Seminar für allgemeine pädagogik


Die Kommunikationstheorie Watzlawicks



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4.2 Die Kommunikationstheorie Watzlawicks


Basisliteratur

Watzlawick, P./J.H. Beavin/D.D. Jackson: Menschliche Kommunikation. 8. Aufl. Bern 1990. (zitiert als Watzlawick et al.)

Watzlawick, P.: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn - Täuschung - Verstehen. München 1977.

Weitere Literatur

Bateson, G. u.a.: Schizophrenie und Familie. Frankfurt/M. 1981.

Nüse, R./N. Groeben/B. Freitag/M. Schreier: Über die Erfindungen des Radikalen Konstruktivismus. Weinheim 1991.

Schulz v. Thun, F.: Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Differentielle Psychologie der Kommunikation. Reinbek 1995.

Watzlawick, P.: Selbsterfüllende Prophezeiungen. In: P. Watzlawick (Hrsg.): Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? 10. Aufl. München 1998.

Watzlawick, P.: Anleitung zum Unglücklichsein. 11. Aufl. München 1984.

Watzlawick, P./J. Weakland (Hrsg.) Interaktion. Menschliche Probleme und Familientherapie. 2. Aufl. München 1997.

Watzlawick, P.: „Wenn die Lösung das Problem ist“. In: P. Felixberger (Hrsg.): Aufbruch in neue Lernwelten. Wien 1994, S. 19-31.

Willke, H.: Systemtheorie. Stuttgart 2.Aufl. 1987.

Watzlawick führte die biologischen und ethnologisch-kulturanthropologischen Fragestellungen Gregory Batesons fort - mit der Erforschung der menschlichen Kommunikation und ihrer Störungen. Er verband dabei Aspekte der Sprachwissenschaft, der Wissenschaftslogik und der Kybernetik mit der klinischen Psychologie (insbesondere im Bereich der Familientherapie). Watzlawick stellt sich selbst Verfechter der Systemtheorie dar.


4.2.1 Kommunikation und Systemtheorie


Kommunikationsvorgänge als ein „System“ zu betrachten ist heute nichts Revolutionäres, war es aber durchaus, als die Palo-Alto-Gruppe ihre Forschungsarbeit begann.

Allgemein wird Kommunikation als „System“ betrachtet, wenn nicht die Mitteilungen einzelner Kommunikanten analysiert, sondern alle am Kommunikationsprozeß Beteiligten als ein Ganzes betrachtet werden. Watzlawick und der Psychiater Don D. Jackson entwickelten ihren Systembegriff an der Familie als Kommunikationseinheit. Folgende Begriffe spielen in ihrem Systemverständnis eine Rolle (Watzlawick et al. 1990, S. 128 ff.):

  • Ganzheit. Das Verhalten des einzelnen hängt von Verhalten aller anderen ab; jeder beeinflußt jeden und wird rückwirkend wiederum von jedem beeinflußt;

  • Übersummation. Die Strukturen der Interaktion innerhalb einer Gruppe (Familie) sind mehr als die Eigenschaften einzelner Familienmitglieder; viele individuelle Eigenschaften erweisen sich als Eigenschaften des Familiensystems;

  • Homöostasis. Die Beziehungen innerhalb des Systems Familie tendieren dazu, sich in einem stabilen Gleichgewicht zu bewegen; einzelne Erschütterungen (z.B. Krankheit oder eine existentielle Krise) werden durch das System aufgefangen, das gleichsam Puffer bildet. Ein wesentlicher Grund für die Gewinnung von Stabilität liegt in jenem Prinzip, das Watzlawick et al. „die einschränkende Wirkung aller Kommunikation“ bezeichnen: „In einem Kommunikationsablauf verringert jeder Austausch von Mitteilungen die Zahl der nächstmöglichen Mitteilungen“ (Watzlawick et al. 1990, S. 126); mit der Information ist in der Regel eine Verringerung von Unsicherheit und eine Erhöhung von Stabilität verbunden - nur im Falle gestörter Kommunikation ist dies anders.

  • Redundanz (lat. Überfluß) meint die Tatsache, daß die im Kommunikationsprozeß ausgetauschte Mitteilung, überflüssige, gleichsam mehrfach vorhandene Elemente enthält, die in dieser Überfülle unter normalen Bedingungen für den Decodierungsprozeß nicht notwendig sind, im Falle der Kommunikationsstörung allerdings der Decodierung entscheidende Anhaltspunkte geben. Dies betrifft sowohl die Struktur von Sätzen (syntaktische Redundanz) als auch die Bedeutung von Begriffen und Aussagen (semantische Redundanz). So bilden etwa sprachliche und nichtsprachliche Signale im Kommunikationsprozeß eine auf Redundanz beruhende Einheit, die den Kommunikanten wechselseitig Sicherheit vermittelt. Bei Watzlawick et al. meint der Begriff pragmatische Redundanz darüber hinaus, daß wir in der Alltagskommunikation unbewußt ein umfangreiches (gleichsam redundantes) Reservoir an Kenntnisse anwenden, wenn es darum geht, „Verhalten zu verstehen, zu beeinflussen und vorauszusehen“ - ohne daß wir uns normalerweise der Regeln bewußt sind, nach denen dieses Wissen eingesetzt wird.

  • Äquifinalität. Verschiedene Anfangszustände von Kommunikationsprozesses können zum gleichen Endzustand führen, wenn man - wie Watzlawick et al. - Kommunikation nicht linear, sondern als einen Kreisprozeß definiert. „In kreisförmigen, selbstregulierenden Systemen sind ‘Ergebnisse’ (im Sinne von Zustandsänderungen) nicht so sehr durch die Anfangszustände als durch die Natur des Prozesses determiniert“ (Watzlawick et al. 1990, S. 122). Umgekehrt können dieselben Ausgangsbedingungen bei zwei Systemen zu völlig unterschiedlichen Endzuständen führen. Dieses Prinzip führte in der systemischen Familientherapie dazu, weder der Entstehungsgeschichte, den Handlungsmotiven der Beteiligten, noch der Individualdiagnose pathologischen Verhaltens besondere Aufmerksamkeit zu schenken; Analyse und Therapie richten sich allein auf die Beziehungen der Familienmitglieder zueinander, verbleiben also im wesentlichen auf der Beziehungsebene.

  • Kalibrierung. Damit ist die Einstellung eines Kommunikationssystems gemeint, analog der Einstellung eines Thermostaten (Reglers) auf einen bestimmten Wert („Sollwert“). Als solche Sollwerte innerhalb des Systems Familie bezeichnen Watzlawick et al. die familieninternen Verhaltensstandards und die gesellschaftlichen Normen, an denen sich der einzelne orientiert.

  • Rückkopplung (feed back) = der zentrale Begriff in der systemischen Kommunikationstheorie, der im folgenden ausführlich erläutert wird.

Das Paradigma der durch die Kybernetik bestimmten Form der Systemtheorie, von dem Watzlawick ausgeht, ist der Regelkreis; dessen zentrales Element ist die Rückkopplung, Feedback, die rückwirkende Übermittlung einer unerwünschten Istwert-/Sollwertdiskrepanz an den Ein­gangskanal des Systems, der auf dieses Signal im Sinne der Wiederhestellung des Sollwertes reagiert.

Watzlawick sieht menschliche Interaktion als selbstgesteuertes offenes System. Er überträgt dabei das technische Regelkreismodell auf Kommunikationsvorgänge. Das bedeutet, daß in einem Kommunikationsprozeß zwischen - zum Beispiel - zwei Personen nicht zwei Einzelwesen miteinander in Beziehung stehen, sondern beide miteinander ein Ganzes, ein System, bilden. Von diesem System hebt sich die Umwelt ab. Damit ist jener situative und personelle Kontext außerhalb des Systems i.e.S. gemeint, der aber mit ihm in Interaktion steht (z.B. Nachbarn, Verwandte, Freunde). Die systemische Betrachtungsweise ist ganzheitlich. Sie untersucht neben dieser Ganzheit auch die Teilsysteme und die Beziehungen der einzelnen Systemelelemente zur Umwelt. In einem System wirkt jedes Element dieses Systems in der Regel auf jedes andere Element wechsel­seitig. Auch im Verhältnis der Systemelemente zu den Merkmalen der Umwelt existiert dieses wech­selseitige Beeinflussungsverhältnis. Die Wechselseitigkeit der Beziehung zu untersuchen ist also eine Hauptaufgabe systemischer Analyse. Diese Beziehung wird durch ganz bestimmte Elemente defi­niert. In jedem System gibt es Rückkopplungen (engl. feedback), d.h. es wirken nicht nur a auf b, b auf c usw. im Sinne eines linearen, monokausalen Prozesses; die in Gang gesetzten Prozesse verlau­fen vielmehr kreisförmig, in Schleifen, und sie haben eine Rückwirkung auf den Ausgangspunkt.

