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VI. Teil

1 Publizistischer Meinungskampf vor Veröffentlichung des „Reform-Fortschrittsberichts“ (06.10.04) des (damaligen) EU-Erweiterungs­kommissars Verheugen

1.1 TÜRKEI ANTE PORTAS (SPIEGEL ONLINE 24.09.04)


http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,319584,00.html

Union warnt vor "gefährlichem Beitrittsautomatismus"

Unions-Politiker haben nachdrücklich vor einer raschen Aufnahme von Beitrittsgesprächen der EU mit der Türkei gewarnt. Derweil jubelt die türkische Presse über Premier Erdogans Erfolg in Brüssel: "Wir sind Europäer"
"Das Tor zur EU hat sich geöffnet", schrieb das Blatt "Milliyet". "Wir sind Europäer", lautete die Überschrift der Zeitung "Sabah". Erdogan habe die Türkei dem Ziel EU so nahe gebracht wie nie zuvor seit dem Assoziierungsabkommen vor 41 Jahren. "Unser Weg ist nun frei", verkündete "Hürriyet".

In Deutschland begrüßte die "BILD"-Zeitung die Türkei auf der Titelseite bereits mit der Schlagzeile "Hosgeldiniz (herzlich willkommen) - Weg für Türkei in EU frei".

Unions-Politiker sprachen sich hingegen vehement gegen eine schnelle Aufnahme der Türkei in die EU aus. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Matthias Wissmann, warnte vor einem "gefährlichen Beitrittsautomatismus, bei dem der Gedanke der politischen Union Europas am Ende auf der Strecke" bleibe.

Wissmann riet der EU-Kommission dringlich, sich um einen fairen Bericht zu bemühen, der den Fortschritten in der Türkei auch die erheblichen Defizite gegenüberstelle. CSU-Generalsekretär Markus Söder plädierte trotz der bisher ablehnenden Haltung seiner Partei Volksentscheiden gegenüber dafür, dass am Ende ein Volksentscheid stehen müsse.

Der FDP-Außenpolitiker Werner Hoyer plädierte dafür, einen EU-Monitoring-Rat aus Vertretern der Kommission, des Rates und der nationalen Parlamente zu bilden, der die Türkei während der absehbaren Beitrittsverhandlungen permanent überwachen soll. Der Rat solle prüfen, "ob die Türkei ihr Militär ziviler Kontrolle unterstellt, ob sie Menschen- und Minderheitenrechte einhält und die Gleichheit von Mann und Frau achtet."

Der Günen-Europaabgeordnete Cem Özdemir sieht noch großen Reformbedarf in der Türkei vor Aufnahme der Beitrittsverhandlungen. Zwar habe das Land in den vergangenen zwei Jahren unter Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan erstaunliches geleistet und sich in einem atemberaubenden Tempo verändert. Doch gebe es nach wie vor Veränderungsbedarf etwa im Bereich der Pressefreiheit und der Schulausbildung von Mädchen, sagte Özdemir im Deutschlandfunk. Auch gebe es weiter Fälle von Folter.

(Der damalige) Außenminister Joschka Fischer hatte die von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen angekündigte Entwicklung begrüßt.

Die endgültige Entscheidung treffen die Staats- und Regierungschefs der 25 EU-Staaten im Dezember - ohne Rücksicht auf die überwiegend ablehnende Haltung der europäischen Bevölkerung in dieser Frage. ablehnend gegenüber einer wie auch immer gearteten Mitgliedschaft äußerten sich 32 Prozent der Befragten. Das Argument, die Türkei gehöre wegen ihrer anderen religiösen und kulturellen Tradition nicht in die EU, werde – angeblich - nur von einem Viertel der von dem Meinungsforschungsinstituts Ipsos für die "Financial Times Deutschland" Befragten geteilt.(SPIEGEL ONLINE 24.09.04)


Axel Springer muss wegen der Titelseitenschlagzeile der Bild-Zeitung "Hosgeldiniz (herzlich willkommen) - Weg für Türkei in EU frei" in seinem Grab rotiert haben! (Oder ich schätze seine christlich-wertkonservative Einstellung völlig falsch ein. Das kann ich mir aber nicht vorstellen!)


