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V. TEIL Kommentierte Kurzäußerungen Prominenter zur Beitrittsdebatte im Für und Wider



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V. TEIL

Kommentierte Kurzäußerungen Prominenter zur Beitrittsdebatte im Für und Wider

Im STERN 09.06.04 erschienen anlässlich der Wahl zum Europa-Parlament 2004 mehrere Artikel zu der behandelten Problematik einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU. In diesem Rahmen wurden auch Äußerungen von Prominenten zu der Frage einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU abgedruckt. Weil diese Stellungnahmen nach einiger Zeit nicht mehr leicht aufzutreiben sind, wird in Erweiterung meiner eigenen bisherigen Arbeit ein Auszug daraus zur Orientierung und Meinungsbildung meiner Leser nachfolgend – größtenteils von mir kommentiert – wiedergegeben:




1. Elke Heidenreich, Autorin

"Am Bosporus fängt der asiatische Kontinent an, oder? Warum sollte der nun auch noch in die EU? Warum soll ein Land in die EU, dessen Väter immer noch Töchter zwangsverheiraten, dessen Frauen immer noch der so genannten Familienehre wegen umgebracht werden, auch wenn man sie vergewaltigt hat? In dessen Gefängnissen und Rechtsprechung es nicht nach den Menschenrechten zugeht? Außerdem glaube ich nicht an die Säkularisierung des Islam. Das wird kämpferischer, toleranter. Und schließlich: Weshalb will man die Türkei eigentlich in der EU haben? Sind es strategisch-militärische Gründe? Andere fallen mir nicht ein."



Kommentar:

Frau Heidenreichs Ansichten decken sich großenteils mit meinen: Wenn man Europa (zunächst einmal nur) geographisch betrachtet, dann gehört »die Türkei« als (bis auf einen kleinen in Europa gelegenen Gebietszipfel) asiatisches Land nicht zu Europa. Auch die von Frau Heidenreich angesprochene, die Identität Europas sprengende Kulturverschiedenheit wird in gleicher Weise gesehen. Richtig ist auch, dass militärstrategische Gründe entscheidend waren für den massiven Druck der USA auf die Europäer, die dieser Pression nicht standgehalten haben, und wir Europäer sollen nun die uns von den USA eingebrockte Suppe auslöffeln!


Das Argument der in der Türkei noch immer nicht ausreichend geschützten Menschenrechte aber greift zu kurz, weil es nicht grundsätzlich genug angelegt ist, denn so vorgebracht impliziert es ja die von CDU-/CSU-/FDP-Regierungen von 1963 bis zu ihrer Ablösung 1998 aus politischen Gründen eingenommene Haltung, die Türkei brauche sich »nur« zu demokratisieren und dann wäre das asiatische Land ein Teil der Europäischen Union wie die europäischen Mitgliedsstaaten.
Frau Heidenreich glaubt nicht an die Säkularisierung des Islam und befürchtet, dass der kämpferischer werde, nicht aber toleranter.

Eine grundlegende Wandlung des Islam steht bis jetzt aus und einige seiner Reformer sind – wie z.B. der auch "afrikanischer Gandhi" genannte und als "einer der frommsten Muslime des Landes" bezeichnete Scheich Mahmud Muhammad Taha aus dem Sudan, der wegen Abfalls vom (von den einflussreichen Funda­mentalisten der sudanesischen Moslembru­derschaft in ihrer Weise interpretierten) "rechten" Glauben 1985 am Galgen gehenkt wor­den war und der 1992 von Islamisten auf offener Straße in Kairo ermordete Ägypter Farag Foda - nach ersten neuzeitlichen Interpretationsversuchen umgebracht worden oder mussten - wie z.B. der iranische Reformtheologe Hassan Jussefi-Eschkewari und alle anderen Teilnehmer der im April 2000 in Berlin von der Heinrich-Böll-Stiftung abgehaltenen Iran-Konferenz - langjährig ins Gefängnis, wenn sie nicht rechtzeitig fliehen konnten: Der Kairoer Linguist Nasser Hamid Abu Zayd/Zaid ist wegen seiner textkritischen Koran-Analysen als von ihm so gesehenes historisches Zeugnis zum Apostaten erklärt worden; und auf die „Radda“, den Abfall vom („rechten“) islamischen Glauben, steht nach der Strafandrohung der Scharia, wie sie von einigen Rechtsschulen interpretiert und in Saudi-Arabien auch praktiziert wird, der Tod durch Köpfen mit dem Schwert auf offenem Marktplatz. Mit Unterstützung der Scheichs der al-Azhar-Moschee ist Abu Zayd – gegen den Willen beider Eheleute – wegen dieses Verbrechens des Abfalls vom rechten Glauben 1995 von einem Kairoer Gericht zwangsweise von seiner Frau geschieden worden, was beide veranlasste, schleunigst gemeinsam ins europäische Exil zu gehen, um nicht von islamischen Fanatikern umgebracht zu werden, nachdem ihn das ägyptische Gericht mit seinem Urteil faktisch für vogelfrei erklärt hatte. Der syrische Philosoph Sadik J. Al-Azm musste ebenfalls sein Land verlassen, um sein Leben zu retten.

Für „Islamisten/Fundamentalisten“ ist der (so geglaubte) nicht von Menschen geschaffene, sondern von Gott durch den Erzengel Gabriel dem Siegel der Propheten, Mohammed, geoffenbarte Koran prinzipiell unantastbar und in ehrfurchtsvoller Demut wörtlich zu nehmen. Das ist eines ihrer Grunddogmen. Hinzu kommt, dass der Islam nach seiner Lehre Religion und Staat in einem zu sein habe. Die Islamisten bestehen neben der wörtlichen Geltung der in den Texten zum Ausdruck gekommenen Of­fenbarungen darüber hinaus auf der absoluten Gültigkeit der im 8. und 9. Jahrhundert entwic­kelten Scharia, die sie als göttliches Gesetz mit dem Islam gleichsetzen. "Wieviel Divisio­nen hat der Papst?", hatte Lenin gefragt. Der „afrikanische Ghandi“ Taha hatte keine. Darum musste er für seine "ketzerischen" Gedanken mit dem Leben bü­ßen - und 3.000 Zuschauer der Hinrichtung heizten die Pogromstimmung der Hinrich­tungsszene an mit den Rufen: "Es lebe die Gerechtigkeit - Tod den Abtrünnigen vom Is­lam!"

Noch kämpferischer kann »der Islam« nicht werden. Frau Heidenreichs Befürchtungen können richtig nur so interpretiert werden, dass sie fürchtet, der Einfluss der über Leichen gehenden fundamentalistischen Islamisten unter den Hoffnungslosen in der islamischen Welt werde weiter zunehmen. Das ist in der Tat von Algerien bis Indonesien zu befürchten. Die radikalsten Führer der islamischen Fundamentalisten in Algerien, die bei den Kommunal­wahlen im Juni 1990 rund 60 % der Stimmen errungen haben und 1991 die ersten freien Parlamentswahlen gewinnen und dann das Land in einen islamischen Gottesstaat umwandeln wollten, bekannten sich vor laufender Fernsehkamera zu der Todesstrafe aus religiösen Gründen, weil der Koran für sie das fest Beste­hende, das Unveränderliche ist. Solche Tendenzen ziehen sich durch alle islamischen Länder. Die Fundamentalisten werden von einem recht hohe Prozentzahlen erreichenden »geistigen Speckgürtel« konservativer Muslime umgeben, die sich die geistigen Positionen der Fundamentalisten „mit klammheimlicher Freude“ zu eigen machen, ohne zu deren menschenmordenden Durchsetzungsstrategien zu greifen.