Als Rückkopplung oder Feedback bezeichnet man allgemein die Wirkung eines Vorganges in seiner Auswirkung auf das weitere Geschehen. Für Kommunikationsprozesse bedeutet dies, daß das Verhalten von A im Kommunikationsprozeß nicht nur eine bestimmte Wirkung auf B hat, sondern B’s Reaktion auf A zurückwirkt und dessen weiteres Verhalten beeinflußt. Anders als der klassische Behaviorismus, der nur das lineare Reiz-/Reaktionsmuster kennt, bemüht sich Watzlawick et al. um eine Betrachtung von komplexen, Eigendynamik entwickelnden Kommunikationsketten und -kreisläufen.

def. Rückkopplung meint die Rückwirkung der Folgen eines Sachverhalts (Ereignisses, Prozesses) auf den weiteren Fortgang des Geschehens.


    Zum Begriff der Rückkopplung führen Watzlawick et al. im einzelnen aus:

Rückkopplungen können bekanntlich positiv oder negativ sein. Die negative Form wird in diesem Buch viel häufiger erwähnt werden, da sie eng mit dem Begriff der Homöostasis (des Ruhezustandes) verbunden sind und so eine wichtige Rolle bei der Herstellung und Erhaltung des Gleichgewichtes in Systemen und daher auch in menschlichen Beziehungen spielt. Positive Rückkoppelungen dagegen führen zu Änderungen im System, d.h. zum Verlust der Stabilität oder des Gleichgewichts. [...] Unsere These ist, daß zwischenmenschliche Systeme - also Gruppen, Ehepaare, Familien, psychotherapeutische oder selbst internationale Beziehungen usw. - als Rückkoppelungskreise angesehen werden können, da in ihnen das Verhalten jedes einzelnen Individuums das jeder anderen Person bedingt und seinerseits von dem Verhalten aller anderen bedingt wird. (Watzlawick et al. 1990, S. 32)

Die Art der Rückkopplungsprozesse entscheidet darüber, ob das System im Gleichgewicht bleibt. Es gibt Verhaltensmechanismen, die wir benützen, um dem System unserer Beziehungen, gerade im Fall von Konflikten, Stabilität zu verleihen: „Aussprachen“, und „Kompromisse“ sichern den Frieden. Es gibt aber auch Ereignisse, die die Gleichgewichtslage eines Systems beträchtlich stören können - Wutausbrüche, kompromittierende Geständnisse, erniedrigende Demütigungen, Trennung - so daß die eskalierende Situation gegebenenfalls zum Bruch der Beziehung führt.

Nach Watzlawick et al. muß man im Fall der Konfliktbeseitigung von negativer Rückkopplung sprechen, weil die Meinungsdiskrepanz (Istwert-/Sollwertdiskrepanz) verringert wurde. Im zweiten Fall (Bruch der Beziehung) ist, systemtheoretisch gesprochen, eine positive Rückkopplung gegeben, weil die bestehende Soll-/Ist-Diskrepanz durch ein zusätzliches Moment (Trennung) verstärkt wurde.

Merke: In der Alltagssprache wird der Begriff positives Feedback genau entgegengesetzt zu der am Regelkreis-System orientierten Sprache Watzlawicks verstanden. Eine „positive Rückmeldung“ wird im Alltagsverständnis als Bestätigung, Lob usw. betrachtet, die das eigene Verhalten positiv (angenehm, „appetentiv“) beeinflußt und einen Beitrag zur Stabilisierung der Beziehung leistet.

Ein Streit in fortgeschrittenem Zustand kann auf zweierlei Weise sein Ende finden:



  1. durch eine Beschwichtigung (die als systemstabilisierende Rückkopplung wirkt),

  2. durch eine weitere Verschärfung der Auseinandersetzung bis zu offener Aggression und körperlicher Attacke (die den Zusammenbruch des Systems wirkt).

Watzlawicks systemisch-disziplinübergreifender Forschungsansatz ist nach seinen eigenen Aussagen stark durch die Gründungsväter der Systemtheorie, Wiener und Bertalanffy, beeinflußt. Allerdings kann man sich darüber streiten - Kritiker Watzlawicks tun dies -, ob der Rückgriff auf technische Systeme, den Watzlawick geradezu als Entdeckung feiert, nicht eher den Weg zu einem differenzierten Verständnis von Kommunikation versperrt. Und vielleicht ist dies auch der Grund, warum in Watzlawicks eigener Theorie, zwar viel von „Information und Rückkopplung“, „Redundanz“ und ähnlichen (aus der nachrichtentechnischen bzw. kybernetischen Kommunikationstheorie entlehnten) Begriffe die Rede ist, aber deren Darstellung kaum Konsequenzen für seine zentralen Theoreme, die pragmatischen Axiome, erkennen läßt.

Wenn man Elemente der Kybernetik für die Alltagskommunikation geltend machen will, geht dies nur, indem eine unscharfe Begrifflichkeit und Analogiebildungen benützt werden. Watzlawick verfährt im Grunde nach diesem Muster, weshalb seine Ausführungen manchmal etwas verwirren bzw. den Eindruck des Trivialen erwecken.



Zwischenmenschliche Systeme als Rückkopplungskreise anzusehen ist im Grunde nur möglich, wenn das technische Regelkreissystem nicht zum Modell erhoben, sondern nur in übertragenem Sinne ver­standen wird: Der technische Regelkreis besitzt bekanntlich eine feste Führungsgröße, die die Soll­einstellung als Meßwert im Sinne einer Tatsache bestimmt. Wenn Watzlawick gesellschaftliche Nor­men und Verhaltensstandards als solche Führungsgröße ansieht, dann wird er dem Faktum nicht ge­recht, daß im Alltagsverhalten solche Normen ständig überspielt, neu geschaffen, verändert werden. Die Rollengestaltung bietet hierfür einen solchen Spielraum, daß der Vergleich mit jener starren (objektiven) Führungsgröße des Regelkreises inadäquat ist.

Darüber hinaus: In der Kommunikationsvorstellung Watzlawicks gibt es weder objektive Tatsachen, noch überhaupt feste Bezugsgrößen, sondern nur jene Vorstellungen, an denen sich die Kommunikanten im Sinne eines Wirklichkeitskonstruktes orientieren. Watzlawicks Systembegriff ist faktisch sehr viel stärker im Sinne einer lebensweltlich verstandenen Entsprechung zu begreifen, nicht aber als eine klar definierte Größe im mathematisch-naturwissenschaftlichen oder technischen Sinne. Zu ergänzen ist, daß heute neben dem von Watzlawick gebrauchten, kybernetisch geprägten Systembegriff auch andere Systembegriffe existieren. System ist also, begrifflich gesehen, nicht gleich System!

Daß die soziale Wirklichkeit nicht „an sich“, als objektive Tatsache, existiert, sondern im Kommunikationsprozeß von den beteiligten Aktoren erzeugt wird, ist eine Auffassung, die uns schon bei der Darstellung des ethnomethodologischen Forschungsansatzes begegnete. Diese Anschauung wird radikalisiert, wenn jede Wirklichkeit außerhalb der subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen geleugnet bzw. als unerkennbar aufgefaßt wird. Eine solche Auffassung vertritt der sog. Radikale Konstruktivismus. Diese Erkenntnistheorie ist skeptisch gegenüber einer vom Subjekt unabhängigen Objektwelt („Wirklichkeit“) und leugnet ihre Erkennbarkeit. Die scheinbar objektive Realität ist danach ausschließlich im jeweiligen Subjekt erzeugt. Daß sich verschiedene Subjekte „verstehen“ können, sei eine Annahme, der der unerschütterliche Glaube der Betroffenen zu Grunde liegt. Historische Vergangenheit sei „objektiv“ nicht rekonstruierbar.

Dagegen spricht: Die Gaskammern von Auschwitz sind vielleicht doch mehr als nur subjektive Konstruktion (vgl. Lyotard 1989, S. 64). Allein schon die Tatsache, daß die menschliche Erkenntnis in der Lage ist, Täuschung als Täuschung zu identifizieren, ist für den Radikalen Konstruktivisten nicht erklärbar; Nüse et al. (1991) zeigen, daß die Konstruktion des Radikalen Konstruktivismus einem bestimmten Typus von Paradoxien gleichkommt - jenen Sätzen, die über sich selbst Aussagen machen. Denn wenn man als Individuum - wie der Radikale Konstruktivismus behauptet - keinen Zugang zur Wirklichkeit hat, sondern ausschließlich in der eigenen Wirklichkeitskonstruktion lebt, „dann kann man auch nicht feststellen, daß man diesen Zugang nicht hat / Wenn alles nur Konstruktion ist, dann gibt es keine Grundlage, dies zu behaupten / Wenn der Radikale Konstruktivismus wahr wäre, dann wäre er widersprüchlich und also falsch“ (Nüse et al. 1991, S. 326).

Viele Veröffentlichungen Watzlawicks ab den siebziger Jahren weisen bereits im Titel bzw. Untertitel auf die Nähe des Autors zum Radikalen Konstruktivismus hin: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“, „Die erfundene Wirklichkeit“, „Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben?“

Merke:

Radikaler Konstruktivismus = erkenntnistheoretische Auffassung, die die Möglichkeit der Erkenntnis objektiver Wirklichkeit und Wahrheit leugnet - vielmehr davon ausgeht, daß „Wirklichkeit“ nicht an sich existiert, sondern nur von den einzelnen Menschen (= Gehirnen) als je subjektive „Konstruktion“ der sozialen Welt produziert wird. Alle Aussagen über die Wirklichkeit sind nur als Hypothesen aufzufassen.

