Wohlbefinden von Familien. Ich mache das einmal an einem Beispiel fest. Was nützt viel Geld allein? Was nützt es, wenn man ein hohes Einkommen hat, dafür aber wenig Zeit und eine schlechte Infrastruktur? Das kann keine Familie glücklich machen, weil man kaum die Möglichkeit hat, Zeit miteinander zu verbringen.

Eine gute Infrastruktur kann auch Zeit schaffen, zum Beispiel wenn die Kita oder ein guter ÖPNV in der Nähe vorhanden sind. Es ist auch möglich, haushaltsnahe Dienstleistungen zugunsten von mehr Familienzeit zu erkaufen. Die Balance zwischen Zeit, Infrastruktur und Geld ist für Familien jedenfalls ganz entscheidend.

Deshalb müssen wir verstärkt darauf achten, dass wir als Staat vor Ort eine vernünftige Infrastruktur organisieren, dass Familien genügend Geld zur Verfügung haben, um diese Infrastruktur zu nutzen und dadurch Zeit für ein gutes Familienleben entwickeln können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Familienpolitik ist in den letzten 30 Jahren ideologisch sicherlich sehr belastet gewesen. Das brauchen wir nicht schönzureden, das ist so. Umso stolzer bin ich darauf – das meine ich sehr ernst –, dass wir über 90 % aller Beschlüsse einstimmig gefasst haben.

(Beifall von der SPD und von Walter Kern [CDU])

Trotz des bevorstehenden Wahlkampfes haben wir es geschafft, uns über manche, auch hart geführte, Diskussion hinaus zu beherrschen und zusammenzurücken, und zwar mit der sicheren Erkenntnis, dass wir etwas Gutes für die Familien erreichen wollen. Darauf bin ich sehr stolz.

Ich möchte eines deutlich machen: Für den Fall, dass Rechtspopulisten hier in den Landtag einziehen, wird die Arbeit einer Enquetekommission in diesem Maße sicher nicht mehr möglich sein wird. Das müssen wir den Familien, den Menschen in Nordrhein-Westfalen an dieser Stelle sagen. Diese Gruppierungen hätten uns die Enquetekommission mit ihrem menschenfeindlichen Bild glatt zerschossen. Wir alle sollten dafür sorgen, dass wir am 14. Mai dieses Jahres solche Menschen aus unseren Enquetekommissionen heraushalten.

(Beifall von der SPD)

Abschließend will ich noch sagen, dass wir diesen Bericht natürlich nicht zur Seite legen, sondern er bedeutet für uns als Sozialdemokratie ein Aufgabenheft. Wir müssen zusehen, dass wir in den nächsten Jahren möglichst viele der Impulse, die dort aufgeführt sind, hier im Parlament umsetzen. Ebenso müssen wir diese Impulse auch an die Bundesregierung und an die Kommunen weitergeben. Meine Fraktion jedenfalls wird dabei sein. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Jörg. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Kern.

Walter Kern (CDU): Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Und vor allem: Liebe Sachverständige, Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und des Kommissionssekretariats, die heute auf der Tribüne Platz genommen haben! Besten Dank für Ihre herausragende Arbeit. Ich möchte an dieser Stelle besonders Herrn Dr. Sandhaus vom Kommissionssekretariat nennen, der zur rechten Zeit zu uns kam.

Wir alle sind geneigt, zu sagen: Es ist geschafft. – Dabei haben wir mit viel Mühe und Schweiß gerade erst die Startblöcke eingehauen. Die Arbeit fängt jetzt erst richtig an. Das wird für Nordrhein-Westfalen ein langer Weg, den wir gemeinsam gehen müssen.

Mehr als zwei Jahre lang haben wir uns mit dem Schlüsselthema, der Stärkung der Familien in Nordrhein-Westfalen, befasst. Die Diskussionen und die fachliche Auseinandersetzung waren konstruktiv, intensiv, teilweise polarisierend und strittig, ideologisch, kleinteilig und detailverliebt, stets unter Zeitdruck – aber immer auf der Suche nach Kompromissen. Manchmal erinnerten mich die Sitzungen an bestimmte gruppendynamische Erfahrungen.