2. Professor Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank

"Die Türkei sollte Mitglied der EU werden. Das Land ist ein säkularer Staat mit Demokratie und Pluralismus in der muslimischen Welt. Der Beitritt hätte Modellcharakter: Er würde zeigen, wie Abendland und Morgenland zusammenkommen könnten. Daneben gibt es gerade für Deutschland noch ein ökonomisches Argument. Unsere Bevölkerung wird immer älter, wir werden in Zukunft dringend junge Arbeitskräfte brauchen."



Kommentar:

Eine für einen Wirtschaftsprofessor beschämend schwache, weil ohne auch nur den Ansatz einer Begründung vorgebrachte persönliche Meinungsäußerung - "Die Türkei sollte Mitglied der EU werden.“ -, denn es wird nicht einmal ansatzweise begründet, warum „Abendland und Morgenland“ in der Form einer (Voll-)Mitgliedschaft der Türkei in der EU „zusammenkommen“ sollten. Ein paar einsichtige Argumente über die im letzten Halbsatz angedeutete Notwendigkeit des Rückgriffs auf die Ressource der „in Zukunft dringend [gebrauchten türkischen] junge[n] Arbeitskräfte“ hinaus hätten es schon sein dürfen!

Von einem Wirtschaftsfachmann erhofft man sich wenigstens ein nachvollziehbares wirtschaftliches Argument, wenn die Aufnahme der Türkei in die EU nicht aus anderen Gründen befürwortet wird.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank scheint nur mit großen $-Zeichen in den Augen den Markt von fast 70 Mio. Türken zu sehen, nicht aber die wahren politischen Verhältnisse. Herr Walter sollte erst einmal die politische Realität zur Kenntnis nehmen, bevor er so einen Unsinn verbreitet, wie: die Türkei sei ein Staat „mit Demokratie“. Die meisten der bei uns anerkannten Asylanten sind Türken: Weil die Türkei ein demokratischer Rechtsstaat ist, Herr Walter?

Wegen ihrer (bisherigen) Demokratiedefizite ist die Türkei ja von der EU wiederholt als Bewerberin abgelehnt worden. Nach der Behauptung von Walter würden die Türkeiexperten Rumpf und Steinbach in ihrem 2004 in zweiter Auflage abgedruckten Aufsatz: „Das politische System der Türkei“, woraus eine der zentralen Aussagen vorstehend zitiert wurde, die politischen Realitäten der Türkei verunglimpfend falsch dargestellt haben! Auch die bis 2004 erschienenen Jahresberichte von Amnesty International scheinen von Walter völlig ignoriert worden zu sein. Wie kann man nur in einer solchen Position so ein unverantwortlich dummes Zeug daher sagen und als Meinungsäußerung eines unserer an zentraler Stelle sitzenden Wirtschaftsführers veröffentlichen lassen!

Dieser ohne jede nachvollziehbare Begründung vorgebrachten Grundaussage des Chefvolkswirts der größten deutschen Bank, „die Türkei sollte Mitglied der EU werden“, wird von anderen Wirtschaftsexperten heftig widersprochen! Und die führen zahlengestützte Argumente an!




3. Wilhelm Hankel, Professor für Währungs- und Entwicklungspolitik an der Universität Frankfurt

"Die EU ist mit ihren 25 Mitgliedsstaaten schon jetzt überdehnt. Mit Aufnahme der Türkei machen wir die Gemeinschaft vollends kaputt, ohne den Türken zu helfen. Ich kenne das Land als Entwicklungshelfer und -berater. Der mit dem Beitritt wachsende Konkurrenzdruck aus dem Westen vergrößert noch die Probleme dort, der Subventionsbedarf würde zum Fass ohne Boden. Dass unsere raren Arbeitsplätze mit Ausländern besetzt werden, macht unsere Lage auch nicht besser. Die EU schuldet der Türkei eine ehrliche Antwort: Das Land ist nicht beitrittsfähig, noch würde ihm der Beitritt nützen. Der gemeinsame Markt ist kein Wohltätigkeitsverein."



Kommentar:

Eine im Gegensatz zu der wirtschaftlich unfundiert vorgebrachten Stellungnahme des Deutschbankers stehende schonungslose wirtschaftliche Analyse, die aber auch am wirklichen Kern des Beitrittproblems vorbeigeht, denn nach der Meinung dieses Experten könnte die Zugehörigkeit zur EU je nach Kassenlage anders definiert werden: die Türkei werde als EU-Mitglied abgelehnt, weil „der Subventionsbedarf zum Fass ohne Boden würde“. Und wenn mehr Geld in der Kasse wäre und die EU sich eine solche immense Subvention über Jahrzehnte leisten könnte? Was sollte dann sein? Was wäre mit der - fehlenden - Kompatibilität auf Grund fehlender Identität?

Die Begründung einer EU-Zugehörigkeit ja nach Kassenlage muss als schlicht untaugliches Argument abgelehnt werden!


4. Martin Walser, Schriftsteller

"Ich bin dafür, dass die Türkei in die EU kommt, weil dadurch Europa vielleicht bewirken kann, dass die Kurden von der türkischen Regierung menschenwürdiger behandelt werden."



Kommentar:

Es ist bestimmt richtig, dass die Türkei bei einer Mitgliedschaft in der EU die Minderheitenrechte der früher offiziell als „Bergtürken“ betitelten Kurden besser achten müsste. Von daher stellt sich für die Kurden die Möglichkeit der Vollmitgliedschaft der Türkei als eine große Hoffnung dar, denn die Kurden werden zurzeit nur weniger drangsaliert als vorher, als auf Grund der dauernden Verstöße der Türkei gegen die Menschenrechte der Kurden diese Bevölkerungsgruppe das größte Kontingent der bei uns anerkannten Asylanten stellte und noch immer stellt.

„In der Türkei kochten die Gemüter über, nachdem 100 kurdische Intellektuelle in einer internationalen Zeitungsanzeige Selbstverwaltungsrechte für die kurdische Minderheit forderten, wenn die Türkei EU-Mitglied werden wolle. Zu den Unterzeichnern der Anzeige, die in der "International Herald Tribune" und in "Le Monde" erschien, gehörte unter anderem die Ex-Parlamentarierin Leyla Zana und drei andere frühere Abgeordnete, die erst im Juni nach zehnjähriger Haft von den türkischen Behörden entlassen worden waren. … In der Zeitungsanzeige, die vom Kurdischen Institut in Paris plaziert worden war, hieß es, die EU möge folgende Grundsatzforderungen für die Verhandlungen mit der Türkei erheben: Eine neue Verfassung, in der die Existenz des kurdischen Volkes ausdrücklich anerkannt wird, und die das Recht der Kurden auf muttersprachliche Bildung garantiert; Rückkehr der schätzungsweise drei Millionen vertriebenen Kurden in ihre Dörfer im Südosten der Türkei; den Kurden müssten alle Rechte gegeben werden, die Ankara für die türkische Bevölkerung Zyperns fordert, Rechte, wie sie die Wallonen in Belgien oder die Basken in Spanien genießen. Mithin eine weitgehende Autonomie.

Das traf die türkischen Empfindlichkeiten wenige Tage vor der Brüsseler Entscheidung über den Beginn von Beitrittverhandlungen wie ein Schlag ins Gesicht. Türkische Medien forderten lauthals, die "Verräter" sollten sofort wieder ins Gefängnis zurückgebracht werden, aus dem sie nie hätten entlassen werden dürfen. Frau Zana und ihre Schicksalsgefährten erklärten dann jedoch überraschend, sie hätten zu dem veröffentlichten Anzeigentext nicht ihre Zustimmung gegeben. Der Leiter des Kurdischen Instituts in Paris, Kendal Nezan, erwiderte, er habe ihnen den Text 15 Tage vor Veröffentlichung zukommen lassen, und sie hätten ihre Zustimmung gegeben. Frau Zana und die drei anderen Ex-Angeordneten sagen jedoch, der Text, der ihnen gezeigt wurde, sei nicht identisch mit dem Text, der dann in den Zeitungen stand. Frau Zana reiste gestern nach Frankreich, wohl um zu klären was wo und wie schiefgelaufen ist.

