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III. TEIL

Publizistische Positionen gegen einen Beitritt der asiatischen Türkei zur Europäischen Union

1 Hans-Ulrich Wehler (Die ZEIT 38/2002)

Als publizierte Gegenposition zu der umfangreichen Ausarbeitung von Frau Rühle führe ich die Aufsätze von Wehler aus der ZEIT 38/2002 „Das Türkenproblem“



http://zeus.zeit.de/text/2002/38/200238_tuerkei_contra_xml
und von Helmut Schmidt aus der ZEIT 50/2002 „Einbinden, nicht aufnehmen“

http://www.zeit.de/politik/leiter_schmidt
an ohne sie weiter zu kommentieren, weil sie ja aus der Sicht ihrer Autoren meine zuvor geäußerten Bedenken teilen und bestätigend ergänzen:
Die Türkei

Das Türkenproblem

Der Westen braucht die Türkei - etwa als Frontstaat gegen den Irak. Aber in die EU darf das muslimische Land niemals
Das ist die Wehlers zentrale These. Zur Begründung führt er aus:
Seit 1995 mit der Wohlfahrtspartei (Refah Partisi, RP) eine Partei des fundamentalistischen Islamismus die Mehrheit im Parlament und ihr Vorsitzender Erbakan den Posten des Ministerpräsidenten errungen hatte, sei ein prinzipieller Gegner westlicher Werte, westlicher Kultur, westlicher Politik, westlichen Lebensstils ans Ruder gekommen. Die fundamentalistische Wohlfahrtspartei wurde vom Militär und vom Verfassungsgericht der Türkei misstrauisch beobachtet. Der an einer der islamistisch-fundamentalistischen Imam-Hatip-Schulen zum Prediger ausgebildete heutige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan war stellvertretender Vorsitzender der Partei und gehörte ihrer Nachfolgerpartei, der Tugendpartei (Fazilet Partisi), bis zu seinem Austritt 1998 an. Er ist also Fleisch vom Fleische der konservativ-islamistischen Partei. Das begründet Wehlers grundsätzliches Misstrauen, der Erdogan wohl nicht abnimmt, dass der sich vom Saulus zum Paulus gewandelt haben könnte.

Die Tugendpartei (FP, Fazilet Partisi) war eine von 1997-2001 existierende rechte islamische Partei in der Türkei. Sie wurde Dezember 1997 unter maßgeblicher Beteiligung des Ministerpräsidenten Erdoğan in Erwartung des Verbots der Wohlfahrtspartei (Türkei) von Politikern jener Partei gegründet.

Als auch die Tugendpartei verboten wurde, spaltete sie sich: es gab vier Wochen später als Nachfolgeorganisation die konservativ ausgerichtete Saadet-Partei (SP) / „Glückspartei“. Zwei Monate später gründete dann der frühere Istanbuler Oberbürgermeister Erdogan als 39. Partei der türkischen Republik im August 2001 die islamisch orientierte Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) als Reformpartei der bisherigen islamistischen Parteien.
Wehler stellt die für ihn zentrale Frage: „Soll der Türkei tatsächlich der Weg in die EU frei gemacht werden? Ist es politisch klug, historisch begründet, vor allem aber vom Ergebnis her legitimierbar, sich auf dieses riskanteste Unternehmen in der Geschichte der europäischen Einigung einzulassen?“
Außer behebbaren Argumenten gegen eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU wie eine fehlende liberalisierte Marktwirtschaft, eklatante Missachtung der Menschenrechte und Verfolgung der kurdischen Minderheit26, sieht er vor allem aber, dass die Türkei als muslimischer Staat durch eine tiefe Kulturgrenze von Europa getrennt sei. „Der Konsens lautet: Nach geografischer Lage, historischer Vergangenheit, Religion, Kultur, Mentalität ist die Türkei kein Teil Europas. Weshalb sollte man 65 Millionen muslimischen Anatoliern die Freizügigkeit gewähren, sich auf unabsehbare Zeit mit einem kostspieligen Versorgungsfall belasten?“

Wehler als Historiker sieht die EU als einen christlich geprägten Staatenverein, in dem deswegen die muslimische Türkei keinen Platz finden sollte. Diese seine Position sieht er von „Multikulti-Gutmenschen“ als "christlichen Fundamentalismus" verworfen.

