Seminar für allgemeine pädagogik


Kritik am „Mythos Watzlawick“



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4.4 Kritik am „Mythos Watzlawick“


Literatur

Schülein, J.A.: Psychotechnik als Politik. Zur Kritik der Pragmatischen Kommunikationstheorie. Frankfurt 1976.

Ziegler, J.: Kommunikation als paradoxer Mythos. Analyse und Kritik der Kommuikationstheorie Watzlawicks und ihrer didaktischen Verwertung. Weinheim 1977.

Meister, K.J.: System ohne Psyche. Zur Kritik der Pragmatischen Kommunikationstheorie und ihrer Anwendungen. Opladen 1987.

Girgensohn-Marchand, B.: Der Mythos Watzlawick und die Folgen. Eine Streitschrift gegen systemisches und konstruktivistisches Denken in pädagogischen Zusammenhängen. 3. Aufl. Weinheim 1996.

Schenk, J./G. Schenk: Kommunikation als Herausforderung im Alltag und in der Wissenschaft. Würzburg 1998.


4.4.1 Einleitende Bemerkungen


Die Theorie von Watzlawick hat insbesondere im deutschsprachigen Raum eine eigenartige Faszination ausgeübt, die dazu führte, daß Sozialwissenschaftler der unterschiedlichsten Richtungen sich mit ihr identifizierten, ohne daß sogleich eine kritische Analyse ihrer theoretischen Grundlagen und Aussagen erfolgte. Andererseits haben einige wenige Autoren, jene, deren Werke zu Beginn des Abschnittes 4.4. aufgeführt sind, Watzlawick einer zum Teil vernichtenden Kritik unterzogen, die allerdings der positiven Rezeption der Watzlawickschen Theorie bis in die Gegenwart hinein kaum Abbruch getan hat. Anlaß, Ausgangsposition und Argumentationsrichtung dieser Kritik sind sehr different, weisen allerdings auch in einigen Punkten Gemeinsamkeiten auf.

So wird Watzlawick der Vorwurf gemacht,



  • seine Theorie habe kein Verhältnis zur Politik und Gesellschaft, sie sei der Lebens­welt der sozialen Mittelstandes entsprungen (Schülein 1976);

  • seine Kommunikationstheorie sei „ebenso eklektizistisch wie mystisch-verschwommen“, und die wesentlichen Bestandteile dieser Theorie, wie ‘Metakommunikation’ und die fünf ‘pragmatischen Axiome’, würden auf „logisch sinnlosen Konstruktionen beruhen“ (Ziegler 1977);

  • mit seinem systemischen Ansatz sei er einer bestimmten psychologischen Richtung, dem Behaviorismus verpflichtet (was Watzlawicks Selbstverständnis wohl nicht ganz gerecht wird), er würde andere psychologische Richtungen, die Psychoanalyse, zu Unrecht abqualifizieren, das kommunikativ-systemische Therapiekonzept sei auf Grund seiner Widersprüchlichkeit unfähig, eine entsprechende therapeutische Praxis zu begründen (Meister 1987);

  • zentrale Theoreme wie das double-bind-Theorem seien empirisch nicht faßbar, ge­nerell sei der systemisch-konstruktivistische Ansatz bei Konfliktlösungen oder the­rapeutischer Intervention ein Irrweg (Girgensohn-Marchand 1996).

Auf Einwände derartig grundsätzlicher Natur wird im folgenden nicht eingegangen. Soweit nicht schon in den vorangegangenen Abschnitten dort, wo es unumgänglich erschien, einzelne Kritikpunkte geäußert wurden, soll die im folgenden geübte Kritik eher zusammenfassender Art sein. Ich erlebte es als Mitprüfer in Pädagogik-Prüfungen nur allzu häufig, daß „Watzlawick“ als Prüfungsschwerpunkt tatsächlich im Gewand eines „Mythos“ erschien, indem von den Prüflingen die „fünf Axiome“ vorgetragen werden, ohne daß eine kritische Reflexion erfolgte oder die Möglichkeit, Watzlawicks Behauptungen in Frage zu stellen, als Bestandteil wissenschaftlicher Kritik verstanden wurde. Das mag zum Teil daran liegen, daß auch innerhalb der kommunikationstheoreti­schen Literatur die Zitation dessen, was sich durch hohe Auflagenzahlen als bewährt herausgestellt hat, aus pragmatischen Gründen vorherrscht, ohne daß sich Autoren mit einer kritischen Grundsatzdiskussion belasten. Die Kritiker Watzlawicks wiederum gleichen Chirurgen, die mit dem Ziel der Totalexstirpation operieren, weitgehend ohne Interesse an Kommunikation als weiterzuführendem Forschungsgegenstand.