Wer nun was sah und guthieß, ist eine Sache; aber die bloße Tatsache, dass der Coup offenbar lange vorbereitet wurde, verdoppelt den Ärger der Türken. Bedeutet es doch, dass die Kurden bewusst mit der Publikation warteten, bis die Spannung wenige Tage vor der EU-Entscheidung auf dem Höhepunkt war.“ (DIE WELT 13.12.04)

Aber kann die Unterdrückung einer Minderheit in einem asiatischen Land ein Kriterium für die Aufnahme dieses Landes in die Europäische Union sein?

Wäre das der Fall, müsste praktisch ganz Asien Mitglied der EU werden! Da hat Walser entschieden zu kurz gedacht!


5. Wulf Schönbohm, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara

"Wenn die EU der Türkei jetzt kein Datum nennt, führt das in der Türkei zu einem politischen Schock und einem Stopp der Reformen. Mit der Türkei wird die EU zum Global Player."



Kommentar:

Letzteres sieht - wie vorstehend schon zitiert - Wilhelm Hankel, Professor für Währungs- und Entwicklungspolitik an der Universität Frankfurt, völlig anders:

„Mit Aufnahme der Türkei machen wir die Gemeinschaft voll­ends kaputt, ohne den Türken zu helfen. ... Der mit dem Beitritt wachsende Konkurrenzdruck aus dem Westen vergrößert noch die Probleme dort, der Subventionsbedarf würde zum Fass ohne Boden. ... Das Land ist nicht beitrittsfähig, noch würde ihm der Beitritt nützen.“
Sicher würde eine negative Entscheidung in der Türkei zu einer Enttäuschung führen und die Türkei würde sich vermutlich mehr nach Asien ausrichten, womit frühere türkische Ministerpräsidenten der EU wiederholt gedroht hatten.
Die Türkei hat ihre sozialpolitischen Kernprobleme selber zu lösen und würde sich ins eigene Fleisch schneiden, sollte sie die angefangenen Reformen stoppen. Das wohlverstandene innertürkische Reformargument ist kein Argument, mit dem eine Aufnahme in die EU erzwungen werden könnte und sollte.


6. Feridun Zaimoglu, türkisch-stämmiger Schriftsteller

"Ja, es wäre schön, wenn die Türkei in der EU wäre, aber...Dieses Aber bleibt bei mir immer bestehen. Die Befürworter sind leider sehr naiv, sprechen von Visionen und Träumen, doch gehen mit keiner Silbe darauf ein, was der Spaß kosten wird. Wir haben die Wiedervereinigung schon nicht verkraftet, den Sinn der EU-Osterweiterung sieht man auch nicht, und jetzt diese Beitrittsdebatte. Ich will den Türken nichts Übles. Man muss aber fragen, ob der Beitritt uns Deutsche nicht überfordert. Sonst hauen uns die Menschen die Visionen irgendwann um die Ohren."



Kommentar:

Erinnert sei an die politische Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“, die mit der asiatischen Türkei nicht zu verwirklichen ist.




7. Heinrich August Winkler, Historiker

"Die Geostrategen verwechseln geografische Größe und politische Kraft. Ihr Großeuropa wäre zwar räumlich eindrucksvoll, aber infolge Überdehnung politisch nicht handlungsfähig - ein Koloss auf tönernen Füßen."


Gleichlautend äußerte er sich in einem SPIEGEL-Interview (51/2004), in dem er dem damaligen Außenminister Fischer genau dieses vorwarf. Dort heißt es:

„Es ist falsch verstandene Realpolitik. Wenn Außenminister Joschka Fischer erklärt, Europa habe noch nicht die richtige Größenordnung, es müsse die Türkei aufnehmen, um dann von der geografischen Ausdehnung her mit Amerika, Russland, China und Indien Schritt zu halten, so liegt dem eine Verwechslung von Größe und Stärke zugrunde. Ein Europa, das in der Welt eine Rolle spielen will, muss mit einer Stimme sprechen können. Und das setzt ein gewisses Maß an Zusammengehörigkeit und Wir-Gefühl voraus. Ein Europa, das sich bis zum Euphrat erstreckt, könnte auf diese Ressource nicht mehr zurückgreifen.“


Kommentar:

So habe ich ja auch aus der Gesamtschau meiner Fachrichtungen als Historiker, Fachlehrer für Politik und Jurist argumentiert und Beweise hierzu im Einzelnen angeführt.




8. Peter Glotz, SPD-Politiker und Institutsdirektor an der Universität St. Gallen

"Die Türkei ist nicht Litauen, sondern wäre der größte Staat der EU, dazu innerlich gespalten und voller Pro­bleme. Nimmt die EU die Türkei auf, wird diese EU endgültig zu einer Freihandelszone mit gelegentlicher Politik-Koordination."



Kommentar:

Eine Freihandelszone ist nicht das, was sich bei mir mit der Vision der „Vereinigten Staaten von Europa“ verbindet – und mehr wäre dann wegen des fehlenden inneren Zusammenhaltes auf Grund mangelnder Identität nicht möglich. Ich will nicht eine große europäische Vision für eine faktisch reine Wirtschaftsgemeinschaft mit der Türkei geopfert wissen.




9. Dr. Tessa Hofmann, Armenien-Koordinatorin der Gesellschaft für bedrohte Völker

"Für demokratische Staaten sollte es selbstverständlich sein, sich der eigenen historischen Verantwortung zu stellen. Die Türkei aber leugnet bis heute ihr Gründungsverbrechen, nämlich die Vernichtung von 3,5 Millionen christlichen Bürgern, darunter 1,5 Millionen Armenier. Und dies, obwohl das Europäische Parlament sie seit 1987 zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern aufgefordert hat. Bis heute werden ethnische Minderheiten diskriminiert, und erst kürzlich hat der türkische Erziehungsminister in einem Aufsatzwettbewerb Schüler verpflichtet, sich gegen die "Völkermord-Lüge" zu äußern. Solche Positionen sind unvereinbar mit einem Beitritt zur EU."



Kommentar:

Auch Frau Hofmann greift in ihrer Argumentation zu kurz, denn wenn – wie de Gaulle in Frankreich hinsichtlich Algerien – ein türkischer Staatsmann irgendwann den Mut aufbringt, die historische Wahrheit auszusprechen und so endlich u.a. den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen, wäre die Türkei damit nicht automatisch ein europäisches Land mit Aufnahmeberechtigung in die EU!

In diesem Zusammenhang ist die am 14.04.03 ergangene Anweisung des türkischen Erziehungsministers an alle Schuldirektoren von besonderem Interesse, „… alle türkischen Grund- und Sekundarschüler zu verpflichten, die Ausrottung von Armeniern in Abrede zu stellen“ (DIE ZEIT „Wer am Leben blieb …“).


10. Fikriye Selen, Ex-Mitglied der deutschen Box-Nationalmannschaft, Betriebswirtin

"Klar bin ich für den Beitritt. Die Türkei hat in den letzten Jahren bedeutende Reformen durchgeführt. Ich glaube, die EU hat nicht mit diesem Tempo gerechnet. Die Diskussion über die geografische und kulturelle Zugehörigkeit der Türkei ist für mich völlig überflüssig. Die Türkei gehört zu Europa, denn sie schafft Gleichgewicht und Stabilität in jeder Hinsicht."



Kommentar:

Selbst aus der erschreckend ahnungslosen Sicht der gebürtigen Türkin ist diese außerordentlich törichte weil politisch völlig unbedarfte Äußerung nicht hinnehmbar: „Die Diskussion über die geografische und kulturelle Zugehörigkeit der Türkei ist für mich völlig überflüssig.“ Und das die Türkei „Stabilität in jeder Hinsicht“ und damit auch in der Zypernfrage schaffe, ist mir bisher entgangen. Es ist ärgerlich, dass der STERN für solch einen Schwachsinn überhaupt Raum zur Verfügung stellt!