Gleichzeitig werde in der Türkei selber die kemalistisch-säkularisierte Identität des Landes durch einen in die türkische Öffentlichkeit drängenden einheimischen Fundamentalismus infrage gestellt, der den laizistisch-prowestlichen Elitenkonsens untergrabe. Der Widerstand gegen den religiösen Aufbruch erlahme, sodass u.a. immer mehr islamistische Schulen zugelassen und schon 1990 von 15 Prozent aller höheren Schüler besucht wurden. Das Kopftuch für Frauen, demonstratives Symbol der orthodoxen Rechtgläubigkeit, wird erlaubt.

Heutzutage würden die religiösen Fundamentalisten unter Erdogan und Kutan in die EU drängen, um im eigenen Land in den Genuss der westlichen Religionsfreiheit zu kommen und den Export ihrer Lehre in die türkische Diaspora in Europa, namentlich in Deutschland, vorantreiben zu können.

1999 habe in den Staaten der EU ohne jegliche demokratische Legitimierung ein Kurswechsels in der Haltung der Türkei gegenüber stattgefunden: Die europäischen Außenminister - aus geostrategischen Eigeninteressen der USA und um ein Abrutschen der Türkei in den mit Besorgnis zur Kenntnis genommenen anschwellenden Fundamentalismus im eigenen Land möglichst zu verhindern massiv von der Chefin des State Department Madeleine Albright dazu gedrängt, - hatten Beitrittsverhandlungen zugesagt und dann folgerichtig 2000 den Kandidatenstatus der Türkei offiziell anerkannt.

Alle von den Beitrittsbefürwortern angeführten Gründe werden von Wehler als „ganz und gar unzulänglich“ eingestuft, wenn es um die gravierende Grundsatzentscheidung des EU-Beitritts geht, da doch „zum ersten Mal ein Beitrittskandidat nicht als zweifelsfrei europäisch oder wenigstens als europakompatibel gilt“.

1. Im Südosten müsste klargestellt werden, dass weder die maghrebinischen Staaten noch der Nahe Osten und Israel zu Europa gehören. Ebenso wie die Türkei sollten die Ukraine, Weißrussland und Russland zwar an Europa gebunden und ihre Stabilisierung nach Kräften unterstützt werden. Sie seien indes kein Teil des von Wehler historisch-kulturell verstandenen und gesehenen Europas und gehörten deshalb nicht in die EU, weil weder die jüdisch-griechisch-römische Antike, die protestantische Reformation und die Renaissance, die Aufklärung und die Wissenschaftsrevolution diese Länder geprägt haben.

2. Diese Einwände gelten insbesondere für die Türkei, die als osmanisches Reich rund 450 Jahre lang gegen das christliche Europa nahezu unablässig Krieg geführt hat. Das sei im Kollektivgedächtnis sowohl der europäischen Völker, als auch dem der Türkei tief verankert. Es spreche darum nichts dafür, „eine solche Inkarnation der Gegnerschaft in die EU aufzunehmen“. Eine politische Union über Kulturgrenzen hinweg habe noch nie und nirgendwo Bestand gehabt.

3. „In der Bundesrepublik werfen 32 000 in radikalen Organisationen vereinigte türkische Muslime bereits hinreichend Probleme auf. Warum sollte das Konfliktniveau im Inneren weiter angehoben werden, was unvermeidbar geschehen würde. Wehler verweist - unfair - auf das Menetekel des 11. September (2001), als wenn die fast ausschließlich wahhabitischen Attentäter aus der Türkei gekommen wären.

4. „Warum sollte, da nach europäischen Kriterien rund 30 Prozent des türkischen Arbeitskräftepotenzials als arbeitslos gelten, einem anatolischen Millionenheer die Freizügigkeit in die EU eröffnet werden? Überall in Europa erweisen sich muslimische Minderheiten als nicht assimilierbar und igeln sich in ihrer Subkultur ein. Auch die Bundesrepublik hat bekanntlich kein Ausländer-, sondern ausschließlich ein Türkenproblem.“ Wehler fragt weiter: „Warum sollte man diese Diaspora millionenfach freiwillig vermehren und damit die bisher willige Bereitschaft zum Zusammenleben einer extremen Belastungsprobe aussetzen? Die Zahl von 67 Millionen Türken (zur Zeit der Republikgründung waren es noch 12 Millionen), die sich aufgrund der demografischen Explosion mit einem Zuwachs von etwa 2,4 Prozent pro Jahr dramatisch weiter erhöht, übertrifft bereits die Anzahl der europäischen Protestanten. Im Fall eines Beitritts um 2012/14 stellten 90 Millionen Türken die größte Bevölkerung eines EU-Mitgliedstaates. Das könnte den Anspruch auf finanzielle Sonderleistungen und eine politische Führungsrolle begründen.“

5. Wehler sieht Gefahren für die EU im Südosten durch die nach Aufnahme der Türkei in die EU dann bestehende Nachbarschaft zum Irak, zu Syrien (und zum Iran) und warnt vor dem explosiven Kurdenproblem.

