Seminar für allgemeine pädagogik


„Familienkonferenz“ - Aktives Zuhören II ( Thomas Gordon)



Yüklə 1,19 Mb.
səhifə26/40
tarix20.09.2018
ölçüsü1,19 Mb.
#69391
1   ...   22   23   24   25   26   27   28   29   ...   40

5.5 „Familienkonferenz“ - Aktives Zuhören II ( Thomas Gordon)


Literatur

Gordon, T.: Familienkonferenz. Hamburg 1972.

Gordon, T.: Die Neue Familienkonferenz. Kinder erziehen ohne zu strafen. München 1994.

Gordon, T.: Familienkonferenz in der Praxis. 8. Aufl. München 1993.


5.5.1 Einleitung


Der Begriff „Aktives Zuhören“ ist heute zu einer Standardbezeichnung für eine ganz bestimmte problemlösende Kommunikationshaltung geworden (die allerdings in dem oben dargestellten Band von Steil/Summerfield/DeMare nicht berücksichtigt wird). Die problemlösende Methode im Bereich zwischenmenschlicher Konflikte, die Gordon anbietet und die seit Anfang der siebziger Jahre auch in Deutschland durch sein Buch „Familienkonferenz“ in das Bewußtsein der Öffentlichkeit eindrang, ist allerdings viel umfassender. Das „aktive Zuhören“, dessen Methode wir noch kennenlernen, ist nur eine Reaktionsform auf eine bestimmte Problemstellung. Die „Methode Gordon“ wurde zuerst entwickelt im Bereich der familiären Erziehung, später ausgedehnt auch auf den Bereich der Lehrer-Schüler-Beziehung und der Personalentwicklung im betrieblichen Management (Chef-Mitarbeiter-Beziehung).

Gordons Kommunikationskonzept ist problemlösungsorientiert. Seine Methode will das zwischenmenschliche Verhalten in der Familie und anderen Lebensbereichen konfliktärmer gestalten. Dabei bietet er nicht nur Methoden der Konfliktbearbeitung an, sondern es geht zunächst um die Gewinnung einer grundsätzlichen Lebenseinstellung. Gordon begann seine Methode zu entwickeln, indem er untersuchte, warum die traditionellen Methoden des Disziplinierens durch Lohn und Strafe, der Kontrolle der Abhängigen durch die Mächtigen, nicht funktionieren. Er kam zu dem Ergebnis, daß die Gesellschaft die falschen Methoden anwende, um selbstzerstörerisches oder gesellschaftlich inakzeptables Verhalten zu verringern - und dies in zweierlei Hinsicht: Alle Methoden machen etwas mit dem Kind, und das, was gemacht wird, funktioniert nach den traditionellen Methoden von strikter Kontrolle, das heißt Bestrafung von unerwünschtem, Belohnung von erwünschtem Verhalten. Gordon dagegen will die Fremdkontrolle durch die Eltern zunehmend ersetzen durch die Selbstkontrolle der Kinder, deren Selbstverantwortlichkeit die traditionellen Disziplinierungstechniken durch Belohnung und Bestrafung weitgehend ablöst. Die Methode Gordon wendet sich nicht an die Kinder, sondern an die Eltern, die zu demokratischeren Umgangsformen ermutigt werden.

Gordon bietet durch Trainingsleiter in den USA und in Europa Kurse zum Erlernen seiner Methode an (unter anderem Entwicklungstraining, Jugendtraining, Frauentraining, Lehrertraining, Familientraining). Das Sekretariat des deutschen Gordon-Trainings- und Ausbildungszentrum befindet sich in Bonn. Ich beschränke mich im folgenden auf die Darstellung des Kommunikationskonzepts und der Konfliktlösungsstrategien innerhalb der Familie.

5.5.2 Bereiche der Annahme


Es kommt fast einer Revolution gleich, wenn Gordon ein seit Jahrhunderten geheiligtes Prinzip der Erziehung außer Kraft setzt, das Prinzip, sei konsequent in der Erziehung. Gordon begründet sein Prinzip der Inkonsequenz damit, daß Eltern selten immer in gleicher Weise belastbar sind, an manchen Tagen ist die Belastbarkeit groß, an anderen geringer; eine seelische Belastung, die für den Vater schwerwiegend ist, ausgelöst etwa durch die Tischmanieren des Sohnes, muß es für die Mutter überhaupt nicht sein (und umgekehrt), d.h. die Grenzen für das, was man als belastendes Verhalten von Kindern (allgemein: von anderen Personen) akzeptiert, sind nicht nur zwischen verschiedenen Eltern und Elternteilen unterschiedlich. Auch für ein und dieselbe Person verändern sich Toleranzgrenzen je nach Art der allgemeinen seelischen Verfassung und nach Art der Situation. Dasselbe Verhalten des Kindes, das der Vater noch toleriert, wenn die Familie unter sich ist, wird er nicht akzeptieren, wenn z.B. Besuch da ist. Im ersteren Fall ist sein Toleranzniveau hoch, im letzteren Fall entsprechend niedriger.

Es ginge also zunächst einmal darum festzustellen, welche Verhaltensweisen der Kinder von den Eltern als belastend empfunden werden und welche nicht - und dies zu mindesten zwei Zeitpunkten - einem Zeitpunkt mit hohem und einem Zeitpunkt mit niedrigem Toleranzniveau. Damit wird deutlich, ob und unter welchen Bedingungen der Bereich der Annahme, die Toleranz für ein bestimmtes Verhalten des Kindes, groß bzw. gering ist, das Verhalten des Kindes also akzeptiert (bzw. nicht mehr akzeptiert) wird. Die nachfolgende Abbildung zeigt links einen hohen Annahmebereich (= hohes Toleranzniveau), rechts einen niedrigen Annahmebereich (geringes Toleranzniveau):



akzeptable

Verhaltensweisen

----------------------------------------------------------

Nichtakzeptable

Verhaltensweisen


akzeptable Verhaltensweisen

----------------------------------------------------------

nichtakzeptable

Verhaltensweisen




Niedriges Toleranzniveau (links) und hohes Toleranzniveau (rechts) für nichtakzeptables Verhalten

Liberale Eltern haben in der Regel einen höheren Annahmebereich als autoritäre Eltern. Aber auch hier spielen situative Schwankungen eine Rolle. So vorteilhaft es erscheinen mag, über einen relativ hohen Annahmebereich für potentiell problematisches Verhalten von Kindern zu verfügen, so wichtig ist es, den Bereich der nichtakzeptablen Verhaltensweisen zu definieren. Eltern und Kinder sollten wechselseitig voneinander wissen, was die jeweils andere Seite akzeptiert und was generell jenseits der Akzeptanzgrenze liegt.

Das obige Schema Schema der akzeptablen und nicht akzeptablen Verhaltensweisen kann von einem Vater stammen, der sich Gedanken über das Verhalten seines Kindes macht. Es könnte umgekehrt auch vom (älteren) Kind in bezug auf das elterliche Verhalten stammen. Erfolgt die Erstellung eines solchen Schemas von beiden Seiten, von Eltern- und Kindseite, dann werden auch Verhaltensweisen der Eltern (bzw. eines Elternteils) beim Namen genannt, mit denen das Kind Probleme hat.

