R e c h t s k u n d e


IX. TEIL Die Vereinbarung über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in Kurzform



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IX. TEIL

Die Vereinbarung über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in Kurzform:

Am 17.12.04 hat der Europäische Rat den Waggon Türkei auf das abschüssige Rangiergleis geschoben, von wo er unaufhaltsam auf den Zug EU zurollt und nach heftigem Anprall angekoppelt werden soll. Dann würde der Zug mit einem »falschen« Waggon am Ende rollen. Man wird unwillkürlich an das Lied erinnert: „Es fährt ein Zug nach nirgendwo ...“, denn eine EU im Sinne einer machtvollen politischen Vereinigung als „Vereinigte Staaten von Europa“ oder als „Europäische Föderation“ kann es mit der Türkei wegen der weiterhin bestehen bleibenden historisch-politisch-kulturellen Differgenzen nicht geben. Die »politische Elite« der EU scheint laut Süddeutscher Zeitung mehrheitlich „suizidal entschlossen, den Sprung in den Untergang“ der EU zu tun und kann wahrscheinlich nur noch durch ein negatives Referendum in einem der Mitgliedsstaaten von der Selbsttötung aus politischer Feigheit abgehalten werden. Der Beschluss der Regierungschefs hat mehrheitliche keine historische, kulturelle und soziale Basis in der Bevölkerung Europas.


Die Vereinbarung über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in Kurzform:

Der Rat bestätigt den Kandidatenstatus der Türkei, beschlossen 2001 in Helsinki. Die Türkei erfüllt die politischen Kriterien, daher wird die Aufnahme von Verhandlungen “ohne Verzögerung” beschlossen. Kernpunkte der Türkeientscheidung sind:

Der Rat begrüßt den Reformprozess und erwartet dessen Fortsetzung. Er wird von der EU-Kommission beobachtet.

Eine Intergouvernementale Konferenz aller 25 Mitgliedstaaten bestimmt gemeinsam mit der Türkei den Fahrplan der Verhandlungen. Entscheidungen werden einstimmig getroffen. Auf Vorschlag der EU-Kommission werden die Details etwa der für einen Beitritt relevanten EU-Gesetzgebung (acquis communautaire) und ihrer Umsetzung in der Türkei vor dem Beginn der Verhandlungen festgelegt.

Längere Übergangsregelungen etwa bei der Freizügigkeit sind in Betracht zu ziehen.

Kapitel mit substanziellen finanziellen Auswirkungen können frühestens 2014 im Rahmen des folgenden Haushaltsplans abgeschlossen werden.

Die Verhandlungen sind als offener Prozess angelegt, dessen Ergebnis nicht vorab garantiert werden kann.

Im Fall einer ernsthaften Missachtung demokratischer Prinzipien oder Grundrechte, der Menschenrechte oder des Rechtsstaats können die Verhandlungen ausgesetzt werden. Beantragen kann dies die EU-Kommission sowie jedes EU-Land. Darüber entscheidet der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit ebenso wie über die Voraussetzungen, nach deren Erfüllung die Verhandlungen wieder aufgenommen werden können.

Parallel wird der politische und kulturelle Dialog verstärkt. Er soll auch die Zivilgesellschaft miteinbeziehen

Sollte die Türkei nicht die vollen Anforderungen an eine Mitgliedschaft erfüllen, muss sie “vollständig in den europäischen Strukturen verankert sein”, und zwar “durch die stärkstmögliche Verbindung”.

Die maßgeblichen Politiker der EU opfern die Zukunft Europas, sich zu einem politischen Global-Player neben den USA, China, Japan und Indien entwickeln zu können, auf dem Altar des mit Verve vorgetragenen türkischen Nationalstolzes, der eine Verbindung der asiatischen Türkei mit der Europäischen Union unterhalb der Stufe einer Vollmitgliedschaft nicht zulassen zu können glaubt.

Die Türkei geriert sich nach den eingeleiteten Reformen als EU-kompatibler Staat und hat damit – trotz eindringlicher Warnungen türkischer Menschenrechtsorganisationen im Vorfeld der verhängnisvollen Entscheidung – die »politische Elite« Europas mehrheitlich geblendet. Die wirksame türkische Außendarstellung wird aber von türkischen Menschenrechtlern auch nach der Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bestritten:




X. TEIL

Pressemitteilungen und Berichte über die Missachtung der Menschenrechte und demokratischer Grundsätze in der Türkei nach dem Beschluss der EU-Regierungschefs, Beitrittsverhandlungen zur EU mit der Türkei aufzunehmen




1. "Es wird systematisch gefoltert"

(Interview mit Eren Keskin, türkische Menschenrechtsorganisation IHD)


http://www.welt.de/print-welt/article359305/Es_wird_systematisch_gefoltert.html
Nach dem Beschluss der EU-Regierungschefs, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen führte ein Korrespondent der Schweizer Weltwoche ein Interview mit der Preisträgerin mehrerer internationaler Friedensauszeichnungen Eren Keskin als Vertreterin der 15.000 Mitgleider starken türkischen Menschenrechtsorganisation IHD über die Lage der Menschenrechte in der Türkei, das in der WELT vom 18.12.04 abgedruckt wurde. Die Zusammenfassung:

Eren Keskin, die 1995 selbst für sechs Monate ins Gefängnis gemusst hatte, weil ich in einer öffentlichen Ansprache das Wort "kurdisch" verwendet hatte, war von Gefängniswärter damit bedroht worden, nachts vergewaltigt zu werden. Wahrscheinlich nur wegen ihres Bekanntheitsgrades als Anwältin und Menschenrechtlerin haben die Wärter es nicht gewagt, ihre Drohung wahr zu machen. „Nicht alle Frauen hatten dasselbe Glück. Sexuelle Übergriffe in den Gefängnissen gehören zur Tagesordnung. Sie sind Teil der systematischen Folter, die in der Türkei praktiziert wird.“ „Heute werden subtilere Methoden der Folter angewendet werden. Die Leute werden mit Sandsäcken geschlagen, damit keine Spuren am Körper zu sehen sind. Sie werden wach gehalten, tagelang. Die Opfer werden keine einzige Schramme am Körper haben, aber wortwörtlich todmüde sein.“

Offiziell sei die Türkei inzwischen ein moderner Rechtsstaat, „aber die Realität sieht anders aus“. Der einzige spürbare Unterschied ist zu frühersei, dass, wenn die Anwältin heutzutage verhaftet werde, sie auf dem Polizeiposten nicht mehr verprügelt werde. „Zugegeben, das ist ein Fortschritt, aber es ändert nichts am Grundsätzlichen. Die Türkei bleibt ein Staat mit zwei Gesichtern. Erdogan und seine Emissäre mimen in Brüssel die aufgeschlossenen und vernünftigen Staatsmänner. Doch zu Hause bleibt alles beim Alten. Wie viele Folterknechte wurden aufgrund der neuen Gesetzeslage in der Türkei letztinstanzlich verurteilt? Keiner, weil es offiziell keine Folterknechte mehr gibt. Das Land ist über Nacht eine moderne westliche Demokratie geworden, hundert Prozent europakompatibel. Leider nur auf dem Papier.“

2. Feminismus am Ende

... Während wir uns hier um "Gender Mainstreaming" in Unternehmen streiten, lassen sich Frauen in Istanbul, die ihre Demonstration gegen Ehrenmorde, Zwangsehen und Vergewaltigung in türkischen Gefängnissen nicht angemeldet hatten, für ihre Ansichten von der Polizei auf der Straße die Köpfe blutig schlagen. Viele von denen, die bei uns die Aufnahme der Türkei in die EU fordern, verschleiern die rücksichtslose Unterdrückung der moslemischen Frau - die ja auch auf unseren Straßen stattfindet - mit dem Deckmantel der Toleranz. Wir brauchen kein Antidiskriminierungsgesetz. Wir brauchen, zum Beispiel, ein Gesetz gegen Zwangsehen.

Der Feminismus mag mausetot sein. In der Lage der moslemischen Frau hat er eine letzte - und exi­s­­tentielle Herausforderung. (DIE WELT 08.03.05)
Warum ist es für unser Parlament so schwer, ein Gesetz gegen Zwangsehen zu beschließen, wenn diese Einsicht selbst bei den Religionsführern des wahhabitisch-rigiden Saudi-Arabien handlungs­relevant geworden ist?
Saudische Fatwa gegen Zwangsehen

http://www.taz.de/dx/2005/04/15/a0187.1/text.ges,1
Der oberste Rechtsgelehrte des Landes bezeichnet Heiraten gegen den Willen der Frau als unislamisch und schlägt vor, uneinsichtige Väter einzusperren. Die Scheidungsrate liegt bei fünfzig Prozent. Frauen feiern das Gutachten als einen Erfolg

Der Großmufti des konservativen Königreiches hat eine vielbeachtete Fatwa veröffentlicht, in der er Ehen, die gegen den Willen der Frau geschlossen werden, als unislamisch bezeichnet.

"’Eine derartige Tat stellt Ungehorsam gegenüber Gott und dessen Propheten Mohammed dar’ urteilte Abdul Asis al-Scheich, der oberste islamische Rechtsgelehrte des Landes. Er machte auch gleich einen praktischen Vorschlag zur Sache. Väter, die ihre Töchter zwangsverheiraten wollen, sollten so lange eingesperrt werden, bis sie ihre Meinung dazu ändern. Außerdem ächtete der Mufti die unter saudischen Familien weit verbreitete Praxis, Frauen unter Hausarrest zu stellen. All dies entspringe vorislamsichen Traditionen, heißt es in dem islamischen Rechtsgutachten. "

Dieses religiöse Verdikt ist erstaunlich. Das religiöse Establishment Saudi-Arabiens handelte vor allem, weil sich die Missstände in den saudischen Scheidungsraten widerspiegeln. Laut Medienberichten sollen etwa die Hälfte der Ehen mit Scheidung enden.

"Die Entscheidung beendet endlich eine weitverbreitete Praxis, über die bisher niemand offen gesprochen hat."