1.2 eu-zusage an türkei (taz 24.09.04)


Vollendete Tatsachen

http://www.taz.de/dx/2004/09/24/a0070.1/text.ges,1
Die Türkei-Debatte werfe mit großer Dringlichkeit die Fragen auf: „Wo endet Europa? Was für eine Union wollen wir? Welche Kräfte sind es, die unser Gebilde im Innern zusammenhalten? Alle, die sich an diesem Ringen um Antworten beteiligt haben, müssen sich nun - gelinde gesagt - verschaukelt fühlen“, heißt es in dem Kommentar der taz.

Namentlich werden an herausragender Stelle der Agrarkommissar Franz Fischler, der neben einer beunruhigenden finanziellen Prognose auch historische und politische Vorbehalte ins Feld führte, sein Kollege Frits Bolkestein, der öffentlich begründete, warum er Verhandlungen mit Ankara nicht unterstützen wird, genannt. Es wird auf die Abgeordneten der größten Fraktion im Europaparlament, der konservativen EVP, verwiesen.

Die Vorbehalte in der EU-Kommission seien durch Erdogans Gespräche nicht ausgeräumt und die Mehrheit des Europaparlaments würde womöglich anders entscheidet. Die Regierungschefs haben nun beim Gipfel im Dezember keinen Spielraum mehr, der Türkei etwas anderes als Beitrittsgespräche anzubieten - wollen sie nicht jede Glaubwürdigkeit gegenüber Ankara verlieren.

Die Frage, was für eine Union wir wollen, dürfe natürlich auch künftig gestellt werden. „Was für eine Union wir derzeit haben, ist nach dem gestrigen Tag beantwortet: eine, in der demokratische Strukturen dekoratives Beiwerk sind. Dass der türkische Ministerpräsident Beschlüsse seines Parlaments nicht abzuwarten braucht, bevor er sich für sie verbürgt, überrascht nicht sonderlich. Dass aber auch ein Brüsseler Kommissar nach einem Vier-Augen-Gespräch per ordre de mufti handeln kann - das ist neu.“

(taz 24.9.2004 Kommentar DANIELA WEINGÄRTNER), 


1.3 Zehn Gründe gegen den EU-Beitritt der Türkei (DIE WELT 24.09.04)


http://www.welt.de/print-welt/article342468/Zehn_Gruende_gegen_den_EU-Beitritt_der_Tuerkei.html
Als kapp zwei Wochen vor dem entscheidenden Türkei-Bericht der EU-Erweiterungs­kommissar Günter Verheugen ein Ja zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen signalisierte, hat DIE WELT 10 Gründe gegen die Aufnahme der Türkei zusammengestellt, die in Kurzform widergegeben lauten:
1. Die Türkei gehört nicht zu Europa

Das tat sie nie, weder geografisch noch kulturell. Das Erbe der Antike, die jüdisch-christliche Ethik, die Renaissance und die Aufklärung sind an ihr genauso vorübergegangen wie an uns die Kultur des Harems. … wer ein außereuropäisches Land aufnimmt, muss sich auch Israels und der Maghrebstaaten, der Ukraine, Weisrusslands und Russlands annehmen. Europa als geografische Einheit, als gemeinsamer Geschichts- und Kulturraum ginge zu Grunde.


2. Ankara missachtet Menschenrechte

Die Wahrung der Menschenrechte scheint dennoch nicht gewährleistet. Sie aber gehört zu Europa …


3. Es droht eine Völkerwanderung

Die Freiheit der Freizügigkeit brächte schätzungsweise drei Millionen anatolische Bauern auf die Beine gen Nordwesten. Da von Ausnahmen abgesehen ihre Integration als gescheitertangesehen werden muss, würde eine türkische Masseneinwanderung die Probleme nur noch verschärfen. 27


4. Die Unionsidee wird zerstört

Will man den Unionscharakter bewahren, will man die Union vertiefen, ist ein europäisches Wirgefühl vonnöten. Ein EU-Beitritt der Türkei – in 20 Jahren das bevölkerungsreichste Land der EU – brächte die wirklich europäischen Staaten auseinander.


5. Die Kosten sind nicht zu bewältigen

Und das in allen Bereichen: finanziell, politisch und in sozialer Hinsicht.