4.2.2 Kommunikation von Schizophrenen als Ausgangspunkt


Die praktischen Erfahrungen, die Watzla­wick zur Formulierung seiner Kommunikationstheorie veranlaßten, gewann er bei der Erforschung der Kommunikation schizophrener Patienten, die zumeist als Mitglieder von normalen oder psychotisch gestörten Familien unter klinischer Beobachtung standen bzw. in therapeutischer Behandlung waren.

Die Schizophrenie gehört zu den endogenen Psychosen, den klassischen Geisteskrankhei­ten. Bei Schizophrenen tritt eine abnorme seelische Veränderung im Sinne der Persönlich­keitsspaltung auf, die sie selbst als Veränderung ihrer Umwelt wahrnehmen. Die Ge­danken verlieren ihren logischen Zusammenhang, es kommt zu unsinnigen sprachli­chen Neubildungen. Wahrnehmungs- und Erlebnisstörungen treten auf, Gedanken werden als außerhalb der eigenen Kontrolle stehend, erlebt. Schizophrene Patienten hören z.B. Stimmen, die auf sie einreden, oder sie werden von wahnhaften Vorstellun­gen verfolgt. Die Ursachen der Schizophrenie sind unbekannt, wenn auch im Zusam­menspiel von erblicher Disposition mit psychisch belastenden Umwelteinflüssen letztere zu Aus­lösern der Schizophrenie werden können. Umwelteinflüsse als Ursache für Schizophrenie anzusehen, wie es die Erkenntnisse der Palo-Alto-Gruppe nahelegten, ist heue nach wie vor unter Medizinern sehr umstritten (vgl. Hahlweg/Dose 1998, S. 25 f.).

Watzlawick und seine Forschungsgruppe vertraten demgegenüber die These, daß die Genese der Schizophrenie in starkem Maße mit pathologischen Kommunikati­onsstrukturen zusammenhängt. Sie kamen zu dem Schluß, daß die Schizophrenie durch pathologische Kommunikationsstrukuren innerhalb der Familie regelrecht produziert werde. Nach Watzlawick ist die Schizophrenie als eine grundlegende Kommunikationsstörung zu begreifen. Dahinter steht unausgesprochen die kühne These, daß eine Therapie, die diese Störungen zu beseitigen versucht, zur Therapie der Schizophrenie führt. Diese These ist innerhalb der Psychiatrie außerhalb der Palo-Alto-Gruppe ernsthaft nicht in Erwägung gezogen bzw. weiter­verfolgt worden.

Nach Watzlawick zeigen schizophrene Personen die folgenden Besonderheiten in ihrer Kommunikation:



  1. Sie erzeugen ständig paradoxe Kommunikationsstrukturen (als deren klassische Form die „double-bind-Struktur“ anzusehen ist), indem getroffene Aussagen gleichzeitig entwertet bzw. negativ qualifiziert werden.

  2. Sie sind nicht in der Lage, der dadurch geschaffenen Ausweglosigkeit durch Metakommunikation zu entgehen.

Abgesehen von Personen, zwischen denen pathologische Beziehungsstrukturen vorherrschen, sind Menschen normalerweise jederzeit in der Lage, sich möglicher Störungen im Kommunikationsprozeß zu ver­gewissern und Rückfragen bzw. eine sich vergegenwärtigende „Kommunikation über Kommunikation“, d.h. Metakommunikation, zu leisten, um Unklarheiten zu beseitigen. Watzlawick interpretierte das Fehlen von Metakommunikation bei Schizophrenen als Verharren in einer ausweglosen psychischen Si­tuation, die notwendig Phänomene der Persönlichkeitsdesorganisation zur Folge hat.

Entscheidend ist nun der Schritt der Übertragung der bei Schizophrenen gewonnenen Kommunikation auf die normale Alltagskommunikation. Wie auch die Psychoanalyse - der Watzlawick ansonsten kritisch gegenübersteht -, macht er bezeichnenderweise keinen Unterschied zwischen psychisch krank und gesund. Dies bleibt letztlich eine Angelegenheit der Selbstdefinition Betroffener. Damit gibt es für Watzlawick auch kein grundsätzliches Problem, Erkenntnisse der Schizophrenieforschung auf die Alltagskommunikation zu übertragen - im Gegenteil: die kommunikativen Beziehungskrisen des Alltags können durch die Schizophrenieforschung erst richtig verstanden werden, lautet die „Botschaft“, die hinter Watzlawicks Theorie steht.

Allgemein gesprochen: Watzlawick entwickelt seine Theorie prinzipiell von den pathologischen Störungen her, die Kommunikation beein­trächtigen und von daher zu Mißverständnissen, zu Entfremdung und schließlich zum vollständigen Nichtverstehen der Kommunikationspartner führen können. Natürlich versucht er dabei, Möglichkeiten aufzuzeigen, die solche Störungen vermei­den können. Er macht aber gleichzeitig deutlich, daß es gleichsam ausweglose Situationen gibt, die die Kommunikationspartner bei allem Bemühen um das "Verstehen" der Situation selbst kaum lösen können. Die Geschichten, die Watzlawick in diesem Zusammenhang wiedergibt, sind nicht ohne Reiz; im folgenden zwei berühmte Beispiele, die Watzlawick von den sechziger bis in die neunziger Jahre (vgl. Watzlawick 1994, S. 24 f.) mit leichten Variationen seinen Lesern (bzw. Hörern seiner Vorträge) immer wieder mitgeteilt hat:

Unter den während des Krieges in England stationierten amerikanischen Soldaten war die Ansicht weit verbreitet, die englischen Mädchen seien sexuell überaus leicht zugänglich. Merkwürdigerweise behaupteten die Mädchen ihrerseits, die amerikanischen Soldaten seien übertrieben stürmisch. Eine Untersuchung, an der u.a. Margaret Mead teilnahm, fürhte zu einer interessanten Lösung dieses Widerspruchs. Es stellte sich heraus, daß das Paarungsverhalten (coartship pattern) - vom Kennenlernen der Partner bis zum Geschlechtsverkehr - in England wie in Amerika ungefähr dreißig verschiedene Verhaltensformen durchläuft, daß aber die Reihenfolge dieser Verhaltensformen in den beiden Kulturbereichen verschieden ist. Während z.B. das Küssen in Amerika relativ früh kommt, etwa auf Stufe 5, tritt es im typischen Paarungsverhalten der Engländer relativ spät auf, etwa auf Stufe 25. Praktisch bedeutet dies, daß eine Engländerin, die von ihrem Soldaten geküßt wurde, sich nicht nur um einen Großteil des für sie intuitiv „richtigen“ Paarungsverhaltens (Stufe 5-24) betrogen fühlte, sondern zu entscheiden hatte, ob sie die Beziehung an diesem Punkt abbrechen oder sich dem Partner sexuell hingeben sollte. Entschied sie sich für die letztere Alternative, so fand sich der Amerikaner einem Verhalten gegenüber, das für ihn durchaus nicht in dieses Frühstadium der Beziehung paßte und nur als schamlos zu bezeichnen war. Die Lösung eines solchen Beziehungskonflikts durch die beiden Partner ist natürlich deswegen praktisch unmöglich, weil derartige kulturbedingte Verhaltensformen und -abläufe meist völlig außerbewußt sind. Ins Bewußtsein dringt nur das undeutliche Gefühl: der andere benimmt sich falsch (Watzlawick et al. 1990, S. 20).

In jeder Kultur gibt es eine Regel über den „richtigen“ Abstand, den man einem Fremden gegenüber en face einzunehmen hat. In Westeuropa und in Nordamerika ist dieser Abstand die sprichwörtliche Armeslänge. Im Mittelmeerraum und in Lateinamerika ist dieser Abstand wesentlich anders: zwei aufeinander zugehende Personen bleiben auf viel kürzerer Distanz voneinander stehen. Wie Hunderte anderer, ähnlicher Regeln für „richtiges“ Verhalten in einem bestimmten Wirklichkeitsrahmen sind auch diese Abstände rein außerbewußt, und solange sie von allen Kommunikationsteilnehmern befolgt werden, kann zwischen diesen kein Konflikt entstehen. Wenn sich nun aber ein Nordamerikaner und ein Südamerikaner in dieser Situation befinden, wird sich unweigerlich ein typischer Verhaltensablauf ergeben: Der Südamerikaner wird den für ihn als richtig empfundenen Abstand einnehmen, der Nordamerikaner dagegen wird die Situation undeutlich als unangenehm empfinden und durch Zurücktreten die für ihn „richtige“ Distanz herstellen. Nun ist die Reihe am Südamerikaner, das vage Gefühl zu haben, daß etwas nicht stimmt, und er wird aufrücken usw. - bis der Nordamerikaner schließlich mit dem Rücken gegen eine Wand stoßen (und eventuell in eine homosexuelle Panik geraten) wird. Auf jeden Fall werden beide das undeutliche Gefühl haben, daß sich der andere falsch benimmt, und beide werden versuchen, die Situation zu korrigieren. Damit aber erzeugen sie einen typisch menschlichen Konflikt, der darin besteht, daß das Korrrekturverhalten des einen Partners vom anderen als das Verhalten gesehen wird, das der Korrektur bedarf. (Watzlawick 1977, S. 17 f.)