Solche Probleme beziehen sich oft auf die Art und Weise, wie die Eltern ihr Kind kritisieren. Wenn zum Beispiel der eine Elternteil des Kind kritisiert, kommt meist noch die Kritik vom anderen Elternteil hinzu. Sich als Kind gegen zwei Erwachsene gleichzeitig verteidigen zu müssen, ist einem Kind kaum möglich: Man hat als Kind schon verloren, bevor ein Argument ausgesprochen wird. Zeichnen Elternteil und Kind gemeinsam ein Verhaltensschema (wie es nachfolgende Abbildung verdeutlicht), liegt zwischen dem Bereichen des nichtakzeptablen Verhaltens in der Mitte ein Handlungsfeld, in dem beiden Seiten kein Problem miteinander haben. Dieses Mittelfeld sollte möglichst groß sein.

Das nachfolgende Schema geht auf der linken Seite aus von einer Verhaltenseinschätzung des Kindes durch einen Elternteil. Es macht deutlich, daß der Bereich des inakzeptablen Verhaltens des Kindes für den Elternteil relativ klein und der Bereich der akzeptierten Verhaltensweisen relativ groß ist. Dies ist eine gute Ausgangsvoraussetzung dafür, daß die Probleme, die aus inakzeptablem Verhalten resultieren können, sich in Grenzen halten. Die rechte Seite des Schemas zeigt, daß in den Beziehungen zwischen Elternteil und Kind ein großer Bereich existiert, der beiden Seiten keine Probleme bereitet (Mitte). Sollte aber das Kind ein Problem besitzen, dann ist dieses Problem „sein“ Problem (oben) und entstammt nicht jenem (unteren) Bereich, in dem das Verhalten des Kindes zum Problem für den Elternteil wird:


Akzeptable

Verhaltensweisen, die das Kind

vor ein Problem stellen



[Kind besitzt das Problem]

-------------------------------------------------------------



Verhaltensweisen


Kein Problem

------------------------------------------------------

Nicht-akzeptable

Verhaltensweisen


-------------------------------------------------------------Verhaltensweisen, die einen

Elternteil vor ein Problem stellen



[Elternteil besitzt das Problem]

Zur Genese des „Problembesitzes“ zwischen Elternteil und Kind nach Gordon

5.5.3 Der Umgang miteinander: Du-Botschaften und Ich-Botschaften


Eltern begegnen nicht-akzeptablem Verhalten in der Regel mit Du-Botschaften, etwa so:

Hast du nie ...

Wenn du nicht damit aufhörst ...

Warum machst du nicht dieses?



Du bist ungezogen

Du benimmst dich wie ein Baby.

Du verlangst zuviel Aufmerksamkeit

Warum bist du nicht lieb?



Du solltest es besser wissen. (Gordon 1993, S. 131)

Alle diese Aussagen enthalten einen hohen Anteil von Du-Botschaften, der offen oder versteckt immer eine Schuldzuweisung enthält. Mit der dann häufig gestellten Frage von Eltern, „Stimmt das denn nicht? Ist denn das Kind nicht für dieses inakzeptable Verhalten verantwortlich?“ hält Gordon sich nicht auf. Er verweist ganz einfach auf die Wirkung derartiger Du-Botschaften, die in der Regel das Gegenteil von dem bewirken, was sie nach Auffassung der Eltern bewirken sollen - nämlich Einstellung oder Änderung des inakzeptablen Verhaltens. Gordon sagt auf Grund langjähriger Erfahrung:



  1. Kinder weigern sich, ihr Verhalten zu ändern, wenn es ihnen befohlen wird oder wenn ihnen gedroht wird, falls sie es nicht tun.

  2. Kinder hören Eltern nicht zu, die moralisieren, predigen, Vorträge halten oder unterweisen.

  3. Du-Botschaften teilen mit: Ich traue dir nicht zu, daß du einen Weg findest, mir zu helfen.

  4. Du-Botschaften räumen Kindern keine Möglichkeit ein, von sich aus Verhaltensweisen zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Eltern Rechnung tragen.

  5. Kinder fühlen sich schuldig, wenn man sie durch Wertungen oder Beschimpfungen herabsetzt.

  6. Kritische, vorwurfsvolle Botschaften sind der Selbstachtung von Kindern abträglich.

  7. Kinder fühlen sich zurückgewiesen und sogar ungeliebt, wenn sie Botschaften hören, die ihnen mitteilen, wie „schlecht“ sie sind - oder wie „dumm“, „unüberlegt“, „gedankenlos“.

  8. Du-Botschaften schaffen reaktive Verhaltensweisen, Bumerangs, die auf die Eltern zurückfallen. „Immer bist du müde!“ „Du hebst deine Kleider auch nicht immer auf!“ „Immer meckerst du!“ (Gordon 1993, S. 131 f.)

Derartig negative Wirkungen entstehen nicht, wenn die Botschaften der Eltern das Kind darüber informieren, wie sein - inakzeptables - Verhalten auf die Eltern wirkt und welche Konsequenzen für andere damit verbunden sind, z.B. „Ich kann nicht schlafen, wenn ihr einen solchen Lärm im Haus macht!“

Eine solche Botschaft ist eine „Ich-Botschaft“. Die Methode Gordon empfiehlt Eltern im Umgang mit Kindern generell, Ich-Botschaften anstelle von Du-Botschaften zu benutzen. Auch Ich-Botschaften zeigen manchmal keine Wirkung. Oft wird ihre Effektivität reduziert, weil sie nicht vollständig sind. Es ginge in einem Konfliktfall also darum, möglichst vollständige Ich-Botschaften zu senden. Was heißt das? Das heißt, wie Gordon ausführt, dreierlei:

Eine vollständige Ich-Botschaft enthält (1) eine Beschreibung des nicht akzeptablen Verhaltens. (2) das Gefühl, das der Elternteil empfindet, und (3) den greifbaren konkreten Effekt (oder die Folge), unter dem der Elternteil leidet. (Gordon 1993, S. 141)

In der zuletzt als Beispiel genannten Ich-Botschaft „Ich kann nicht schlafen, wenn ihr einen solchen Lärm macht!“ sind bereits zwei der drei Elemente enthalten. Natürlich: Auch ein Kind weiß, daß man sich nicht gut fühlt, wenn man durch Lärm beim Einschlafen gestört wird. Um die Botschaft im Bedarfsfall noch effektiver zu machen, könnte die Mutter ihre Aussage etwa ergänzen durch den Satz „Mir geht es wirklich nicht gut dabei!“

Gordon (1993, S.175 ff.) betont heute, daß die Ich-Botschaften innerhalb der familiären Kommunikation keineswegs nur die Funktion haben, Kindern zu motivieren, jene Verhaltensweise, die einem Elternteil als inakzeptabel erscheint, zu modifizieren. Ich-Botschaften eröffnen auch die Möglichkeit, positive Gefühle mitzuteilen - Anerkennung, Freude, Zufriedenheit, Dankbarkeit, Glück. In der traditionellen Erziehung wird Anerkennung üblicherweise als Du-Botschaft formuliert:


  • Du bist ein guter Junge!