6. Die EU ist keine karitative Anstalt

Die Entwicklung in der Türkei ist eine innertürkische Angelegenheit. Die Türkei selbst aber und viele Anhänger eines Beitritts instrumentalisieren die EU, um eine bestimmte politische Linie im Land durchzusetzen.

Die Türkei muss ein Eigeninteresse an Reformen und der Modernisierung haben. Die Türkei muss ihre politischen Hausaufgaben selbst lösen.
7. Das Strategie-Argument zieht nicht

Viele Araber haben die Türken als Kolonialmacht noch immer nicht vergessen. Deswegen kann die Türkei keine Brücke zwischen Ost und West sein.




8. Die EU kommt in üble Nachbarschaft

Wäre Ankara Mitglied in der EU, stießen Europas Grenzen außerhalb Europas an die zentralen Konfliktregionen der Erde.


9. Das Beitrittsversprechen ist Legende

Mit dem Assoziierungsvertrag von 1964 war die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gemeint. Ein Beitritt zu einer - damals noch gar nicht existenten - politischen Union stand nie zur Diskussion. Die Europäer werden nicht wortbrüchig, wenn sie die Türkei nicht als Vollmitglied in die EU integrieren.


10. Es gibt sinnvolle Alternativen

Setzt Ankara seinen Reformkurs fort, wird es auch ohne Vollmitgliedschaft – assoziiertes Mitglied der EU ist es bereits – eine moderne Demokratie werden. Geschützt würde sie im Rahmen der Nato. Darüber hinaus könnten ihr weitere Vorzüge in der Zollunion gewährt werden. Die Türkei gehört zu Europas Nachbarn.

(DIE WELT 24.09.04)

Am Tag der Abgabe des „Fortschrittsberichts“ des EU-Erweiterungskommissars Verheugen über die Situation der Türkei im Hinblick auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen brachte SPIEGEL-Online (06.10.04) die nach­folgend wiedergegebenen Stellungnahmen Pro und Contra einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU:



2 Warum die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sinnvoll ist

Prominentenäußerungen am Tag der Abgabe des “Fortschrittsberichts“ des EU-Erweiterungskommissars Verheugen in SPIEGELONLINE 06.10.04

Vier Jahrzehnte lang hat die europäische Gemeinschaft den Türken stets erklärt: Ihr gehört zu Europa. Seit Jahren befindet sich das Land auf einem radikalen Modernisierungskurs. Die Türken heute abzuweisen, wäre das falsche Signal - sagen die Befürworter von Beitrittsverhandlungen.


Der als völlig unbewiesene Behauptung ständig vorgebrachte Satz: „Die Türkei gehört zu Europa“, den Beitrittsbefürworter nicht müde werden, wie eine tibetanische Gebetslitanei ständig zu wiederholen, wird durch seine unsere Bereitschaft zur Leichtgläubigkeit strapazierende Wiederholung um keinen Deut richtiger! Die Argumentation ist so wie zur Zeit Kopernikus’ und Gallileis: Seit 1.600 Jahren wissen wir, dass die Erde eine Scheibe ist, sprich: die Türkei zu Europa gehört, und nun kommt ihr Beitrittsgegner und wollt uns weismachen, dass die Erde eine Kugel sei, sprich: die Türkei nicht zu Europa gehört. Und weil 1.600 Jahre lang das Falsche geglaubt wurde, muss dieser Irrtum perpetuiert werden.

Da soll uns ein Trabbi als Porsche verkauft werden, und wir alle müssen den Preis dafür zahlen!


2.1 ALT-BUNDESPRÄSIDENT VON WEIZSÄCKER

"Weisen wir sie ab, jubeln die Fundamentalisten"


"Seit 1963 hat Brüssel erklärt, dass die Türkei nach Europa gehört. Wir dürfen ihr Verhandlungen über ihre künftigen Beziehungen zu Europa heute nicht verweigern: Klar ist: Es wird verhandelt; das Ergebnis ist offen! Die Türkei ist anders. Ob zu anders, entscheiden wir in den Verhandlungen. Ihre Regierung ist islamisch. Sie ist rechtstaatlich demokratisch gewählt, wie nirgends sonst in der islamischen Welt. Sie hat die entscheidende Verbesserung für Menschenrechte eingeleitet. Weisen wir sie ab, jubeln die Fundamentalisten, das Volk weint. Sollen denn die Generäle wiederkommen, die das Kurdenproblem nur militärisch lösen wollen? Europa ist von 1,5 Milliarden Muslime umgeben. Im Umgang mit ihnen brauchen wir eine rechtsstaatliche demokratische Türkei."