So wie die Boxerin kann man nur argumentieren, wenn man völlig geschichtslos und unreif gegenüber gesellschaftlichen Phänomenen ist. Zur geistigen Erhellung von Frau Selen ein paar – hoffentlich ihr Nachdenken anregende - Fragen:


  • Warum besteht seit eineinhalb Jahrtausenden ein abgrundtiefer Hass zwischen Iranern und Arabern?

  • Warum gehen sich Sunniten und Schiiten in Saudi-Arabien und in Pakistan, Hindus und Moslems in Indien und anderen Ländern immer wieder an die Kehle?

  • Warum kam es mehrfach zu schiitisch-muslimischen Besetzungen der von den wahhabitisch-muslimischen Saudis bewachten Heiligen Moscheen in Mekka zu Zeiten des Pilgermonats, wobei sogar einmal eine schiitische Besetzung der Heiligen Moschee von französischen Fallschirmjägern niedergekämpft werden musste, die zuvor (pro forma) zum Islam hatten übertreten müssen?

  • Warum zünden sich in Pakistan Schiiten und Sunniten gegenseitig ihre Moscheen an und bringen, wie 2004 geschehen, gegenseitig ihre geistigen Führer um?

  • Warum brechen die Gegensätze im Kosovo immer wieder bis hin zum Völkermord auf?

  • Warum gibt es im Sudan seit seiner Unabhängigkeit praktisch nur Bürgerkrieg?

  • Warum gab es in Uganda und Ruanda die Völkermorde der Hutus an den Tutsis? Die Beispiele sind Legion und könnten beliebig fortgesetzt werden.

  • Warum können sich die arabischen Länder nicht wieder vereinen und ein Großreich wie zu den Zeiten des Propheten bilden, da sie alle auf der gleichen islamischen Kultur basieren?

Doch nur auf Grund der kulturellen Verschiedenheiten! Und bei solcher Sachlage wird von der Boxerin die Diskussion um die „kulturelle Zugehörigkeit der Türkei“ für „völlig überflüssig“ erklärt!

(Ich weiß, dass der nächste Satz »gemein« ist und ein ausgesprochen pamphletistischer Satz eigentlich nicht in eine solche Ausarbeitung gehört, aber bei dem von ihr verzapften Schwachsinn, wie er vorstehend wiedergegeben ist und mir als langjährigem Leser des STERN zugemutet wird, fällt mir an sich nur der Kurzkommentar ein: Vielleicht sollte sich Frau Selen einer anderen Sportart widmen, in der frau nicht so viele Schläge an den Kopf erhält!)




11. Angela Merkel, CDU-Vorsitzende

"Man muss fragen, warum die Amerikaner so für den Türkei-Beitritt sind; ob sie dabei an ihre Interessen denken oder an die europäischen. Mir jedenfalls geht es um die europäische Identität. Ich halte einen Türkei-Beitritt derzeit für falsch."



Kommentar:

Das einschränkende „derzeit“ hätte sich Frau Merkel sparen sollen, denn mit einer solchen Wortwahl erweckt sie den Eindruck, dass – obwohl es ihr nach ihrem eigenen Bekunden „um die europäische Identität“ geht – später einmal ein Beitritt der Türkei zur EU möglich wäre.

Das ginge aber nur unter Außerachtlassung der europäischen Identität, die die Türkei nicht mit umfasst, die Türkei notwendigerweise ausschließt. Es ist niemandem damit gedient, wenn aus »Gutmenschentum« die historischen Fakten selbst dann verschwiegen werden, wenn sie zum Tragen kommen: Die Türkei gehört nicht zum identitätsstiftenden kulturellen und historischen Erbe Europas, weil sich die europäische Identität u.a. auch in dem Jahrhunderte langen Abwehrkampf des christlichen Abendlandes gegen das islamische osmanische Reich der Hohen Pforte herausgebildet hat. Dieser mit Waffen ausgetragene ganz reale und der Kulturkampf gegen das osmanische Reich wurde von den Völkern Europas als gesamteuropäische Aufgabe gesehen und wahrgenommen.

An allen geistigen Strömungen, die Europa von der Antike an zu dem gemacht haben, was unter Informierten darunter subsumiert wird und durch die Europas Identität herausgebildet wurde, hat die Türkei nie irgend einen Anteil gehabt!




12. Michael Sommer, DGB-Chef

"Wir können der Türkei nicht 40 Jahre lang Hoffnung auf eine Mitgliedschaft machen und auf einmal sagen: April, April. Und es gibt ja auch gute Gründe für die Aufnahme: Wenn die Türkei dauerhaft stabilisiert wird, was Menschenrechte, soziale Standards, Gleichberechtigung angeht, ist das auch gut für die Integration der 2,5 Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Außerdem hilft es langfristig unserer Wirtschaft, weil neue Absatzmärkte entstehen."



Kommentar:

Das Wecken unberechtigter Hoffnungen auf spätere Mitgliedschaft war der Fehler der CDU/CSU/FDP-Politik gegenüber der Türkei von 1963 an. Und dieser Fehler muss jetzt zum Schaden Europas perpetuiert werden?

Es erscheint äußerst fragwürdig, ob eine Aufnahme der Türkei in die EU die Integration der türkischstämmigen Menschen in Deutschland fördert. Vermutlich wird anders herum ein Schuh daraus: Weil durch einen Beitritt der Türkei zur EU der türkische Einfluss immens vergrößert würde, würde die noch bestehende Notwendigkeit und damit die Bereitschaft der türkischstämmigen Menschen in Deutschland, sich zu integrieren, abnehmen!

Die deutsche Wirtschaft exportiert in alle Welt - zugegebenermaßen überwiegend in EU-Staaten -, ohne dass diese Welt vollständig Mitglied in der EU ist. Türkische Industrielle werden nicht deswegen deutsche Maschinen kaufen, weil die Türkei Mitglied in der EU ist, sondern weil sie die Vor- und Nachteile eines solchen Kaufes gegenüber den Angeboten der internationalen Konkurrenz auf dem türkischen Markt abwägen.




13. Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz

"Entscheidend ist, ob die Türkei sich selbst so weit als europäisch definiert, dass sie bereit und in der Lage ist, die Kopenhagener Bedingungen für einen Beitritt zu erfüllen. Alle Fachleute sind sich einig, dass es in diesen Punkten trotz mancher Fortschritte immer noch schwerwiegende Defizite gibt, die nicht kurzfristig zu beheben sind."



Kommentar:

Damit argumentiert der Kardinal genau so kurzgedacht wie schon andere an dieser Stelle zitierte Prominente, weil er in seiner Argumentation nur auf zur Zeit bestehende Hindernisse abhebt: Und was soll sein, wenn die Kopenhagener Kriterien von der Türkei einmal erfüllt sein sollten?

Dabei heißt es in Artikel 49 des EU-Vertrages, dass jeder europäische Staat einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU stellen könne. Und die Türkei ist kein europäischer Staat: Die Türkei ist nicht der östlichste Staat Europas, sondern der westlichste Staat Asiens!


14. Christoph Daum, Fußballtrainer des türkischen Meisters Fenerbahce Istanbul

"Die Türkei ist ein weltoffenes und modernes Land, es gibt eine klare Orientierung Richtung Westen. Ich kann die Türken verstehen, wenn sie fragen: Warum dürfen jetzt Lettland, Estland und Litauen in die EU? Und warum müssen wir so lange anstehen? Ich bin überzeugt, dass die Türkei in der EU gut aufgehoben wäre. Die EU darf sich nicht als christlicher Klub verstehen. Sie muss Mut haben und selber die Toleranz zeigen, die sie von ihren Mitgliedern immer wieder fordert."