  • Das hast du fein gemacht!

  • Du hast dich im Restaurant sehr gut verhalten!

  • Du bist in der Schule viel besser geworden!

Die Praxis zeigt jedoch, daß ein Kind keineswegs immer auf das Lob, das ihm in der Du-Botschaft zuteil wird, positiv reagiert. Es bringt manchmal eine völlig andere Einschätzung seines - von den Eltern so lobend hervorgehobenen - Verhaltens zum Ausdruck, sei es daß es generell dazu neigt zu widersprechen, wenn gelobt wird, sei es, daß es mit dem von den Eltern positiv bewerteten Verhalten oder Zustand selbst eher Unzufriedenheit oder negative Bewertungen verbindet.

Mutter: Du hast so schönes rotes Haar

Kind: Ich kann es nicht ausstehen!

Mutter: Du hast uns ein wunderschönes Frühstück zubereitet.

Kind: War es nicht - ich habe die Eier zu hart gekocht.

Vater: Du bist dabei ein hervorragender kleiner Schwimmer zu werden.

Kind: Ich bin nicht halb so gut wie Laurie!

In allen drei Beispielen deutet sich an, daß Lob gegebenenfalls so etwas wie eine Beziehungsfalle beinhalten kann (ein Begriff, den Gordon nicht benutzt): Das Lob der Erwachsenen verurteilt das Kind zur Dankbarkeit, obwohl es vielleicht unzufrieden mit sich selbst ist; ein tiefersitzendes Problem könnte damit verbunden sein.

Nehmen wir das zuletzt genannte Beispiel. Wenn der Vater sagen würde: „Ich habe ja wirklich gestaunt, wie schnell du geschwommen bist!“ und das Kind unzufrieden darauf antwortet: „Ich bin nicht halb so gut wie Laurie!“ dann wird dem Vater schnell deutlich, daß das Kind ein Problem hat, das jetzt vielleicht zum ersten Mal an die Oberfläche des Bewußtseins kommt: Es leidet offenbar darunter, nicht so gut zu schwimmen wie der ältere Bruder Laurie. In diesem Fall würde der überrascht-fragend Vater antworten können: „Du bist nicht halb so gut wie Laurie?!“

Dies ist keine ausfragende Reaktion, sondern die aufmerksame Wiederholung des Satzes, den das Kind gerade ausgesprochen hat. Diese Gesprächstechnik heißt Spiegeln, weil das Kind als „Sender“ einer Botschaft mit eben jener Botschaft durch den Vater als „Empfänger (und wieder „Sender“) noch einmal mit denselben Worten konfrontiert wird.

Der Begriff Spiegeln bezieht sich ausschließlich auf die verbale Ebene der Kommunikation. Die damit verbundene Absicht, das Kind zur weiteren Darstellung seines Problems zu ermuntern gelingt aber nur, wenn die nonverbale Seite der Kommunikation (die analoge Kommunikation nach Watzlawick) im Dienst dieser Absicht steht und eine Einheit mit der verbalen Äußerung bildet. Der Vater wird diesen Satz „Du bist nicht halb so gut wie Laurie?!“ mit jener aufmerksam interessierten Haltung aussprechen, die gleichsam als ein „Türöffner“ wirkt (ein Ausdruck, den Gordon einführte), um das Kind zu bewegen, sich darüber zu äußern und das damit verbundene Problem zu verbalisieren. Hier beginnt dann das „aktive Zuhören“ des Vaters (siehe Abschnitt 5.5.5).

5.5.4 Das Prinzip des Problembesitzes: Wer hat das Problem?


Eltern sind gegenüber ihren Kindern, Vorgesetzte gegenüber Mitarbeitern, Lehrer gegenüber Schülern im Falle eines latenten oder offenen Konfliktes immer in der Verantwortung eine Grundsatzentscheidung zu treffen, indem sie sich fragen: Habe ich als Elternteil das Problem - hat der andere (das Kind, der Schüler, der Mitarbeiter) das Problem?

Je nachdem wie die Antwort auf diese Frage ausfällt, sind völlig verschiedene Vorgehensweisen notwendig.



1. Ich habe als Elternteil das Problem: Die Frage, ‘Wie kann etwas verändert werden?’ kann auf drei verschiedene Weisen beantwortet werden. Anders ausgedrückt: Drei Wege bieten sich an, wenn der Erwachsen ein Problem mit inakzeptablen Verhaltensweisen des Kindes hat. Er kann versuchen, Veränderungen zu erreichen

  • durch direkte Intervention (Bitte, Appell, Aufforderung);

  • durch indirekte Intervention (z.B. Veränderung der Umwelt des Kindes);

  • Veränderung der eigenen Normen und Erwartungen.

Der Weg der direkten Intervention: Ich kann versuchen, das Kind dazu zu bewegen, das gewünschte Verhalten zu zeigen bzw. meiner Aufforderung nachzukommen. Direkte Appelle sind oft wirkungslos, weil sie als persönlicher Angriff empfunden werden. Bei Kindern kann eine Trotzreaktion die Folge sein oder Verweigerung. Dennoch ist direkte Intervention manchmal sinnvoll und wichtig. insbesondere wenn es darum geht,

  • die eigenen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, wenn ungerechtes oder unzumutbares Verhalten vorliegt;

  • eigene Wertvorstellungen, Motivationen, Argumente in einem bestimmten Fall zum Ausdruck zu bringen, damit sie überhaupt bekannt sind und zur Kenntnis genommen werden können;

  • allgemeine Grundsätze von Fairness, Gerechtigkeit und Vertrauen zum Ausdruck zu bringen.

Die Methode der direkten Intervention ist das Senden von Ich-Botschaften. Du-Botschaften, auch verkleidete, sollten in jedem Falle vermieden werden.

Der Weg der indirekten Intervention: Ich kann versuchen, die Umwelt des Kindes zu verändern. Eine wichtige Methode ist, das Kind zu einem „Tausch“ von Verhaltensweisen oder Zeitpunkten zu veranlassen: Gleich nach dem Mittagessen, mag es die Mutter stören, wenn der Junge sich am Schlagzeug abreagieren will; aber wenn die Mutter nachmittags einen Spaziergang macht, geht das ohne weiteres. Eine andere Möglichkeit, der indirekten Einflußnahme besteht darin, das Kind verstärkt dem guten Einfluß Dritter auszusetzen; Kinder hören auf andere Erwachsene (Nachbarn, Bekannte) oft bereitwilliger als auf die eigenen Eltern.