Bei Girgensohn-Marchand (1996), dem jüngsten Projekt einer Grundsatzkritik Watzlawicks, finde ich ein gutes Beispiel für meine Be­hauptung. Girgensohn-Mar­chands Kritik ist m.E. im Prinzip berechtigt; ob die Kritik in allen Punkten stichhaltig ist, wage ich allerdings zu bezweifeln. Über die grundsätzli­che Berechtigung bestimmter wissenschaftstheoreti­scher Positionen zu streiten - sei es die Systemtheorie, die Psychoanalyse oder den Behaviorismus - ist auf dem Boden rein rationaler Argumentation nicht möglich und muß weitgehend Spiegelfechterei bleiben. Daß Watzlawick zum Mythos wurde, kann man ihm selbst schlecht anlasten - wie es Girgen­sohn-Marchand offenbar tut. Im übrigen ist die Kritik der Autorin generell auf systemisches Denken in pädagogisch-psychologischen Zusammenhängen ge­richtet. Die Überprüfung des Geltungsan­spruchs von Detailaussagen, soweit sie Watzlawicks Theorie betreffen, wird dadurch erschwert.

Mit Recht fordern die Kritiker Watzlawicks, nicht alles zu glauben, was dieser als gewichtige Erkenntnis verbreitet - eine Erkenntnis, die tatsächlich oft trivial, nicht selten widersprüchlich und manchmal falsch ist. Es ginge also darum, einerseits Watzlawicks Aussagen kritisch zu hinterfragen, andererseits die interessanten Aspekte seines Ansatzes nicht völlig zu negie­ren; eine unkritische „Anwendung“ Watzlawicks in pädagogischen Feldern wie sie Anfang der sieb­ziger Jahre in der Bundesrepublik versucht wurde, verbietet sich jedenfalls.

4.4.2 Die Hauptpunkte der Kritik - Zusammenfassung und Bewertung


In zwei Punkten sind sich die Kritiker Watzlawicks bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Argumentation einig. Übereinstimmend kritisiert werden erstens die Diskrepanz zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch dieser Theorie und ihren Ergebnissen so­wie zweitens fundamentale methodische oder logische Fehler, die den theoretischen Ansatz beeinträchtigen. Die folgenden Ausführungen geben im wesentlichen eigene Überlegungen wieder, die die in der oben zitierten Literatur detailliert ausge­breiteten Einwände bekräftigen und ergänzen. Im Gegensatz zu den Intentionen der meisten Grund­satzkritiker bedeutet diese Kritik keine Mißbilligung der Watzlawick unterstellten wissen­schafts­theoretischen Position, sondern will konkrete Kritik sein. Ich möchte im folgenden die Widersprüchlich­keit einiger Aspekte der Watzlawickschen Theorie deutlich machen und versuchen, Lösungsvor­schläge anzubieten (vgl. Ramsthaler 1982).

1. Watzlawick präsentiert keine stringente Theorie. Sie zerfällt in zwei weitgehend unterschiedliche Teilstücke: erstens in Aussagen über das, was er Systemtheorie nennt, zweitens in die fünf pragmatischen Axiomen, die - mit Ausnahme des dritten Axioms - keinen direkten Bezug zur Systemtheorie erkennen lassen. Darüber hinaus ist, wie bereits angedeutet, der von Watzlawick benutzte Begriff des „offenen“ Systems heute durch die Vorstellung vom „geschlossenen“ System weitreichend verändert worden (Luhmann, Ma­turana). In diesem Sinne müßten Systeme als sich selbst erzeugende und sich selbst erhaltende (autopoietische) Gebilde von operativer Geschlossenheit betrachtet werden, in denen das Verhältnis von Komplexität und Kontingenz näher zu bestimmen wäre. Komplexitätsreduzierung als Grundleistung des Systems taucht bei Watzlawick nicht auf - eine Leistung, die im Zuge der Selbststeuerung selbstinduzierte Zustandsänderungen im Sinne "bewußter Revision" bestehender Verhältnisse ermöglicht (vgl. Willke 1987, S. 70). Allerdings äußert auch Luhmann - mit deutlicher Kritik an Habermas - Skepsis gegenüber dem allseitigen Gelingen von Kommunikation: Sie sei eher ein Fall von Unwahrscheinlichkeit.