2.2 REISEUNTERNEHMER ÖGER

"Nicht beitrittsreif, aber verhandlungsreif"


"Die Türkei ist noch nicht beitrittsreif, doch dafür in hohem Grade verhandlungsreif. Nach 41 Jahren und vielfacher Zusicherung, die Türkei müsse eine klare Beitrittsperspektive haben, ist es nun so weit. Zwar kann es bis zum Beitritt selbst noch zehn oder 15 Jahre dauern. Doch der Weg ist klar. Die Entscheidung in Brüssel verändert die Welt. Die Türkei wird zum Scharnier zwischen Abend- und Morgenland, verstärkt unsere Sicherheit, liefert enorme wirtschaftliche Impulse, bewirkt, dass aus Europa ein Global Player wird. Das ist eine Entscheidung der Vernunft und in unser aller Interesse. Die Verhandlungen werden gewiss kritisch begleitet. Die Türkei aber, ohnehin in einem aufregend dynamischen Reformprozess, wird sich gleichfalls vorteilhaft entfalten. Wir erleben eine große historische Stunde."


2.3 GRÜNEN-CHEFIN ROTH

"Richtigen Weg eingeschlagen"


"Die EU-Kommission hat es sich in den letzten Wochen und Monaten nicht leicht gemacht mit der Abfassung des Fortschrittsberichts, in dem die Reformanstrengungen der Türkei innerhalb des letzten Jahres bewertet werden. Wir werden sehen, dass die Türkei mit dem Reformwerk den richtigen Weg eingeschlagen hat. Vieles, mehr als wir uns noch vor zwei Jahren zu erträumen gewagt hätten, ist geschehen. Wir sehen aber auch, dass noch viel zu tun bleibt, bis die Türkei so weit sein wird, um der EU als Vollmitglied beizutreten.

Wenn wir es ernst meinen mit der Unterstützung des Reformkurses in der Türkei, wenn wir dazu beitragen wollen, dass dieser Weg unumkehrbar sein wird, dann dürfen wir die Beitrittsperspektive nicht verbauen. Beim Europäischen Rat am 16. Dezember geht es um genau dies: den Türken Mut zu machen, weiter voranzuschreiten auf dem Weg hin zu einem Rechtsstaat, der Menschenrechte und Minderheitenrechte achtet, der demokratisch verfasst ist, dessen Richter unabhängig sind und in dem das Recht auf freie Ausübung der Religion ein Grundrecht ist, das allen zugute kommen muss, Sunniten, Aleviten, Christen und Juden, und dass niemand wegen seines Glaubens benachteiligt wird.


Die Türkei braucht unsere ausgestreckte Hand, auch wirtschaftlich, um Sicherheit und Stabilität zu garantieren in dieser für uns so wichtigen Region."




2.4 EX-AUSSENMINISTER GENSCHER

"Zugewinn an Stabilität"


"Schon vor mehr als 40 Jahren, zu Zeiten von Bundeskanzler Konrad Adenauer, wurde der Türkei die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, obwohl sie damals weit davon entfernt war, die Voraussetzungen in rechtsstaatlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu erfüllen. Jetzt geht es um das Wann, das heißt, es ist zunächst Sache der Türkei, die von der EU genannten Voraussetzungen zu erfüllen. Im Übrigen würde der Beitritt zeigen, dass auch ein muslimisches Land ein demokratischer Rechtsstaat sein kann. Das wäre ein Zugewinn an Stabilität im Mittelmeer-Raum." (Quelle: "Bild am Sonntag", 18.04.04)




2.5 Regierender Bürgermeister von Hamburg OLE VON BEUST (CDU)

"Chancen für die deutsche Wirtschaft"