Der Weg der Veränderung der eigenen Normen: Ich kann schließlich auch versuchen, meine eigenen Normen und Erwartungen so zu verändern, daß das, was bislang ein großes Problem bedeutete, nicht mehr mein Problem ist, sondern in die Verantwortung des Kindes gelegt wird. Anstatt darauf zu bestehen, daß das Kind draußen eine Mütze aufsetzt, entscheide ich mich dafür, den Streitpunkt in die Entscheidungskompetenz des Kindes zu legen, also zu akzeptieren, daß das Kind ohne Mütze nach draußen geht - mit all den Folgen und Risiken, die damit verbunden sind. Für strittige Fragen, wie das Aufräumen des Zimmers, die Erledigung der Hausaufgaben oder der Zeitpunkt des Schlafengehens sein, kann das Kind, wenn es dies will und sich zutraut, selbst die Verantwortung übernehmen, auch wenn die Eltern dies für risikoreich halten. Man kann darüber reden.

2. Das Kind hat das Problem: Wenn es sich um ein Problem des Kindes handelt, ist die angemessene Reaktion des Elternteils aktives Zuhören. Es realisiert sich über verschiedene Einzelschritte und Verhaltensweisen. Hier gilt es nach Gordon im besonderen Maße die „typischen 12“ zu vermeiden.

Aktives Zuhören als Antwort des Erwachsenen auf ein Problem des Kindes vollzieht sich als im Zusammenwirken von vier Momenten der Gesprächsführung:



  1. Aufmerksamkeit als wortlos demonstrierte Annahme; Vermeidung von Kommunikationssperren;

  2. Benützung einfacher Türöffner („Aha!“ „Ich verstehe“);

  3. passives Zuhören und Nichteinmischung als Zeichen der Akzeptanz (Vermeidung von Kommunikationssperren);

  4. Spiegeln als Grundlage des aktiven Zuhörens.

In Alltagsgesprächen zwischen Kindern und Erwachsenen dominiert in der Regel der Erwachsene, er spricht, das Kind hört zu oder entgegnet. Beim „aktiven Zuhören“ soll der Erwachsene sich so zurücknehmen, daß das Kind sich innerlich öffnen kann. Noch bevor das Problem, um das es geht, zur Sprache kommt, muß das Kind sicher sein, vom Erwachsenen angenommen zu werden. Dies wird unmöglich gemacht, wenn der Erwachsene in einer Weise reagiert, die es dem Kind erschwert, ja unmöglich macht, sein Anliegen auszusprechen. Der Erwachsene darf das Kind weder durch eine Anhäufung von Mitleid oder durch Lob emotional an sich binden, noch Lösungen vorschlagen oder moralische Appelle an das Kind richten; dies ist die „Sprache der Nichtannahme“. Dagegen bedeutet „Annahme“ des Kindes, daß es sein Problem wirklich selbst darstellen kann (siehe Abschnitt 5.5.5).

Die positive Wertschätzung, Akzeptanz, die der Erwachsene gegenüber dem Kind signalisiert, wird im wesentlichen nonverbal vermittelt. Es wäre paradox und würde als massives Hindernis wirken, wenn man dem Kind in einer längeren Rede versichern würde, wie interessiert man an dem sei, was das Kind bewege. Die wortlos übermittelte Botschaft: „Ich akzeptiere dich“, wird vom Erwachsenen durch Körpersprache zum Ausdruck gebracht.

Gordon nennt „drei Grundmethoden“ zur Vermittlung von Akzeptanz, „von denen die ersten beiden den meisten Menschen vertraut sind, die dritte jedoch vielleicht nicht: (1) Nichtintervention, (2) aufmerksames passives Zuhören und (3) aktives Zuhören“ (Gordon 1994, S. 240). Dabei ist die Benützung einfacher Türöffner in der Regel hilfreich, um dem Kind den Anfang zu erleichtern:


  • Magst du darüber sprechen?

  • Mich würde interessieren, was du darüber denkst.

  • Das hört sich an, als hättest du eine bestimmte Meinung dazu (Gordon 1993, S. 58).

Nichtintervention in der Form von „Aufmerksamkeit als wortlos demonstrierte Annahme“ und das „passive Zuhören“ (im obigen Vierpunkte-Schema Punkt 1 und 3) sind der Sache nach identisch, beziehen sich lediglich auf unterschiedliche Zeitpunkte des Geschehens. Das Signal der „Annahme“ (die positive Wertschätzung) wird immer am Anfang des Zuhörens stehen. Das schweigende (passive) Zuhören des Erwachsenen sichert dem Kind die Möglichkeit sowohl Sachverhalte zu schildern als auch den eigenen Emotionen ein Ventil zu verschaffen.

Das aktive Zuhören gibt dem Erwachsenen die Gewißheit, daß er das Kind richtig verstanden hat (was wiederum an nonverbalen Zeichen für das Kind wahrnehmbar ist und von ihm positiv empfunden wird).

Gordon zeigt an einfachen Beispielen, wie der Prozeß des Codierens und Decodierens (des Verschlüsselns und Entschlüsselns) einer Botschaft abläuft. Das Kind hat Hunger und drückt sein Bedürfnis aus, indem es das Bedürfnis mit der Frage verschlüsselt: „Wann ist das Essen fertig, Mammi?“ Die Mutter muß nun den eigentlichen Sinn der Frage verstehen, d.h. ihn richtig entschlüsseln. Die Mutter decodiert die Botschaft zum Beispiel, indem sie ihr den Sinn gibt: „Ich vermute, du willst essen, um rauszugehen und vor dem Schlafengehen noch spielen zu können!“ Die Mutter würde dies besonders dann annehmen, wenn sie diese Situation schon öfter erlebt hat. Und gerade dann kann in dieser Situation ihre Interpretation völlig falsch sein - ein Mißverständnis, das weder Mutter noch Kind bemerken und im Verlauf des weiteren Gesprächs zu einem Konflikt führen kann, weil beide nicht merken, daß jeder von etwas anderem redet.

Deshalb ist es richtig, wenn die Mutter die Frage des Kindes spiegelt - etwa „Du willst, daß das Essen jetzt fertig ist?“- damit das Kind seine Gründe für die Frage offenbart. Die Mutter kann aber auch - dies erwähnt Gordon ausdrücklich - etwas tun, was heute allgemein als Paraphrasieren bezeichnet wird, nämlich das Gehörte zusammenfassend im eigenen Verständnis an das Kind wieder zurückgeben.