Wir haben tolle Experten kennenlernen dürfen. Beispielhaft will ich Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann und Prof. Dr. Paul Kirchhof nennen sowie den „Verband alleinerziehender Mütter und Väter“ und den „Verband kinderreicher Familien Deutschland“.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, die Ergebnisse der Kommission dürfen nicht in den Schubladen verschwinden, sondern sie sollen und werden uns in der nächsten Dekade begleiten. Das sind wichtige Handlungsempfehlungen an das Parlament, an das Tagesgeschäft. Meines Erachtens stehen alle Kommissionsmitglieder in der besonderen Verantwortung, kontinuierlich darauf zu achten, dass die Stärkung der Familien zu einem führenden Thema, ja zum Hauptthema in Nordrhein-Westfalen wird.

Dazu bedarf es grundlegender politischer Entscheidungen. Dabei muss der Weg so beschritten werden, dass wir uns im Sinne von Qualitätsmanagement ständig verbessern – Schritt für Schritt mit einer rollenden Prüfung und mit Evaluation.

Trotz aller Unterschiede in der politischen und fachlichen Sichtweise war es unser gemeinsamer Nenner, mehr Gutes für Familien in Nordrhein-Westfalen zu erreichen. Wir sollten in dem Bewusstsein weiterarbeiten, Rückstände aufzuholen und in Nordrhein-Westfalen gegebenenfalls auch einmal mutig voranzugehen – geleitet von dem Maßstab: Was nutzt der Familie?

Das Ziel der CDU – unser Ziel – besteht darin, einmal sagen zu können, dass Nordrhein-Westfalen zu den familienfreundlichsten Bundesländern zählt – und zwar nicht nur als PR-Gag, sondern nachprüfbar und transparent.

(Beifall von der CDU)

Die CDU hat die Enquetekommission von Anfang an als Auftrag verstanden, insbesondere in der NRW-Landes- und Kommunalpolitik Chancen zu schaffen, Familien zu stärken.

Ich frage Sie: Weshalb benötigen wir eine Enquetekommission für Nordrhein-Westfalen, wenn wir bei den Handlungsempfehlungen immer wieder Richtung Berlin blicken? Das ist nicht konsequent. Die CDU hat deshalb von der Bewertung bundespolitischer Forderungen abgesehen. Ein Zusammenhang von bundes- und landespolitischen Vorschlägen ist zwar denkbar, würde aber die Bedeutung einer eigenständigen Landesfamilienpolitik Nordrhein-Westfalens infrage stellen, geradezu unterlaufen.

Die CDU Nordrhein-Westfalens stellt sich dieser Verantwortung für das Land. Wir betonen ausdrücklich: Unsere Familien in Nordrhein-Westfalen brauchen eine Landesfamilienpolitik, die passgenau auf die Bedürfnisse der Familien im jeweiligen Sozialraum zugeschnitten ist. Diese können je nach Region sehr unterschiedlich sein: Stadt, Land, Ballungszentren usw. Umso wichtiger ist es, die kommunale Ebene in ihren Handlungs- und Umsetzungsmöglichkeiten wieder zu stärken.

Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, im Zusammenhang mit der bekannten Shell-Studie ist die Bedeutung der Familie für junge Menschen wiederholt dargestellt worden. Sie wünschen sich Kinder und Familie. Politisch schaffen wir es nicht, diesen Wunsch durchzusteuern und so zu unterstützen, dass eine frühe Familiengründung möglich ist, zum Beispiel in Studium oder Ausbildung. So etwas funktioniert unter anderem durch weniger befristete Arbeitsverträge und damit mehr Sicherheit bei der Familiengründung.

Diesen laut Shell-Studie deutlich ausgesprochenen Wunsch junger Menschen müssen wir als politischen Auftrag verstehen. So kann Politik durchaus Einfluss auf das Lebensglück nehmen.