2. Watzlawicks Begrifflichkeit ist unscharf, manchmal verwirrend. Seine begrifflichen Anleihen bei Logik und Mathematik sind eher abwegig als klärend. So suggeriert der Begriff „pragmatisches Axiom“ eine Nähe zu mathematischer Berechenbarkeit (zum Kalkül), d.h. zu einem Grundsatz, der dem mathematischen Beweis anderer Sätze dient. Das ist abwegig; es würde ausreichen von „Aspekten“, allenfalls „Grundsätzen“ (in einem allgemeinen Sinne) zu sprechen. Generell löst Watzlawick den Anspruch von Exaktheit, den er setzt, mit seiner Theorie nicht ein.

2.1 Zu den verwirrendsten Bestandteilen der Watzlawickschen Theorie gehören un­klare oder widersprüchliche Definitionen:

2.1.1 So ist Watzlawicks Gleichsetzung von „Kommunikation“ und „Verhalten“ irre­führend und falsch, weil „Verhalten“ (= der Gegenstandsbereich der Psychologie) kei­neswegs identisch ist mit „wechselseitig wahrgenommenem Verhalten“ (= Vorausset­zung für Kommunikation); Verhalten existiert unabhängig von Kommunikation: Ich verhalte mich immer, aber ich kommuniziere keineswegs immer, ich schlafe zum Beispiel auch oder betreibe Dinge, die andere nicht zu sehen brauchen. Selbst wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin, bedeutet dies nicht, wie Watzlawick suggeriert, automatisch Kommunikation.

2.1.2 Einen logischen Fehler begeht Watzlawick, wenn er die Gleichsetzung von Kommunikation mit Verhalten damit begründet, daß Verhalten kein Gegenteil habe. Dazu ist zu sagen: Das „Gegenteil“ als Sachverhalt existiert generell nicht: kein Gegenstand der realen Welt hat ein Gegenteil. Wenn wir von „Gegenteil“ sprechen, handelt es sich um Zuordnungen, die wir in Aussagen über Sachverhalte bzw. Gegenstände treffen. Verhalten als Tatbestand ist aussagenlogisch gar nicht wahrheitsfähig . Nur eine Aus­sage - über Verhalten - besitzt einen Geltungsanspruch, der begründet oder bestritten werden kann.



2.1.3 Die Aussage „Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren“ (1. Axiom) im Sinne von Watzlawick trifft allenfalls unter drei Bedingungen zu: a) Die Kommunikanten bestehen aus nur zwei (oder wenig mehr) Personen, b) ihre die wechselseitige Wahrnehmung steht im Focus der Aufmerksamkeit, c) es liegt bei mindestens einem der Kommunikanten die deutlich zum Ausdruck ge­brachte Absicht vor, nicht kommunizieren zu wollen. Dann ist die Ablehnung von Kommunikation ein vermutlich von anderen Kommunikanten wahrgenommenes „Signal“ und ist Kommunikation. Diese Erkenntnis Watzlawicks ist trivial, aber vielleicht ist es nicht unwichtig, sie gesondert hervorzuheben. Unser Alltagsverständnis konnte diesen Sachverhalt auch vor der „Ära Watzlawick“ angemessen deuten. Als erster Grundsatz und Axiom [sic!] einer wissenschaftlichen Theorie bleibt diese Erkenntnis innerhalb Watzlawicks Systemkonzept weitgehend folgenlos. Statt dessen wird sie als Mythos nach dem Muster von „Des Kaisers neue Kleider“ von Dozenten respektvoll herumgereicht; Prüfungskandidaten zelebrieren sie dort mit Ehrfurcht, wo sie auch Lehrende unwidersprochen „glaubten“. Lassen wir ein studentisches Ehepaar miteinander kommunizieren, das den Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft absolviert und sich im dritten Studiensemester befindet:

Sie: Wie war’s denn beim Zahnarzt, mußtest du lange warten?

Er: Eine Viertelstunde. Warteten noch drei andere, die nach mir drankamen.