4.2.3 Paradoxien der Kommunikation


Watzlawick übernimmt die Morrissche Einteilung der Semiotik in Syntaktik, Semantik und Pragmatik. Seinen eigenen For­schungsarbeit ordnet er strikt der Pragmatik zu, also jenem Teilbereich der Semiotik, der das Verhältnis zwischen den sprachlichen Zeichen (der gesprochenen Sprache) und den Kommunikanten (die sich der Sprache bedienen) untersucht. Tatsächlich berührt er aber in seinen Beispielen von paradoxer Kommunikation immer wieder zentrale Aspekte der Semantik. Er hält also im Grunde die selbstgewählte Beschränkung auf die Pragmatik nicht durch.

Logische und semantische Paradoxien: Durch Erfahrungen mit Paradoxien im Sprachverhalten schizophrener Patienten sensibili­siert, geht Watzlawick jenen Paradoxien nach, die Philosophen und Logiker seit jeher beschäftigen. Epimenides, einer antiken Gestalt im 7. Jahrhundert v. Chr., wird der folgende Satz zugeschrieben: „Alle Kreter sind Lügner!“

Zur logischen Paradoxie wird der Satz, weil Epimenides selbst Kreter war. Denn falls die Aussage wahr ist, d.h. empirisch zutrifft und alle Kreter gleichsam „von Natur aus“ lügen, so sagt doch in diesem Falle einer, derjenige, der diesen Satz ausspricht, die Wahrheit. Man spricht in diesem Falle auch von einer Antinomie, einem unvereinbartem Widerspruch, dessen allgemeine Form lautet: Die Aussage „Es gilt A“ und ihr Gegenteil, die Aussage „Es gilt non-A“, können nicht gleichzeitig wahr sein.“

Der Philosoph Bertrand Russell formulierte 1902 das folgende Paradox, das Bateson und Watzlawicks nach eigenem Bekunden für ihre kommunikationstheoretischen Überlegungen als besonders wichtig ansahen: die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten. Umgeformt zu einer Geschichte, läßt sich diese Antinomie auch ausdrücken als der Barbier eines Dorfes, der alle Dorfbewohner rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Ob es eine solche Menge bzw. einen solchen Barbier gibt, ist im ersten Moment fraglich; im zweiten Moment dürfte jedoch klar sein, daß beide nicht existieren können: Durch bestimmte Zusatzregeln (z.B. die Regel: „Eine Aussage bzw. ein Begriff darf sich nicht auf sich selbst beziehen“) und durch Unterscheidung verschiedener Aussageebenen lassen sich logische bzw. semantische Paradoxe der gezeigten Art auflösen.

Es sei in diesem Zusammenhang angemerkt, daß das Lügner-Paradoxon auch im Alten Testament auftaucht: Ich aber sprach in meinem Zagen: Alle Menschen sind Lügner (Psalm 116, Vers 11). Die Lösung dieses logischen Problems, die eigentlich erst die Philosophen des 20. Jahrhunderts fanden, wird in der Bibel von Anfang an mitgeliefert. Die Aussage „Alle Menschen sind Lügner“ kann in ihrem Kontext nur verstanden werden, wenn man sie nicht aus menschlicher Sicht, sondern, gleichsam eine Stufe höher, im Horizont der Wahrheit Gottes interpretiert. Von dieser höheren Warte aus ist sie eine Objektaussage und keineswegs paradox! Dementsprechend sagt Paulus im Neuen Testament: „Gott ist wahrhaftig und alle Menschen sind Lügner!“ (Römer 3, Vers 4)

Von den logischen Paradoxien zu unterscheiden sind die semantischen Paradoxien6. Ein bekanntes Beispiel ist René Magrittes Zeichnung einer Pfeife aus dem Jahr 1926, die er mit dem handschriftlichen Hinweis versah: Ceci n’est pas une pipe. „Dies ist keine Pfeife“ (vgl. Foucault 1974). Neben paradoxen Definitionen sind aber auch alle jene Witze und Sprachspielereien zu nennen, die mit mehrdeutigen Termini arbeiten und gleichzeitig semantisch in Widerspruch zueinander gebracht werden. Zum Beispiel:


  • „Wenn einer hart an der Weiche leise Laute spielt“,

  • „wenn der Club der Nachtwächter des Nachts tagt“,

  • oder wenn die Diagnose einer Schwangeren lautet: „Leicht gravide!“

Pragmatische Paradoxien. Es handelt sich dabei um paradoxe Handlungsaufforderungen. A kann zum Beispiel B einschärfen, allen im Raum wahrgenommenen Aufforderungen genau zu folgen und läßt anschließend B’s Blick auf eine Tafel fallen mit der Aufschrift: „Bitte nicht lesen!“

Pragmatische Paradoxien mit Appellcharakter bestimmen die Alltagsbeziehungen in vielfältiger Weise. Watzlawick zeigt, welchen Konfliktstoff sie bergen können: „Du sollst mich lieben!“ verlangt die Frau in dem Augenblick, in dem sie das Gefühl hat, an der Zuneigung Ihres Partners zweifeln zu müssen. Das „Du sollst!“ ist mit der aus eigener Sympathie strömenden Liebe unvereinbar. Das paradoxe Grundmoment unserer Erwartung besteht darin, genau das vom anderen (Kind oder Partner) zu wollen, was er selber „wollen soll“. Diese Paradoxie zwischen „Wollen“ und „Sollen“ wird „Sei-spontan-Paradoxie“ genannt. Spontaneität zu fordern ist ein Widerspruch in sich, wenn Spontaneität definiert wird als Fähigkeit, selbstbestimmt aus unmittelbarem, freien Antrieb zu handeln.



Von Bateson stammend, hat die „Sei-spontan-Paradoxie“ in Watzlawicks Kommunikationstheorie einen festen Platz. Watzlawick weist darauf hin, daß diese Paradoxie das Dilemma aller Erziehungskonflikte auf den Punkt bringe: Eltern und Pädagogen verfolgen in der Erziehung bestimmte Absichten, das Kind aber soll diese fremdgesetzten Absichten als seine eigenen selbstbestimmten Absichten realisieren. Auf die Lösung dieser Paradoxie im Erziehungsalltag geht Watzlawick nicht ein. Sie liegt in der Ausbildung von Balancen, die Raum geben sowohl für elterliche Forderungen als auch für Eigenbedürfnisse des Kindes. Daß auf der Basis des Grundkonfliktes dennoch pathologische Erziehungs- bzw. Kommunikationsformen entstehen können, ist ebenso geläufig, wie die Tatsache, daß die Kommunikation von Eltern gegenüber Kindern nicht selten die Form eines double bind, einer Beziehungsfalle, annimmt.

4.2.4 Die Beziehungsfalle - eine pathologische Kommunikationsform


Die für kommunikatives Handeln bedeutsamste Form der pragmatischen Paradoxie ist im double bind gegeben. Der Begriff stammt, wie erwähnt, von Gregory Bateson; double bind heißt übersetzt „Doppelbindung“, wird seinem Sinn nach im Deutschen besser getroffen mit dem Begriff „Beziehungsfalle“. Der Empfänger wird durch die erhaltene Botschaft, die entgegengesetzte Handlungsaufforderungen enthält, in ein Abhängigkeitsverhältnis verstrickt, aus dem er sich nicht mehr befreien kann: Wie immer er reagiert, was immer er sagt, „ja“ oder „nein“ - in beiden Fällen gereicht es ihm zum Nachteil. Die Beziehungsfalle ist also eine kommunikativ und beziehungsmäßig ausweglose Situation, die im gelindesten Fall dem „Opfer“ den (ungerechtfertigten) Vorwurf einbringt, selbst „schuld“ zu sein an dieser Konstellation, im schlimmsten Fall mit einer verletzenden Demütigung endet. Die Beziehungsfalle enthält folgende Strukturelemente (Bateson u.a. 1981, S. 16 f.):

  1. Zwei oder mehr Personen, von denen eine das Opfer ist.

  2. Wiederholte Erfahrung der Beziehungsfalle, die beim Opfer zu einer habituellen Erwartung der Ausweglosigkeit führt;

  3. Ein primäres negatives Gebot (z.B. „Tust du das, bestrafe ich dich!“ oder „Wenn du das nicht tust, bestrafe ich dich!“);

  4. Ein sekundäres Gebot, das mit dem primären Gebot in Widerspruch steht, aber genauso mit Strafen oder bedrohenden Signalen durchsetzt ist.