"Die Diskussion um den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ist geprägt von Ängsten und Sorgen der Menschen, aber auch von Hoffnungen sowie Erwartungen. Die Argumente gegen einen Beitritt kann ich häufig nachvollziehen, denn die Türkei muss, trotz aller Bemühungen und Erfolge, noch einiges leisten auf dem Weg nach Europa. Trotzdem dürfen wir es diesem Land nicht verweigern, über einen Beitritt zu verhandeln. Denn nur auf diese Weise sorgen wir gemeinsam dafür, dass sich die Türkei und ihre Bürgerinnen und Bürger noch weiter europäischen Standards nähern, etwa in Fragen der Menschenrechte, und diese schließlich ganz erfüllen werden. Langer Atem ist dafür notwendig: Ich rechne damit, dass die Verhandlungen mindestens zehn Jahre dauern werden. Der Beitritt ist jedoch nicht nur für die Türkei von großer Bedeutung, sondern beinhaltet Chancen für die deutsche Wirtschaft, sichert nicht zuletzt auch Arbeitsplätze. Heute wird die EU-Kommission eine Empfehlung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen abgeben, und ich hoffe, dass das Votum positiv ausfallen wird. Damit wäre ein erster wichtiger Schritt getan."


2.6 SPD-FRAKTIONSVIZE ERLER

"Ein Bollwerk gegen den Kampf der Kulturen"


"Die EU hat klare Vereinbarungen mit der Türkei getroffen. Die muss sie einhalten, sonst wird sie unglaubwürdig - auch bei den übrigen Beitrittskandidaten. Europa hat ein großes Interesse daran, dass der Reformprozess in Ankara weitergeht. Die einzige Garantie dafür ist die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen. Und die deutsche Wirtschaft weiß, warum sie so heftig für einen Türkeibeitritt wirbt: Das gibt Wachstum, Arbeitsplätze und Chancen auf neue Märkte. Am wichtigsten aber: Ein großes islamisches Land, wie die Türkei, das den europäischen Weg geht und zur EU gehört, ist geradezu ein Bollwerk gegen den "Kampf der Kulturen" zwischen dem Islam und dem Westen, wie ihn Osama bin Laden herbeizubomben versucht. Alleine dafür lohnt jede Anstrengung."


3 Warum die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht sinnvoll ist

Prominentenäußerungen am Tag der Abgabe des “Fortschrittsberichts“ des EU-Erweiterungskommissars Verheugen in SPIEGELONLINE 06.10.04


Die Gegenposition zu den bisher zu Wort gekommenen Beitrittsbefürwortern lautete:



3.1 CDU-POLITIKER HINTZE



Warum es falsch ist, der Türkei einen EU-Beitritt in Aussicht zu stellen
Trotz aller Reformen - die Gegner eines EU-Beitritts der Türkei bleiben dabei: Die Aufnahme des Landes in die EU würde die Europäische Union überfordern, möglicherweise zerstören. Auch aufgrund der kulturellen Differenzen sehen die Gegner keinen Sinn in jahrelangen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.
"EU wäre überfordert"
"Ein EU-Beitritt der Türkei, die schon heute so viele Einwohner hat wie alle zehn Beitrittsstaaten zusammen, würde die Europäische Union politisch, wirtschaftlich und sozial klar überfordern. Die Kopenhagener Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen verlangen, dass eine weitere Vertiefung der europäischen Integration stets gewährleistet bleibt. Angesichts der bestehenden rechtsstaatlichen Defizite, des großen Wohlstandsgefälles und der herrschenden sozialen Unterschiede in der Türkei wäre deren Beitritt ein Existenzrisiko für die EU. Die Folterpraxis und die Situation der Frauen zeigen, dass der europäische Wertekanon dem türkischen Alltagsleben in weiten Teilen des Landes fremd ist. Künftige EU-Grenzen mit Iran, Irak und Syrien gefährden die Sicherheit in Europa. Eine privilegierte Partnerschaft wäre demgegenüber für beide Seiten ein Gewinn."


3.2 EX-KANZLER SCHMIDT

"Zusammenhalt der EU gefährdet"


"Ein Scheitern der EU oder eine Schrumpfung zu einer bloßen Freihandelszone ist nicht mehr undenkbar. Ein baldiger Beitritt der armen Balkanstaaten oder der Türkei würde die finanzielle Leistungsfähigkeit der EU und ihren Zusammenhalt ernsthaft gefährden. Im Falle der Türkei sind darüber hinaus nicht nur die erheblichen kulturellen Unterschiede gegenüber Europa zu bedenken, sondern auch die kulturelle Verwandtschaft der Türken mit den Muslimen in Asien und Nordafrika. Es kommt hinzu, dass die Türkei das einzige Mitgliedsland mit einer wachsenden Bevölkerung wäre." (Quelle: "Die Zeit" vom 16.09.O4)