Sie: Aha, ihr habt also kommuniziert! Wovon habt Ihr denn geredet?

Er: Geredet? Nichts. Ich glaube, jeder hat gelesen.

Sie: Gemeinsam?

Er: Nein, jeder für sich natürlich.

Sie: Trotzdem müßt ihr nach Watzlawick doch kommuniziert haben. Was hast du denn von den anderen wahrgenommen?

Er: Daß da drei Leute waren.

Sie: Sonst nichts?

Er: Keine Ahnung, ich habe gelesen, jeder hat gelesen, oder... ich weiß wirklich nicht, was die anderen gemacht haben.

Sie: Völlig unmöglich! Nach Watzlawick hast du kommuniziert, und du unterstellst, daß du nicht kommuniziert hast. Gib zu: daß ihr kommuniziert habt! Nämlich deshalb, weil ihr nicht kommunizieren wolltet!

Er: Unsinn! Jeder hat gelesen. Wir haben weder geredet, noch irgend etwas anderes gemacht oder nicht gemacht! Wenn ich mir eine Illustrierte anschaue, interessiert mich doch gar nicht, was die anderen machen; mich interessiert nur das, was ich lese. Und das nehme ich wahr, sehr genau sogar.

Sie: Nach Watzlawick heißt das: Du wolltest nicht kommunizieren, und die anderen wollten auch nicht kommunizieren, und weil man bekanntlich nicht nicht kommunizieren kann, da habt ihr also kommuniziert!

Er: (hilflos) Neiiin! Ich wollte weder kommunizieren noch nichtkommunizieren, ich hatte keinerlei Absicht, weder den anderen mitzuteilen, daß ich kommunizieren wollte, noch daß ich nichtkommunizieren wollte. Ich wollte eine Illustrierte lesen, das habe ich auch getan.

Sie: Das kommt mir sehr verdächtig vor, daß du sagst: du hattest keinerlei Absicht. Das ist es ja! Wenn du keine Absicht hast, hast du eben gerade eine Absicht, nämlich keine. Eine Absicht zu haben ist Verhalten, keine Absicht zu haben ist dasselbe, nämlich Verhalten. Verhalten ist Kommunikation. Das ist Prüfungsstoff für die Vordiplomprüfung. Also hast du kommuniziert!

Er: (erschöpft) Gut, gut, meine Liebe! Ich gebe also zu und bekenne: Ich habe kommuniziert!

Sie: (befriedigt) Habe ich’s mir doch gedacht... warum nicht gleich so?

Drei Leute, die im Wartezimmer Zeitung le­sen. Jeder von ihnen nimmt dank vorhandener Sinnesorgane wahr, daß im Raum noch zwei weitere Wartende sind, und sie nehmen sich wechselseitig wahr. Aber im Mittelpunkt der Wahrnehmung ist bei allen drei Aktoren das, was sie aktiv tun: lesen. Das bedeutet: Auch wenn die Aktoren sich - mehr oder weniger undeutlich - wahrnehmen, kommunizieren sie nicht miteinander; sie lesen, jeder für sich. Kommunikation unter pragmatischem Gesichts­punkt ist dann gegeben, wenn sich Sender und Mitteilung im Focus der Wahrnehmung von „Empfängern“ befinden, dies ist im Alltag keineswegs immer der Fall. Man denke etwa an die Situation „im Bus“, „in der Klasse“ oder „in der Disco“, in der der einzelne gegenüber anderen anonym bleibt.

2.1.4 Ich vertrete deshalb die Gegenthese: Nichtkommunizieren ist möglich! Anders ausgedrückt: Man kann nicht kommunizieren! Watzlawick geht fälschlicherweise da­von aus, daß Kommunikationsverweigerung im Verhalten des Verweigerers immer ablesbar sei und dies vom Interaktionspartner so identifiziert wird. Dies ist aber kei­neswegs in jeder Situation zwingend, weil es auf die jeweiligen Kontexte ankommt: Das Nichtgrüßen der anwesenden Personen beim Eintritt in einen Raum steht beim Betreten eines Ballsaales oder eines Großraumwagens der Bundesbahn in einem anderen Kommunikation weit weniger evozierenden Kontext als beim Betreten des Wartezimmers einer Arztpraxis. „Nichtkommunikation“ kann nur dann als Signal für fehlende Kommunikationsbereitschaft aus nonverbalen Zeichen erschlossen werden, wenn die Situation zur Focussierung der Aufmerksamkeit auf den betreffenden Kommunikanten zwingt.

