R e c h t s k u n d e


XII. TEIL Aufsatz mit Dokumentation zum Genozid an den Armeniern



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XII. TEIL

Aufsatz mit Dokumentation zum Genozid an den Armeniern


Die Armenier sind eines der ältesten Kulturvölker mit eigener Schrift und Sprache. Vermutlich sind sie nach den Ägyptern und vor den Äthiopiern das zweitälteste christliche Volk gewesen und – im Gegensatz zu den Ägyptern, die insbesondere zur Vermeidung der wesentlich höheren Steuern für Nicht-Muslime zum Islam übergetreten sind - christlich geblieben. So wurden sie im Osmanischen Reich der „Hohen Pforte“ als „nicht(recht)gläubige“ christliche Minderheit durch hohe Steuerlasten bedrückt. Das rief ihr Bestreben nach mehr – möglichst auch staatlicher – Unabhängigkeit hervor. Wegen dieser Bestrebungen wurden sie insbesondere unter dem „roten (= blutigen) Sultan“ Abdülhamid II. 1894-1895 mit 200.000-300.000 Opfern der „Hamidischen Massaker“ der aus ehemaligen Strafgefangenen und Kriminellen gebildeten paramilitärischen Einheit der nur dem Sultan unterstehenden „Hamidiye“ zur „Lösung der armenischen Frage“, 1909 ironischerweise als (angebliche) Unterstützer der Regierung der „Jungtürken“ und zuletzt von den Jungtürken zwischen 1915 bis 1918 staatlich verfolgt. Diese Verfolgung ist durch Berichte der Deutschen Botschaft, dem während des Ersten Weltkriegs in die Türkei abgeordneten deutschen General und türkischen Marschall Liman von Sanders und dem Theologen Johannes Lepsius dokumentiert. Hinzu kommen die Aussagen hoher türkischer Politiker in den Istanbuler Unionistenprozessen von 1919-1921 gegen die Verantwortlichen des Massakers.
Zur Vorgeschichte:

Russland versuchte im Rahmen seiner panslawistischen Expansionspolitik zur Erweiterung der Grenzen des Landes und des eigenen Einflussgebietes und als Schutzmacht aller Slawen, die anatolischen Armenier für die Destabilisierung des Osmanischen Reiches einzusetzen, um so insbesondere Gebiete des Osmanischen Reiches auf dem Balkan mit überwiegend slawischer Bevölkerung unter seinen Einfluss zu bringen und teilweise zu annektieren. Die Auseinandersetzungen wurden nach dem russisch-türkischen Krieg 1877/78 und dem Frieden von San Stefano auf dem Berliner Kongress von 1878 durch Vermittlung Bismarcks als „ehrlicher Makler“ beendet. In dem 1. Sitzungsprotokoll wurde als ein Hauptziel des Berliner Kongresses angegeben, „wirksame Garantien für die Verbesserung des Loses der christlichen Bevölkerung in der Türkei“ zu erarbeiten. Doch die in Artikel 61 der Kongressvereinbarungen vereinbarten Reformen zu Gunsten u.a. der Armenier wurden nicht eingehalten. Eine Gleichstellung von türkischen Muslimen und christlichen und anderen religiösen Minderheiten wurde im Osmanischen Reich bis zur Abschaffung des Sultanats nicht realisiert. Im Gegenteil verschlimmerte sich die Lage der Armenier. Dagegen richteten sich die Unabhängigkeitsbestrebungen der Armenier. Die weiteren Geschehnisse laut Wikipedia (Stichwort: „Völkermord an den Armeniern“):


Nach dem Scheitern der türkischen Offensive gegen Russland im Januar 1915 und dem Beginn von Operationen und Anwerbungen armenischer Kämpfer hinter den türkischen Linien machte die Staatsführung des Osmanischen Reiches die Armenier für die militärischen Probleme in Ostanatolien verantwortlich. Das jungtürkische „Komitee für Einheit und Fortschritt“ (İttihad ve Terakki Cemiyeti) beschloss die Vernichtung der Armenier und reorganisierte dafür die hauptsächlich aus Kurden, freigelassenen Strafgefangenen und Flüchtlingen aus dem Balkan und Kaukasusgebiet bestehenden Banden (Çete) der Spezialeinheit Teşkilat-ı Mahsusa [18]. Die armenischen Soldaten der türkischen Armeen wurden entwaffnet, dann teilweise getötet und teilweise in Arbeitsbataillonen zusammengefasst. Wenig später wurden mehrere dieser Bataillone hingerichtet.[19]

Im April und im Juni 1915 erfolgten Razzien gegen die armenische Elite in Istanbul. Die treibende Kraft dahinter war Innenminister Talaat Pascha, der sich gegen den Widerstand von Kollegen, die internationale Verwicklungen befürchteten, für die Entfernung der Armenier aus der Hauptstadt einsetzte. Nach offizieller Darstellung betrug die Zahl der Verhafteten 2345.

