Seminar für allgemeine pädagogik


Vom „offenen“ zum „geschlossenen“ System (Watzlawick und Luhmann)



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4.5 Vom „offenen“ zum „geschlossenen“ System (Watzlawick und Luhmann)


Literatur

Soziologie des Rechts. 2 Bde. Reinbek 1972.

Luhmann, N.: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. 2. Aufl. Frankfurt 1988.

Luhmann, N.: Soziologische Aufklärung. 6 Bde. Opladen 1991 ff. (in folgenden zitiert: Bd. II, 4. Aufl. 1991; Bd. III, 3. Aufl. 1993; Bd. IV, 2. Aufl. 1994; Bd. V, 1990; Bd. VI, 1995.)

Luhmann, N.: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M. 1990. (zitiert als Luhmann 1990a)

Luhmann, N.: Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Aufl. Opladen 1990. (zitiert als Luhmann 1990b)

Habermas, J./N. Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? Frankfurt/M. 1971.

Maturana, H.R.: Erkennen: Organisation und Verkörperung der Wirklichkeit. Braunschweig 1982.

Willke, H.: Systemtheorie. Eine Einführung in die Grundprobleme. 2. Aufl. Stuttgart 1987.

Reese-Schäfer, W.: Luhmann zur Einführung. 2. Aufl. Hamburg 1996.

Kiss, G.: Grundzüge und Entwicklung der Luhmannschen Systemtheorie. 2. Aufl. Stuttgart 1990.

Gripp-Hagelstange, H.: Niklas Luhmann. Eine Einführung. München 1995.

Goody, J./I. Watt/K. Gough: Entstehung und Folgen der Schriftkultur. 3. Aufl. Frankfurt/M. 1997.

4.5.1 Von Watzlawick zu Luhmann


Neben Jürgen Habermas prägte der Rechts- und Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann (1927-1998) in den letzten 25 Jahren die fachliche Grundlagendiskussion der deutschen Soziologie entscheidend. Luhmanns Kommunikationsbegriff hätte vielleicht auch im Kapitel 3 („Soziologisch orientierte Theorien der Kommunikation“) seinen Platz finden können. Die Darstellung erfolgt an dieser Stelle, nicht nur um den Erkenntnisfortschritt des Systembegriffs Luhmanns gegenüber dem Systembegriff Watzlawicks herauszustellen, sondern auch um Gemeinsamkeiten zwischen Watzlawick und Luhmann deutlich zu machen. Diese Gemeinsamkeiten betreffen

  • erkenntnistheoretisch das Bekenntnis zum radikalen Konstruktivismus (vgl. Luhmann, Bd. V, 1990; S. 31 ff,), den Watzlawick in seinem Hauptwerk - vgl. Watzlawick et al. 1990 - noch nicht als Theorieelement einführen konnte, sondern erst mit den Veröffentlichungen von Heinz v. Förster und Helmut Glasersfeld Anfang der siebziger Jahre als richtungweisend erkannte;

  • systemtheoretisch die disziplinübergreifende Betrachtungsweise, die Luhmann (1988, S. 27) eigenen Angaben zufolge dazu veranlaßte, sein Systemverständnis nicht aus der zeitgenössischen Soziologie, sondern aus der Neukonzeption der allgemeinen Systemtheorie und ihrer Anwendung in der Thermodynamik, der Neurophysiologie, der Zellentheorie und der Computerwissenschaft zu gewinnen;

  • kommunikationstheoretisch die Erwartung, daß Kommunikation ein eher unwahrscheinliches Ereignis darstellt.

Watzlawick sah Anfang der sechziger Jahre den Erkenntnisfortschritt systemischen Denkens im Paradigmenwechsel von der Betrachtung geschlossener Systeme nach dem Modell der Mechanik - die Wirkung und Umsetzung der Kräfte bilden ein geschlossenes Ganzes - zur Betrachtung offener Systeme lebender Organismen, die mit ihrer Umwelt in einer Beziehung des Austauschs stehen. Das entsprach durchaus dem Erkenntnisstand der damaligen Zeit.