"Der nächste Schritt muss nun von der Gesellschaft selbst unternommen werden, die die Fatwa nun annehmen und sicherstellen muss, dass diese Regeln auch durchgesetzt werden und dass die Frauen sich ihrer Rechte bewusst werden." (taz Nr. 7640 vom 15.4.2005)




3. "Die EU müsste viel konsequenter sein"

(Interview mit dem früheren Europaabgeordneten Ozan Ceyhun in der taz vom 08.03.05)


http://www.taz.de/dx/2005/03/08/a0092.1/text.ges,1
Der frühere Europaabgeordnete Ozan Ceyhun [in der Zeit von November 1998-2000 für die Grünen, dann bis Juli 2004 für die SPD] kritisiert die lasche Haltung der EU gegenüber der Türkei. Anlass war, dass Frauen, die anlässlich des Weltfrauentags auf die Straße gingen, brutal zusammengeschlagen wurden.

„Für die Polizei waren das radikale Frauen und fertig. Die Europäische Union ist diesen Leuten piepegal. So was passiert in der Türkei jeden Tag. Das Verhalten der Polizei hängt allein davon ab, wer gerade den Einsatzbefehl hat. Erst am Samstag wurden in Ankara Demonstranten festgenommen. Meist erfährt die Öffentlichkeit halt nichts davon.“

„Also haben die viel gepriesenen Reformen nicht gegriffen?“, fragt die taz.

„Man kann das System nicht demokratisch machen, ohne die Strukturen zu ändern. Die jungen Polizisten werden jetzt gut ausgebildet. Aber die Chefs sind die alten geblieben, die gleichen Leute, die Folter für ein zulässiges polizeiliches Mittel halten.“

Angesichts dieser Strukturprobleme müsste die EU nach Meinung von Ceyhun mit der Türkei viel konsequenter umgehen. „Von dieser Regierung werden Dinge akzeptiert, die man bei keinem anderen Kandidatenland hinnehmen würde.“

Man muss in den Verhandlungen mit der Türkei klar machen, dass es auch um Menschenrechte gehe. „Im höheren Dienst sitzen massenweise Beamte, die nicht umdenken wollen. Wenn Fortbildung nicht hilft, müssen solche Polizisten vom Dienst suspendiert werden. Für eine Türkei innerhalb der Europäischen Union sind sie untragbar.“



4. [EU-Parlaments-]Abgeordnete zweifeln an Beitrittsreife der Türkei


http://www.welt.de/print-welt/article556945/Abgeordnete_zweifeln_an_Beitrittsreife_der_Tuerkei.html
Das brutale Vorgehen der türkischen Polizei gegen Demonstranten in Istanbul - Bilder des türkischen Fernsehsenders NTV zeigten, wie Polizisten mit Schlagstöcken eine Kundgebung aus Anlaß des Weltfrauentags auseinandertrieben und mit Kampfstiefeln auf Frauen eintraten, die am Boden lagen - hat in Brüssel eine neue Debatte über die Beitrittsreife der Türkei entfacht. Nach dem harten Polizeieinsatz in Istanbul fordern EU-Politiker von Ankara Umsetzung von Reformen

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Josep Borrell, schickte eine scharfe Warnung an Ankara: Die jüngsten Akte der Polizeigewalt seien "unvereinbar mit den Ambitionen der Türkei, eines Tages der EU anzugehören". Auch müsste die Türkei die Republik Zypern anerkennen.

(DIE WELT 09.03.05)
Die im vorstehenden Artikel geäußerte Hoffnung nicht nur der Journalistin, sondern auch des EU-Ministerrates und der EU-Kommission, die Paraphierung des Zusatzprotokolls zur Zollunion mit Zypern würde offiziell als eine faktische Anerkennung der Republik Zypern durch die Türkei interpretiert werden können oder den EU-Mitglie­dern diese Deutungsmöglichkeit wenigstens eröffnen, war hoffnungslos illusionär: Obwohl die Türkei nie etwas An­deres gesagt hatte, hatte man von Seiten der zu diplomatisch agierenden Europäer aus völlig unangebrachter Konfliktscheu heraus den nicht mehr nur hemdsärmelig, sondern unverfroren ihre Position unverrückbar vertretenden Asiaten gegenüber nicht weiterdenken und nicht die sich aus der Weigerung ergebende Konsequenz des Nicht-Beitritts klar ansprechen wollen; wieder ein Herumgedrücke, obwohl ein klares Wort angebracht gewesen wäre!

Und dann hatte man »den Salat«:



ZOLLUNION

Türkei verweigert Anerkennung Zyperns


Mit der Unterzeichnung des Protokolls zur Zollunion hat die Türkei die letzte Hürde auf ihrem Weg zu Beitrittsverhandlungen mit der EU beseitigt. Die Anerkennung Zyperns wurde allerdings im Anhang ausgeschlossen.