6. Die Osterweiterung der EU werde fraglos alle Ressourcen der EU bis zur Zerreißprobe beanspruchen. Wie könne man, da diese enorme Belastung längst klar erkennbar ist, „politisch so von Sinnen sein, dass man sich die völlige Überdehnung aller restlichen Ressourcen auflädt, da doch die EU-Mitgliedschaft der Türkei geradewegs in die finale Zerreißprobe hineinführen muss?“

7. Die Schritte zum Beitritt der Türkei zur EU seien durch ein großes Demokratiedefizit gekennzeichnet. Über eine solche Grundsatzentscheidung sollte eine Volksabstimmung abgehalten werden.

8. Durch die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit diesem muslimischen Großland wäre das Projekt einer Einigung Europas „tödlich gefährdet“.

„Vollmitgliedschaft in der EU? Das ist die Fehlentscheidung eines leichtfertigen Versprechens, das möglichst bald, am besten noch vor den türkischen Wahlen im November, revidiert werden sollte.“

Zur Illustration der Aktualität der von Wehler angesprochenen Kurdenverfolgung kann auf Zeitungsartikel vom November 05 über staatliche Todesschwadronen trotz verschärfter Beob­achtung der türkischen Minderheitenpolitik durch die EU und trotz begonnener Beitrittsgespräche(!) verwiesen werden, als am 9. November in der Kleinstadt Semdinli im kurdischen Südosten des Landes allem Anschein nach Sondereinheiten der paramilitärischen türkischen Gendarmerie einen Handgranatenanschlag verübt hatten, der das Land in eine schwere Krise gestürzt hatte.

Die Bevölkerung stellte die Täter, die sich anhand ihrer Ausweise als Angehörige eines bizarren Geheimdienstes der Gendarmerie (Jitem) entpuppten. Kein geringerer als Ministerpräsident Erdogan sagte, erste Erkenntnisse deuteten daraufhin, daß es hier um "ein Fortdauern der alten Mentalität" gehe, und dass dies "kein örtlich begrenzter Einzelfall" sei (DIE WELT vom 17.11.05).

Die beiden verdächtigten Jitem-Offiziere wurden "mangels Beweisen" freigelassen. Die bei ihnen gefundenen Namenslisten von PKK-Aktivisten und der gezeichnete Straßenplan mit dem markierten Laden des Opfers dienten "nur zum Sammeln von Informationen". Sie hielten an, um einen Lottoschein zu kaufen und eine Toilette zu suchen. Der Gouverneur der Region sagte noch vor der Untersuchung, die Sicherheitskräfte seien unschuldig. Armeechef Büyükanit stellte sich vor den verdächtigten Jitem-Offizier Ali Kaya und nennt ihn einen "wertvollen Soldaten".

Im Südosten des Landes lieferten sich 2006 Kurden mit türkischen Sicherheitskräften die schlimmsten Straßenschlachten seit mehr als zehn Jahren (SPIEGEL ONLINE 17.04.06).


2 Helmut Schmidt (Die ZEIT 50/2002)



Eu-Erweiterung

Einbinden, nicht aufnehmen

Wie Wehler sieht auch Schmidt als Haupthindernis an, dass dem Islam die für die europäische Kultur entscheidenden Entwicklungen der Renaissance, der Aufklärung und der Trennung zwischen geistlicher und politischer Autorität fehlen. Der Islam habe auch deshalb - trotz 500 Jahren osmanischer Expansion und bis auf die Ausnahmen Albanien, Bosnien und das Kosovo - in Europa nicht Fuß fassen können.