Dieser Unterscheidung zwischen geschlossenen und offenen Systemen darf das Verdienst zugeschrieben werden, die sich mit Lebensphänomenen befassenden Wissenschaftszweige von den Fesseln eines Denkmodells befreit zu haben, das im wesentlichen auf der klassischen Physik und Chemie (also ausschließlich geschlossenen Systemen) beruhte. Eben weil lebende Systeme in lebenswichtigen Wechselbeziehungen zu ihrer Umwelt stehen, war die Anwendung einer Theorie und einer analytischen Methode, die für Vorgänge zutrifft, die in einem „verschlossenen, isolierten Behälter“ stattfinden können, hinderlich und irreführend. (Watzlawick 1990, S. 117 f.).

Mit der Annahme der Wechselseitigkeit aller Prozesse, auch der Austauschprozesse zwischen System und Umwelt, sollte der Komplexität der sozialen Interaktion Rechnung getragen werden. Tatsächlich führt bei Watzlawick eine solche Sichtweise aber dazu, daß es schwierig wird, überhaupt noch festzustellen, was „System“ ist und was zur „Umwelt“ gehört (vgl. Watzlawick 1990, S. 117). Wenn alles Verhalten zu Kommunikation wird, kommt es letztlich zur Entwertung dessen, was mit diesem Phänomen bezeichnet werden soll. Kommunikation ist bei Watzlawick weder operational exakt faßbar, noch abgrenzbar von Nichtkommunikation; dafür scheint ihm die Darstellung der Negativfolie von Kommunikation - Paradoxien, Störungen und Entwertung von Kommunikation - besonders gut gelungen zu sein.

Luhmann stellte sich schon in den sechziger Jahren die Frage, wie es komme, daß Organisationen trotz Nichtanpassung an die vorgegebenen Normen und Rollenerwartungen besser funktionieren, als solche, die sich normenkonform verhalten. Eine Theorie - wie die des damals in der Soziologie vorherrschenden Strukturalismus -, die die Elemente des Systems nur in den Dienst eines allen übergeordnetes Verhaltenszieles gestellt sieht, erscheint damit als revisionsbedürftig. Problematisch war, daß der „alte“ Systembegriff innerhalb der Soziologie weder Alternativen noch Variationsmöglichkeiten, d.h. weder die Beliebigkeit von Ereignissen, noch das Phänomen von Komplexität und Sinnselektion hinreichend erklären konnte (vgl. Kiss 1990, S. 82). Als falsch sah es Luhmann an, wenn „Sinn“ auf das Subjekt bezogen und das Subjekt als Element des Systems betrachtet wird. Soziale Systeme, die kommunizieren, sind subjektunabhängig zu denken.

Der von Luhmann vollzogene Paradigmenwechsel vom „offenen“ zum „geschlossenen“ System (vgl. Luhmann 1988, S. 15 ff.) bedeutet eine völlige Neuorientierung des Denkens: die Lösung von der nur allzu vertrauten Vorstellung, daß der Mensch als Subjekt existiere, Bewußtsein habe, und die Realität mit ihren Einzeldingen die Umwelt des „Systems Mensch“ bilde. Unter dem Einfluß neurophysiologischer Theorien beantwortet Luhmann die Frage nach dem „Sein“ des Menschen anders: Was ist, sind lediglich Operationen des Gehirns und des Nervensystems, die durch ein durchaus begrenztes Arsenal von Sinnesreizen Anstöße erhalten, ansonsten aber ein in sich geschlossenes, selbstreferentielles System von Operationen darstellen. Die Außenwelt hat kein Ansichsein, sie ist reines Produkt dieser Operationen, erscheint als Dingwelt in unserem Bewußtsein. Die Nervenzellen arbeiten blind, sie können sich selbst nicht sehen, der Mensch als Subjekt kann ihren Operationen gegenüber nur eine - letztlich paradoxe - Beobachterfunktion wahrnehmen: „Die Einheit des Subjekts ist das Paradox der Selbstbeobachtung“ (Luhmann 1995, S. 160).