Die Mutter drückt etwa das Ergebnis ihres Decodierungsprozesses in dem Satz aus: „Du möchtest vor dem Zubettgehen noch draußen spielen?“ Das ist eine Rückmeldung („Feedback“) an das Kind, das nun sofort korrigieren kann, falls die Mutter die Frage falsch aufgefaßt haben sollte. Das Kind könnte antworten: Nein, ich will nicht raus, ich habe nur Hunger!“ (vgl. Gordon 1972, S. 57 f.). Doch die Mutter könnte die Frage des Kindes „Wann ist das Essen fertig?“ ebenso mit der - richtigen - Feststellung decodieren: „Du hast großen Hunger!?“ Darauf würde das Kind einfach mit „ja!“ antworten. Graphisch läßt sich der Vorgang wie folgt veranschaulichen:


Code

Ent-schlüsselungs-prozeß



Ver-schlüsselungs-prozeß



„Wann ist das Essen fertig?“



Aktives Zuhören



„Du hast großen Hunger“




Codierung und Decodierung einer Botschaft, nach Thomas Gordon (1972, S. 58)

Das aktive Moment beim Zuhören heißt Spiegeln. Gordon (1994, S. 242) übernimmt diese Gesprächstechnik von der klientenzentrierten Therapie, sie wird dort „Spiegelung von Gefühlen oder reflexives Zuhören“ genannt. Das aktive Zuhören eröffnet einen wechselseitigen Kommunikatonsprozeß. Der Erwachsene als Empfänger von Botschaften läßt sich in gewisser Weise auf die Äußerungen des Kindes, den Sender, ein, indem er die Mitteilungen des Kindes verbal zurückgibt, spiegelt. Gordon führt dazu aus:

Als erstes konzentriert sich der Empfänger ausschließlich darauf, die Botschaft zu verstehen, die ihm gegeben wird, und was sie bedeutet. Dann faßt der Empfänger das, was er verstanden hat, in eigene Worte und spiegelt es zurück an den Sender (wir nennen es „Feedback geben“), um bestätigt oder korrigiert zu bekommen, wie er die Botschaft verstanden hat. Mit dieser einfachen Feedback-Prozedur kann der Zuhörer dem Sender den positiven Beweis erbringen, daß dieser exakt verstanden wurde. Ohne verstanden zu werden, fühlt man sich nur selten akzeptiert. (Gordon 1994, S. 242)

Es folgen einige Beispiele für Spiegelung, Reaktionen im Sinne des aktives Zuhörens (Gordon 1993, S. 59 f.).

1.

K: Ich bin zu dumm, um die Arithmetik zu begreifen. Ich werde das nie verstehen.



E: Du meinst, du bist nicht klug genug. Du wirst es nicht begreifen.

K: Ja.


2.

K: Ich mag nicht in dem dunklen Zimmer schlafen. Da sind lauter Geister.

E: Du glaubst, es sind Geister in deinem Schlafzimmer. Du hast große Angst vor ihnen .

K: Ja, sehr große

3.

K: Was macht man mit den Menschen, wenn sie sterben?



E: Du hast darüber nachgedacht, was mit den Menschen passiert, wenn sie sterben, und wo sie bleiben.

K: Ja. Man sieht sie nie wieder, nicht war?

4.

K: Ich mag morgen nicht zu Bobbys Geburtstagsfeier gehen.



E: Das hört sich an, als hätten Bobby und du Schwierigkeiten.

K: Ich kann ihn einfach nicht ausstehen. ER ist Gemein.

E: Du magst ihn also nicht, weil du findest, daß er ziemlich gemein ist.


  1. Ja. Er will nie das spielen, was ich möchte. (Gordon 1994, S. 60)

Welches Ziel verfolgt diese Art der Gesprächsführung, die man heute allgemein nicht-direktiv oder klientenzentriert nennt? Aus der Tatsache, daß der Erwachsene beim aktiven Zuhören im wesentlichen die Funktion hat, ein Spiegel der Gefühszustände und kognitiven Bewußtseinszustände des Senders (des Kindes) zu sein, ergeben sich weitreichende Folgerungen für das Ziel des Gespräches. Nehmen wir das unter Nr. 4 dargestellte Beispiel, die Geburtstagsfeier von Bobby. Das Kind will nicht hingehen. Es hat einen tiefsitzenden Konflikt. Im Verlauf des weiteren Gesprächs, wird das Kind in seinem kognitiven Verarbeitungs- und Entscheidungsprozeß durch das aktive Zuhören des Erwachsenen gleichsam vorangetrieben, am Ende selbst die Entscheidung treffen, ob es dennoch hingeht oder nicht. Das aktive Zuhören ist also eine Methode, das Kind zu ermutigen, seine Probleme, die einer Entscheidung bedürfen, selbst zu lösen.

Könnte es sein, daß in der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern, das Spiegeln zur bloßen Routine wird, die Kinder durchschauen - und dann selbst vielleicht sogar ironisch nachäffen?

Diese Gefahr existiert. Gordon geht auf dieses Problem auch ein. Ohne Einfühlen in die Situation und in die Bedürfnislage des Kindes kann das Spiegeln nicht gelingen. Es bedarf einiger Erfahrung und Übung dazu, dies angemessen zu praktizieren. Dabei können auch Fehler passieren. Falsch wäre es,


  • Kinder durch Lenkung zu manipulieren (z.B. in der Elternreaktion eigenen Ärger miteinfließen zu lassen oder eigene Botschaften zu senden);

  • sich erst verständnisvoll zu geben, dann aber das Kind enttäuschen;

  • aktives Zuhören als bloßes Nachplappern , ohne Einfühlung zu praktizieren;

  • aktives Zuhören aus falschem Anlaß anzuwenden (etwa wenn das Kind eine bestimmte Vergünstigung erreichen will, wie abends länger aufbleiben, ist es Aufgabe des Elternteils eine Entscheidung zu treffen, es ist sein Problem, das nicht durch aktives Zuhören zu lösen ist).

Aktives Zuhören ist immer dann wichtig, wenn das Kind seine Empfindungen los werden will und weiß, Vater bzw. Mutter hören aufmerksam zu - ebenso, wenn es ein Problem hat, daß es durch eigene Entscheidung lösen kann. Selbst wenn die Kinder „seltsam verschlüsselte Botschaften“ senden, die weder von ihnen noch von den Eltern rational befriedigend beantwortet werden können, ist aktives Zuhören wichtig:

„Pappi, warum nennen mich die Kinder ‘Fuzzi’?“

„Werde ich später auch Kinder kriegen?

„Warum schlägt der Peter immer den Klaus?“



Die Gefahr, daß es zum aktiven Zuhören deshalb nicht kommt, weil schon der Beginn eines Gesprächs das Kind durch Kommunikationssperren des Erwachsenen abgeblockt wird, ist nach Gordons Auffassung die größte Gefahr für das aktive Zuhören.