3.3 INNENMINISTER SCHÖNBOHM (Brandenburg)

"Das würde niemandem helfen"


"Die privilegierte Partnerschaft ist ein faires Angebot. Die Türkei ist nahe an Europa, aber einen Platz in der EU sehe ich für sie nicht. Das hat mit der geographischen Lage und Größe der Türkei und ihrer sich erst entwickelnden Wirtschaftskraft zu tun. Dies ist keine Frage der Religion, wie vielfach unterstellt wird.

Es geht letztlich um die Frage, wie wir uns Europa vorstellen - als eine reine Freihandelszone oder eine politische Union. Wir müssen erst die Frage der Finalität der EU beantworten, dann kann man über die Türkei sprechen. Wie soll ein Europa aussehen von Helsinki bis Ankara, von Irland bis an die irakische Grenze? Ich habe die Sorge, dass sich die EU mit einer Aufnahme der Türkei überdehnt. Das würde niemandem helfen. Wer den EU-Beitritt der Türkei fördert, muss sich überlegen, ob er damit nicht einen Beitrag zur beginnenden Auflösung der Gemeinschaft leistet. Hinzu kommt die finanzielle Belastung durch einen Beitritt der Türkei. Die Türkei hat fast so viele Einwohner wie Deutschland, aber nur ein Achtel der Wirtschaftskraft. Nach den heutigen Kriterien hätte die Türkei einen Transferanspruch im Volumen von etwa einem Drittel des EU-Haushalts, wovon Deutschland den größten Anteil aufbringen müsste. Das ist nicht finanzierbar.


Unter sicherheitspolitischen Aspekte brauchen wir die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Türkei in der Nato und der Uno. Eine EU-Mitgliedschaft lässt sich daraus nicht begründen."




3.4 PDS-POLITIKERIN WAGENKNECHT

"Die EU stellt der Türkei einen Persilschein aus"


"Wer jemals an die Kopenhagener Beitrittskriterien als Grundbedingung für Beitrittsverhandlungen geglaubt hat, wurde im Fall der Türkei eines Besseren belehrt. Was kümmern die EU Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, wenn ganz anderes auf dem Spiel steht? Es winkt die Perspektive eines riesigen neuen Absatzmarkts für EU-Produkte sowie die Erweiterung des EU-Einflusses in einer strategisch überaus bedeutsamen Weltregion. Für die Erfüllung der politischen Kriterien reichen der EU in einem solchen Fall dann auch Absichtserklärungen und im Schnellverfahren verordnete formale Gesetzesänderungen. Dass die Realität in der Türkei weiterhin ganz anders aussieht, dass immer noch gefoltert wird, die Justiz alles andere als rechtsstaatlich agiert, Meinungsfreiheit und Minderheitenrechte in weiter Ferne liegen und dass Gesetzesvorhaben wie die Strafbarkeit von Ehebruch weiterhin möglich sind, ist unerheblich. Die EU stellt der Türkei einen Persilschein aus. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin für einen EU-Beitritt der Türkei und lehne die unsägliche ausländerfeindliche und rassistische CDU-Kampagne gegen den Beitritt vollständig ab. Die Türkei muss jedoch die politischen Beitrittskriterien erfüllen. Eine positive Entscheidung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt halte ich deshalb für fatal."
Nachdem der EU-Erweiterungskommissar Verheugen am 06.10.04 seinen positiven Fortschrittsbericht über die Lage in der Türkei hinsichtlich der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen abgegeben hatte, äußerte sich Bundeskanzler Schröder als prononcierter Befürworter eines Beitritts mit seinen teilweise nicht zu Ende gedachten, verqueren Argumenten in der WELT als Antwort auf die einige Zeit zuvor in dieser Zeitung publizierte Argumentationszusammenfassung "Zehn Gründe gegen den EU-Beitritt der Türkei":

Ich habe dieser Ausarbeitung ein zusammenfassendes Thesenpapier vorangestellt, dessen Thesen dann in der vorliegenden Arbeit ausführlich begründet wurden. Kein einziges meiner Argumente kann im Grundsatz widerlegt werden; es wäre ja auch wissenschaftlich unredlich, wenn ich Argumente behauptet und ins Feld geführt hätte, die zu widerlegen gewesen wären. Dafür bin ich mir zu schade, denn ich will nicht agitieren, sondern zu überzeugen versuchen: der Leser muss nur ergebnisoffen mitdenken!