Familien stecken in einem zeitlichen Sandwich. Zeit ist ohne Zweifel die Leitwährung moderner und zeitgemäßer Familienpolitik. Junge Familien fühlen sich berechtigterweise häufig unter Druck – das ist die Rushhour des Lebens. Für die CDU ist und bleibt die Wahlfreiheit der Eltern ein tragendes Ziel ihrer Familienpolitik.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dabei gilt insbesondere, dass die Eltern Familie und Arbeit miteinander vereinbaren können müssen. Hier erleben wir derzeit einen Paradigmenwechsel. Junge NRW-Bürgerinnen und -Bürger wollen arbeiten, um zu leben, und nicht so sehr leben, um zu arbeiten. Man nennt das auch Work-Life-Balance.

In dieser Legislaturperiode haben die Verantwortlichen zu häufig so getan, als bestünde gute Familienpolitik nur im angemessenen Ausbau von Betreuungsplätzen. Da besteht ohne Zweifel ein Defizit in Nordrhein-Westfalen. Gute Familienpolitik ist aber noch viel mehr. Wir sollten Familie auf einer Lebensachse betrachten – von der Wiege bis zum Lebensende. Ausgerichtet an dieser Lebensachse sollten und könnten, wo es erforderlich und notwendig ist, Unterstützungssysteme herangezogen werden. Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“, wobei die Selbstverantwortung der Familien zu stärken ist, muss Maßstab unseres Handelns sein.

Gerade die Unterstützung bei der häuslichen Pflege wird immer mehr zur Schlüsselfrage guter Familienpolitik; ich nenne nur das Stichwort „demografischer Wandel“. Die Wahrheit ist aber auch, dass Familienpolitik nicht nur eine politische Aufgabe ist. Die Sozial- und Tarifpartner müssen familienbewusste Arbeitszeitmodelle zum selbstverständlichen Verhandlungsgegenstand ihrer Tarifverhandlungen machen.

(Beifall von Michael-Ezzo Solf [CDU])

Hier sehe ich noch Luft nach oben; da gibt es deutliche Entwicklungschancen. Familien zu stärken, muss deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein und den veränderten Anforderungsprofilen gerecht werden.

Ein Beispiel: Junge Väter definieren heutzutage ihre Rolle immer weniger über das Ernährer-Modell; vielmehr wollen sie mehr Teilhabe und Verantwortung beim Aufwachsen ihrer Kinder übernehmen. Das muss ermöglicht werden. Ein gesellschaftliches Klima für Familien, wie es beispielsweise in Norwegen gelebt wird, kann dafür durchaus ein Vorbild sein.

Die CDU-Landtagsfraktion hat sich nach intensiver Diskussion entschieden, dem Parlament und der Öffentlichkeit mit einem Sondervotum aufzuzeigen, wie sie sich ein Gesamtkonzept einer Landesfamilienpolitik in Nordrhein-Westfalen vorstellt.

Wir sind überzeugt, dass wir das geforderte gemeinsame Bündnis der Familienpolitiker benötigen. Der Einsetzungsbeschluss fordert ein Gesamtkonzept der Politik für Familien in Nordrhein-Westfalen. Nur durch die strukturelle Neuausrichtung können wir eine nachhaltige Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen ermöglichen.

Die Kernfrage lautet: Wie können wir verlässliche, langfristige Planungssicherheit und stabile Rahmenbedingungen für Familien schaffen? Was nutzt Familien wirklich? Wie unterstützen wir Familien in den heute so vielfältig gelebten Formen – von der klassischen Familie über die Patchwork-Familie bis zur Familie mit einem Elternteil, ob Alleinerziehende, ob Armutssituation von Familien und Kindern, ob Armutsrisiko für Alleinerziehende oder Kinderreiche? Dringend erforderlich ist natürlich auch – und das will ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen – die erforderliche Familienbildung und Familienberatung.