5.5.5 Kommunikationssperren - Kritik an Gordon


Gordon hat sich ausführlich mit jenen kommunikativen Verhaltensweisen beschäftigt, die Eltern in der Regel im alltäglichen Umgang mit Kindern in guter Absicht benützen, meist ohne sich klar darüber zu sein, daß sie damit echte Gespräche im Sinne von Annahme, positiver Wertschätzung und aktivem Zuhören verhindern. Gordon zählt zwölf derartiger „Kommunikationssperren“ auf , welche Eltern möglichst meiden sollten:

  1. Befehlen, anordnen, kommandieren

„Du gehst in dein Zimmer!“ „Du hörst auf solchen Lärm zu machen!“

  1. Warnen, ermahnen drohen

„Wenn du nicht aufhörst, bekommst du Schläge!“ „Mutter wird böse, wenn du mir weiterhin im Weg bist.“

  1. Moralisieren, predigen

„Du darfst den Leuten nicht ins Wort fallen!“ „Sag immer danke.“

  1. Beraten, Vorschlagen, Lösungen geben

„Warum gehst du nicht mit deinen Freunden spielen?“ „Kannst du deine Kleider nicht wegräumen?“

  1. Belehren, unterweisen

„So hält man das Messer nicht!“ „Bücher sind zum Lesen da und nicht zum Werfen!“

  1. Urteilen, kritisieren, Vorwürfe machen

„Du bist sehr unachtsam!“ „Du bist ein böser Junge!“

  1. Loben, schmeicheln

„Du bist in der Regel sehr nett zu deinen Freunden.“ Es sieht dir gar nicht ähnlich, so unüberlegt zu handeln.“

  1. Beschimpfen, lächerlich machen, beschämen

„Du bist ein Wichtigtuer“ „Schäm dich, so unartig zu sein.“

  1. Interpretieren, Diagnosen stellen, analysieren

bi„Du bist immer ein bißchen eifersüchtig auf deinen Bruder.“ „Immer wenn ich müde bin, willst du mich quälen.“

  1. Trösten, bemitleiden, aufrichten

„Mach dir keine Sorgen um meine Gefühle.“ „Der Lärm stört mich eigentlich nicht.“ „Ich kann schon verstehen, warum du deinen kleinen Bruder schlägst“. „Oh, das macht nichts.“

  1. Forschen, verhören

„Weißt du überhaupt, was du getan hast?“ „Warum hast du dein Radio so laut an?“

  1. Ablenken, ausweichen, scherzen

„Willst du nicht lieber lesen, als dir den Quatsch im Fernsehen anzusehen?“ „Schau mal, wie schön das Wetter draußen zum Spielen ist.“ „Ich bin wirklich glücklich, daß wir so nette, ruhige Kinder haben.“ „Hast du keine Angst, daß dir das Trommelfell platzt?“ (Gordon 1993, S. 130 f.)

Es gibt immer Diskussionen darüber, warum denn das „Trösten“, „Beraten“ oder „Vorschläge machen“ nicht erlaubt sei. Das hängt mit den Prinzipien der „indirekten“, „klientenzentrierten“ Methode, letztlich mit dem dahinter stehenden Menschenbild zusammen, das dieser Methode zu Grunde liegt. Der Erwachsene darf das Kind in seinem Bewertungs- und Entscheidungsprozeß nicht fremdbestimmen, das Kind soll allein entscheiden. Ziel der Methode Gordon ist letztlich, die Selbstverantwortung und Selbstkontrolle des Kindes zu aktivieren. Damit sind verstehende Anteilnahme, Mitleid und Zuwendung der Eltern nicht ausgeschlossen, letztere sollen aber das Ziel nicht in Frage stellen.



Kritischer Kommentar: Auch bei Gordon - ähnlich wie bei den „irrationalen Ideen“ Ellis’ muß jedermann selbst entscheiden, ob er sich mit diesem Konzept identifizieren kann. Dabei sind generell zwei unterschiedliche Aspekte zu beachten:

  1. der normativen Hintergrund, von dem aus Verhaltensmodifikation betrieben wird;

  2. die Methode mit der „beraten“, „trainiert“ oder „therapiert“ wird.

Die verborgene Macht der „Berater“ und „Verhaltenstrainer“ beruht zu einem Großteil darauf, daß ihre Dienste auf einem Menschenbild beruhen, das hinter ihrer Methode steht und das Klienten mit zu übernehmen haben, wenn sie sich für diese Methode entscheiden. Das gilt auch für die sog. „humanistische“ Psychologie, in deren Nähe Gordon zweifellos steht. Diese psychologische Richtung hatte zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als Gegenbewegung gegen behavioristisch-verhaltenstherapeutische wie gegen psychoanalytische Ansätze etwas Befreiendes. Sie konnte viele Menschen für sich einnehmen. Aber das ist nach einer über fünfzigjährigen Geschichte schon wieder ein historisch gewordener Fakt. Wer heute Gründe hat, diesem Ansatz eher distanziert zu begegnen, sollte jedenfalls nicht mit dem Etikett „inhumanistisch“ versehen werden. Ein besonders drastisches Exempel für die Konsequenzen dieses Konzeptes findet sich in folgender Szene, die als Modellbeispiel für aktives Zuhören fungiert (Gordon 1994, S. 60; vgl. Gordon 1993, S. 242 ff.).

K: (weint) Ich bin auf dem Bürgersteig hingefallen und habe mir das Knie aufgeschlagen. Das blutet so doll. Guck mal!

E: Du hast bei dem vielen Blut einen Schrecken bekommen.

Diese Szene löst bei vielen Seminarteilnehmern (bei jedem Jahrgang von Studierenden erneut) überwiegend Ablehnung und Unverständnis aus, wenn sie zur Diskussion gestellt wird. Daß das Kind Schmerzen haben könnte, ist anzunehmen, auch wenn es vom Kind nicht gesagt wird. Dieser Annahme zu folgen liegt jedoch nicht in der Absicht Gordons. In der Reaktion von Seminarteilnehmern ist diese Annahme jedoch immer impliziert und steht im Vordergrund, wen die Frage nach der angemessenen Reaktion des Erwachsenen diskutiert wird. .

Für Gordon sind Reaktionen eines Elternteils wie: „Sie möchte ein Pflaster“, „Sie braucht einen Arzt“ und „Sie hat schreckliche Schmerzen“ falsche Entschlüsselungen (unzutreffende Decodierungen) dessen, was das Kind in dieser Situation mitzuteilen hat. Die eigentliche Mitteilung des Kindes lautet nach Gordon: „Ich habe Angst“ und die Rückmeldung des Kindes auf die korrekte Spiegelung des Elternteils („Du hast bei dem vielen Blut einen Schrecken bekommen“) könnte lauten: „Ja, ich bin erschreckt“ oder „Ich habe Angst, daß ich verblute“ oder „Ich fürchte, das hört nie wieder auf zu bluten“ (Gordon 1993, S. 62 f.).

Wie auch immer: Bei Gordon wird die Erstreaktion des Kindes, „Sieh doch mal, das Blut!“ nicht zum Gegenstand des Mitleids oder der Hilfe seitens des Erwachsenen, sondern auch hier ist die erste Tat des Erwachsenen das „Spiegeln“ der Äußerung des Kindes. „Aktives Zuhören“ also in allen Lebenslagen - vielleicht auch am Sterbebett oder am Stammtisch? So ließe sich fragen. Auch das aktive Zuhören hat vermutlich seine praktischen Grenzen. Da Gordons Methode über mehrere Jahrzehnte hinweg Einzug hielt in alle einschlägigen Elternjournale und Erziehungsratgeber für den gehobenen Mittelstand, hat das „aktive Zuhören“ heute fast schon populistische Bedeutung erlangt. Aber wird sie auch im gleichen Maße praktiziert? Gordon lehnt es ab, etwas „mit den Kindern zu machen“ er will die Eltern schulen. Dabei machen die Eltern sehr viel mit den Kindern, wenn sie nach Gordons Methode vorgehen. So wäre es wichtig, daß die Kinder an erster Stelle über Gordons Konzept informiert werden.