Die ersten Deportationen geschahen in Anatolien bereits im Februar und April, also vor dem eigentlichen Deportationsdekret Talaat Paschas vom 27. Mai 1915. Sie verfolgten zunächst noch nicht das planmäßige Ziel der Vernichtung. Diese frühen Deportationen aus Adana, Zeytun und Dörtyol führten ins Landesinnere.

Bis in den Juli des Jahres 1915 hinein wurden die meisten Armenier zunächst in ihren Hauptsiedlungsgebieten an einigen Orten konzentriert, überwiegend in den Hauptstädten der betroffenen Vilayets. Sie wurden entweder gleich dort von türkischen Polizisten und Soldaten oder kurdischen Hilfstruppen ermordet oder auf Befehl von Talaat Pascha ab dem 27. Mai 1915 auf Todesmärsche über unwegsames Gebirge Richtung Aleppo geschickt. Dabei ging es nicht nur um eine Umsiedlung. Max Erwin von Scheubner-Richter, der damalige deutsche Vizekonsul in Erzurum, erklärte dazu Ende Juli 1915 in einem Schreiben an den Botschafter Wangenheim:



Von den Anhaengern letzterer [i.e. der 'schrofferen Richtung'] wird uebrigens unumwunden zugegeben, dass das Endziel ihres Vorgehens gegen die Armenier die gaenzliche Ausrottung derselben in der Tuerkei ist. Nach dem Kriege werden wir „keine Armenier mehr in der Türkei haben“ ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden Persoenlichkeit. Soweit sich dieses Ziel nicht durch die verschiedenen Massakers erreichen lässt, hofft man, dass Entbehrungen der langen Wanderung bis Mesopotamien und das ungewohnte Klima dort ein Uebriges tun werden. Diese Loesung der Armenierfrage scheint den Anhaengern der schroffen Richtung, zu der fast alle Militär- und Regierungsbeamte gehoeren, eine ideale zu sein. Das tuerkische Volk selbst ist mit dieser Loesung der Armenierfrage keineswegs einverstanden und empfindet schon jetzt schwer die infolge der Vertreibung der Armenier ueber das Land hier hereinbrechenden wirtschaftlichen Not.

Der später im Bayburt-Verfahren wegen seiner Beteiligung am Völkermord hingerichtete Landrat Nuri sagte später vor Gericht aus, er habe den geheimen Befehl erhalten, keinen Armenier am Leben zu lassen. General Vehip Pascha, Oberkommandierender der 3. Armee erklärte nach dem Krieg vor der sogenannten Mazhar-Kommission:



Die Deportationen der Armenier wurden im völligen Widerspruch zur Menschlichkeit, Zivilisation und behördlichen Ehre durchgeführt. Die Massaker und die Ausrottung der Armenier, der Raub und die Plünderung ihres Eigentums waren das Resultat von Entscheidungen, die vom Zentralkomitee des Komitees für Einheit und Fortschritt ausgingen.

Die Deportationen wiesen überall dasselbe Grundmuster auf. Maßnahmen zur Wiederansiedlung wurden nicht getroffen, alle Angebote anderer Staaten, den Deportierten während der Märsche oder am Zielort humanitäre Hilfe zu leisten, lehnte Istanbul strikt ab. Die Zentralregierung ergriff harte Maßnahmen gegen Gouverneure und Landräte, die sich den Deportationsbefehlen widersetzten. Die Gouverneure von Ankara, Kastamonu und Yozgat wurden abgesetzt und die Landräte von Lice, Midyat, Diyarbakir und Beşiri sowie die Gouverneure von Basra und Müntefak wurden aus diesem Grunde ermordet oder hingerichtet. Militärische Erfordernisse für die Deportation scheiden aus, da der Verdacht auf Zusammenarbeit mit dem Feind sich nicht auf Frauen und Kinder und frontferne Armenier erstrecken konnte. Die Deportation betrafen aber nahezu die gesamte armenische Zivilbevölkerung Anatoliens. Auch waren sie nicht die Folge eines Bürgerkrieges, da es keine zentral orchestrierte landesweite Rebellion der Armenier gab. Allen Beteiligten und Verantwortlichen muss klar gewesen sein, dass die „Delokalisierung“ (Osmanisch tehcîr oder teb'îd, تهجير oder تبعيد ) unter den Bedingungen von 1915/16 einem Todesurteil sehr nahe kommen musste.