Nach Ansicht der CDU ist es geradezu ein Skandal, dass diejenigen, die durch generative Beiträge die Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens sichern, erhöhten Armutsrisiken ausgesetzt sind. Das darf so nicht bleiben, das muss sich ändern!

In unserem Sondervotum sprechen wir, die CDU, zusammen mit den Experten Dr. Stefan Nacke und Herrn Prof. Klaus Peter Strohmeier Handlungsempfehlungen an:

Erstens. Wir wollen, dass Familienförderung gesetzlich in einem Landesfamilienfördergesetz verankert wird. Das gibt es bisher in Nordrhein-Westfalen nicht.

Zweitens. Wir wollen einen neuen Zuschnitt des Familienministeriums. Die Neuorganisation des Familienministeriums muss sich integriert und systematisch an der Lebenswirklichkeit von Familien orientieren. Wenn 70 % der Pflege in der Familie stattfindet, dann gehört auch die Pflege dazu.

Drittens. Um Familienpolitik langfristig und verlässlich zu planen, brauchen wir regelmäßige Landesfamilienberichte und einen Landesfamilienförderplan, der kurz-, mittel- und langfristige Ziele transparent und messbar darstellt.

Viertens. Wir brauchen eine stärkere und kontinuierliche Vernetzung und einen Austausch der Familienpolitik mit der Wissenschaft. Wichtig ist, dass Wissenschaft und Praxis nicht einfach nur nebeneinander stehen, sondern sich gegenseitig im Austausch befinden. Wir brauchen keine Einbahnstraße der Informationen, vielmehr heißt die Lösungsoption kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung.

Fünftens. Rahmenbedingungen für Familien finden vor Ort statt. Deshalb ist es zukünftig wichtig, dass wir auch eine kommunale Familienkonferenz vor Ort vorhalten. Wir stellen uns das ähnlich vor wie bei der Gesundheitskonferenz, dass die Kompetenzträger vor Ort vorhanden sind. Gerade die Gesundheits- und die Pflegekonferenz haben hier deutliche Entwicklungschancen aufgezeigt. Der kommunale Familienkoordinator, der diese Familienkonferenz leitet, wird nach unserer Vorstellung direkt dem Rat und dem Bürgermeister berichten.

Sechstens. Wir brauchen eine konsequente Qualitätsoffensive zur Kindertagesbetreuung. Darüber haben wir schon beim vorherigen Tagesordnungspunkt gesprochen; deswegen brauche ich nicht weiter darauf einzugehen.

Siebtens. Familienbildung und Familienberatung sind auszubauen. Das Erfolgsmodell „Familienzentrum“, das in der Laschet-Zeit konzipiert worden ist, muss weiter gefestigt werden.

Achtens. Es bedarf der Wertschätzung und des Engagements für berufstätige und pflegende Mütter und Väter. Familienarbeitszeitmodelle und die Vorbildfunktion insbesondere der öffentlichen Hand sind hier Schlüsselbegriffe.

Neuntens. Familien mit besonderen Belastungen müssen sich auf die Gesellschaft deutlich verlassen können. Gerade die familiäre Pflege bedarf der intensivsten Stärkung. In diesem Bereich müssen wir uns noch verbessern. Insbesondere Familien mit behinderten Kindern brauchen gesellschaftliche Solidarität, und sie müssen das konkret spüren.

Zehntens. Familien mit Zuwanderungsgeschichte – da hat Nordrhein-Westfalen eine große Tradition – benötigen Bildung, Gesundheit und Zugang zum Arbeitsmarkt. Das ist die große Chance einer gelingenden Integration. Gesellschaftliches Engagement und soziale Netzwerke müssen deshalb unterstützt werden.

Elftens. Wir benötigen eine Stiftung „Starke Familien“; dabei stellen wir uns das Prinzip der Zustiftung vor.

