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OSTEUROPA-INSTITUT MÜNCHEN  Mitteilung Nr. 56
zug. Im Sommer 1874 schlossen sich Schüler, Studierende und liberale Bürger dem 
narodničestvo, dem „Gang ins Volk“, an und wollten die Bauern in den Dörfern aufklä­
rerisch aufrütteln. Es blieb beim Versuch; das Misstrauen der dergestalt Heimgesuchten 
war so groß, dass sie die narodniki („Volkstümler“) oft dem nächsten Gendarmen über­
antworteten. Als Konsequenz aus dem fehlgeschlagenen friedlichen Ansinnen, mit dem 
„Gang ins Volk“ einen letztlich revolutionären Umbruch von der bäuerlichen Basis her 
zu erwirken, wurde nicht mehr Massenagitation betrieben, sondern erfolgte die Bildung 
eines neuen Sammelbeckens für die revolutionäre Bewegung, wiederum unter der Be­
zeichnung „Zemlja i volja“. Deren Mitglieder schieden sich aber Ende der 1870er Jahre 
an der Frage des Gewalteinsatzes; die militanten Kräfte, die den Zaren ins Visier nah­
men, formierten sich in der terroristischen Gruppierung  „Narodnaja volja“  („Volks­
wille“  bzw. „Volksfreiheit“).  Der die Gewalt  ablehnende Flügel („Černyj peredel“
„Schwarze Umverteilung“) verschwand rasch wieder.
111
 Zwischen 1878 und 1881 kam 
es zu einem vorläufigen Höhepunkt der Terrorkampagne, die in der Ermordung des „Re­
formzaren“ Alexander II. am 1. März 1881 in St. Petersburg gipfelte. Entgegen den 
Hoffnungen der Terroristen erhob sich das Volk nicht, sondern blieb gleichgültig bis be­
stürzt. Wie schon 1874, so zeigte auch die kapitale Tat den fehlenden Rückhalt der Re­
volutionäre in der Bevölkerung, deren Befreiung sie sich auf die Fahnen geschrieben 
hatten.
112
 Zwar versuchten sechs Jahre später einige Verschwörer, auch den Nachfolger, 
Alexander III., zu töten, aber das misslungene Attentat bewies, dass die harte Hand un­
ter dem Schutz des 1881 eingeführten Ausnahmezustands Wirkung gezeigt hatte. Die 
„Narodnaja volja“ war nach dem Zarenmord zerschlagen worden; ihre Mitglieder wur­
den in großen Prozessen zu Verbannung und Zwangsarbeit verurteilt.
113
 
Obgleich in der Regierungszeit Alexanders III. die liberaleren Kräfte an Gewicht ver­
loren und die Ausnahmegesetze die zaghaft gewährten Freiheitsrechte wieder beschnit­
ten, konnten die Errungenschaften der Reformära nicht mehr rückgängig gemacht wer­
den.
114
 Das betraf auch die seit den sechziger Jahren in immer wieder neuen Kommissio­
nen geführten Diskussionen um das Gefängniswesen. Mit der Einrichtung der Gefäng­
nishauptverwaltung   (Glavnoe   upravlenie   tjur’my,   GTU)   1879   im   Innenministerium 
(Ministerstvo vnutrennich del, MVD) und ab 1895 im Justizministerium (Ministerstvo 
justicii, MJu) wurde der Strafvollzug modernisiert und besser organisiert. Die zentralen 
Strafvollzugsmodelle blieben unangetastet.
115
111 Der Begriff peredel war die gebräuchliche Bezeichnung für die Landneuverteilung, wie sie in den rus­
sischen Dorfgemeinden  periodisch durchgeführt wurde. Da die Enteignung der Großgrundbesitzer 
und die Verteilung des Landes an die 1861 befreiten Bauern zu den vordringlichen Zielen der revolu­
tionären Bewegung zählten, wurde dies auch – in einem weiterreichenden Sinn – zum Schlagwort, 
dessen sich Pavel Aksel’rod und Georgij Plechanov für die Bezeichnung ihrer (allerdings kurzlebi­
gen) Organisation bedienten, vgl. H
AUMANN
 Geschichte, S. 382f.
112 Vgl. R
OGGER
 Russia, S. 137f.
113 Vgl. dazu H
AUMANN
 Geschichte, S. 383.
114 Vgl. auch die Einschätzung bei H
ILDERMEIER
 Revolution, S. 49f. Ein gesetzloser Polizeistaat sei nicht 
entstanden. Dies vor allem in Abgrenzung zu Pipes, Old Regime, S. 311f., der dem ausgehenden Za­
renreich „alle Elemente eines Polizeistaats“ zuspricht und von entstehendem „Totalitarismus“ spricht. 
Als Beispiel für Verschärfungen sei auf die Presse verwiesen, vgl. Z
AIONCHKOVSKY
 The Russian Auto­
cracy, S. 154f.