Die Kenntnis der Methode sagt noch nichts darüber aus, ob und in welchem Maße sie tatsächlich Anwendung findet. Und es gibt Gründe, die gegen die „Methode Gordon“ sprechen. Wenn ich die Methode ernst nehmen, muß ich sie tatsächlich exakt durchführen, und das bedeutet, die Unmittelbarkeit des Verhaltens aufzugeben zu Gunsten von methodisch reguliertem Verhalten. Wenn die Mitglieder einer Gruppe nur noch wechselseitig ihre Ansichten „spiegeln“, sich eisern an die Lehre von den Kommunikationssperren halten und in Intimgruppen regelmäßig Zeiten für Konfliktlösungsrituale eingeplant sind, bin ich irgendwo in einer „pädagogischen Provinz“ gelandet, die Konfliktlösung therapeutisch zwar leistet, tatsächlich aber auch entfremdete Verhältnisse schafft, und zwar auf Kosten der Unmittelbarkeit und Spontaneität der Beziehungen. Das gilt auch für die Vorbildwirkung von Eltern, für Wertvorstellungen, für das, was Eltern an Lebenserkenntnissen zu vermitteln haben. Bei Gordon stehen Werte und Wertvermittlung zur Disposition. Über ihre Geltung oder Nichtgeltung kann, wenn sie irgend eine Seite in Frage stellen sollte, in einer „Familienkonferenz“ entschieden werden. Eine differenzierte theoretische Grundlagendiskussion dieses Problems fehlt, vermutlich auch deshalb, weil Gordon zu sehr „Partei“ ergreift für die eigene Methode.

Im Konfliktfall sollte man sich fragen, ob das Konfliktregelungsritual überhaupt angewendet werden muß, wenn es beide Parteien sowieso im Hinterkopf haben. Eine Methode kennen und sie dann nicht anwenden, bringt vermutlich Gewinn, auch Zeitgewinn. Gordon lebt von seiner „Methode“; es gibt keine theoretische Diskussion dieser Methode (bei ihm), so daß die kommunikationstheoretischen Beziehungsfallen, die sich aus einer gewissen Starrheit des Prinzips ergeben, deutlich werden.

In jüngeren Veröffentlichungen schwächt Gordon die in den Erstauflagen seines Hauptwerkes „Familienkonferenz“ zum Ausdruck gebrachte strikte Ablehnung der „typischen 12“ Kommunikationssperren etwas ab mit dem Hinweis, daß „die Kommunikationssperren nicht notwendig die Kommunikation unterbinden, das Kind abwerten oder die Beziehung negativ beeinflussen“ (Gordon 1993, S. 47 ff.). Er distanziert sich von einer „puristischen“ Position in dieser Frage. Problematische Verhaltensweisen wie die zwölf genannten müssen keine Barrieren der Kommunikation bilden, wenn eine offene vertrauensvolle Atmosphäre vorherrsche und die Kommunikation sich in der „problemlosen Zone“ bewege. Verhalensweisen wie Trösten oder Raten sollten jedenfalls vermieden werden, wenn die Kommunikation die problemlose Zone verläßt. Daß dies ein Widerspruch zur eigenlichen Funktion dieser Verhaltensweisen ist, die ihre Aktualität im Alltag gerade in kritischen Situationen entfalten, kommt Gordon dabei gar nicht in den Sinn.

Vergleich zwischen Gordon und Watzlawick: Interessant ist eine Bewertung des „aktiven Zuhörens“ vor dem Hintergrund des Watzlawickschen fünften pragmatischen Axioms: Symmetrie und Komplementarität der Beziehung. Das aktive Zuhören setzt Komplementarität voraus: Wer aktiv zuhört, bildet den superioren Pol, wer das Problem hat, den inferioren Pol der Komplementarität. Durch ein Verhalten, das optimale Annahme, positive Wertschätzung, sichert, wird eine quasi-symmetrische Beziehung hergestellt. Dennoch: der superiore Kommunikant, die Elternseite, wendet eine Verhaltensweise an, das Spiegeln, von dem der inferiore Kommunikant, das Kind, nichts weiß. Mit dem aktiven Zuhören ist tatsächlich eine Form von Metakomplementarität gegeben, welche die Differenz zwischen Eltern und Kindern, die den Erziehungsalltag oft beherrscht, weitgehend zum Verschwinden bringt, an der komplementären Grundsituation aber nichts ändert. Der Sachverhalt ist theoretisch deshalb interessant, weil Gordon mit der Frage, „Wer hat das Problem?“ auch einen Lösungsweg angibt, wie jenes Grundproblem der Erziehung zu entschärfen ist,, das von Watzlawick als die „Sei-spontan-Paradoxie“ bezeichnet wurde.

Die „Sei-spontan-Paradoxie“ zeigt sich bei Gordon als ein reines Elternproblem, das Eltern durch direkte Intervention oder Veränderung der eigenen Einstellung lösen können. Gordon rät kategorisch ab, wenn Eltern durch direkte Intervention ihre Erziehungsziele realisieren wollen, sie würden in der Regel Schiffbruch mit dieser Vorstellung erleiden, die Kinder würden einfach nicht mitmachen, wenn sie dies nicht selbst ausdrücklich wollten. Tatsächlich ist nicht, wie Gordon vorgibt, die „Ich-„ oder die „Du-Botschaft“ entscheidend, sondern die Beziehungsebene. Die Beziehungsebene auf der Grundlage wechselseitigen Vertrauens eröffnet auch ein tiefes Verständnis von dem Problem, daß Wunschphantasien von Eltern über ihr Kind immer auch Aspekte zu vermeidender Fremdbestimmung enthalten. Verändern die Eltern auf Grund dieser Einsicht aber ihre eigene Einstellung, indem sie dem Kind Eigenverantwortung und Freiheit zur Selbstbestimmung ermöglichen, löschen sie damit gleichzeitig ihre paradoxe Verhaltenserwartung.

Die geisteswissenschafltiche Pädagogik setzt ein Erziehungsverständnis voraus, das das Ziel hat, sich im Laufe der individuellen Persönlichkeitsentwicklung selbst überflüssig zu machen. Erziehung in diesem Verständnis geschieht nicht um der Eltern, sondern „um des Kindes willen“. Alle pädagogische Hilfestellung hat den Sinn, daß der zu Erziehende „zu seinem Leben und zu seiner Form komme“ (H. Nohl). Zielsetzungen, die von der Gesellschaft oder von den Eltern gesetzt werden, sind hierin nicht enthalten, die „Sei-spontan-Paradoxie“ findet hier keine Legitimation. Auch Gordon läßt keinen historisch gesicherten Hintergrund erkennen für das, was er „tradionelle Erziehung“ nennt. Er identifiziert letztlich alle Erziehungsverhältnisse, die noch nicht nach seiner Methode verfahren, als der „traditionellen Erziehung“ zugehörig und wertet sie entsprechend ab.