Zwölftens. Lassen Sie mich das sagen: Familienpolitik ist kein „Gedöns“. – Sie wissen ja, wer das gesagt hat. Familie muss vor die Klammer gezogen werden. Eine Landesfamilienkonferenz und ein Wettbewerb um familiengerechte Kommunen können zum erforderlichen Paradigmenwechsel beitragen.

Ich komme zum Schluss. Was kommt, wenn Familie geht? – Der Staat ist dramatisch überfordert, wenn er glaubt, die grundlegende Solidarität, die von der Familie ausgeht, ersetzen zu können. Der Staat braucht die Familien wegen ihrer sozialen Bindekraft. Deshalb ist der Schutz von Ehe und Familie in der Verfassung mehr als begründet. Das ist die zeitgemäße Betrachtung!

Wir treffen damit ausdrücklich den Willen der Bevölkerung. Familie wird den Deutschen immer wichtiger. 1998 waren 68 % der Bevölkerung der Überzeugung, dass ihnen die Familie ein Gefühl von Sicherheit gibt. Heute sind es bereits 79 %, die die Familie ins Zentrum stellen. Weit über drei Viertel der Befragten sagen, dass Ihnen Familie das Wichtigste überhaupt ist. Wenn das kein Auftrag für die Politik ist, dann weiß ich es auch nicht!

Resümee: Die Enquetekommission zur „Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen“ hat sehr gut gearbeitet. Das sage ich trotz unterschiedlichster Sichtweisen im Einzelfall und im Respekt vor dem Andersdenkenden in den auf demokratischem Fundament arbeitenden Parteien im Landtag Nordrhein-Westfalen. Auch wenn die CDU-Fraktion nicht allen Empfehlungen zustimmen kann, werden wir der Gesamtpräsentation zustimmen, weil sie die ganze Diskussionsbreite aufzeigt.

Ein wichtiger Hinweis am Rande: Die Katholische Kirche in Nordrhein-Westfalen mit ihren fünf Bistümern hat am 17. Januar dieses Jahres ein bemerkenswertes Papier zur Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen herausgegeben – modern und zeitgemäß. Man kann den vielen Experten nur dankbar sein und ihnen zu dieser Arbeit gratulieren. Das ist ein starker Aufschlag.

Darin wird eine stärkere Priorisierung der Landespolitik zugunsten der Familienpolitik gefordert. Ich denke, das ist ganz im Sinne der Enquetekommission. Des Weiteren wird in dem Papier gefordert – ich zitiere –, „eine Prüfung aller Gesetzesvorhaben auf ihre generationenübergreifende Familienverträglichkeit zu installieren“, damit die Vokabel „Querschnittsaufgabe“ künftig weniger zur Ausweichlegitimation dient, sondern operativ wirksam wird.

Die Tagespolitik hat jetzt ein großes Aufgabenheft vor sich, das es ab sofort zu bearbeiten gilt. Es bleibt noch viel zu tun im Land Nordrhein-Westfalen bis wir Familienland Nummer eins sind. Machen wir uns also auf den Weg! – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Genau auf den Punkt, Herr Kollege Kern. Die Redezeit war gerade vorbei. Vielen Dank. – Nun hat für die Grünen Frau Kollegin Velte das Wort.

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte einen Dank an alle Mitglieder der Kommission voranstellen. Wir haben gestritten. Wir haben gelernt, dass – zu meiner großen Überraschung – Familie ein extrem emotionales Thema ist. Wir haben lange gebraucht, bis wir uns so weit zusammengerauft hatten, dass wir unsere Sichtweisen ein Stück weit einander angleichen konnten.