Kommentar:

Solche völlig ahnungs- und geschichtslose, sich in dem Satz: „Ich kann die Türken verstehen, wenn sie fragen: Warum dürfen jetzt Lettland, Estland und Litauen in die EU?“ offenbarende Argumentation kann wütend machen. Ich kann eine solche Frage nicht verstehen, denn die drei baltischen Staaten gehören seit Jahrhunderten fraglos zu Europa, die Türkei aber nicht.

Welche Länder soll die von Daum angemahnte Toleranz denn umfassen? Wo sollen Europas Grenzen verlaufen, so dass Europa noch als Europa mit eigener Identität wahrgenommen werden kann, einer Identität, aus der allein heraus die Kraft zu einem politischen Zusammenschluss erwachsen könnte?


15. Barbara Lochbihler, Generalsekretärin Amnesty International Deutschland

"Amnesty International begrüßt, dass die Beitrittsbestrebungen der Türkei und die von der EU aufgestellten Kriterien erste Grundlagen für die Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Türkei geschaffen haben. So wurde die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft, wurden die Spielräume für politische Meinungsäußerung erweitert und die kurdische Sprache in begrenztem Maße für den öffentlichen Gebrauch zugelassen. Dennoch reichen die bisherigen Reformen nicht aus, um die Meinungsfreiheit und die Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte in vollem Umfang zu garantieren. Oppositionelle Politiker, Journalisten und Menschenrechtler werden noch immer drangsaliert, vor Gericht gestellt und zu Freiheits- oder Geldstrafen verurteilt. Vor allem die Folter ist in der Türkei nach wie vor weit verbreitet. Hier sind noch erhebliche Anstrengungen nötig, um eine effektive Strafverfolgung der Verantwortlichen zu gewährleisten."



Kommentar:

Und dann, Frau Lochbihler? Soll die Türkei Ihrer Meinung nach dann Mitglied in der EU werden können? Auf Grund welcher Argumente?

Die Beseitigung des noch bestehenden Menschenrechtsdefizitproblems ist ein innertürkisches gesellschaftliches Problem, das die Türkei völlig losgelöst von einer (abzulehnenden) Mitgliedschaft in der EU für die Schaffung gesellschaftlichen Friedens im eigenen Land lösen muss!


16. Ruprecht Polenz, früherer Generalsekretär der CDU, Bundestagsabgeordneter

"Die europäische Idee nach 1945 war nicht, einen Club von Ländern zu schaffen, die das Ziel haben, immer reicher zu werden. Die Idee war, dauerhaft Frieden zu schaffen. Diese Friedensordnung wird im 21. Jahrhundert herausgefordert durch die Kluft zwischen westlicher und islamischer Terrorbedrohung. Wenn die Türkei der EU beitritt, wäre das eine Botschaft, die nicht unterschätzt werden darf: Wir bekämpfen den islamistischen Terror gemeinsam mit unseren muslimischen Freunden."



Kommentar:

„Den islamistischen Terror gemeinsam mit unseren muslimischen Freunden" können wir auch ohne Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU bekämpfen.

Und durch eine Vollmitgliedschaft der Türkei würden wir uns verstärkt den „geistigen Speckgürtel“ islamistischer Fundamentalisten in die aufzubauende Staatengemeinschaft eines Vereinigten Europas holen, die wir jetzt schon zu zahlreich in dem von unseren Verfassungsschutzdiensten als gefährlich eingestuften Verein Milli Görüs haben! Ein Kaplan, der sich mit 16 Gerichtsverfahren gegen seine Ausweisung wehren konnte, plus Anhänger reicht!


17. Alice Schwarzer, Autorin

"In Deutschland leben seit Jahrzehnten Millionen Türkinnen und Türken. Trotz der Agitation der Fundamentalisten gilt für die Mehrheit: Längst sind wir mehr als Nachbarn. Immer öfter sind wir miteinander befreundet oder gar verheiratet. Trotzdem bin ich gegen einen EU-Beitritt der Türkei zum jetzigen Zeitpunkt. Denn die zwischen Tradition und Moderne, zwischen Demokratie und Gottesstaat zerrissene Türkei muss sich zunächst einmal selber klar werden, wohin sie tendiert. Auch irritiert mich, wie rasch der türkische Staatschef Erdogan sich vom Anhänger des fundamentalistischen Erbakan zum demokratischen Staatschef gewandelt haben soll. Hat er wirklich dazugelernt? Und was wird, wenn der Staat sich in absehbarer Zeit befreien sollte von der Knute des Militärs? Das Militär war zwar noch nie für die Demokratie - aber die Generäle sind bis heute die Garanten gegen einen Gottesstaat. All das gilt es abzuwarten. Darum: Nein zum Beitritt - und Ja zur Freundschaft."



Kommentar:

Damit argumentiert Schwarzer genau so kurzgedacht wie schon andere an dieser Stelle zitierte Prominente, weil sie in ihrer Argumentation nur auf zur Zeit bestehenden Hemmnisse abhebt. Und was soll dann sein?

Frau Schwarzer begeht den gleichen politischen Fehler, den die CDU/CSU/FDP-Regierungen seit 1963 begangen haben! Sie drückt sich mit dem Hinweis auf momentane Demokratiedefizite genauso vor einer das Problem grundsätzlich lösenden Ablehnung einer Vollmitgliedschaft wie die CDU-geführten Regierungen und hält damit unberechtigte Hoffnungen offen. Sie behandelt die Türkei wie einen Krebskranken, von dem feststeht, dass sein Krebsleiden unheilbar ist, dem dieses Wissen aber aus Rücksichtnahme vorenthalten wird. So drückt sie sich vor der klaren Aussage, dass die asiatische Türkei nie Mitglied in der Europäischen Union werden darf, wenn die ihre Identität nicht aufgeben will. Ohne Identität kann aber keine menschliche Gemeinschaft leben. Das geht aus psychologischen Gründen nicht. Welche Identität hätte aber eine solche »Nicht-mehr-EU« dann?


18. Juli Zeh, Schriftstellerin

"Dass die Türkei als europäischer Staat anzusehen ist, wurde längst entschieden. Die Türkei hat einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt, daraufhin hat die EU Bedingungen gestellt. Wenn die erfüllt sind, muss die Türkei aufgenommen werden. Es ist wie beim Autokauf: Man will einen Wagen kaufen, macht einen Vorvertrag und fängt an, eine Garage zu bauen. Und dann kann der andere schon rein rechtlich nicht mehr sagen: Ätsch, ich verkaufe dir das Auto doch nicht."



Kommentar:

Es wurde nicht entschieden, „dass die Türkei als europäischer Staat anzusehen ist“, sondern es wurde auf jahrelangen starken us-amerikanischen Druck hin so getan, als wenn die Türkei als europäischer Staat anzusehen sei. Das ist ein himmelweiter Unterschied!

Die Nazis hatten entschieden, dass Juden als Ungeziefer anzusehen seien. Was sagte das über die Richtigkeit dieser Ansicht? Die weißen Südafrikaner und die Weißen in den Südstaaten der USA hatten entschieden, dass ihren schwarzen Mitbürgern kaum Rechte zustehen: Das System der Apartheid und des Ku-Klux-Klan haben diese ihre Entscheidungen mit vielen Morden durchzusetzen versucht. Was sagte das über die Richtigkeit der solchem Verhalten zu Grunde liegenden Entscheidungen? An den christlichen Geboten und der Bergpredigt gemessen waren sie nicht richtig, und die geschichtliche Entwicklung hat ebenfalls ihre Unrichtigkeit bestätigt.

In solchen Problemfeldern darf man nicht fragen, was – bisher – wie entschieden ist, sondern man muss fragen und hinterher begründen, was aus welchen Gründen richtig ist.