Watzlawicks abweisend-schweigender Mann im Wartesaal ist kaum ein überzeugender Prototyp für Nichtnichtkommunikation: Vorbeigehende sehen den Mann, der wiederum Vorbeigehende sieht, aber trotz wechselseitiger Wahrnehmung werden keine Botschaften ausgetauscht und es existiert keine Kommunika­tion; dem Mann zu unterstellen, er wolle nicht kommunizieren, ist in dieser Situation unsinnig. Man kann sich wechselseitig wahrnehmen und nimmt einen oder mehrere andere Aktoren mangels signifikanter Zeichen doch nicht wahr. Mit anderen Worten: Man kann auch bei wechselseitiger Wahrnehmung nicht kommunizieren.

2.1.5 Das, was Watzlawick in seinem ersten Axiom anspricht, ist wesentlich genauer formuliert mit der Aussage: Nicht kommunizieren zu wollen ist - bei wechselseitiger Wahrnehmung der Kommunikanten - insofern Kommunikation, als das Verhalten, das durch diese Absicht gesteuert wird, von den Aktoren in der Regel auch wahrgenom­men wird. Ein generelles Manko der Watzlawickschen Theorie besteht darin, daß sie keine Aussagen zur aktuellen Genese von Kommunikationsprozessen macht. Wenn „alles“ Kommunikation sein soll, ist die für die Zustandsdiagnose notwendige Feststellung, ob Kommunikation vorliegt oder nicht, hinfällig geworden.

2.2 Das logische Paradox der Definition Watzlawicks besteht darin, daß wechselsei­tige Wahrnehmung einerseits Voraussetzung für Kommunikation ist, für ihn anderer­seits auch selbst Kommunikation darstellt. Logisch führt das zu einem Widerspruch: Wenn A die Voraussetzung für B sein soll, kann A nicht gleichzeitig mit B identisch sein. Die wichtige Frage der Genese des aktuellen Kommunikationsvorganges ist bei Watzlawick geklärt; ebenso bleibt unklar, wie der Selektionsprozeß der Wahrnehmung strukturiert sein muß, um Wahrgenommenes zur „Mitteilung“ bzw. relevanten Botschaft“ zu machen. Es kann wechselseitig sehr viel wahrgenommen werden, ohne daß der Wahrnehmungsinhalt von den Kommunikanten als kommunikativ relevant, d.h. als Mitteilung bzw. zu entschlüsselnde Botschaft angesehen wird.

2.3 Verwirrend sind Watzlawicks Ausführungen zum Beziehungsaspekt (2. Axiom): „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt derart, daß letz­terer den ersten bestimmt und daher eine Metakommunikation ist.“ Und: „Da der Be­ziehungsaspekt eine Kommunikation über eine Kommunikation darstellt, ist unschwer zu erkennen, daß er mit dem ... Begriff der Metakommunikation identisch ist“. Damit wird der Begriff Metakommunikation, der von Watzlawick an anderer Stelle als „Kommunikation über Kommunikation“ bezeichnet wird, paradox definiert, nämlich einerseits als eine emotionale Beziehung, andererseits als ein auf höherer Ebene fun­gierendes Problemlösungselement, das zum Einsatz kommt, wenn sich auf der unteren Ebene der Kommunikation Verständnisprobleme ergeben (z.B. weil der Empfänger einer Mitteilung den Eindruck hat, Inhalts- und Beziehungsaspekt der wahrgenomme­nen Botschaft seien diskrepant).