In den schließlich erreichten Lagern im heutigen Syrien starben die Armenier mangels Versorgung durch Auszehrung und Seuchen, sofern sie nicht unterwegs durch Angriffe kurdischer Stämme ums Leben kamen. Nach Darstellung des deutschen Offiziers im Dienste der osmanischen Armee und Augenzeugen der Ereignisse, Rafael de Nogales, wurden die Armenier in den Todeszügen mancherorts von Zivilisten beschützt und versteckt. An anderen Orten musste die Gendarmerie die Kolonne vor Angriffen der Bevölkerung schützen. Augenzeugenberichte über die Geschehnisse bei den inhumanen Deportationen sind beispielsweise in deutschen diplomatischen Aktenstücken erfasst und von Lepsius 1919 und Gust 2005 veröffentlicht worden.

Etwa 1,5 Millionen Armenier sind dem sich von 1915 bis 1918 hinziehenden Völkermord zum Opfer gefallen, der von politisch verantwortlichen Türken der damaligen Zeit – u.a. Großwesir Damad Ferid Pascha - in den „Istanbuler Unionistenprozessen“ von 1919-1921 eingestanden, später aber von Nachfolgeregierungen in „kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahmen" ohne Genozidabsicht mit bedauerlicherweise ca. 300.000 Opfern umgedichtet worden ist, eine Version, die trotz vorliegender anderslautender Dokumente (u.a. des Auswärtigen Amtes, des deutschen Generals und türkischen Marschalls Liman von Sanders, der Deportationen von und Massaker an Armeniern so weit ihm möglich zu verhindern suchte, und des Theologen Johannes Lepsius) von national-konservativen Kreisen und auch von der jetzigen türkischen Regierung mit teilweise politischen Pressionen gegenüber europäischen Regierungen krampfhaft aufrechterhalten wird.

Grund für die Umdichtung ist die sich andernfalls ergebende Notwendigkeit, mit einigen jungtürkischen Mitgründern der modernen Türkei kritisch umzugehen. Das Nationalbewusstsein der Türken erträgt es aber nicht, die Weste der Gründungsväter mit einem Völkermord befleckt zu sehen!
Aufgrund der angesprochenen ausgezeichneten Dokumentenlage konnte der Genozid an den Armeniern einwandfrei belegt und der nachfolgend in Auszügen widergegebene, äußerst lesenswerte, sehr umfang und detailreiche Aufsatz

Christian Schmidt-Häuer: »Wer am Leben blieb, wurde nackt gelassen« (Auszüge aus einem Aufsatz in DIE ZEIT 23.03.05)


http://www.zeit.de/2005/13/Armenier
verfasst werden.
Der Autor macht einleitend auf die immer noch bestehenden politischen Reflexe der Türken aufmerksam und verweist darauf, dass selbst als die CDU/CSU-Fraktion mit der Drucksache 15 vom 22. Februar 2005 beantragte hatte, der Bundestag möge zum 90. Jahrestag der armenischen Opfer der "staatlichen Gewalt" - der in diesem Zusammenhang auf Türken als Reizwort wirkende Begriff "Völkermord" wurde bewusst vermieden - gedenken und dabei auch die zweifelhafte Rolle des Deutschen Reiches bedauern, ferner solle darauf hingewirkt werden, dass sich die Türkei mit ihrer Rolle gegenüber dem armenischen Volk vorbehaltlos auseinandersetze, da konterte der türkische Botschafter Irtemçelik mit drohendem Unterton: "Wir möchten nicht hoffen, dass unsere Freunde in den Unionsparteien durch die plumpe Verleumdung der türkischen Geschichte beabsichtigen, insbesondere unsere hier lebenden Bürger zu beleidigen."

Dass der türkische Botschafter eine solche versteckte Drohung in unserem Land öffentlich auszusprechen wagt, um Druck auf unsere von uns frei gewählten Volksvertreter auszuüben, ist wieder einmal ein Beispiel dafür, was ich als nicht kompatibel an der von Amnesie geprägten Macho-Kultur oder Großmannssucht der türkischen Regierung mit unserer Kultur ansehe. Man muss den Mut haben, sich auch zu den Kulturbrüchen in der Geschichte seines Volkes zu bekennen! Man kann vermutlich nicht einmal einen Staat, bestimmt aber keine Staatengemeinschaft auf Geschichts- und damit Lebenslügen aufbauen! Wie wir Deutschen uns zu dem Völkermord an den europäischen Juden bekennen mussten und müssen, die ohne die Schuld der jetzt lebenden Deutschen im deutschen Namen begangen wurden, so muss die Türkei sich zu dem zuvor von ihrem Land begangenen Völkermord bekennen. Weil sie dazu nicht bereit ist, gehörte die Türkei selbst dann, wenn sie ein europäischer Staat wäre, wegen ihrer »Ferne« zu unseren kulturellen Werten nicht in die sich mitteleuropäischen Werten verpflichtet fühlende EU.