Die Autoren erwähnen zwei weitere Punkte, die aber in unserem Zusammenhang nicht zentral sind. Beziehungsfallen kommen im alltäglichen Umgang von Erwachsenen mit Kindern, der gemeinhin als „Erziehung“ bezeichnet wird, vor, wenn keine Atmosphäre des Vertrauens vorherrscht. Wird die Aufforderung des Vaters „Komm mal her zu mir!“ nicht mit liebevoller Wärme, sondern schneidender Kälte ausgesprochen, impliziert dies die „Botschaft: „Wenn du kommst, kannst du was erleben, dann setzt es aber was!“ Damit schnappt die Beziehungsfalle zu: Wenn das Kind der Aufforderung Folge leistet, muß es mit Strafe rechnen für irgendein vorangegangenes Verhalten. Wenn es der Aufforderung nicht nachkommt, muß es mit Strafe rechnen, weil es nicht folgsam war.

Die Häufung von Beziehungsfallen zwischen Kommunikanten läßt die Kommunikation pathologisch werden. Sie ist Ausdruck einer schweren Beziehungsstörung, die kaum ohne Hilfe von dritter Seite (durch einen Therapeuten) beseitigt werden kann. Im folgenden ein literarisches Beispiel für ein Gespräch, das den Charakter einer Beziehungsfalle hat.



Garderobe

Sie sitzt vor ihrer Frisiertoilette und dreht sich die Lockenwickler aus dem Haar. Er steht nebenan im Bad und bindet sich seine Smokingschleife.

SIE Wie findest Du mein Kleid?

ER Welches...

SIE ...das ich anhabe...

ER Besonders hübsch...

SIE ...oder findest du das Grüne schöner...

ER Das Grüne?

SIE Das Halblange mit dem spitzen Ausschnitt...

ER Nein...

SIE Was...nein?

ER Ich finde es nicht schöner als das, was du anhast...

SIE Du hast gesagt, es stünde mir so gut

ER Ja, das steht dir gut...

SIE Warum findest du es dann nicht schöner?

ER Ich finde das, was du anhast, sehr schön, und das andere steht dir auch gut ...

SIE Ach! Dies hier steht mir also nicht so gut!?

ER Doch...auch...

SIE Dann ziehe ich das lange Blaue mit den Schößchen noch mal über...

ER Ah-ja...

SIE ...oder gefällt dir das nicht?

ER Doch...

SIE Ich denke, es ist dein Lieblingskleid...

ER Jaja!

SIE Dann gefällt es dir doch besser als das, was ich anhabe und das halblange Grüne

mit dem spitzen Ausschnitt...

ER Ich finde, du siehst toll aus in dem, was du anhast!

SIE Komplimente helfen mir im Moment überhaupt nicht!

ER Gut...dann zieh das lange Blaue mit den Schößchen an...

SIE Du findest also gar nicht so toll, was ich anhabe...

ER Doch, aber es gefällt dir ja scheinbar nicht...

SIE Es gefällt mir nicht? Es ist das Schönste, was ich habe!!

ER Dann behalte es doch an!

SIE Eben hast du gesagt, ich soll das lange Blaue mit den Schößchen anziehen...

ER Du kannst das lange Blaue mit den Schößchen anziehen oder das Grüne mit dem

spitzen Ausschnitt oder das, was du anhast...

SIE Aaha! Es ist dir also völlig wurst, was ich anhabe!

ER Dann nimm das Grüne, das wunderhübsche Grüne mit dem spitzen Ausschnitt...

SIE Erst soll ich das hier anbehalten...dann soll ich das Blaue anziehen...und jetzt auf

einmal das Grüne?!

ER Liebling, du kannst doch...

SIE (unterbricht)...Ich kann mit dir über Atommüll reden, über Ölkrise, Wahlkampf und

Umweltverschmutzung, aber über...nichts...Wichtiges!!



Aus: Loriot, Menschen, Tiere, Katastrophen. Stuttgart (Reclam) 1992

Was immer der Mann tut, er kann seine Frau nicht zufriedenstellen. Dabei wird das Verhalten der Frau während der gesamten Szene von einem unterschwellig wirksamen Motiv bestimmt, das zum Schluß auch ausgesprochen wird. Er interessiert sich, so unterstellt die Frau, generell zu wenig für das, was für sie wichtig ist, und woran sie den Grad der ehelichen Gemeinsamkeit mißt, so daß seine Antworten für sie keineswegs den Zug von Versöhnlichkeit, Liberalität und persönlicher Wertschätzung tragen, vielmehr seine Zustimmung zu allem und jedem, was sie anzieht, als Ausdruck grundsätzlichen Desinteresses an ihrer Person interpretiert wird. Dies sei gesagt, um einer „sexistischen“ Deutung den Boden zu entziehen, hier soll ein bestimmter Charakterzug des weiblichen Geschlechts ironisch oder gar zynisch „vorgeführt“ werden.


4.2.5 Die Drohung und die sich selbst erfüllende Prophezeiung


Wenn es - nach Watzlawick - richtig ist, daß Kommunikanten ihre soziale Wirklichkeit selbst konstruieren, dann gibt es in der Alltagskommunikation einerseits Situationen, in denen die Intention von A in bezug auf ein bestimmtes Verhalten von B (und umgekehrt) in jedem Falle durchgesetzt werden soll. Andererseits ereignen sich Situationen, deren Faktizitität nur der eigenen Wirklichkeitskonstruktion zu verdanken ist; in diesem letztgenannten Fall spricht man auch von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Im folgenden wird die Darstellung Watzlawicks referiert (Watzlawick 1977, S. 111 ff.)

Der erstgenannte Fall, die unbedingte Durchsetzung einer Handlung, kann nur durch eine entsprechende Drohung gelingen. Watzlawick analysiert die Voraussetzungen, unter denen Drohungen wirksam werden und schildert amüsante Beispiele, wie diese Voraussetzungen auch hinfällig werden bzw. außer Kraft gesetzt werden können.

Damit eine Drohung erfolgreich ist, muß sie folgende der drei Voraussetzungen erfüllen:


  • Sie muß glaubhaft, das heißt hinlänglich überzeugend sein, um ernstgenommen zu werden.

  • Sie muß ihr Ziel, also den Bedrohten erreichen.

  • Der Bedrohte muß imstande sein, der Drohung nachzukommen.

Wenn auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben ist oder unmöglich gemacht werden kann, dann ist die Drohung wirkungslos.

Die Glaubhaftigkeit einer Drohung: Wenn mir jemand damit droht, mich anzuzeigen, weil ich ihm versehentlich auf den Fuß getreten bin, werde ich mich dafür entschuldigen, aber die Drohung nicht ernst nehmen. Wenn jemand droht, sich zu erschießen, wenn ich ihm mein Stück Kuchen nicht gebe und er bekannt ist für abnormales Verhalten, dann werde ich ihm wahrscheinlich meinen Kuchen überlassen. In beiden Fällen ist die Drohung eine Lappalie, jedoch im zweiten Falle erscheint sie mir glaubwürdig.

In der Regel muß man damit drohen, bestimmt und nicht vielleicht zu handeln, wenn der Forderung nicht stattgegeben wird. Vielleicht zu handeln bedeutet, daß man gegebenenfalls auch nicht handeln wird bzw. daß man sich nicht festgelegt hat.

Eine Drohung ist deshalb am wirkungsvollsten, wenn ihr Urheber eine Situation herbeiführen kann, in der es schließlich nicht mehr in seiner Macht liegt, die angedrohten Folgen aufzuhalten oder rückgängig zu machen - obwohl er sie ursprünglich selbst einleitete. So würde z.B. eine vor großer Öffentlichkeit ausgesprochene Drohung, eine bestimmten Maßnahme zu ergreifen, falls nicht eine bestimmte Forderung erfüllt wird, zu Gesichtsverlust für den Drohenden führen, wenn er im Falle der Nichteinlösung der Forderung die angedrohte Konsequenz nicht folgen läßt.

Andere Methoden, die Drohung glaubhaft zu machen, bestehen im Anfrufen von Mächten, über die man selbst keinen Einfluß hat (bei Kindern: Polizisten!). Auch die eigene Schwäche wird oft als Drohung ausgespielt, insbesondere bei Partnerbeziehungen. Erpressung durch Hilflosigkeit ist Bestandteil von Selbstmorddrohungen, denn niemand will die Schuld für eine menschliche Katastrophe auf sich nehmen, die angedroht wird, wenn man das Leiden des Betreffenden ignoriert. Der Drohende selbst will sein Verhalten wiederum nicht als Drohung eingeschätzt wissen. Durch diese indirekte Art der Drohung kann in beträchlichem Umfang Macht über andere ausgeübt werden.

Die häufigste ablehnende Reaktion auf eine Drohung ist die Gegendrohung. Sie muß besonders glaubwürdig und schwerwiegend sein, denn der Erfolg der Gegendrohung hängt davon ab, ob sich der Drohende von ihr überzeugen und einschüchtern läßt.