2.4 Watzlawicks Behauptung, der digitale Kommunikationsmodus sei semantisch ge­nau, trage aber nichts zur Beziehungsebene bei, während der analoge Modus die Be­ziehungsebene konstitutiere, aber nicht immer eindeutig sei, ist im Prinzip richtig- aber nur mit Einschränkungen. Ein eindeutiges Zeichen ist in einem bestimmten situativen Kontext (wie der auf dem Fußballfeld gegenüber den Zuschauern erhobene „Stinkefinger“ eines enttäusch­ten Spielers) oft die wesentlich präzisere Botschaft als eine verbale Erklärung. Dabei vernachlässigt Watzlawick den konnotativen Aspekt der Sprache. Watzlawick meint, der digitale Modus spiele keine Rolle, wenn über die Beziehung kommuniziert werde. Das ist abwegig. Ein Beispiel: Persönliche Sympathie, die zwei Menschen füreinander empfinden, kann durch viele verbal-andeutende und nonverbal symbolische Botschaf­ten von beiden Seiten zum Ausdruck gebracht werden. Ein Abschiedskuß beim Aus­einandergehen signalisiert ein Höchstmaß an Zuneigung, läßt aber den Charakter der Beziehung offen. Auch weitergehende körperliche Kontakte sind in ihrer analogen Sprache nicht hinreichend für jemanden, der eine feste Beziehung wünscht. Erst der Inhaltsaspekt der Kommunikation, die Formel „Ich liebe dich!“ schafft Klarheit über den Absolutheitsanspruch der Bindung.

Besonders emotional aufgeladene Situationen können in ihren Konsequenzen erst dann voll verstanden werden, wenn die jeweilige Botschaft der Aktoren digital vermittelt und empfangen wurde, d.h. sie muß ausgesprochen und zur Kenntnis genommen wor­den sein - bei einem Streit am Arbeitsplatz z.B. durch die Worte „Sie sind entlassen!“ (Arbeitgeber) bzw. „Ich kündige!“ (Arbeitnehmer).



Merke: Es gibt viele Fälle der Kommunikation, in denen der Beziehungsaspekt keine besondere Bedeutung besitzt (in allen Alltagsroutinen privater und beruflicher Art), sondern als immanenter person- und situationsbezogener Bestandteil des Verhaltenscodes fungiert, der von den Kommunikanten weitgehend unbemerkt bleibt. Daß ihm im Hintergrund eine stabilisierende Funktion zukommt, ist damit nicht in Abrede gestellt. Der Beziehungsaspekt tritt besonders hervor in Situationen jenseits der Alltagsroutinen (Mißverständnis, Konflikt, gegensätzliche Interessen, persönliche Zuwendung, Hilfeer­suchen usw.) - er dominiert nicht den Inhaltsaspekt, sondern qualifiziert ihn in bestimmter Weise.

Diese Bemerkungen genügen um zu zeigen, daß Watzlawicks Theorie in verschiede­ner Hinsicht inkonsequent bzw. korrekturbedürftig ist. Die Frage, inwieweit das Therapiekonzept Watzlawicks schlüssig bzw. erfolgreich ist oder nicht, braucht hier nicht diskutiert zu werden. Die dargestellte Kritik will nicht den Blick dafür verstellen, daß Watzla­wick, Ansätze von Bateson weiterführend, für das Verstehen bzw. Nichtverstehen von Kommunikation bedeutende Einsichten geliefert hat und deshalb rezeptionswürdig ist.

Für eine konsequente Anwendung im Sinne eines pädagogischen Interventionsprogramms ist die Watzlawicksche Theorie auf Grund ihrer Widersprüchlichkeit und fehlenden Stringenz kaum geeignet. Ihre heuristische Bedeutung, auch hinsichtlich der Wahrnehmung von Störungen der Alltagskommunikation, ist allerdings nicht zu unterschätzen. Watzlawick ist der große Anreger - vor allem durch seine Geschichten. Obwohl dem Systembegriff zugewandt, gibt Watzlawick kein besonders gutes Beispiel ab für systematisches Denken; das mit zwei Ko-Autoren herausgebrachte Hauptwerk „Menschliche Kommunikation“ ist für Studierende ausgesprochen schwierig zu lesen und zu verstehen, weil der systemtheoretische Ansatz keineswegs systematisch dargestellt wird, sondern seine einzelnen Bestandteile in verschiedenen Kapiteln recht wahllos auftauchen. Dafür glänzt Watzlawick mit Geschichten. Weil sie so schön sind, kommt es dem interessierten Leser um so weniger in den Sinn, die Theorie Watzlawicks einer kritischen Nachprüfung zu unterziehen. Da Wahrheit und Wirklichkeit hier sowieso nur als subjektive Erfindungen in Erscheinung treten, gilt auch für die Bewertung dieser Theorie das schon einmal erwähnte, von Watzlawick selbst in Anspruch genommene italienische Sprichwort: Si non è vero, é ben trovato.


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