Die deutsche Gelehrtenrepublik. Ihre Einrichtung. Ihre Geseze. Geschichte des lezten Landtags. Auf Befehl der Aldermänner durch Salogast und Wlemar. Herausgegeben von Klopstock. Erster Theil



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Der Abend.

Zur Poetik.


Von der Handlung, der Leidenschaft, und der Darstellung. Je angenehmer Unterredungen von den Wissenschaften durch Lebhaftigkeit und Schnelligkeit, ja selbst durch Unordnung werden, desto schwerer ist es, wenn man sie hernach wieder überdenkt, dasjenige genau zu sagen, was darinn als festgesezt angenommen worden ist. Gleichwol getrauen wir uns das Hauptsächlichste von dem aufzuschreiben, worüber man heute in der Ulmengeselschaft überein zu kommen schien.

Ein Gedicht ohne Handlung und Leidenschaft ist ein Körper ohne Seele. Handlung besteht in der Anwendung der Willenskraft zu Erreichung eines Zweks. Es ist ein falscher Begrif, den man sich von ihr macht, wenn man sie vornämlich in der äusserlichen That sezt. Die Handlung fängt mit dem gefasten Entschlusse an, und geht (wenn sie nicht gehindert wird) in verschiednen Graden und Wendungen bis zu dem erreichten Zwecke fort. Mit der Leidenschaft ist wenigstens beginnende Handlung verbunden. Einige Handlungen geschehen ohne Leidenschaft; aber die, welche der Wahl des Dichters würdig seyn sollen, müssen mit Leidenschaft geschehen. Man sieht, wie beyde Hand in Hand mit einander fortgehn. In diesem Gedicht ist viel Handlung! rufen die Theoristen bisweilen aus; und doch enthält es nur Begebenheiten.

Zwischen der epischen, und der dramatischen Handlung ist kein wesentlicher Unterschied. Die lezte wird nur dadurch eingeschränkt, daß sie vorstelbar seyn muß.

Dem lyrischen Gedichte, ob es gleich die Handlung nicht ausschliest ist Leidenschaft zureichend. Aber es ist, in so fern es diese allein hat, dennoch nicht ganz ohne Handlung. Denn mit der Leidenschaft ist ja wenigstens beginnende Handlung verbunden.

Die Erdichtung ist keine wesentliche Eigenschaft eines Gedichts. Denn der Dichter kann wirklich geschehene Handlung, und sie unvermischt mit erdichteter, er kann seine eignen Empfindungen zu seinen Gegenständen wählen. Unterdeß, da unter jenen Handlungen so wenige für ihn brauchbar sind, so gehört die Erdichtung beynah zu den wesentlichen Eigenschaften eines Gedichts.

Wenn ein Gedicht Handlung und Leidenschaft nicht darstelt, das heist, wenn es ihnen nicht alle die Lebendigkeit giebt, deren sie, nach ihrer verschiednen Beschaffenheit fähig sind; so fehlt ihm eine Eigenschaft, die zwar bisher von den Theoristen nur in Vorbeygehn ist bemerkt worden, die aber etwas so Wesentliches ist, daß man ein Gedicht ohne Darstellung, mit Recht, als etwas seiner Art nicht angehöriges, ansehn kann. Es ist ein Tänzer, der geht. Vielleicht giebt es nur zwey Grade der Darstellung; und der geglaubte dritte gehört schon nicht mehr zur Darstellung.

Leblose Dinge sind nur dann der Darstellung fähig, wenn sie in Bewegung, oder als in Bewegung gezeigt werden. Doch kann die Darstellung der leblosen Dinge nie den ersten Grad erreichen. Sie bringt es nicht bis zur Täuschung. Wenn die leblosen Dinge nicht in Bewegung, oder als in Bewegung, gezeigt werden; so ist das, was alsdann von ihnen gesagt wird,bloß Beschreibung. Und durch diese darf der Dichter den Leser nur selten ausruhen lassen.