Ankara - Mit dem Protokoll wird Ankaras Zollunion mit der EU auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten ausgedehnt. Beobachter gingen davon aus, dass die Türkei damit auch Zypern faktisch anerkennen müsse. Doch ein Vertreter des türkischen Außenministeriums teilte am Freitag mit, in einem Anhang zum Protokoll habe die Türkei eine Anerkennung des Inselstaates ausgeschlossen. "Die Unterzeichnung, Ratifizierung und Umsetzung dieses Protokolls bedeuten in keiner Weise eine Anerkennung der Republik Zypern, auf die das Protokoll Bezug nimmt", hieß es in der Erklärung weiter. ….

SPIEGEL ONLINE 29.07.05

5. KOMMENTAR: TÜRKEI (Frankfurter Rundschau 08.03.05)

„Kaum drei Monate nach dem Beschluss der EU, im Herbst Beitrittsgespräche mit Ankara aufzunehmen, wachsen die Zweifel, ob das alles nicht ein wenig voreilig war. Das Zusammenknüppeln einer kleinen und friedlichen Frauendemonstration in Istanbul wirft ein Schlaglicht auf die Welten, die zwischen dem europäischen Werteanspruch liegen, den die türkische Politik in Brüssel vor sich herträgt, und der gesellschaftlichen Realität des Landes.

Die Missachtung der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit wie die gewalttätige Reaktion der Staatsmacht sind keine Einzelfälle. Die Behandlung von Minderheiten und die Respektierung der individuellen Rechte sind weit von europäischen Standards entfernt.“

Es sei an der Zeit, dass die EU eine härtere Gangart einlege. (FR 08.03.05)


In diesen Befund, dass der Reformeifer in der Türkei spürbar nachgelassen habe, nachdem man den Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsgesprächen in der Tasche hatte, passt auch, dass Ende 2005/Anfang 2006 gegen zwei Professoren von der Staatsanwaltschaft der Hauptstadt ein Verfahren wegen Volksverhetzung in Gang gesetzt worden war, weil die beiden Gelehrten in einer beim Regierungschef direkt angebundenen Kommission einen Bericht erstellt hatten, in dem sie mehr Pluralität in der türkischen Gesellschaft, insbesondere für die Kurden, eingefordert hatten.

6. EU-Parlamentspräsident für Sanktionen gegen türkische Polizisten

Straßburg (AFP) - Nach dem brutalen Einsatz gegen Demonstranten zum Weltfrauentag in Istanbul hat der Präsident des Europaparlaments, Josep Borrell, "exemplarische Sanktionen" für die beteiligten Polizisten gefordert. Er verurteile diese Vorgänge "aufs Schärfste", sagte der spanische Sozialist am Montag zum Auftakt der März-Sitzung des Europaparlaments in Straßburg. Die Bilder von dem gewaltsamen Vorgehen seien "keine gute Visitenkarte" für die Türkei, die eine Mitgliedschaft in der EU anstrebe.

(Yahoo Nachrichten 7. März 2005, 17:52 Uhr)

7. Differenzen in türkischer Regierung nach Polizeieinsatz

Istanbul (AFP) - Nach dem umstrittenen Schlagstockeinsatz der türkischen Polizei gegen eine Frauendemonstration in Istanbul gibt es Differenzen innerhalb der türkischen Regierung. Der für die Polizei zuständige Innenminister Abdülkadir Aksu äußerte in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview erstmals Kritik an den Einsatzkräften. Einige Polizisten seien zu weit gegangen und "außer Kontrolle geraten", weil Kollegen verletzt worden seien, sagte Aksu der Zeitung "Milliyet". Gleichzeitig räumten Regierungsvertreter ein, dass der Polizeieinsatz der Türkei in Europa geschadet habe. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte dagegen den Gewalteinsatz gerechtfertigt.

(Yahoo Nachrichten 9. März 2005, 09:54 Uhr)

8. Aus dem von Amnesty international erstellten Jahresbericht 2005

„Der politische Reformwille in der Türkei setzte einige sehr positive Entwicklungen in Gang. Um die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union sicherzustellen, bemühte sich die türkische Regierung um eine zügige Verabschiedung von Verfassungsergänzungen und Gesetzesnovellen, auch wenn deren Durchsetzung in der Praxis nicht durchgängig gewährleistet war und zum Teil auf Widerstände stieß.“ „In der Türkei waren zwar Änderungen der Inhaftierungsvorschriften als positiv zu vermerken, dennoch blieben Folterungen und Misshandlungen ein ernsthaftes Problem. So wie in vielen anderen Staaten auch fehlte es in der Türkei nach wie vor an unabhängigen Mechanismen zur Untersuchung systematischer Übergriffe gegen die Menschenrechte.“ (31.05.05)


Der Präsident des Gerichtshofes für Menschenrechte gab 2006 bekannt, dass in dem vorangegangenen Jahr 2005, als die Türkei sich also schon im Aufnahmeprozess befand, kein Europaratsland so oft wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden sei wie die Türkei (HH A 24.01.06).
Die Lage hat sich ausweislich eines 2007 veröffentlichten Berichtes von amnesty international auch 2006 nicht gebessert: Es wird immer noch gefoltert, und die Folterer bleiben meistens straflos. In WELET ONLINE vom 05.07.07 heißt es auszugsweise:

Türkei

Menschenrechte nur auf dem Papier

Amnesty International beklagt in einem neuen Bericht die mangelnde Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Zu viele Täter kommen ungeschoren davon, den Sicherheitskräften wird häufig mehr Schutz gewährt als den Opfern.