Das Scheitern der Drohung: Eine Drohung muß scheitern, wenn sie ihr Ziel nicht erreicht, wenn sie vom Bedrohten nicht als Drohung verstanden wird oder wenn der Bedrohte aus einsichtigen Gründen der Drohung nicht nachkommen kann.

Eine wirkungsvolle Maßnahme gegen eine Drohung besteht darin, ihren Erhalt unmöglich zu machen, bzw. glaubhaft zu versichern, daß man keine Drohung erhalten habe. Hier nützt der Eindruck von Zerstreutheit, Taubheit, Betrunkenheit, die Behauptung Ausländer zu sein oder die Sprache nicht zu verstehen. Man muß dem anderen überzeugen und plausibel machen können, daß man nicht in der Lage ist, die als Drohung gesendete Botschaft zu begreifen.



Einem geistesgegenwärtigen Bankbeamten könnte es auf diese Weise gelingen, einen Raubüberfall zu vereiteln, bei dem der Räuber schweigend vor ihm steht und auf einem Zettel die Aufforderung steht, einen Briefumschlag mit 10 Tausendmarkscheinen zu füllen. Daß der Räuber bewaffnet ist, sieht man durch seine vergrabene Hand in der Manteltasche, die sich etwas ausweitet. Hier kann alles erfolgreich sein, was die Situation umdeutet, und worauf der Räuber nicht vorbereitet ist. Der Räuber hat alles versucht bei der Vorbereitung des Überfalls zu berücksichtigen, was in der Realität der Situation „Überfall“ passiert. Jetzt hat er es plötzlich mit einer anderen Wirklichkeit zu tun, wenn sein Ausruf: „Überfall! Geld her!“ von dem keineswegs beeindrucken Kassierer am Bankschalter mit einer der folgen Reaktionen beantwortet wird:

  • "Tut mir leid, ich habe jetzt Mittagspause, gehen Sie bitte an den nächsten Schalter!"

  • "Ich bin noch Lehrling und darf Ihnen einen so großen Betrag nicht geben, Augenblick, ich hole den Kollegen!"

  • "Leider habe ich keinen so großen Umschlag hier, ich stelle ihnen aber gern einen Scheck aus!"

Der Erfolg einer Drohung beruht fast ausschließlich auf der korrekten Einschätzung der Wirklichkeitsauffassung des anderen; ich muß Sorge tragen, daß seine Überlegung, was ich tun werde, wenn er nicht meiner Aufforderung folgt, nur das Befolgen meiner Weisung als „vernünftig“ in dieser Situation erkennt. Drohungen setzen immer Interdependenz voraus. Ein Versprechen ist demgegenüber das kommmunikationstheoretische Spiegelbild der Drohung. Es hat positive Konsequenzen für ein erwünschtes Handeln oder Verhalten.

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung: Die „self-fulfilling prophecy“ ist in der Sozialpsychologie ein hinlänglich bekanntes Phänomen. Zuschreibungen, die mit der Erwartung eines Ereignisses oder Zustandes verknüpft sind, werden nur dadurch Fakten, daß sie als Realitäten geglaubt werden und das Verhalten auf das Eintreten des erwarteten Ereignisses gleichsam programmieren. Aus verschiedenen Kulturen von Naturvölkern, z.B. der Voodoo-Kultur, ist bekannt, daß die von einem Medizinmann ausgesprochene Verwünschung mit Sicherheit den Tod des Betroffenen herbeiführt, weil dieser im festen Glauben an das ausgesprochene Todesurteil seinen Lebenswillen aufgibt. Umgekehrt wirken Entspannungstechniken wie „Autogenes Training“ nach dem Prinzip, daß die suggestiv sich selbst gegebenen Befehle („mein Arm wird bleischwer“ usw.) faktische Wirkung im Sinne der Selbststeuerung zeigen. Therapeutische Leitbilder, positive Lebensphilosophien und religiös motivierte Verheißungen, die der Handlungsmotivation des Menschen dergestalt eine Richtung geben, daß das Ziel als erreichbar bzw. als bereits erreicht gedanklich fest verankert wird, schaffen Fakten - wie der in der Milch zu ertrinken drohende Frosch, der durch sein Strampeln die Milch zu Butter wandelt, und so sein Leben rettet.

Watzlawick (1998) führt eine Reihe von Beispielen an, die verdeutlichen, wie die Meinung bzw. der „Glaube“, ein bestimmter Zustand existiere, Folgen hat, die diesen Zustand tatsächlich herbeiführen. Dies ist nichts völlig Unbekanntes: Ein Unternehmer, der in Verdacht gerät, in Konkurs gehen zu können, geht tatsächlich in Konkurs, weil die Kredite, die ihn vielleicht noch hätten retten können, von den Banken verweigert werden. Das Gerücht, Benzin drohe knapp zu werden, führt den Versorgungsengpaß erst recht herbei, da sich alle Autofahrer mit Benzinvorräten eindecken. Der Schüler, der Lehrerlob empfängt, ist eher in der Lage, gute Noten zu schreiben, als ein Schüler dessen Leistungen von den Lehrern negativ eingeschätzt werden. Wer „unglücklich“ sein will, kann diesen Zustand - so Watzlawick in seiner humorvoll-ironischen „Anleitung zum Unglücklichsein“ - ohne weiteres herbeiführen, wenn eine entsprechend negative Selbstzuschreibung, gekoppelt an ständige Mißerfolgserwartung, vorgenommen wird . Berühmt ist Watzlawicks Geschichte mit dem Hammer:

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. - Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ (Watzlawick 1984, S. 37 f.)

Um aus dieser Geschichte eine sich selbst erfüllende Prophezeihung zu machen, fehlt am Ende nur noch ein Satz, den ich hinzufüge: Seit diesem Tag hat der Nachbar tatsächlich etwas gegen den Mann, der sich einen Hammer ausborgen wollte!


4.2.6 Die fünf pragmatischen Axiome der Kommunikation


Die pragmatischen Axiome bilden den eigentlichen Kern der Watzlawickschen Kommunikations­theorie und werden im folgenden kurz erläutert, um anschließend im Kontext der originalen Ausfüh­rungen Watzlawicks detailliert dargestellt zu werden,.

1. Man kann nicht nicht kommunizieren! Damit meint Watzlawick, daß beabsichtigte Nichtkommu­nikation (wechselseitige Wahrnehmung vorausgesetzt) dennoch Kommunikation bedeutet - und zwar deshalb, weil das (verbal angedeutete oder nonverbal analog zum Ausdruck gebrachte) Verhalten zweifellos auch eine Botschaft ist - zumeist eine durchaus bedeutsame!

Watzlawick hält das erste Axiom für das wichtigste, was sich aus der Herkunft dieser Erkenntnis erklärt: es ist aus der Erforschung der Kommunikation von Schizophrenen erwachsen, die Watzlawick als eine paradoxe Form der Kommunikationsverweigerung kennzeichnete. Dabei muß heute gerade dieses Axiom in seinem absoluten Geltungsanspruch als besonders problematisch angesehen werden, wie im Abschnitt 4.3 gezeigt wird. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß die deutsche Rezeption des „Mythos Watzlawick“ eng mit der Kolportage dieses Axioms verbunden ist: Mehrere Erziehungswisenschaftler stellten die These, man könne nicht nicht kommunizieren, Anfang der siebziger Jahre unter Berufung auf Watzlawick als richtungweisende Erkenntnis vor. Daß die deutlich gemachte Ablehnung von Kommunikation ein Signal - und damit Kommunikation - darstellt, ist eine Einsicht, die heute trivial erscheint und kaum mehr Erwähnung findet.



2. Unterscheide den Inhalts- und den Beziehungsaspekt der Kommunikation. Das, was inhaltlich gesagt wird, hängt in seiner Interpretation entscheidend davon ab, wie es gesagt wird; kommt A inhaltlich ein Lob über B von den Lippen, dann wird dieses Lob sofort entwertet, ja als gegenteilige Botschaft „gesendet“, wenn A dies mit einem ironischen, keineswegs warmherzigen Unterton sagt. Ich kann jede Aussage in ihr Gegenteil verkehren, indem ich sie z.B. ironisiere ("Du bist aber schön angezogen!"). Bestimmte Standardformeln der Alltagssprache greifen nur auf die ironisierten Bedeutungen zurück ("Die hat aber heute eine reizende Laune!").

Bestätigung, Verwerfung und Entwertung der Selbstdefinition: Watzlawick geht davon aus, daß mit der Information, deren Inhalt übermittelt wird, zwischen den Kommunikanten gleichzeitig eine Definition ihrer Beziehung ausgetauscht wird: In der Botschaft von A ist eine Selbstdefinition enthalten, die B durch seine Reaktion bestätigt. Im Alltag geschieht dies ständig und unbewußt. Die „Ich-Definition“ (das Bild, das ich von mir selbst habe), stimmt in der Regel mit der „Du-Definition“ überein (dem Bild, das andere von mir haben und mir deutlich machen): Der Regelfall des normalen Kommunizierens ist die wechselseitige Bestätigung der Selbstdefinition durch den Kommunikationspartner. Es gibt allerdings auch die Verwerfung, d.h. B erkennt die Selbstdefinition von A nicht an, findet As Verhalten z.B. enttäuschend, wenn A das eigene Verhalten richtig findet. Meistens ist die Verwerfung einer Haltung oder Einstellung durch andere ein schmerzhafter Prozeß, aber er bezieht sich im Normalfall nicht auf die ganze Person, sondern auf einen bestimmten Aspekt, er bedeutet einen Konflikt, der aber durch Anpassungsbereitschaft auf beiden Seiten gelöst werden kann.