So eine verquere Argumentation wie mit dem Abschluss eines Vorvertrages beim Autokauf kommt davon, wenn man ohne Sachwissen Beispiele aus einem Sachgebiet wählt, von dem man nichts versteht. Die Schriftstellerin kann ausweislich ihres unrichtigen Vergleichs keine Juristin sein. Es wurde mit der Türkei bisher kein „Vorvertrag“ abgeschlossen. Der Erweiterungskommissar Verheugen betonte bis zur Europawahl 2004 immer wieder und wird es bis zur Vorlage seines Berichtes Ende 2004 immer wieder tun, dass noch nichts entschieden sei, dass Ende des Jahres 2004 erst einmal entschieden wird, ob überhaupt Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden sollen und außerdem, dass Beitrittsverhandlungen nicht zwangsläufig zu einem Beitritt führen müssten. Das Verlogene an seiner Argumentation ist ja gerade, dass er die Entscheidungsfindung als noch völlig offen darstellt, weil eben kein „Vorvertrag“ abgeschlossen worden ist, ja noch nicht einmal Verhandlungen zur Herbeiführung eines „Vorvertrages“ aufgenommen wurden, obwohl jedermann weiß, dass die Aufnahme von Verhandlungen, die erst zu dem im Beispiel bemühten Vorvertrag führen würden, bislang immer positiv zu Ende geführt wurden; im Ausnahmefall Norwegen waren die Verhandlungen auch positiv zu Ende geführt worden, aber die Bevölkerung hat in zwei Volksentscheiden 1972 und 1994 gegen den ausgehandelten Beitritt gestimmt: wegen des Unabhängigkeit versprechenden Ölreichtums vor seiner Küste und weil das Land seit dem 14. Jahrhundert zunächst von Dänemark und dann von Schweden abhängig gewesen und erst 1905 unabhängig geworden war. Bei dem nationalen Trauma wollte man nicht schon wieder nationale Souveränität abgeben und so Gefahr laufen, wieder fremdbestimmt zu werden.


19. Stephan Krawczyk, Autor

"Wer die Menschenrechtssituation in der Türkei auf lange Sicht kontrollieren und verbessern will, muss das Land in die EU holen."



Kommentar:

Und was ist mit all den anderen asiatischen Ländern, in denen ebenfalls die Menschenrechtssituation dringlich verbessert werden müsste? Sollen die auch alle in die EU geholt werden? Natürlich nicht! Warum dann aber die Türkei???




20. Marco Bode, Ex-Fußballnationalspieler, ARD-Experte für die EM 2004

"Die EU sollte die objektiv definierten Aufnahmekriterien auf die Türkei anwenden - so wie auf jeden anderen Kandidaten und ohne ideologische Vorurteile. Mittelfristig wäre es wünschenswert, wenn es Europa gelänge, die Türkei zu integrieren."


Kommentar:

Nun gut: Zu den objektiv definierten Aufnahmekriterien gehört Artikel 49 des EU-Vertrages. Er bildet die Grundlage für alle Aufnahmekriterien. Artikel 49 regelt, dass jeder europäische Staat einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU stellen könne.

Marokkos Aufnahmebegehren wurde deshalb 1997 mit der zutreffenden Begründung abgelehnt, dass Marokko kein europäisches Land sei. Was für das afrikanische Marokko gilt, muss unter Anwendung der objektiv definierten Aufnahmekriterien auch für die asiatische Türkei gelten: Auch sie ist kein europäisches Land. Darum ist ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union aus demselben Grund abzulehnen!


21. Barbara Locher-Otto, Vorsitzende des Verbandes berufstätiger Mütter vbm e.V. Köln, Auditorin Beruf & Familie

"Wenn es eine Chance für ein Miteinander westlicher und islamischer Werte gibt, dann mit der Türkei. Europa muss sich auf die Herausforderung der EU-Aufnahme einlassen, wenn es eine Erweiterung über seinen historischen Kernbereich wagen will. Für meine Kinder soll es selbstverständlich möglich sein, in Madrid, Amsterdam, Talin oder Istanbul als Europäer zu leben. Ich erhoffe eine offene europäische Wertegemeinschaft, die sich nährt aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Der Weg hin zu Europa wird einerseits die gesellschaftliche Entwicklung eines modernen Staates in der Türkei festigen und eröffnet gleichzeitig uns Frauen gemeinsame Perspektiven in eigenständiger Lebensgestaltung und der freien Entfaltung in sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht."



Kommentar:

Das Wagnis der „Erweiterung über den historischen Kernbereich hinaus“ wurde mit der letzten Erweiterungsrunde bereits eingegangen. Warum aber sollte Europa bis nach Asien hinein an die Grenzen Persiens erweitert werden? Das erklärt die befragte Frau Lotter-Otto nicht!

Ein weiteres »emotionales« (um die Charakterisierung als dümmlich zu vermeiden) Argument ist der Wunsch, dass die eigenen Kinder von Frau Lotter-Otto an verschiedenen Orten als Europäer leben können. Was denn sonst? Wo sie auch sind, werden sie dort immer als Europäer und nicht als Afrikaner, Araber, Asiaten, Amerikaner oder Australier leben!

Geradezu abwegig ist die Verquickung des Wunsches, dass sich mit einer Festigung der Türkei „gleichzeitig uns Frauen gemeinsame Perspektiven in eigenständiger Lebensgestaltung und der freien Entfaltung in sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht“ eröffnen mögen: als wenn die Türkei eine Vorreiterrolle bezüglich der Durchsetzung von Frauenrechten inne hätte! Auf Grund solcher wenig durchdachten Äußerungen müsste man annehmen, dass die Frau nicht den Politikteil in der Zeitung wirklich liest, höchstens darüber hinwegstiert, denn sonst dürfte sie nicht solche unverantwortlichen Äußerungen machen!




22. Berthold Huber, 2. Vorsitzender der IG Metall

"Ja zum EU-Beitritt der Türkei. Voraussetzung: die Türkei erfüllt die Beitrittskriterien. Da ist noch viel zu tun. Vor allem die Rechte für Arbeitnehmer müssen verbessert werden. Sie können sich in der Türkei nicht frei und ohne Überwachung organisieren. Ohne freie Gewerkschaften ist die Türkei kein wirklich demokratischer Staat. Warum sollte uns das in Deutschland interessieren? Knapp 1.500 deutsche Unternehmen sind in der Türkei vertreten, täglich werden es mehr. Eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union bringt keine Masseneinwanderung nach Deutschland. Sondern die Zusammenarbeit von Partnern, die voneinander profitieren können. Das schafft Arbeitplätze hier wie dort. Darum: fördern und fordern wir die Türkei mit einem Ja zum EU-Beitritt."



Kommentar:

Zu den objektiv definierten Aufnahmekriterien gehört Artikel 49 des EU-Vertrages. Er bildet die Grundlage für alle Aufnahmekriterien. Artikel 49 regelt, dass jeder europäische Staat einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU stellen könne. Da die asiatische Türkei kein europäischer Staat ist, kann sie eo ipso gar nicht dieses Beitrittskriterium erfüllen!




23. Günter Wallraff, Autor

"Türkei in die EU? Im Prinzip ja, aber mit der Auflage, dass die elementarsten Menschenrechte müssen eingehalten werden:

Keine Folter, wie sie noch immer in türkischen Polizeistationen praktiziert und nicht verfolgt wird.
Generalamnestie für die tausenden politischen Gefangenen.

Minderheitenrechte für die 14 Millionen Kurden, aber auch für die christlichen Aramäer und Assyrer.


Der Genozid an mehr als einer Million Armeniern darf nicht länger totgeschwiegen, geleugnet oder gar gerechtfertigt werden.

"Ehrenmorde" wegen angeblicher Verletzung der Familienehre dürfen nicht mehr als Kavaliersdelikt angesehen werden.

Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung muss gewährleistet sein.