Die Differenz zwischen dem Verständnis der Systemtheorie in ihrer Frühphase in den fünfziger Jahren (sensu Bertalanffy) und ihrer entwickelten Phase seit den achtziger Jahren (sensu Maturana) besteht in der Annahme, daß Systeme gegenüber ihrer Umwelt als geschlossene und selbstreferentiell arbeitende Einheiten auftreten. Das zentrale Moment der modernen Systemtheorie bildet das von dem chilenischen Biologen Humberto Maturana eingeführte Konzept der „Autopoiesis“, das Luhmann auf soziale Systeme überträgt.



Autopoiesis (griech. auto = selbst, poiesis = das [selbstgeschaffene] Werk) ist ein „Kunstwort“ Maturanas für die Selbststeuerung des Systems. Jedes System ist in der Lage, sich selbst zu steuern und sich selbst am Leben zu erhalten. Jedes System besteht aus einer Anzahl endlicher Elemente. Die Elemente sind nicht an sich gegeben, sondern werden erst durch die Konstituierung des Systems zu solchen Elementen: In sozialen Systemen sind die Elemente „Ereignisse“, das, was passiert. Die Autopoiesis-These besagt, daß Systeme autonom funktionieren. Indem sie Netzwerke bilden, grenzen sie sich ab von ihrer Umwelt, mit der sie sich in einem Zustand „struktureller Kopplung“ befinden. Der Terminus „Selbstreferenz,“ meint Selbstorganisation des Systems, Aufbau von Strukturen, bildet also gleichsam die dynamische Seite der Autopoiesis (vgl. Gripp-Hagelstange 1995, S. 42). Luhmanns Theorie der selbstreferentiellen Systeme arbeitet mit der Vorstellung, „daß Systeme mit ihren eigenen Operationen eine Beschreibung von sich selbst anfertigen und sich selbst beobachten können“ (Luhmann 1988, S. 234).

Während bei Watzlawick die kommunizierenden Elemente als Subjekte in den Systembegriff eingingen, bleiben im Systemverständnis Luhmanns die Menschen als Subjekte außerhalb des Systems; sie gehören zur Umwelt. Das System ist das bloße Geschehen an sich, und das reproduziert sich selbst durch seine Elemente. Ziel des Systems muß die ständige Erneuerung der Elemente, das Fortfahren des Prozessierens sein. Dieses Ziel besteht nicht in der Bildung eines homöostatischen (statischen) Gleichgewichts wie in der frühen Systemtheorie (Bertalanffy), sondern in der Selbstreproduktion, die allerdings von vielen unerwarteten Ereignissen begleitet sein kann. Luhmanns Systembegriff ist sehr viel dynamischer.

Luhmann unterscheidet drei Typen von Systemen: organische, psychische und soziale Systeme. Soziale Systeme produzieren Kommunikation; ihre Elemente sind Ereignisse. Ereignisse sind das, was stattfindet. Das, was stattfindet, d.h. sich in der Zeit ereignet, stellt eine Selektion dar, aus dem unendlichen Reservoir von möglichen Ereignissen.

Kommunikation wird von Luhmann also nicht verstanden als der sprachliche Interaktionsprozeß von Subjekten, sondern als subjektloses Geschehen, als ständiger Prozeß der Selektion aus dem Gesamthorizont möglicher Ereignisse. Luhmann bestreitet, daß Kommunikation eine Angelegenheit von Subjekten sei, auch wenn er einräumt, daß im Alltagsverständnis Menschen kommunizieren. Dies ist für ihn reine Konvention, die ihre besonderen Gründe hat:

Die Konvention [die Meinung, daß Menschen kommunizieren; H.R.] ist erforderlich, denn die Kommunikation muß ihre Operationen Adressaten zurechnen, die für weitere Kommunikation in Anspruch genommen werden. Aber Menschen können nicht kommunizieren, nicht einmal das Bewußtsein kann kommunizieren. Nur Kommunikation kann kommunizieren. (Luhmann, Bd. VI, 1995, S. 37).