Eine unlösbare Situation mit der Konsequenz pathologischen Verhaltens ergibt sich jedoch, wenn A’s Selbstdefinition entwertet wird. Mit Entwertung ist eine Verhaltensreaktion gemeint, die A weder Bestätigung noch Verwerfung der eigenen Sichtweise erkennen läßt, vielmehr für A undefinierbar, nicht erklärbar, ist und deshalb sein Wirklichkeitsverständnis in Konfusion bringt. Dies geschieht z.B. durch völlige Nichtbeachtung in einer Situation, in der A von anderen Personen wenigstens einen Blick erwarten könnte - als Zeichen, daß man wahrgenommen wird.

Der Tatbestand der Entwertung ist auch für den Inhaltsaspekt einer Mitteilung bedeutsam. Es gibt manchmal Sachverhalte, über die wir unseren Gesprächspartner bewußt im Unklaren lassen wollen, und es gibt Situationen, in denen es Sinn macht, beim Gesprächspartner sachliche Verwirrung zu stiften; Kommunikationstechniken sind sachliche „Ungereimtheiten, Widersprüche, Themawechsel, unvollständige Sätze, absichtliches Mißverstehen, unklare oder idiosynkratische Sprachformen, Konkretisierung von Metaphern oder metaphorische Auslegung konkret gemeinter Bemerkungen“ (Watzlawick et al. 1990, S. 74). Till Eulenspiegels Streiche bieten bekannte Beispiele hierfür. Aber auch eine unangenehme Handlungsaufforderung oder Drohung kann mit einer „Kannitverstan“-Technik neutralisiert werden.

In einem normalen, ungestörten Kommunikationsablauf bestätigen Inhalts- und Beziehungsaspekt immer wechselseitig die Botschaft, die mitgeteilt wird. Manchmal allerdings stimmen beide Aspekte nicht überein. Diskrepanzen zwischen Inhalts- und Beziehungsaspekt führen meist zu Kommunikationsstörungen, weil die Botschaft für den Empfänger widersprüchlich ist. Im schlimmsten Fall hat die Widersprüchlichkeit den Charakter einer Beziehungsfalle. In eine derartige Doppelbindung gerät, wer um der Beziehung willen inhaltlich Aussagen gegen die eigene Überzeugung formuliert, etwa um dem paradoxen Vorwurf zu entgehen: Wenn du mich tatsächlich lieb hast, würdest du jetzt nicht widersprechen (vgl. Watzlawick 1990, S.82). In nicht-pathologischen Komunikationsstrukturen ermöglicht Metakommunikation in der Regel die Lösung aus der Doppelbindung und die Behebung der Störung.



3. Die Interpunktion der Ereignisfolge definiert die Beziehung: Kommunikation kennt keinen Anfang und kein Ende, sondern verläuft kreisförmig, sagt Watzlawick. Zu jeder Situation gibt es eine vorhergehende und eine folgende Situation. Wir selbst gliedern entsprechend unserer Wirklichkeitskonstruktion diese Kette von Interaktionen in einzelne Abschnitte. In einer zwischenmenschlichen Beziehung gliedert das subjektive Bewußtsein die ablaufenden Interaktionen meist so, daß jeder das eigene Verhalten als Reaktion auf das Verhalten des anderen interpretiert, d.h. der Verlauf einer Folge von Ereignissen erfährtt keine identische, sondern oft eine gegensätzliche Interpunktion (Gliederung) durch die Beteiligten.

Unsere Reaktion auf andere Menschen ist in der Alltagskommunikation von einer generalisierten Verhaltenserwartung bestimmt, die erstens beinhaltet, wie "man" sich in dieser Situation verhält; die zweitens beinhaltet, wie die Person, mit der ich kommuniziere, sich verhält. Unsere Reaktion ist in der Alltagskommunikation ferner von dem sicheren Bewußtsein bestimmt, daß der andere eine Erwartung von meinem Verhalten hat und daß dies wechselseitig so sei (doppelte Spiegelung der Erwartungen).

Kommunikationsstörungen entstehen meist bei einer unterschiedlichen kausalen Interpretation vorangegangen Verhaltens des Kommunikationspartners. Da dies wechselseitig geschieht, wird das Verhalten der Kommunikanten immer gegensätzlicher. Watzlawicks Paradebeispiel lautet: Die Frau nörgelt, der Mann zieht sich zurück. Das veranlaßt die Frau, ihr Nörgeln zu verstärken, was wiederum den Mann veranlaßt, sich noch mehr zurückzuziehen. Die Frau interpretiert ihr Verhalten als Reaktion auf seine Distanzierung; der Mann interpretiert seinen Rückzug als Reaktion auf ihr Nörgeln.

In der Ehe kommt es gelegentlich zu Spannungen, weil die persönliche Zuwendung von den Ehepartnern unterschiedlich definiert wird: der Mann betont vielleicht stärker den sexuellen, die Frau den sozialen Aspekt ihrer Bindung. Die Frau verweigert sich dem Mann sexuell, weil sie nicht als Objekt fungieren will, sie würde diese Verweigerung nicht zeigen, wenn der Mann sich im alltäglichen Umgang miteinander nicht so mürrisch reagieren und sein Desinteresse an den Mitteilungen seiner Frau nicht so ostentativ zeigen würde; den Mann wiederum frustriert die Verweigerung seiner Frau. Seine potentiell vorhandene persönliche Zuwendungsbereitschaft, die durch körperliche Zärtlichkeit aktiviert wird, wandelt sich in soziale Distanz.

Bestenfalls gibt es an irgend einem Punkt dieser progressiven Entfremdung eine „Aussprache mit Blumenstrauß“ sowie sozialer und körperlicher Nähe, was nicht ausschließt, daß die Verhaltenssequenzen der Ehepartner später erneut in die beschriebene Richtung drängen. Allgemein ausgedrückt: In einer konflikthaften Beziehung weisen sich A und B im Zuge der zunehmend gestörter werdenden Kommunikation wechselseitig die Schuld für ihr Verhalten zu; im Sinne des Feedbackprinzips setzen sowohl A als auch B den Ausgangspunkt für ihr eigenes konfliktträchtiges Verhalten nicht beim eigenen vorangegangenen Verhalten an, sondern sehen das eigene Verhalten als Folge der Konfliktträchtigkeit des Gegenüber. Ich halte dieses Axiom Watzlawicks für das bedeutsamste, weil es einen grundlegenden Beitrag leistet zur Erklärung von zunehmender Entfremdung der Kommunikanten im Kommunikationsprozeß.

Im Alltag führt die Annahme über die Ursache eines bestimmten (problematischen) Verhaltens anderer Menschen oft zu ernsten Krisensituationen, ohne daß die Beteiligten ihr Problem allein lösen können. Als Beispiel für die unterschiedliche „Interpunktion von Ereignisfolgen“ diene die nachfolgende Interaktionssequenz zwischen PETER und PAUL. Es wird deutlich, wie die Differenzen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung auf Grund unterschiedlicher Ursachenzuschreibung im Interaktionsprozeß zu kommunikativer Entfremdung führen:



Beispiel für die unterschiedliche „Interpunktion von Ereignisfolgen



Peter

  1. Ich bin erregt.

  2. Paul verhält sich sehr ruhig und unbeteiligt.




  1. Wenn Paul sich um mich kümmern und mir helfen wollte, würde er beteiligter sein und das gefühlsmäßig zeigen.

  2. Paul weiß, daß mich das ärgert.

  3. Wenn Paul weiß, daß dieses Verhalten mich ärgert, dann muß er mich wohl absichtlich ärgern wollen.

  4. Wie grausam, sadistisch er doch sein muß! Vielleicht hat er seine Freude daran, usw..



PAUL

  1. Peter ist erregt.

  2. Ich werde versuchen, Peter zu helfen, indem ich ruhig bleibe und nur zuhöre.

  3. Er wird ja immer erregter. Ich muß noch ruhiger sein.




  1. Er beschuldigt mich, ihn zu ärgern.

  2. Ich versuche doch wirklich, ihm zu helfen.



6. Er muß wohl projizieren.



Nach R.D. Laing, zit. von Habermas 1995, S. 255

Watzlawicks Annahme, soziale Interaktion habe kein Anfang und kein Ende, weshalb das jeweilige Wirklichkeitskonstrukt des Kommunikanten eine subjektive Interpunktion (Gliederung) der Ereig­nisfolge vornimmt, ist einsichtig. Allerdings ist fraglich, ob es sich dabei wirklich immer um Kreis­prozesse handelt, wie Watzlawick annimmt. Denn damit wird das von Watzlawick selbst entworfene Bild eines dynamischen Vollzugs von Kommunikation durch eine statische Vorstellung des infiniten Regresses ersetzt. In kommunikativen Kreisprozessen finden keine - über Metakommunikation aus­gelöste- Veränderungen statt. Sie sind Abbild pathologischer Kommunikation (zahlreiche Beispiele finden sich bei Schulz v. Thun 1995, S. 28 ff.) . Daß Aussprache (Metakommunikation) und Konfliktregulierung tatsächlich einen neuen Anfang setzen können, ist bei Watzlawick offenbar nur eine theoretische Überlegung, praktisch aber gar nicht vorgesehen.