In der Türkei werden Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Gendarmerie einem Bericht von amnesty international zufolge weiterhin kaum verfolgt. Trotz des staatlichen Bekenntnisses zur Kampagne "Nulltoleranz für Folter" würden die Verantwortlichen für Misshandlungen und "Verschwinden lassen" nicht zur Rechenschaft gezogen, erklärte die Menschenrechtsorganisation in Berlin. "Hier herrscht Straflosigkeit." Die Türkei brauche deshalb dringend eine effektive Reform des Strafjustizwesens.

Der Bericht dokumentiert den Angaben zufolge aktuelle Fälle von Folter und staatlicher Gewalt etwa bei Festnahmen, während und nach Demonstrationen, in Gefängnissen und bei Gefangenentransporten. Sicherheitskräfte genössen in der Türkei einen höheren Schutz als die Opfer, hieß es. Amnesty forderte die Einrichtung einer unabhängigen Kommission, die solche Fälle untersucht, sowie eine zentrale Erhebung von Daten zu Menschenrechtsverletzungen.

9. Immer noch Folter in der Türkei


Ankara -

In der Türkei wird laut Menschenrechtlern nach wie vor systematisch gefoltert. Premier Erdogan räumte "vereinzelte Mißhandlungen" ein und sagte, der Mentalitätswandel bei den Sicherheitsleuten brauche Zeit. Der Folter-Stopp ist eine Hauptforderung der EU an den Beitrittskandidaten Türkei.

afp

HH Abendblatt 28.06.05




10. Gericht verhindert die Flucht vor Folter


http://www.taz.de/pt/2006/06/10/a0192.1/text
Die taz macht in ihrem Artikel auf einen von Pro Asyl publik gemachten Fall aufmerksam, dass ein Kurde in deutscher Auslieferungshaft sitzt, „damit er sich drohender Folter und rechtswidriger Haft in der Türkei nicht entziehen kann. Mit dieser zynischen Begründung hat das Frankfurter Oberlandesgericht am 23. Mai die Auslieferungshaft gegen Yusuf Karaca gerechtfertigt.“ Pro Asyl spricht von einer "skandalösen Gerichtsentscheidung".

Yusuf Karaca, der 1996 in der Türkei wegen angeblicher Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung TKP/ML zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, nutzte eine Haftentlassung wegen seines zu angegriffenen Gesundheitszustandes zur Flucht nach Deutschland, wo er umgehend als politischer Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden war. Das Verfahren vor dem türkischen Staatssicherheitsgericht habe gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, hieß es.

„Karaca betonte, dass er die ihm zur Last gelegten Taten - unter anderem einen Bankraub - nicht begangen habe, sein vermeintliches Geständnis sei durch Folter zustande gekommen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt bestätigte im September 2005 die Asylanerkennung.“

2006 verlangte die Türkei von Deutschland die Auslieferung Karacas, um die lebenslange Haft weiter vollstrecken zu können. „Eigentlich erscheint die Auslieferung von vornherein unmöglich, weil Karaca ja genau wegen dieses türkischen Urteils in Deutschland als politisch Verfolgter anerkannt ist. Dennoch sitzt er seit Anfang Mai in Weiterstadt in Auslieferungshaft. Dass Karaca in der Türkei gefoltert wurde und weitere Folter befürchtet, wird von den Frankfurter Richtern nun sogar gegen ihn verwendet. Es bestehe offensichtlich ein ’Anreiz zur Flucht’.

Pro Asyl geißelt die Entscheidung des OLG Frankfurt als offenbare "unglaubliche Gleichgültigkeit gegenüber Folteropfern".

taz vom 10.6.2006, CHRISTIAN RATH



11. Die ungeklärte Rolle des von Kemal Atatürk als Wächter des Staates und der Verfassung eingesetzten Militärs in einer sich demokratisierenden Türkei




11.1 Brisante Anklage rückt türkisches Militär ins Zwielicht


http://www.welt.de/print-welt/article202783/Brisante_Anklage_rueckt_tuerkisches_Militaer_ins_Zwielicht.html
Im November 2005 warf jemand eine Handgranate in einen kurdischen Bücherladen in einem südosttürkischen Ort mit dem Namen Semdinli. Die Explosion tötete einen Menschen, verletzte sechs - und erschüttert nunmehr, nachdem die Hintergründe aufgedeckt wurden, die Fundamente des türkischen Staatsgefüges. „Denn es stellte sich heraus, daß die bislang einzigen Tatverdächtigen Polizisten sind, die mit einer Liste von 105 potentiellen kurdischen Zielen unterwegs waren. Der Verdacht also besteht, sie seien so etwas wie außerlegale "Todesschwadronen" der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die kurdische Arbeiterpartei (PKK) gewesen.“