Mit freundlicher Nachsicht registriert Luhmann (Bd. VI, 1995, S. 167) die allseitige Empörung, die er dadurch auslöste, daß er das Subjekt außerhalb des Systems als „Umwelt“ ansiedelt; das widerspricht - scheinbar - der Tradition humanistischen Denkens. Der Gewinn liegt in einer unideologischen Betrachtungsweise von Mensch und Gesellschaft, die jene bisher praktizierte Einteilung in „gute“ und „böse“ (an Subjekte gebundene) Leitbilder, Ideologien, Zukunfstvisionen aufgibt.

Luhmanns Kritik gilt hier natürlich auch solchen Visionen, wie sie Habermas mit seiner „Diskursethik“ verfolgte (ebenda, S. 174). Auch sie muß eine die einzelnen Subjekte übersteigende Einheit voraussetzen, ein Konzept der Intersubjektivität, dessen Konstruktion Schwie­rigkeiten bereitet, weil nicht präzise gesagt werden kann, was damit eigentlich gemeint sei. Luhmann, der sich zu Beginn der siebziger Jahre der Kritik Habermas ausgesetzt sah, er betreibe die „kritiklose Beugung der Gesellschaftstheorie unter die Zwänge der Reproduktion der Gesellschaft“ (vgl. Reese-Schäfer 1996, S. 136; Habermas/Luhmann 1971), kontert lapidar, Habermas’ Theorie der Rationalität kommunikativen Handelns sei „schon empirisch schlicht falsch“ (Luhmann 1995, S. 119), denn es gäbe keinen Grund anzunehmen, daß Konsenssuche rationaler als Dissenssuche sei; Kommunikation setze allerdings zwingend voraus, „daß man in bezug auf momentan nicht aktuelle Themen die Frage Konsens oder Dissens dahingestellt sein lassen kann“ (Luhmann 1995, S. 119).

Damit kritisiert Luhmann gegenüber Habermas dessen allwaltendes Konsensideal der Kommuni­kation in ähnlicher Weise, wie die Kritiker Watzlawicks gegen dessen übersteigerte Vorstellung von Kommunikation als allwaltendes Phänomen Stellung bezogen: Wo nur noch kommuniziert wird, gibt es keine Differenz zur Nichtkommunikation; wo nur noch Konsens der Kommunikation als erstrebenswertes Ziel betrachtet wird, bleibt die Frage: Was kommt danach, falls Konsens er­reicht wird (vgl. Luhmann 1988, S. 237, Fußnote 73). Das müßte ein paradiesischer Endzustand sein, eine Spielart der Brave New World (Aldous Huxley) und wäre wohl nicht zum Aushalten! Im Zusammenhang der Analyse des „Neurolinguistischen Programmierens“ werden wir mit diesem Problem noch einmal zu tun haben (vgl.Abschnitt 5.9.2), wenn es um das Thema „Manipulation“ geht.

Es ist eine bemerkenswerte Umkehrung der Standpunkte, wenn der als ‘unpolitisch’ gescholtene Luhmann in seinem kontingenten Kommunikationsverständnis dem Protest und dem Widerspruch als Ereignissen gesellschaftlicher Kommunikation einen exzellenten Rang einräumt, wie dies - unter anderem Vorzeichen - die Vertreter einer gesellschaftskritischen Sichtweise forderten. Da Habermas fast gleichzeitig einen harmonistisch-konsenstheoretischen Kommunikationsbegriff auszuarbeiten begann, könnte Luhmann kontern, die an ihm geäußerte Kritik falle auf Habermas selbst zurück. Bei Habermas und Luhmann handelt es sich um völlig unterschiedliche Ausgangspunkte und Zielrichtungen der theoretischen Fundierung von Kommunikation. Der Streit darüber brachte die beiden Kontrahenten nicht näher, zwang sie aber, ihre eigenen Standpunkte bezüglich möglicher Schwächen genau zu überprüfen und weiter auszuarbeiten.

Luhmann setzt gegen das überkommene Konzept der Intersubjektivität seinen Begriff der Kommunikation als die elementare Operation des Systems Gesellschaft, die ihrerseits wiederum Ergebnis von Selektionsprozessen ist.