Auch der Witz greift auf die Tatsache zurück, daß wir Verhaltensäußerungen mit bestimmten Ereig­nisannahmen ursächlich verknüpfen, wobei unsere wechselseitigen Annahmen manchmal auch wech­selseitig falsch sein können.

Ein einsam lebender Farmer im Norden Amerikas hackt Holz vor seiner Hütte. Ein Indianer kommt heran geritten, bringt sein Pferd zum Stehen. Schweigen. Der Farmer hackt weiter. Nach einiger Zeit sagt der Indianer ausdruckslos: „Winter wird kalt!“ Wieder längeres Schweigen. Schließlich reitet er weiter. Der Farmer, der die Wetterfühligkeit der Eingesessenen zu schätzen weiß, überlegt: Wenn das so ist, muß ich stärker Vorsorge treffen. Nach einigen Tagen taucht der Indianer wieder auf. Wieder dieselbe stumme Begrüßung. Der Berg des gehackten Holzes ist bereits beträchtlich. Der Indianer sagt bedächtig: „Winter - wird sehr kalt!“ Und er entfernt sich schweigend. Dem Farmer läßt das keine Ruhe. Er ist jetzt den ganzen Tag über mit Holzhacken beschäftigt. Wieder kommt der Indianer: Ein riesiger Berg von gehacktem Holz begrüßt ihn. Der Indianer: „Ich ganz sicher - Winter diesmal sehr sehr kalt!“ Der Farmer fragt: „Woher weißt du?“ Der Indianer zeigt erstaunt auf den Brennholzberg: „Weil so viel Holz hacken!“

Anhand dieser fiktiven Geschichte wird klar, wie das zirkuläre Aufschaukeln von Gedanken, an die gleichzeitig eine falsche Interpretation der Realität gekoppelt sind, ohne metakommunikative Korrektur schließlich zur Realitätsblindheit führt.

4. Unterscheide: digitale und analoge Kommunikation: Die digitale Sprache betrifft die Sprache als System von Zeichen, die als diskrete Informationseinheiten („digits“) eine genaue Bezeichnung des Gemeinten ermöglichen, indem jedem Begriff ein wohl unterscheidbares Zeichen bzw. eine Zeichenfolge zugeordnet ist; nonverbale Kommunikation ist dagegen Ausdrucksverhalten, das - wesentlich ungenauer - in einer direkten („analogen“) Beziehung zum Bezeichneten steht; das ist zumeist ein unbewußt vorhandener oder bewußt zum Ausdruck gebrachter Gefühlszustand.

Beispiel: Das Lächeln ist sowohl Ausdruck als auch Kundgabe einer Vertrauen und Offenheit ausstrahlenden Kommunikationshaltung, es ist nicht austauschbar durch irgend ein anderes Ausdrucksmerkmal – im Gegensatz zur Definition eines Begriffs, die auf Grund von Vereinbarung verändert werden kann. Allerdings führt die Deutung von analoger Kommunikation auch zu Mißverständnissen, wenn z.B. das Lächeln starke ironische Anteile aufweist, oder aber der soziokulturelle Kontext der Deutung von Gesten nicht übereinstimmt: In Griechenland ist der körpersprachliche Ausdruck für die Verneinung nicht das Schütteln des Kopfes in horizontaler Richtung, sondern ein Anheben des Kopfes, so daß ein Nordeuropäer bei einem Erstbesuch Griechenlands diese Bewegung fälschlicherweise als bejahendes Kopfnicken deuten könnte.

Watzlawicks viertes Axiom hängt eng mit dem zweiten Axiom zusammen: Der Inhaltsaspekt der Kommunikation wird im digitalen, der Beziehungsaspekt im analogen Modus vermittelt. Man kann sich den Unterschied zwischen digitaler und analoger Kommunikation klarmachen am Beispiel einer Uhr mit unmerklich weiter wanderndem Zeiger (= analoge Anzeige nach dem Modell der Sonnenuhr) und einer elektronischen Digitaluhr, die einen jeweils im Minuten- und Stundentakt wechselnden Zahlenwert anzeigt.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß sprachliche Kommunikation einen denotativen und einen konnotativen Aspekt hat. Mit Denotation ist der begriffliche Inhalt des sprachlichen Zeichens bzw. der Aussage gemeint, d.h. die genaue lexikalische Bedeutung dieses Begriffs. Als Konnotationen werden die durch diesen Begriff ausgelösten Anmutungen und Assoziationen im Umfeld dieses Begriffs bezeichnet, z.B. ist mit dem Begriff „Brötchen“ verbindet sich die Konnotation von „Urlaub“ mit „Freizeit“, oder „Mallorca“, jedenfalls etwas Angenehmen; der Begriff „Prüfung“ wird atmosphärisch verbunden mit „Streß“, „Aufregung“, „Unsicherheit über das mögliche Ergebnis“ usw. Die Konnotationen eines Begriffs bilden seinen semantischen Kontext und sind entscheidend für die emotionalen Anmutungen, die mit diesem Begriff ausgelöst werden - ein wichtiger Aspekt für die Werbung, aber auch für die Wahl von Begriffen in einem Gespräch. Die Konnotationen eines Begriffs stehen mit dem Modus analoger Kommunikation in Beziehung.



5. Unterscheide symmetrische und komplementäre Kommunikation: Menschen können durch dieselbe soziale Position (= symmetrische Kommunikation) oder durch differente soziale Positionen miteinander in Beziehung stehen (= komplementäre Kommunikation). Die Beziehung von Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, Chef und Angestellten ist immer komplementär, es besteht ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Zwei gleichaltrige Kinder oder - in der westlichen Demokratie - Ehepartner - stehen demgegenüber in einer symmetrischen Beziehung zueinander. Jene Norm, daß symmetrische Kommunikation immer Ziel sei, (wie sie z.B. die kritisch-emanzipatorische Erziehungswissenschaft und sog. „kommunikative Didaktik“ anstrebten), lehnt Watzlawick ausdrücklich ab. Es geht für ihn lediglich darum, bei der Analyse von Kommunikationsvorgängen zu prüfen, ob Symmetrie bzw. Komplementarität vorliege. Jede der beiden Beziehungsformen hat nach Watzlawick Vor- und Nachteile. Die Möglichkeit, daß in einer komplementären Ausgangslage der ranghöhere Kommunikator sich auf eine symmetrische Kommunikationsebene begibt (d.h. dem rangniedrigeren Kommunikationspartner gleiche Rechte einräumt), nennt Watzlawick Metakomplementarität.

Die Begriffe Komplementarität und Symmetrie wurden von Bateson 1936 auf Grund ethnologischer Studien zur Kennzeichnung bestimmter kulturbedingter Interaktonsmuster eingeführt. Wenn z.B. das Verhalten von A kulturbedingt als dominant einzustufen ist und von B Unterwerfung erwartet wird, könnte sich die Beziehung progressiv im Sinne immer größerer Unterwerfung auf der einen, und steigender Dominanz auf der anderen Seite entwickeln. Bateson sprach in diesem Zusammenhang von Schismogenese; der Begriff (der sich in der Fachsprache nicht durchsetzte), drückt die zunehmende Trennung der Aktoren im Zuge von Interaktionsketten aus. Bei der komplementären Schismogenese bildet das Verhalten des einen Aktors jeweils die Ergänzung des Verhaltens des anderen Aktors (trotz seiner Gegensätzlichkeit); diese komplementäre Beziehung kommt pathologisch in Tyrannei und Abhängigkeit, Exhibitonismus und Voyeurtum, Täter-/Opferbeziehungen zum Ausdruck.

Bateson fand ebenso ein Interaktionsmuster für symmetrische Schismogenese, die gegeben ist, wenn Aktoren miteinander rivalisieren. Hier können die Beziehungen pathologische Formen annehmen, wenn das wechselseitige Vorzeigen der eigenen Größe, Leistungsfähigkeit, Macht, gleichsam Selbstzweck wird. Ein bekanntes Beispiel für diesen Verhaltenstypus bildeten die Potlach-Feste der Kwakiutl-Indianer in Nordwestamerika - Zeremonien, in denen durch reiche Geschenke und Zerstörung von Wertgegenständen der eigene Wohlstand und der soziale Rang gegenüber den anderen als Gästen geladenen Gruppen hervorgehoben wurde. Dies sei nur zur Erläuterung des ethnologisch-kulturanthropologischen Hintergrunds des fünften Axioms von Watzlawick erwähnt.


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