115 A
DAMS
  Punishment, S. 199, schreibt dazu: „Considering the obstacles in the way of their work, the 
GTU’s achievements were impressive. The GTU modernized Russia’s prisons and made them into a 
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2.2. Die „Großen Reformen“ und die ersten Phasen des Terrors
Der sich ausbreitende Terror hatte auch Folgen für die Organisation der staatlichen 
Sicherheit. Mitten in der Terrorkampagne der „Narodnaja volja“ wurde 1880 die nach 
dem Dekabristenaufstand 1826 gegründete „III. Abteilung“ – die erste, direkt der Kanz­
lei des Zaren unterstellte Sicherheitspolizei – aufgelöst und ihre Aufgabe einem dem In­
nenministerium zugeordneten Polizeidepartement übertragen. Diesem unterstand eine 
Sicherheitspolizei (unter dem Begriff  ochrana  bekannt) mit Büros in Moskau, St. Pe­
tersburg und Paris sowie die Gendarmerie.
116
 Obwohl es der neu strukturierten Staatspo­
lizei nach dem Attentat auf Alexander II. gelang, die Terrorgruppe zu sprengen, war sie 
noch in den 1880er Jahren völlig unzureichend auf die zunehmenden Gefahren einge­
stellt.
117
 Im Laufe der 1880er und 1890er Jahre gelang es aber, die Sicherheitspolizei zu 
professionalisieren und die revolutionäre Bewegung trotz geringen Mitteln in Schach zu 
halten.
118
 Das Moskauer Büro unter dem ideen- und trickreichen Sergej Zubatov entwi­
ckelte sich zum eigentlichen Zentrum der staatlichen Sicherheit. Zubatov verfolgte zur 
Hauptsache eine „weiche Repression“, indem er die Revolutionäre vielfältig beobach­
ten, ihre Post abfangen („Perlustration“) und die Zirkel durch Informanten aushorchen 
oder mit geeigneten Personen infiltrieren ließ.
119
 Die Zunahme der revolutionären Um­
triebe ab den neunziger Jahren rief allerdings nach neuen Methoden. Die Verstrickung 
des Staates mit der revolutionären Bewegung und ihrer Terrorszene war – wie zu Be­
ginn dieses Kapitels anhand des 9. Januars 1905 bereits dargelegt – der bittere Preis da­
für. 
2.3. Politische Gegnerschaft und der Niedergang der Staatsmacht
Wenn die „Großen Reformen“ eine Beruhigung der inneren Lage des Russischen Rei­
ches bewirken sollten, verfehlten sie ihr Ziel. Die Spannungen wurden größer und nah­
men vielerlei Gestalt an. Auf dem Land und in Kleinstädten, zwischen der Bauernschaft 
und dem dominierenden Adel, entluden sie sich in Aufruhr und in Pogromen gegen Ju­
den. In der Stadt wuchs das Protestpotential unter den Arbeitern, die sich angesichts des 
coherent system […]“. Auf die lange Zeit in der Forschung wenig thematisierte, vor allem den Straf­
vollzug für Kriminelle betreffende Gefängnisreform kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. auch 
D
ETKOV
 Tjur’my, bes. S. 55–61.
116 Jonathan Daly, der mit einer Reihe neuerer Untersuchungen zur Geschichte der Sicherheitspolizei des 
ausgehenden Zarenreiches hervorgetreten ist, bezeichnet die Zeit der Terrorkampagne 1878–81 als 
„Wasserscheide“ in der Polizeiorganisation (D
ALY
 Security Police, S. 217). Daly sowie Dominic Lie­
ven in einem schon einige Jahre früher erschienenen Aufsatz (L
IEVEN
 Police) behandeln das sehr wich­
tige Thema ausführlich, was im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist.
117 Der für das Zarenreich symptomatische Kleinkrieg innerhalb der Behörden schwächte die staatliche 
Sicherheit. Mit der Sicherheitspolizei und der Gendarmerie prallten zwei unterschiedliche Welten auf­
einander. Letztere verstand sich als Dienerschaft des Zaren; ihre Offiziere entstammten verarmten 
Adelsgeschlechtern und waren oft über Beziehungen zur Truppe gelangt, wo sie dann den ruhigen 
Dienst entlang der Eisenbahn, deren Bewachung der Gendarmerie oblag, hektischeren Arbeitsfeldern 
in der Stadt vorzogen. Vgl. D
ALY
 Autocracy, S. 54–62, und D
ALY
 Security Police, S. 219. Das galt vor 
allem bis in die 1870er Jahre, L
IEVEN
 Police, S. 252. Die Voraussicht und die Fähigkeit zur Analyse 
der politischen Lage – für die Arbeit und zumal unter unruhigen Umständen eigentlich Voraussetzung 
– war bei vielen Gendarmen unzureichend ausgebildet, vgl. L
IEVEN
 Police, S. 249.
118 Um 1900 gab es nur gerade rund 10.000 Gendarmen für das ganze Reich (D
ALY
 Autocracy, S. 53).
119 D
ALY
 Autocracy, S. 64, D
ALY
 Security Police, S. 220, und L
IEVEN
 Police, S. 243f. 
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