Und selbst wenn die Türkei zur Anerkennung ihrer historischen Schuld bereit wäre, gehörte die asiatische Türkei immer noch nicht zu Europa, denn sie ist, wie in dieser Ausarbeitung hinlänglich nachgewiesen wurde, kein europäischer, sondern ein asiatischer Staat mit asiatischer Geschichte und asiatischen Kulturtraditionen – und kann daher aus keinem Grund Mitglied der Europäischen Union werden, wenn die nicht bereit ist, unter Vernachlässigung der geographischen Fakten ihr kulturelles, geschichtliches und politisches Selbstverständnis auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.
Ich als europäischer Bürger und Historiker bin dazu nicht bereit!

Ich kann das politisch nur kurzfristig tragfähige Kalkül ein wenig nachvollziehen, dass die asiatische Türkei (bisher) auf ihrer Geschichtslüge besteht, keinen Völkermord an den im Osmanischen Reich ansässig gewesenen Armeniern begangen zu haben, denn nach der hier vertretenen Position hat sie, da Europa nicht(!) zugehörig, mit oder ohne Bekenntnis zu dem von ihr begangenen Völkermord keinen ihr zustehenden Platz in der Europäischen Union, die eben keine UNO oder ein anderes außereuropäisches supranationales Bündnis ist! Warum sollte sie sich dann zu der schmerzlichen Wahrheit des begangenen Völkermordes bekennen, wenn ihr das keinen politischen Vorteil hinsichtlich der von ihr angestrebten Mitgliedschaft in der EU einbringt?


Natürlich gibt es über dieses politische Ziel der angestrebten EU-Mitgliedschaft hinaus gewichtige (u.a. massenpsychologische) Gründe der Katharsis, sich endlich der historischen Wahrheit des Kulturbruchs zu stellen, sie anzuerkennen und sich schamvoll über die Untaten der politischen und militärischen Führer vorangegangener Generationen des eigenen Volkes zu dieser Wahrheit zu bekennen. Aber das ist ein innertürkisches Problem, in das wir uns als Europäer nicht einzumischen haben. Solch ein gravierendes gesellschaftliches Problem muss jede Nation für sich selbst aufarbeitend lösen. Wir Deutsche können als Hilfestellung nur darauf hinweisen, dass Deutschland seine international wieder anerkannte Stellung nicht hätte wiedererringen können, wenn wir als offizielle Regierungspolitik den in deutschem Namen begangenen Völkermord an den Juden Europas in Zweifel gezogen oder gar geleugnet hätten; was schon wegen der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches und der Nürnberger Prozesse auch gar nicht gegangen wäre.

So gravierend ist die Türkei von der Völkergemeinschaft für die Untaten der politischen und militärischen Elite einiger Generationen ja nicht zur Verantwortung gezogen worden.

Und bei der von vielen europäischen Parlamenten seit langem angemahnten Aufarbeitung des Völkermordes an den Armeniern ergäben sich auch Momente des Stolzes auf »wahres Türkentum«, wie wir ihn empfinden (sollten), wenn wir an den innerdeutschen Widerstand gegen Hitler denken, seiner gedenken. So könnte es »die Türken« mit Stolz erfüllen, dass so sehr viele muslimische Türken ihre christlich-armenischen Nachbarn vor den türkischen Truppen versteckt hatten, dass sich der osmanische General Mahmud Kâmil zu dem Erlass eines Dekrets gezwungen sah, demzufolge „jeder Muslim, der einen Armenier verberge, vor seinem Haus aufgehängt werde“ (DIE ZEIT 23.03.05). Ein weiterer Grund des Stolzes, der im Vergleich dazu die jetzige politische Führung des Landes und ihre Vorgängerregierungen erbärmlich aussehen lässt, würde sein, dass am 3. März 1919 „Sultan Mohammed IV. auf englischen und französischen Druck hin den ersten Strafgerichtshof der Geschichte für die Aburteilung von »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« als Militärtribunal einsetzte. Doch im Gegensatz zu den Nürnberger Prozessen der Siegermächte entschieden türkische Richter nach osmanischem Recht.