Wie kann ein System, das subjektlos gedacht ist, überhaupt erkannt werden? Luhmann löst dieses Problem, indem er jedem System den Status des „Beobachters“ zubilligt (vgl. Luhmann 1990a, S. 76 f.) Gehen wir vom psychischen System aus: Luhmann (1990a, S. 19) sieht das Nervensystem, an das unser Bewußtsein strukturell gekoppelt ist, als „Einrichtung zur Selbstbeobachtung des Organismus“. Das Bewußtsein konstruiert eine Welt, „in der es dann die Differenz des eigenen Körpers und der Welt im übrigen beobachten und auf diese Weise sich selbst beobachten kann“ (ebenda, S. 20); es trifft mittels Wahrnehmung und Sprache Unterscheidungen. Sprachliche Bezeichnungen definieren Differenzen und wählen aus, indem sie das Bezeichnete vom Nichtbezeichneten abheben. Dies ist jener Selektionsprozeß, der darüber entscheidet, was als „Realität“ zu gelten hat. „Beobachten“ ist ein empirischer, realer, sich in der Zeit vollziehender Prozeß. Weil in der Beoachtung die Beobachtung selbst wiederum Gegenstand von Beobachtung werden kann, also gewissermaßen eine Objektivierung erfährt, führt Luhmann noch eine Metaebene der Betrachtung ein: die Beobachtung des Beobachters. Das bedeutet: Auch die Operation der Beobachtung, kann - von einer Beobachtungsebene zweiter Ordnung aus - beobachtet und damit gleichsam objektiviert werden. Bezogen auf psychische Systeme heißt das: Ich spüre nicht nur Zorn, sondern gleichzeitig reflektiere ich, daß ich zornig bin. Bezogen auf soziale Systeme führt Luhmann aus:

Komplexe soziale Systeme kommen ohne beobachtende Operationen nicht aus, ihre Autopoiesis ist darauf angewiesen. Schon Kommunikation ist eine sich selber beobachtende Operation, weil sie eine Unterscheidung (von Information und Mitteilung) prozessieren und den Mitteilenden als Adressaten und Anknüpfungspunkt für weitere Kommunikation ausfindig machen, also unterscheiden muß. Erst recht gilt das für alles kommunikatives Prozessieren von Wissen. Im Interesse begrifflicher Klarheit müssen wir jedoch zwischen Operation und Beobachtung unterscheiden. Zwischen beiden Phänomenen besteht (für den, der sie beobachtet) ein Verhältnis der Komplementarität, ... . Für die Beobachtung einer Operation (auch der des Beobachtens) genügt nämlich ein einfaches Beobachten dessen, was geschieht (etwa im Sinne der artificial intelligence Forschung: das Beobachten der Veränderung von Symbolen oder Zeichen physikalischer Art). Für die Beobachtung der Operation als Beobachtung muß man dagegen eine Ebene zweiter Ordnung bemühen, und das heißt nach einer für die Linguistik heute geläufigen Einsicht: eine Ebene mit selbstreferentiellen Komponenten. (Luhmann 1990a, S. 77)

Anders als bei Watzlawick ist bei Luhmann der Kommunikationsprozeß des sozialen Systems strikt getrennt von den psychischen Systemen der Kommunikanten; beides sind für sich genommen autopoietische, geschlossene Systeme. Geschlossenheit bedeutet bei Luhmann aber nicht Gegensatz, sondern Bedingungsverhältnis; Geschlossenheit des Systems ist die Basis für Umweltoffenheit. Psychische und soziale Systeme bedingen einander. Die Grenzen sozialer Systeme fallen in psychische Systeme, wie umgekehrt die Grenzen psychischer Systeme in den Kommunikationsbereich sozialer Systeme fallen (Luhmann 1988, S. 295). Bewußtseinssysteme, sind allerdings in der Lage, soziale Systeme zu beobachten. Luhmann räumt den Beobachterstatus nicht nur psychischen, sondern auch sozialen Systemen ein; ebenso wird die Möglichkeit der Selbstbeobachtung als Fähigkeit jedes autopoietischen Systems angenommen. Das Beobachten definiert Luhmann als das „unterscheidende Bezeichnen“. Luhmann unterscheidet also zwischen Operation und Beobachtung:

Die Operationen, auch die des Bewußtseins, auch die der Kommunikation, verlaufen blind. Sie tun, was sie tun. Sie reproduzieren das System. Erst auf der Ebene des Beobachtens kommt Sinn ins Spiel, und zwar mit all den Ausstattungen, die uns Logik und Hermeneutik vorführen: mit der Befähigung zur Verneinung (im Unterschied zur Bejahung); mit der Fähigkeit zur logischen Modalisierung, zur Mitrepräsentation anderer Möglichkeiten, und, darauf aufbauend, zu Modalitäten wie Notwendigkeit, Unmöglichkeit, Kontingenz; mit temporalen Orientierungen, die zum Beispiel das, was operativ-gegenwärtig geschieht und das System gegen eine gleichzeitige Umwelt differenziert, mit Hilfe der Unterscheidung von Zukunft und Vergangenheit beschreiben können; und nicht zuletzt: mit Vorstellungen über Kausalität. Das alles „gibt“ es nicht, wenn nicht ein beobachtendes System es sich selber gibt. Alles, was die „Einheit“ fundiert, fungiert nur durch einen Beobachter als Einheit. (Luhmann 1995, S. 48)

Damit vermag Luhmann eines der Grundprobleme der Watzlawickschen Theorie, nämlich die Bestimmung des Anfangs und des Endes von Kommunikation, zu lösen. Anfang und Ende eines Kommunikationsprozesses sind für Luhmann inhaltlich durch das Thema bestimmt. Während bei Watzlawick die Inhalte gegenüber den Strukturen der Kommunikation weitgehend vernachlässigt werden, spielen für Luhmann die Themen der Kommunikation eine zentrale Rolle. Darauf wird noch zurückzukommen sein (vgl. Abschnitt 4.5.3).

Luhmanns Theorie hat den Anspruch, universell zu sein, d.h. als Supertheorie für alle gesellschaftlichen Phänomene zu gelten. Der allgemeine Systembegriff ist anwendbar auf Maschinen, Organismen, soziale Gegebenheiten und psychische Gegebenheiten (= Individuen). Luhmann bezieht „System“ auf soziale Gegebenheiten, womit „Interaktionen“, „Organisationen“ und „Gesellschaften“ gemeint sind (Luhman 1988, S. 16). Kommunikation bildet dabei das Grundelement sozialer Systeme.

Anders als bei Watzlawick und Habermas präsentiert Luhmann keine Wunschvorstellungen für ideale Kommunikation oder Kommunikationsförderung. Luhmanns Theorie ist als reines Instrument der Reflexion und Analyse zu betrachten, nicht als handlungsleitender Maßstab. Gemeinsamkeiten und Differenz der Anschauungen Watzlawicks und Luhmanns seien in folgender Übersicht noch einmal zusammengefaßt:


Watzlawick

Luhmann

  • offenes System

  • Austausch von System und Umwelt

  • Kreisförmigkeit der Interaktionen (führt zu gestörten und ausweglosen Kommunikationsstrukturen)

  • Kommunikation als eine Form des Handelns (Subjektbegriff im Kommunikationsbegriff enthalten)

  • Vorschläge für Kommunikationsverbesserung (z.B. durch Metakommunikation)

  • „Man kann nicht nichtkommunizieren.“

  • geschlossenes System

  • System-/Umweltdifferenz

  • Selbstorganisation der Systemelemente durch Selektion und Kontingenz (führt zur Emergenz von neuen Strukturen)

  • Kommunikation als Leistung des Systems (Subjektbegriff im Kommunikationsbegriff nicht enthalten)

  • keine Vorschläge oder Normen für die Verbesserung der Praxis von Kommunikation

  • „Nur die Kommunikation kann kommunizieren.“

Differenzen in den theoretischen Grundannahmen von Watzlawick und Luhmann


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