„Staatsanwalt Ferhat Sarikaya aus der Stadt Van verdächtigte in seiner Klageschrift gegen die Tatverdächtigen niemand anderen als General Yasar Büyükanit, erstens die Justiz beeinflussen zu wollen (was in der Türkei unter Strafe steht) und zweitens konspiriert zu haben, um den EU-Beitritt des Landes zu verhindern. Denn er habe außerrechtliche Angriffe gegen kurdische Ziele geplant, um Konflikte in der Region zu schüren. Die wiederum sollten nationalistische Ressentiments in der Türkei stärken, was wiederum zu negativen Reaktionen der EU führen würde.“

Büyükanit war zu der Zeit schon der designierte nächste Generalstabschef und wurde, nachdem der damalige Amtsinhaber Hilmi Özkök in den Ruhestand getreten war, auf diesen Posten gewählt. „Ihn anzugreifen heißt, die politische Macht des türkischen Militärs zu hinterfragen.“

„Gegen Büyükanit kann nur die Militärstaatsanwaltschaft ermitteln. Es ist aber ziemlich klar, daß das nicht passieren wird. Generalstabschef Özkök hat sich auf seine Seite gestellt und damit seinen eigenen Versprechungen vom letzten Jahr widersprochen, das Militär werde keinerlei Einfluß auf die Ermittlungen im Fall Semdinli nehmen. … Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Verdächtigungen sieht es im Gegensatz zu allen offiziellen Beteuerungen also nicht so aus, als dürfe die Justiz erstmals ungehindert gegen das Militär ermitteln.“


DIE WELT 09.03.06


11.2 "Die Türkei ist noch nicht reif für volle Demokratie"


http://www.welt.de/print-welt/article208878/Die_Tuerkei_ist_noch_nicht_reif_fuer_volle_Demokratie.html
Erdogans Politik steht nicht im Einklang mit dem säkularen Staat - Ex-General Edip Baser verteidigt in einem Interview mit der WELT die Rolle des Militärs
Der General weist darauf hin, dass das türkische Militär immer die Beschützerin der säkularen Demokratie war. Weil die Politiker versagt haben und bis heute versagen, musste die Armee vier Mal intervenieren, 1960, 1971/72, 1980 und 1997. Jedesmal waren die Demokratie und der säkulare Staat in Gefahr.

„Baser: Die türkische Gesellschaft ist leider tatsächlich noch nicht reif genug. Denn Demokratie setzt Partizipation voraus, aber wann immer etwas in unserem Land falsch läuft, gibt es keine Reaktion aus dem Volk. Das ist aber nicht der Fehler der Türken, sie sind bereit für Demokratie, es ist der Fehler der Politiker, die keine partizipatorische Demokratie fördern. Zum Interessenausgleich braucht man funktionierende gesellschaftliche Organisationen, die bei uns weithin fehlen.“

Der General sieht die Türkei als beitrittsfähig an, „aber die EU muß die besonderen Umstände der Türkei erkennen und respektieren.“ Die EU solle mit der Türkei nicht so pingelig sein und z.B. Meinungsfreiheit fordern, wo es doch auch in der EU nicht uneingeschränkte Meinungsfreiheit gebe. Als angeblichen Beleg verweist er auf Frankreich, wo die Meinungsfreiheit ein Ende finde, „wenn jemand behauptet, es habe keinen Genozid an den Armeniern gegeben. Ich respektiere das, aber man muß auch uns respektieren. Das ist ein doppelter Standard den uns da manche zumuten.“

Man dürfe nicht das Sicherheitssystem schwächen. Die Türkei habe den Nahen Osten vor der Haustür und kämpf gegen Terror und Separatismus. Darum brauchesie Mittel, die etwa in Deutschland nicht nötig seien.

Die bisher schon umgesetzten Reformen gehen dem General zu weit. „Die Europäer fordern eine Unterordnung des Generalstabs unter das Verteidigungsministerium. Bisher berichtet der Generalstab dem Ministerpräsidenten. Eine Verlagerung zum Verteidigungsministerium geht nicht. Wenn der Generalstab zu einer Art Berater des Verteidigungsministers wird, dann öffnet das einer Politisierung der Armee die Tür. Wenn die Zeit reif ist, werden wir solche Änderungen selbst und ohne Druck von außen vornehmen, natürlich vor einer vollen EU-Mitgliedschaft.“

„Viele Menschen hier glauben, daß die EU nur eine Türkei aufnehmen wird, die geteilt, geschwächt und verkleinert ist. Manchmal denke ich auch so.“

Wenn Erdogan Präsident werden sollte, dann wird das Volk dagegen aufbegehren. Wenn die AKP, für die nur 25 Prozent der Wähler tatsächlich gestimmt haben, klug ist, dann sollte sie eine neutrale Persönlichkeit zum Präsidenten wählen lassen.
Der General leugnet ein „Kurdenproblem“. Es sei vielmehr „ein sozioökonomisches Problem, das aber nicht viel anders gelagert ist als in Teilen Mittelanatoliens, und ein Terror- und Separatismusproblem, das von den Sicherheitskräften gelöst werden muß.“

Kurdischsprachigen Unterricht lehnt der General ab: „Eine zweite offizielle Landessprache einzuführen, wäre der Beginn der Teilung der Türkei. Jeder kann öffentlich kurdisch sprechen, es gibt jetzt Privatschulen für Kurdisch, aber eine zweite offizielle Landessprache darf es nicht geben.“