Die EU-Mitgliedschaft würde die längst überfällige volle Integration der bei uns oft in Gettos lebenden 1,8 Millionen türkischen Einwanderer erleichtern. Bei einer Absage würde die Türkei, der schon seit Adenauers Zeiten immer wieder die Mitgliedschaft versprochen wurde, endgültig verprellt und dem islamistischen Lager in die Arme getrieben werden. Allerdings sollten unsere Politiker nicht überhastet vorgehen: Sie dürfen sich nicht zu Lakaien der USA machen lassen, die aus geostrategischen Gründen eine vorschnelle Mitgliedschaft der Türkei wollen, aber die Folgen nicht zu tragen haben. Bei der Überwachung der Grundrechte müssen Menschenrechtsorganisationen federführend eingebunden sein."



Kommentar:

Im Prinzip: Nein! Ein Fehlschluss ist es auch, dass eine Aufnahme der Türkei in die EU als Vollmitglied „die längst überfällige volle Integration der bei uns oft in Gettos lebenden 1,8 Millionen türkischen Einwanderer erleichtern“ würde: Wenn die Türken nach einem Beitritt die Bevölkerungsmehrheit haben, dann besteht noch weniger Zwang und Notwendigkeit, sich um Integration zu bemühen. Üblicherweise muss sich eine Minderheit der Mehrheit anpassen. Bei dem zunehmenden politischen Gewicht würde der Druck zur Integration vermindert. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Erst wenn es feststeht, dass die Türkei nicht aufgenommen wird, entsteht der Druck zu verstärkten Integrationsbemühungen!




24. Ingrid Fischbach, CDU MdB

"Eine 'privilegierte Partnerschaft' ist zum jetzigen Zeitpunkt in meinen Augen der richtige Weg. Die Türkei ist ein mit Deutschland befreundetes Land und ein verlässlicher NATO-Bündnispartner. Die Türkei kann ein wichtiger Vermittler zur islamischen Welt sein, deshalb ist ihre Einbindung wichtig. Die Türkei muss aber als Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen die 1993 von der EU verbindlich festgelegten politischen Kopenhagener Kriterien theoretisch und praktisch erfüllen. Dazu gehören die Sicherstellung eines demokratischen und rechtsstaatlichen Handelns sowie die volle Verwirklichung der Menschen- und Minderheitenrechte. Bedingungen, die auch nach der Einschätzung deutscher Gerichte nicht voll erfüllt sind. Außerdem stellt der in diesem Jahr vollzogene Beitritt der zehn neuen EU-Staaten eine große Herausforderung für die Europäische Union dar, die erst gemeistert werden muss. Das Konzept der 'privilegierten Partnerschaft' statt eines Beitritts trägt deshalb der europäischen Perspektive der Türkei am besten Rechnung zum Wohle aller Beteiligten."



Kommentar:

„Ein kluger Mann widerspricht einer Frau nicht – er wartet so lange, bis sie sich selbst widerspricht.“ Getreu diesem Bonmot weise ich darauf hin, dass Frau Fischbach einerseits die Linie von Frau Merkel vertritt, die einen Beitritt der Türkei zur EU als Vollmitglied ablehnt und ihr stattdessen »nur« eine „privilegierte Partnerschaft“ anbietet – auch unser MdB Fischbach hält das für richtig, und das ist es auch –, was die Türkei aber empört ablehnt; sie besteht ihrerseits auf Beitrittsverhandlungen, weil sie auf den Automatismus vertraut, dass bisher jeder Staat, mit dem Beitrittsverhandlungen aufgenommen worden waren, zum Abschluss der Verhandlungen als Vollmitglied aufgenommen worden ist. Obwohl Frau Fischbach also eine „privilegierte Partnerschaft“ als angemessene Einbindungsform ansieht, fordert sie andererseits, dass die Türkei „als Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen“ die Kopenhagener Kriterien erfüllen müsse. Aber Beitrittsverhandlungen soll es doch gerade nicht geben! Sie sollte sich einmal mit ihrer nachfolgend zitierten Kollegin kurz schließen.

Es ist erstaunlich, wie geistig unbedarft eine sich in ihrer Argumentation so widersprechende Stellungnahme von einer Vertreterin des Volkes in unserem höchsten politischen Gremium an ein Massenmedium zur Publizierung herausgegeben wird!

Die an dieser Stelle wieder einmal zu Tage getretene geistige Schlichtheit mancher Abgeordneter ist ein schon lange kritisiertes Phänomen: "Der Zustand der Bundesrepublik liegt zum Teil an der Auslese der politisch führenden Per­sönlichkeiten. Es sind wahrscheinlich nicht die besten." (Karl Jaspers, Philosoph, 1966) "Die Politiker sind ihr Geld nicht wert." (Erwin Scheuch, Kölner Soziologie-Professor, laut STERN 09.04.92) „Die Abgeordneten glauben, ihre Pflicht schon dann getan zu haben, wenn sie sich gewählt ausdrücken“ (Bert Berkensträter). „Unsere Abgeordneten geben ihr Bestes für das Allgemeinwohl. Mag sein, dass einige etwas naiv sind. Aber wo steht denn, dass für die Übernahme eines Bundestagsmandats ein dreistelliger IQ erforderlich ist?“ (Leserbrief Dr. Matthias Delvo im Stern 33/02) Und der 80-jährige Politologe Hennis fällte 2004 in der Rückschau auf sein langes Forscherleben im Bereich Politische Wissenschaft das Verdikt: „Heute regieren Leitfertigkeit und Mittelmaß. … Die Malaise heute ist, dass die Politiker nicht mehr die Kenntnis haben, die sie haben müssten. Sie kommen … in den Bundestag und verstehen von nichts etwas – außer davon, wie man im Ortsver­ein eine Mehrheit organisiert“ (Stern 29.01.04).



25. Dr. Renate Sommer, MdEP für die CDU/CSU

"Wer der Türkei eine EU-Vollmitgliedschaft in Aussicht stellt, handelt unehrlich und verantwortungslos. Erst muß das Projekt Osterweiterung zu einem Erfolg gemacht werden. Die neuen Länder gilt es nun zu integrieren, damit die EU weiter funktioniert. Deshalb können wir die Türkei in absehbarer Zeit nicht aufnehmen: Die 'innere Bindungskraft' der politischen Europäischen Union wäre durch dieses große und schwierige Land hoffnungslos überfordert. Dies wiegt noch schwerer als der nach einem Beitritt dauerhaft hohe Finanzbedarf von geschätzt 20 Mrd. /Jahr oder der zu erwartende enorme Einwanderungsdruck auf die 'alten' Mitgliedstaaten von mindestens 10 Millionen türkischen Arbeitssuchenden. Wir brauchen stattdessen eine ganz besondere Form der Zusammenarbeit mit der Türkei: Eine Ausweitung der Zollunion zur Freihandelszone, verstärkte Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik, in Bildung, Kultur und in vielen anderen Bereichen. Diese 'privilegierte Partnerschaft' könnten wir schon morgen beginnen."



Kommentar:

Frau Sommer hält ihre Argumentation nicht widerspruchsfrei durch: "Wer der Türkei eine EU-Vollmitglied­schaft in Aussicht stellt, handelt unehrlich und verantwortungslos. ... Die 'innere Bindungskraft' der politischen Europäischen Union wäre durch dieses große und schwierige Land hoffnungslos überfordert.“

Dacord! Und das gilt für immer!

Was soll dann der halbe Rückzieher: „Deshalb können wir die Türkei in absehbarer Zeit nicht aufnehmen.“ Die asiatische Türkei kann nie Mitglied in der Europäischen Union werden! Das regelt schon Artikel 49 des EU-Vertrages.

Außerdem wende ich mich gegen einen Mitgliederumfang nach Kassenlage. Das ist so, als wenn wir den ostdeutschen Ländern gesagt hätten: „Ihr dürft der Bundesrepublik nicht beitreten, weil das die westlichen Bundesländer zu teuer käme.“


26. Michaela Schaffrath, Schauspielerin

"Ich bin da gespalten. Auf der einen Seite ist das Zusammenleben mit den Türken voll normal. Der Beitritt erscheint mir daher längst überfällig. Auf der anderen Seite sind die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und die stoßen mich ab."