In Jahrzehnten sei eine Integration, gar Assimilation der inzwischen in Europa lebenden Millionen Muslime „bisher nirgendwo durchgreifend geglückt“.
Schmidt zeigt die Entwicklung der Annäherung der Türkei an die EU auf und konstatiert: „Die Mehrheit der EU-Regierungschefs hat sich immer aufs Neue hinter den von der Türkei tatsächlich nicht erfüllten Kriterien versteckt, zugleich aber unter massivem Druck der USA immer wieder so getan, als ob man die Türkei nur allzu gern als Vollmitglied in die EU aufnehmen wolle. Deutschland und Frankreich waren und bleiben daran durchaus beteiligt. Es wird Zeit, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs, wenn sie sich am Donnerstag abermals in Kopenhagen der Türkei zuwenden, sich über ihre strategischen Interessen reinen Wein einschenken.“ „Für Washington geht es seit Jahrzehnten um die feste Einbindung der Türkei in das amerikanische geopolitische Instrumentarium; aktuell geht es darum, die Türkei zu weitgehender Mitwirkung an einem Irak-Krieg zu bewegen und langfristig auch um möglichst weitgehende Identität der Mitgliedschaften in EU und Nato, um die Steuerung beider Verbände durch Washington wesentlich zu vereinfachen.“

Dabei würde die vorhersehbare „eigene strategische Dynamik der Türkei außer Acht“ gelassen, die insbesondere auf die Republiken Zentralasiens zielen, die türkische Dialekte sprechen. „Schon vor Jahrzehnten sprach Staatspräsident Süleyman Demirel von einer ’türkischen Welt’, ’von der Adria bis an die Grenzen Chinas’.“

Schmidt sieht als weitere große Belastung das „Problem des unterdrückten 20-Millionen-Volkes der Kurden, denen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges kein eigenes Territorium zugestanden hatten“: Eine kurdische Autonomie in der irakischen Nordregion wird Ankara als Bedrohung für den Zusammenhalt des türkischen Staates gesehen. Bisher glaubten die Türken ihren Staat schon allein durch die Kurden im Innern bedroht. [Sollte sich ein kurdischer Staat zwischen der Türkei und dem Irak bilden, würden die Türken einen solchen Staat selbst dann als Bedrohung für ihre staatliche Einheit empfinden, wenn ein Kurdenstaat eine Beschränkung auf irakisches Territorium verspräche und dieses Versprechen einhielte: die in der Türkei unterdrückte kurdische Minderheit würden immer nach Wegen des Anschlusses an den Kurdenstaat jenseits der Grenze suchen! (der Verf.]]

„Die sich durch die Jahrhunderte hinziehende Gegnerschaft Russlands (deshalb seinerzeit der Beitritt der Türkei zur Nato), die verständliche Feindschaft der Armenier oder die zu erwartenden strategischen Auseinandersetzungen über Rohrleitungen und Häfen für Öl und Gas aus Zentralasien komplettieren die Umrisse der geopolitischen Interessen Ankaras. Wer diese Interessen in den Rahmen einer ’gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik’ der EU einfügen wollte, der könnte in einer Krise den Zusammenbruch der EU riskieren.“ Schmidt sprich ebenfalls eine „schleichende Re-Islamisierung der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens“ in der Türkei an. „Fundamentalismus ist denkbar geworden.“ „Die oberste Regierungsfunktion der Militärs verschafft laizistischen Türken eine gewisse Sicherheit, ironischerweise beschränkt sie aber entscheidend die Demokratie und verstößt so gegen die Kriterien der EU.“

Zwingende Gründe sprächen dafür, eine Vollmitgliedschaft in der EU zu vermeiden: „Sie würde Freizügigkeit für alle türkischen Staatsbürger bedeuten und damit die dringend gebotene Integration der bei uns lebenden Türken und Kurden aussichtslos werden lassen. Sie würde zugleich die Tür öffnen für eine ähnlich plausible Vollmitgliedschaft etwa anderer muslimischer Staaten in Afrika und Nahost. Sie würde eine außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU unmöglich machen.

Im wahrscheinlichen Ergebnis würde die politische Union zu einer puren Freihandelszone ohne politische Vision und Zukunft verkümmern. Zwar hätten viele Engländer und Amerikaner gegen ein solches Ergebnis nichts einzuwenden. Die Deutschen aber und ebenso die Franzosen müssen wissen: Es liegt in unserem vitalen nationalen Interesse, die Selbstbehauptung der Europäischen Union zu erreichen; denn als einzelne Staaten werden wir den politischen und demografischen, den ökonomischen und ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht standhalten können.“


Helmut Schmidt bezeichnete es zwei Jahre nach diesem Beitrag im November 2004 als politischen Fehler, "dass wir zu Beginn der sechziger Jahre Gastarbeiter aus fremden Kulturen ins Land holten".


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