DIE WELT 6. April 2006


11.4 "Das türkische Militär muß in die Kasernen zurückkehren"


http://www.welt.de/print-welt/article209144/Das_tuerkische_Militaer_muss_in_die_Kasernen_zurueckkehren.html
Ein Gespräch als Gegenposition zu den vorstehend widergegebenen repräsentativen Ansichten eines führenden Ex-Militärs mit dem türkischen Ex-Staatsanwalt Ümit Kardas über den Einfluß der Generäle auf das Recht
Nach einer Karriere als Militärstaatsanwalt stellt Ümit Kardas seit Jahren die Militärjustiz und überhaupt die Rolle des Militärs in der türkischen Politik in Frage. Das Militär stellt nach seiner Ansicht das größte Hindernis für die Türkei auf dem Weg zu einer echten Demokratie dar. Seit dem ersten Militärputsch von 1960 habe nach Ansicht dieses Insiders das Militär seinen Griff auf das Justizsystem ständig ausgebaut. „Militärgerichte können über Zivilisten zu Gericht sitzen, damit gehen sie weit über die traditionelle Funktion von Militärgerichten hinaus, lediglich Disziplin innerhalb der Streitkräfte zu gewährleisten.“

Dass sich die Generäle gelegentlich öffentlich zu politischen Entwicklungen äußern ist nach Paragraph 148 des Militärstrafgesetzbuches Angehörige der Streitkräfte verboten und daher illegal. „Tun sie aber andauernd, und noch nie wurde der Paragraph gegen irgendeinen Offizier angewandt. Warum es bedenklich ist? Das Militär betrachtet die Bürger nicht als mündig, sondern als fehlerhaft. Wenn die Militärs nicht aufhören, die Politik zu bevormunden, kann nie eine Demokratie der mündigen Bürger entstehen.“

„Der Nationale Sicherheitsrat, ein Gremium, bei dem lange die eigentliche Macht im Staat lag und größtenteils noch liegt, sollte abgeschafft werden. Das Militär, das wie eine politische Partei funktioniert, mit dem Unterschied, daß es sich nie vor den Wählern verantworten muß, sollte sich in die Kasernen zurückziehen. Gesetze, die es verbieten, das Militär in Frage zu stellen, gehören umgeschrieben oder gestrichen. Es gibt in dem Sinne bei uns ja keine Meinungsfreiheit. Man darf nicht gegen das Militär sprechen.“
„Welt: Kürzlich beantragte ein Staatsanwalt Ermittlungen gegen den designierten Generalstabschef Büyükanit. Da ging es um außerrechtliche Gewalt gegen Kurden, der Fall von Semdinli, bei dem Geheimdienstmitarbeiter selbst einen Anschlag auf eine Buchhandlung verübten. Das Militär hat den Fall abgeschmettert.

Kardas: Ja, und das kommt einem Freispruch ohne Gerichtsverhandlung gleich. In einem Rechtsstaat hätte der Staatsanwalt ermitteln dürfen, bei uns hängt es von einer Erlaubnis der Militärs ab.“

Nach Ansicht von Kardas fehle der Mut für eine Konfrontation mit den Militärs.

Er sagt außerdem, im Gegensatz zu dem General, dezidiert: „Wir haben ein Kurdenproblem, und es muß gelöst werden.“

DIE WELT 07.04.2006

Die zweischneidige Rolle des Militärs in der türkischen Politik wird in nachfolgendem Aufsatz analysiert:


Porträit

Erdogan, ein Gefangener des Militärs

Der türkische Ministerpräsident hat derzeit keinen politischen Spielraum. Neue Reformsignale wird er Angela Merkel nicht präsentieren können.

Von Boris Kalnoky



http://www.welt.de/print-welt/article157644/Erdogan_ein_Gefangener_des_Militaers.html
Nach Meinung des Autors sei der politische Spielraum des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan „in diesen Tagen gleich null“.

In den vergangenen Jahren haben er und seine gemäßigt islamische Regierungspartei AKP der Türkei die am tiefsten greifenden Reformen seit Atatürk beschert.

Nach Erdogans Willen solle die Türkei wieder islamischer, aber zugleich auch westlicher werden.

„Beide Strategien erzürnen das türkische Militär. Denn die eine schwächt das Grundprinzip des säkularen Staates, und die andere, verbunden mit den EU-Beitrittswünschen, läuft darauf hinaus, das Militär politisch zu entmachten.“ Das Militär gebe aber die Parameter der Politik vor. In der Türkei seien alle politisch gangbaren Wege die des Militärs.

Das Militär wünsche selbst den Beitritt der Türkei zur EU - aber unter "Beachtung der türkischen Besonderheiten", also unter Wahrung seiner herausragenden Stellung. Die würde es erst nach erfolgtem Beitritt räumen wollen. Die EU hingegen besteht darauf, dass der Beitrittsprozess mit der Entmachtung des Militärs beginnt, mit der Unterstellung der Streitkräfte unter den Verteidigungsminister.