Das Gericht stellte fest, dass weder militärische Zwänge noch Disziplinarmaßnahmen die Vertreibung diktiert hätten. Auch Ankaras heutige Schutzbehauptung, dass die Archive der damaligen Regierung keinerlei Pläne oder Befehle zur Vernichtung der Armenier enthalten und dass den osmanischen Beamten sogar Anweisungen zum Schutze der Umsiedler gegeben wurden, entkräftete das Tribunal schon 1919. Es wies nach, dass der Organisator der Deportationen, Innenminister Talaat Pascha, zur Geheimhaltung der Verantwortung eine Art doppelte Buchführung betrieb: In offiziellen Instruktionen an die Provinzialbehörden bestand er auf »Maßregeln zur Beschützung und Beköstigung« der »Auswanderer« und »strengen Bestrafung« von »Räubereien«. Die entscheidenden (Vernichtungs-)Befehle jedoch ließ er von Sondergesandten überbringen. In einem der von der Anklage als Beweismittel vorlegten Befehle hieß es: »Verschicken, das heißt im Sinne von vernichten.«

In den drei Istanbuler Verfahren wurden wegen der am Ende der Verfahren gerichtsfest festgestellten Massenmorde 17 Todesurteile verhängt, allerdings nur drei von ihnen vollstreckt, weil die anderen zum Tode Verurteilten (zum Teil nach Deutschland) geflüchtet sind. Die in Abwesenheit zum Tode verurteilten jungtürkischen Führer mit Innenminister Talaat und Kriegsminister Enver an der Spitze waren bereits Anfang November 1918 an Bord eines deutschen Schiffes geflohen. … Die »Ausrottung« (wie es das Istanbuler Tribunal formuliert hatte) der Armenier war also eine ethnische Säuberung, um einen modernen türkischen Nationalstaat zu verwirklichen. … Was die heutige Generation in der Türkei allerdings nicht weiß: Am 24. April 1923, einen Tag nach Einführung des Parlaments der neuen türkischen Republik, verurteilte Kemal die Vernichtung der Armenier als Schandtat – wenngleich bereits als »Schandtat der Vergangenheit« … Wenig später übernahmen einige Mittäter und Profiteuere der Deportationen wichtige Funktionen in seiner [Kemal Atatürks; der Verf.] Nationalbewegung und der Regierung. … Diese und andere Beispiele [namentlich genannter Minister; der Verf.] zeigen, warum vor allem die Militärs als Wahrer des Kemalismus und Garanten der modernen Türkei eine Vergangenheitsbewältigung stets vehement abgelehnt haben."

Die Hingerichteten gelten heute als Helden.

Das damalige Europa war bemüht, Ankara einzubinden, um die aufkommende Sowjetmacht zu kontrollieren. Gut zwei Jahrzehnte später machte der Kalte Krieg die Türkei als Nato-Partner (seit 1952) noch unentbehrlicher. …

Schmidt-Häuer weist auf die Beteiligung Deutschlands an dem Völkermord hin, die den Deutschen Bundestag zu seiner den Völkermord "bedauernden" Entschließung veranlassen sollte, indem er zusammenfasst: "Kein anderes Land ist in das Schicksal der Armenier so verstrickt gewesen wie Deutschland. Hunderte seiner Offiziere hatten den operativen Oberbefehl über die Armee des türkischen Kriegsverbündeten. Einige Generäle mischten bei der Planung und Durchführung der Deportationen mit, alle waren Zeugen. Über das Netzwerk ihrer Konsulate war die Reichsregierung bis in die hintersten anatolischen Dörfer über alle Stationen der Todesmärsche und Massaker informiert. Die deutschen Konsuln überfluteten die Botschaft in Konstantinopel, das Auswärtige Amt und das Kanzleramt in Berlin mit verzweifelten Appellen, den Mordtaten des Verbündeten entgegenzutreten. Unter eine Vorlage des Botschafters Paul Graf Wolff-Metternich schrieb Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg: »Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.« … So hat auch die deutsche Passivität dazu beigetragen, dass die Türkei die Opfer bis heute in die Ecke drängen kann: Die Nachfahren der Überlebenden müssen nicht nur die Last der Leidensgeschichte, sondern auch die Last der Leugnung tragen. Sie sollen noch immer den Nachweis für einen Völkermord erbringen, den alle ernst zu nehmenden Historiker längst dokumentiert haben.“ (DIE ZEIT 23.03.05).





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