    Hinzuweisen ist schließlich noch darauf, daß Gordon die Frage (des Empfängers an den Sender) sowie die Zusammenfassung längerer Ausführungen (des Senders) durch den Empfänger nicht als Bestandteil des aktiven Zuhörens, sondern eher als Störmoment ansieht. Gordon bleibt hier doch relativ puristisch in seiner Grundeinstellung. Andere Konzepte der Beratung sehen sowohl die vergewissernde Rückfrage („Habe ich das richtig verstanden?“ „Sie meinen, daß ...?“) als auch die zusammenfassende Strukturierung längerer Ausführungen des Klienten als hilfreichen Bestandteil einer nicht-direktiven Gesprächsführung an, insbesondere dann, wenn sich „Problemdarstellung“ des Klienten und das „aktives Zuhören“ des Beraters ohne erkennbare Entwicklungstendenz Gefahr laufen, sich im Kreis zu bewegen.

5.5.6 Die niederlagelose Methode - Stufen der Konfliktlösung


Nicht alle Probleme in den zwischenmenschlichen Beziehungen sind durch „aktives Zuhören“ oder bestimmte Interventionsformen zu lösen. Insbesondere grundsätzliche Interessenkonflikte und unterschiedliche Werteinstellungen, die nicht nur zwischen Eltern und Kindern, sondern auch zwischen den Eltern bestehen können, nötigen zu weiterführenden Überlegungen. Gordon macht den Vorschlag, alle grundsätzlich strittigen Probleme durch eine gemeinsame Besprechung zu klären. Deshalb lautete der Titel des Buches, mit dem er seine Methode einführte, „Familienkonferenz“. Die Methode des Klärungsprozesses soll eine Konfliktlösungsstrategie beinhalten, die - anders als in der traditionellen Erziehung - für beide Seiten keine Niederlage, sondern einen Gewinn darstellt.

Die drei Methoden der Konfliktlösung: Gordon unterscheidet drei Methoden bei der Regelung von Konflikten zwischen Kindern und Eltern. Methode I bedeutet die Durchsetzung des elterlichen Standpunktes auf Grund ihrer Macht. Dies entspricht dem traditionellen, autoritärem Erziehungsmodell von „Befehlen“ und „Gehorchen“.

Methode II ist das genaue Gegenteil: Hier würden die Eltern den Kindern in jeder Hinsicht nachgeben und ihnen das Feld des Handelns ganz allein überlassen. Eine solche Einstellung, so könnte man sagen, entspricht dem Modell einer Laissez-faire-Erziehung. Dies kommt in der Praxis vielleicht nicht so häufig vor wie die autoritäre Erziehungsform, sie ist aber in einem Zeitalter gar nicht so selten, in dem elterliche Liberalität dem Kind fast größere Freiräume eröffnet, als es sich Ende der sechziger Jahre die Vertreter der sogenannten „antiautoritären“ Erziehung haben träumen lassen.

Methode I macht die Eltern zu Siegern, Methode II macht die Kinder zu Siegern. Wo Sieger sind, sind auch Verlierer. Das ist die jeweilige Gegenseite. Gordon lehnt deshalb Methode I und Methode II ab. Er vertritt den Grundsatz, daß Kinder nicht die Sklaven ihrer Eltern, aber Eltern auch nicht die Sklaven ihrer Kinder sein sollen. Deshalb schlägt er eine dritte Methode vor, die beiden Parteien eine Niederlage erspart. Die niederlagelose Methode III stellt ein Modell der Konfliktlösung dar, das von allgemeiner Bedeutung ist, also nicht nur im Bereich der familiären Erziehung. Es handelt sich um einen Problemlösugsprozeß, der von allen Beteiligten getragen wird. Dieser Prozeß vollzieht sich in sechs Schritten (vgl Gordon 1994, S. 193):


  1. Das Problem wird definiert.

  2. Mögliche Lösungen werden vorgeschlagen [möglichst viele Lösungen, ohne sie schon zu bewerten].

  3. Die möglichen Lösungen werden bewertet.

  4. Es wird entschieden, welches die beste Lösung ist.

  5. Die Entscheidung wird verwirklicht.

  6. Die Lösung wird anschließend [nach einer längeren Erprobungszeit] erneut und abschließend bewertet.

Nicht die Reihenfolge der Schritte ist im Problemlöseprozeß wichtig, sondern die Berücksichtigung jedes einzelnen Schrittes. Damit wandelt sich die gegenseitige Konfrontation zur wechselseitigen Kooperation, die beide Seiten als gewinnbringend empfinden. Gordons sechs Schritte stellen ein allgemeines Modell der prozeßorientierten Konfliktlösung dar, das in allen Lebensbereichen Anwendung finden kann.

Fazit: Die Methode Gordon ist eine der bekanntesten Methoden der Gesprächsförderung und der Konfliktlösung in der Familie (wie auch in anderen Lebensbereichen). Sie bietet immer noch eine Fülle von grundlegenden Einsichten und Verhaltensweisen, die man in jedem Falle kennen sollte, unabhängig von der Frage der persönlichen Identifikation mit dieser Methode.

Der Modus eines durch Verhaltensregeln bestimmten, in gewisser Weise formalisierten Umgangs durch aktives Zuhören, turnusmäßige „Konferenzen“ als Ausspracheforum und regelmäßige Konfliktlösungsberatungen ist spontan in einer Familie vermutlich auch nach der Lektüre des Buches „Familienkonferenz“ so ohne weiteres nicht zu erwarten. Anders ausgedrückt: Die Tatsache, daß das Buch „Familienkonferenz“ einen großen Bekanntheitsgrad hat, in den Familien die Konferenzmethode dennoch nicht angewandt wird, ist auch als stiller, aber beredter Widerstand anzusehen, die Familienkonferenz in der eigenen Intimsphäre zu institutionalisieren. Dessenungeachtet: Gordon gibt wesentliche Hinweise, das Leben in einer Bezugsgruppe durch Selbstverantwortung und Selbstkontrolle der Gruppenmitglieder im Sinne von Demokratisierung zu stärken. Aber ein Verständnis von personaler Begegnung, die von Spontaneität und der Offenbarung der Gefühle auf beiden Seiten getragen ist, fehlt ihm. Streit zuzulassen, um damit klar zu kommen und zu lernen, sich zu vertragen, ist eine gängige Alternative, die Gordon nicht diskutiert, die aber offenbar nicht ohne Erfolg praktiziert wird.



Yüklə 1,19 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   22   23   24   25   26   27   28   29   ...   40




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©genderi.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

    Ana səhifə