4 Zusammenfassende Wertung der vorgebrachten Prominenten-Argumente



Die von mir vorgetragenen Argumente können nur für in der eigenen Wertvorstellung unbeachtlich erklärt werden, wenn man in dem eigenen Entscheidungsprozess für oder gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU andere Schwerpunkte setzt, indem man die (meist nur diffus gespürte) kulturelle Identität Europas (bis zur Unkenntlichkeit) relativiert oder gar als christlich-abendländische Schimäre ansieht und eine aus der – zum größten Teil leidvollen - gemeinsamen Geschichte Europas entstandene Identität für das Zusammenwachsen der EU für mehr oder minder unbeachtlich erklärt.

Doch dann negiert man das, was jede soziologisch irgendwie definierte »einheitliche« (und damit zwangsläufig gegen Nichtdazugehörige abgegrenzte) Gruppe innerlich zusammenhält: Ein Blick auf z.B. den seit 1.400 Jahren bestehenden und immer wieder virulent in Kriegen im Bereich des Persischen oder Arabischen Golfs ausbrechenden Hass zwischen Iranern und Arabern, auf die Ausein­andersetzungen im Kosovo und in Nord-Irland oder auf das historische Wunder des trotz schwerster Verfolgungen und Pogrome 2.000-jährige Überleben der nicht mehr staatlich organisiert und in alle Welt zerstreut gewesenen Gemeinschaft der Juden zeigt beispielhaft die seelische Macht gemeinsamer kultureller Identität; oder im Falle des „nation-building“ in dem Schmelztiegel USA für neu Hinzukommende die seelische Macht gemeinsamer Zivilisation und Grundwerte, da das durch allmorgendliche Schulschwüre auf die Flagge und die Republik mit begründete pa­triotische Wir-Gefühl nicht auf gemeinsam erlebter und erlittener Geschichte beruht.


Ich fürchte, dass man dann, wenn man die Integrationskraft annähernd gleicher Identität, z.B. als Afrikaner, Australier, Chinese, Europäer u.s.w., negiert, auch einen grundlegenden Teil des Wesens des Menschen verleugnet, und dann ist das ganze auf einem solcherart unsicheren Fundament erstellte Gebilde zumindest einsturzgefährdet, wenn nicht gar ein »totgeborenes Kind«.

Wenn man entgegen allen sozialpsychologischen Erkenntnissen die Frage nach der jeweiligen Identität einer soziologisch zu sehenden Gruppe ausblendet und für mehr oder minder unbeachtlich erklärt, und nur dann, dann sprächen viele Argumente für einen Beitritt der Türkei zu EU. Aber dann würde man vermutlich der Seele der Menschen nicht gerecht.

Noch bevor der EU-Erweiterungskommissar Verheugen seinen für den 06.10.04 angekündigten Fortschrittsbericht abgegeben hatte, war der türkische Ministerpräsident nach Brüssel gekommen und hatte gelobt, dass das türkische Parlament noch vor diesem entscheidenden Datum die anstoßerregende Strafrechtsreform mit eu-tauglichem Inhalt beschlossen haben werde, woraufhin Verheugen am 23.09.04 vor der Presse kundtat, dass er die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei mit dem Ziel der von ihm begrüßten Vollmitgliedschaft befürworten werde. Darin sei er sich „mit meinem Freund“ Erdogan einig. Die große türkische Zeitung Sabah jubelte: „Jetzt sind wir Europäer!“ Wieso? Wieso ist ein anatolischer Bauer, ein Asiate, ein Europäer? Dadurch, dass Verheugen mit seinem Freund Erdogan kungelte, machen alle Asiaten eine Metamorphose durch?

Ich kann mir einen eigenen galligen Kommentar verkneifen, indem ich Wilhelm Busch zitiere:


„Wenn einer, der mit Mühe kaum,

gekrochen ist auf einen Baum,

nun meint, dass er ein Vogel wär’

so irrt sich der!“





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