Heldin dieses ganzen Prozesses – diese Bemerkung sei mir gestattet – ist Frau Ingrid Hack als Vorsitzende, die es immer wieder geschafft hat, auch zerstrittene Positionen zusammenzuführen. Ich finde, da hat sie eine Menge Verdienst erworben.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der FDP)

Fast 40 % der in Nordrhein-Westfalen lebenden Familien haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Die Wurzeln ihrer Großeltern liegen nicht in Deutschland. Sie machen einen wesentlichen Teil Nordrhein-Westfalens aus. Deswegen ist es mir ein großes Anliegen, darauf hinzuweisen, dass wir dieses Thema in der Kommission immer mit diskutiert haben. Wir haben im Zusammenhang mit den vielen Familien mit Migrationsgeschichte immer wieder überlegt: In welcher Situation sind sie betroffen? Wie gehen sie mit der Situation um? – Wir haben eigene Handlungsempfehlungen entworfen, die sich speziell um die Belange der Familien mit Wurzeln in anderen Ländern kümmern.

Eine ganz wichtige Fragestellung – das hat hier noch niemand erwähnt – ist die Anerkenntnis der Mehrsprachigkeit der Familien, der Kinder, und die Anerkenntnis der Diversität dieser jeweiligen Communitys. Dazu haben wir Handlungsempfehlungen verabredet.

Unser übereinstimmendes Ziel ist es, dass alle Kräfte, die sich um diese Kinder kümmern, armutssensibel und kultursensibel ausgebildet werden müssen. Das ist in einem Land wie Nordrhein-Westfalen sehr wichtig. Da schon viele Menschen in diesem Bereich tätig sind, können wir in Nordrhein-Westfalen sehr stolz auf die Erzieherinnen und auf die Lehrer und Lehrerinnen sein, die diese Kunst bereits beherrschen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Häufig war auch die Rede von Gebührenfreiheit, vom Familienfördergesetz usw. Wir haben sehr viel darum gestritten, wie es gelingen kann, dass wir zueinanderkommen und uns um diejenigen Menschen in unserem Land kümmern, die unter dem Stichwort „einkommensarm“ in unseren Städten leben. Das ist mir ein großes Anliegen.

Es hat mich sehr schockiert, dass es von Teilen der Kommission hieß – Frau Hack hat es bereits erwähnt –: Das Thema „Einkommensarmut“ interessiert uns eigentlich nicht. – Als Kommission haben wir dann gemeinsam entschieden, dass die Einkommensarmut mit Blick auf Familie ein wichtiges Thema ist. Wir haben sehr lange den von KeKiz vorgetragenen Ergebnissen gelauscht; wir haben auch den Ergebnissen von Herrn Prof. Dr. Strohmeier gelauscht, der sehr deutlich gemacht hat, welche Folgen die Einkommensarmut von Familien auf die Kinder und auf das gesellschaftliche Gedeihen hat.

Gemeinsam haben wir uns darauf verständigt, dass wir die Quartiere, die Stadtteile, die Straßenzüge, in denen diese Menschen leben, noch einmal neu in den Blick nehmen und uns überlegen: Mit welchen Instrumenten gelingt es uns, dort die höchste Qualität hineinzubringen? Wie können wir unsere Stadtteile so aufwerten, dass sich Familien dort auch wertgeschätzt fühlen? Wie viel Grün können wir in diese Stadtteile hineinbringen? Wie viel Bildung können wir in diese Stadtteile hineinbringen? Wie kann es gelingen, dass die Eltern und die Familien dort besser und stärker an Gesellschaft teilhaben können? Das war eine ganz wesentliche Frage, die wir viele Stunden diskutiert haben; denn in einer Gesellschaft wie der unseren gelten diese Eltern zum Teil als abgehängt.

Die Investitionen, die wir als Land in unseren Kommunen tätigen wollen, und für die wir entsprechende Forderungen an den Bund stellen, müssen auch gerade diese Menschen in den Blick nehmen. Das erfordert eine gewisse Wertschätzung der Familien. Wer Familien, denen es nicht so gut geht, nicht wertschätzt, schätzt Familie insgesamt nicht wert.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)

Ich komme zum Schluss und bleibe beim Thema. Wir alle haben betont, wie wichtig uns Familie ist. Umso dramatischer ist es, wenn die Frage des Familiennachzugs bei geflüchteten Menschen kritisch diskutiert wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und vielen Dank an die Kommission.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)


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