Kommentar:

Die bisher größtenteils fehlgeschlagenen Integrationsbemühungen weisen eindrucksvoll nach, dass das Zusammenleben mit »den Türken« - entgegen der getrübten Wahrnehmung der interviewten Schauspielerin - nicht „voll normal“ verläuft!




27. Oktay Urkal, Profi-Boxer, Silbermedaille 1996 in Atlanta, deutscher Staatsbürger:

"Meine Eltern stammen aus Sivas, einem kleinen Dorf in Anatolien, rund 350 Kilometer von Ankara entfernt. Als meine Mutter gerade nach Deutschland gekommen war, sah sie in Berlin zwei Menschen auf der Straße, die sich küssten. Meine Mutter hat sich total erschrocken und ist sofort nach Hause gerannt. Das liegt Jahrzehnte zurück heute würde so etwas wahrscheinlich nicht mehr passieren. Die Menschen auf dem Land sind informierter, viele würden gern zur Europäischen Gemeinschaft gehören."




28. Edzard Reuter, Ex-Daimler-Benz-Chef

Kam im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern in die Türkei, ist dort aufgewachsen und sieht sie als zweite Heimat. War in Ankara zu Zeiten Atatürks, einer der wenigen aufgeklärten Diktatoren seiner Zeit, die wirklich gutes für ihr Land bewirkt haben. Reuter hat immer noch Freunde aus der Jugendzeit in der Türkei und ist häufig dort.


“Die europäische Kultur ist seit mehr als drei Jahrtausenden auch in der Türkei gewachsen. Vor über 80 Jahren haben sich die dort lebenden Menschen entschieden, ihr Gesicht nach Westen zu wenden. Gewiss muß noch manches geschehen, damit die Türkei die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der EU erfüllt. Das alles ist aber auf gutem Wege. Es geht also bei der augenblicklichen Diskussion weniger um die Türkei als vielmehr um den inneren Zustand der EU selbst. Dort müssen die eigentlichen Schularbeiten erledigt werden: Vor allem die Klärung, ob die Mitgliedsländer bereit sind, wesentliche Teile ihrer nationalen Souveränität auf die Gemeinschaft zu übertragen. Diese Entscheidung wird auch die Türkei vor schwierige innepolitische Fragen stellen. Damit unterscheidet sie sich aber nicht von anderen Ländern, die bisher anstandslos als Mitglieder aufgenommen worden sind."



Kommentar:

"Die europäische(!) Kultur ist seit mehr als drei Jahrtausenden auch in der Türkei gewachsen.“

Eine völlig verantwortungslose Geschichtsklitterung, wenn damit ein behaupteter europäischer Charakter der Türkei unterstellt werden soll; deswegen wird dieses Argument ja aber vorgebracht!

So viel historisches Minimalwissen verlange ich als Allgemeinbildung von jemandem, der in der Türkei groß geworden ist und einen Weltkonzern geführt hat: Die europäische Kultur war in den griechischen (und damit europäischen!) Stadtgründungen an der Ostküste Kleinasiens im Oströmischen Reich Jahrtausende gewachsen. Die griechischen Tochterstädte hatten immer Verbindung zu ihren Mutterstädten in Griechenland. Sie waren hellenisiert und von der geistigen Entwicklung nicht abgekoppelt. Nach der Antike entstand das Oströmische Reich – als östliches Bollwerk Europas gegen den anbrandenden Islam, den die Turkvölker mit dem Krummschwert nach Westen trugen. Mit der Eroberung Konstantinopels und der Vernichtung des Oströmischen Reiches hörte diese »europäische« Entwicklungslinie auf kleinasiatischem Boden praktisch auf zu existieren! Die christlichen Gelehrten flohen aus Konstantinopel und ließen sich nun im Weströmischen Reich nieder. Sie verbreiteten dort ihr Wissen. Damit begann in Europa die Neuzeit.

Im islamisch-osmanischen Reich der Hohen Pforte jedoch verlief eine vom europäischen Denken und seinen historischen Traditionen völlig losgelöste andere Entwicklung, ohne dass die europäischen Denktraditionen dort aufgenommen worden wären!

Wie Reuter unter diesen historischen Gegebenheiten zu seiner geschichtsklitternden Behauptung gelangen konnte: “Die europäische Kultur ist seit mehr als drei Jahrtausenden auch in der Türkei gewachsen.“, ist mir als Historiker unerfindlich!


„Es geht also bei der augenblicklichen Diskussion weniger um die Türkei als vielmehr um den inneren Zustand der EU selbst.“

Auch da irrt Reuter: Es geht in der augenblicklichen Diskussion um den Europa drohenden Beitritt des von der Mehrheit der Europäer so empfundenen Fremdkörpers Türkei zur EU als Vollmitglied, um die nicht kompatible Kulturverschiedenheit zwischen europäischer Identität und türkischer Kultur.




29. Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes

"Die vor kurzem stattgefundene Osterweiterung der EU war ein historisches Ereignis, auf das sich die Agrarpolitik und die Landwirte hier wie dort sehr frühzeitig und gut vorbereitet haben. Deshalb kam es nach dem Beitritt auf den Agrarmärkten auch nicht zu großen Verwerfungen. In der 'großen' Europapolitik sind die Hausaufgaben aber liegen geblieben. Längst sollte eine neue europäische Verfassung die Handlungsfähigkeit bei 25 Mitgliedern sichern. Das steht immer noch aus. Die politischen Hausaufgaben müssen endlich gemacht werden, bevor neue Erweiterungsschritte, z.B. mit der Türkei getan werden. Mit der Türkei unterhält die Land- und Ernährungswirtschaft sehr gute Verbindungen. So ist der türkische Bauernverband Mitglied im EU-Bauernverband CEA. Nicht nur für unsere Bauern ist entscheidend, dass in der Türkei zu gleichen Bedingungen gewirtschaftet wird wie in der EU. Das von den europäischen Verbrauchern gewünschte Tierschutz-, Umwelt und Naturschutzniveau muss auch in der Türkei Standard sein, denn eine nachhaltige Landwirtschaft, die vielseitige Funktionen zu erfüllen hat, muss in jedem EU-Land gelten."



Kommentar:

Auch an dieser Stelle ist also der »NATO-Fehler« wiederholt worden, indem „der türkische Bauernverband Mitglied im EU-Bauernverband CEA“ geworden ist, obwohl die Türkei kein europäisches Land ist.



30. Ralph Giordano, Autor

"Die Türkei war nicht Europa, ist es nicht und wird es nicht sein, weder geografisch noch historisch, noch kulturell. In der Türkei wird noch immer gefoltert, und selbst schwerste Menschenrechts-verletzungen sind an der Tagesordnung. Was ist denn das für eine Gesellschaft, deren eine Hälfte, die weibliche, so gut wie keine Rechte hat? Wo Väter ihre Töchter töten, weil sie, selbst nach einer Vergewaltigung, angeblich die Familienehre verletzt haben?"



Kommentar:

"Die Türkei war nicht Europa, ist es nicht und wird es nicht sein, weder geografisch noch historisch, noch kulturell.“ Mit diesem Satz fasst Giordano das zusammen, was auch ich vertrete und in dieser langen Abhandlung deswegen argumentativ auszuführen versucht habe, damit sich jeder mit den Argumenten auseinandersetzen kann, weil einer – wie bei Giordano - nicht erläuterten Kernthese eine genau entgegengesetzt lautende Antithese entgegengehalten werden könnte, wie es einige Türken machen, mit denen ich diskutierte. Die behaupten schlankweg, die Türkei sei ein europäisches Land und müsse darum in die EU aufgenommen werden. Ein überzeugendes Argument haben sie für diese falsche Behauptung aber nicht anzubieten. Die asiatische Türkei hatte nie Teil an Europas kulturellem Gedächtnis!





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