Die Reaktion der Militärs auf ihre drohende Entmachtung sei der Prüfstein für den EU-Beitritt der Türkei. Die Militärs stellen den "islamischen Fundamentalismus" in der Öffentlichkeit als "größte Gefahr" für den Staat dar und unterstellen der AKP zu kurdenfreundlich zu sein. Wenn Erdogan sich mit seiner Politik gegen solche Unterstellungen wende, verliere er sowohl kurisdische und auch islamistische Wähler. Auf diese indirekte Weise halte das Militär die AKP möglichst klein.

Wenn AKP die Wahlen trotz allem als Regierungspartei überlebe und dann auch noch die Präsidentschaft für Erdogan oder einen seiner Gefolgsleute erhalte, dann drohe das Ende des kemalistischen Systems, weil die AKP dann alle Machtpositionen im Staatsapparat besetzt haben wird. Darum werde die Militärspitze das zu verhindern suchen.

DIE WELT 06.10.2006




11.5 Das türkische Militär ruft zum Widerstand gegen die Regierung auf


http://www.welt.de/print-welt/article218718/Das_tuerkische_Militaer_ruft_zum_Widerstand_gegen_die_Regierung_auf.html

Generäle wollen Islamisierung Ankaras stoppen

von Boris Kalnoky
Generalstabschef Hilmi Özkök hatte die Türken aufgerufen, gegen die Regierung zu demonstrieren, woraufhin der islamisch gesinnte Erdogan, Chef der ebenso islamischen Regierungspartei AKP erklärte, in der Türkei müsse "der säkulare Staat gestärkt" werden.

Die Armee nutze die Gunst der Stunde, nach der Ermordung eines Verwaltungsrichters durch einen Rechtsanwalt, der sich einen "Soldat Allahs" nannte, Flammen des Volkszorns gegen Erdogan anzufachen. Zehntausende forderten den Rücktritt der Regierung. „Bei der Beerdigung des Richters wurden Minister mit Flaschen beworfen, ’Mörder’ genannt und ausgebuht - weil sie mit ihrer islamfreundlichen Politik angeblich eine Atmosphäre schufen, die zu dem Mord führte. Generalstabschef Özkök sagte öffentlich, die Proteste seien ’bewunderungswürdig’, sollten aber nicht auf einen Tag und einen Anlaß beschränkt bleiben. Die Protestbewegung ’sollte an Kontinuität gewinnen und von allen allzeit befolgt werden’. Im Klartext: Das Volk soll mit Protesten einen Regierungswechsel herbeiführen.“

Vielleicht geling es dem "tiefen Staat", also dem politischen Einfluß des Militärs, vorzeitige Neuwahlen zu erzwingen.

DIE WELT 22.05.06

Letzterer Artikel lässt einen mit ambivalenten Gefühlen zurück: Einerseits klingen einem die Warnungen des türkischen Ex-Staatsanwalt Ümit Kardas über den Einfluss der Generäle auf die Handhabung des türkischen Rechtssystems aus dem Artikel davor in den Ohren, dass das Militär eine Demokratisierung verhindere, andererseits begrüße ich ganz unverhohlen die Zurückdrängung der ins Islamistische abgleitenden Tendenzen innerhalb der AKP durch eben dieses Militär! Ich höre schon sowohl das Argument: „Wir müssen die Türkei in unserem eigenen Interesse in die EU aufnehmen, um sie durch die Zurückdrängung der Macht des Militärs zu demokratisieren, was Europa an seinem südöstlichen Rand eine unschätzbare Friedensdividende bescheren wird.“, wie auch das Argument: „Wir müssen die Türkei in unserem eigenen Interesse in die EU aufnehmen, um dafür zu sorgen, dass die islamistischen Kräfte in der Türkei zurückgedrängt werden und am südöstlichen Rand Europas kein virulenter islamistischer Staat entsteht.“

Wenn wir uns auf diese Argumentation einließen, dann gäbe es kein Entrinnen aus der behaupteten Notwendigkeit der Aufnahme der asiatischen Türkei in die Europäische Union.

Aber dieses Argument würde dann auch für weitere Staaten des Nahen Ostens gelten. Die Aufnahme weiterer kritischer Staaten der vorderasiatischen Region würde zu einer weiteren Überdehnung der EU als europäischer Institution führen und es würde zwangsläufig das Zerbrechen, was – schwer zu definieren und mehr gespürt - „Europa“ ausmacht!
Die Juristen sprechen in solchen Fällen wie denen eines eventuellen Beitritts der Türkei zur EU von einer „aufgedrängten Bereicherung“. Im Rechtsleben ist so etwas nicht zulässig – in der Politik schon.

An einem solchen gravierenden politischen Fehler – Aufnahme eines Landes, das weder geographisch, noch historisch-kulturell je zu Europa gehörte - wird ein überdehntes Europa unwiderruflich fürderhin zu leiden haben: Auf Wiedersehen Europa! Es ist ein Abschied von der Idee der Vereinigten Staaten von Europa als Globalplayer in der Weltpolitik in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit eines amorphen Bündnisses!





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