Die Malerey zeigt ihre Gegenstände auf Einmal; die Dichtkunst zeigt sie in einer gewissen Zeit. Die schnelle Vorstellung giebt jener so wenig einen Vorzug, daß diese vielmehr eben dadurch einen bekomt, daß man ihre Gegenstände nur nach und nach entdekt. Dort war der Eindruk zu schleunig entstanden, um genung zu wirken. Man nehme ein Stük eines Dichters, ein kleines Ganzes, so viel als etwa ein Gemälde in sich fasset. Hier entsteht erst die Begierde zu entdecken eben dadurch, daß nicht Alles gleich ganz da ist. Mit dieser Begierde, ist die Erwartung deß, was man entdecken werde (ich seze voraus, daß man höre, und nicht selbst lese, wenigstens nicht so, daß das Auge Sprünge voraus mache) sehr genau verbunden, ein doppelter Reiz, den das Gemälde nicht geben kann. Wenn nun, wie bey dieser Vergleichung angenommen werden muß, die Arbeit des Dichters in ihrer Art so schön ist, als die Arbeit des Malers in ihrer; so hat der Dichter so zu sagen zwey Kräfte mehr, es bey uns dahin zu bringen, wohin er es bringen will, nämlich, die Darstellung bis zur Täuschung lebhaft zu machen. Wer hat jemals bey einem Gemälde geweint?

Unsre Sprache ist einer Wortfolge fähig, welche die Erwartung sehr reizen, und einer Kürze, durch die der Dichter machen kann, daß die genung gereizte Erwartung nun auch früh genung zu ihrem Ziele komme. Durch Sprachkürze werden die wenigsten Worte zu einem gewissen Inhalte verstanden, dieser mag dann einfache, oder zusammengesezte Gedanken in sich begreifen.

Auch in der Musik entdekt man nach und nach. Wenn sie ohne Worte reden will; so ist ihr Ausdruk sehr unvollkommen, und das nicht allein deswegen, weil er allgemein ist, und keine einzelne Gegenstände bezeichnet, sondern auch, weil er noch dazu nur wenig Allgemeinheiten hat.

Die Musik, welche Worte ausdrükt, oder die eigentliche Musik ist Declamation. Denn hört sie etwa dadurch auf dieses zu seyn, weil sie die schönste Declamation ist, die man sich nur denken kann! Sie hat eben so Unrecht, wenn sie sich über das Gedicht, das sie declamirt, erhebt, als wenn sie unter demselben ist. Denn dieß Gedicht, und kein anderes, völlig angemessen auszudrücken, davon war ja hier die Rede; und ganz und gar nicht davon, überhaupt zu zeigen, wie gut man declamiren könne.

Aber so wäre ja die Musik unter der Dichtkunst! Haben sich denn die Grazien jemals geschämt, der Venus den Gürtel anzulegen ?

Vorschlag zu einer Poetik, deren Regeln sich auf die Erfahrung gründen. Wir werden die Natur unsrer Seele nie so tief ergründen, um mit Gewisheit sagen zu können, diese oder jene poetische Schönheit muß diese oder eine andre Wirkung (Wirkung wird hier in ihrem ganzen Umfange, und mit allen ihren Bestimmungen genommen) notwendig hervorbringen. Gleichwol sind die meisten Regeln in fast allen Theorien der Dichtkunst so beschaffen, daß sie, ohne Voraussezung jener notwendigen Wirkung, unerweislich bleiben. Ich halte mich nicht dabey auf, was dieses Gemisch unerwiesener, theils falscher, und theils zufällig, und wie im Blinden ertapter halbwahrer Regeln auf Dichter, und Leser für schlimme Einflüsse gehabt habe. Meine Frage ist nur: Was muß der Theorist thun, der wahre Regeln festsezen will?

Ich denke, er muß zwey Sachen beynah zu gleicher Zeit thun, die erste: Er bemerkt die Eindrücke, welche Gedichte von allen Arten auf ihn, und auf andre machen, das heist: er erfährt, und sammelt die Erfahrung Andrer; die zweyte: Er sondert die Beschaffenheiten der verschiednen Gedichte mit genauen Bestimmungen von einander ab, oder er zergliedert das in Dichtarten, was Wirkung hervorgebracht hat. (Anzeige schwächerer oder stärkerer Wirkung würde dabey nicht überfliessig seyn.) Wie sehr man sich hier irren könne, beweist unter andern, daß man die poetischen Briefe zu einer Dichtart hat machen wollen. Wenn nun vollends das Lehrgedicht kein eigentliches Gedicht wäre, und also auch keine Dichtart ausmachen könte? (Hiermit wird nicht gesagt, daß ein Lehrdichter nicht viel poetischen Geist haben, und theils zeigen könne.) Bey der anzustellenden Erfahrung möchten drey Classen Zuhörer wol genung seyn. Es giebt eine gewisse unterste, mit der keine Erfahrung zu machen ist. Man ist nicht sicher, völlig richtige Erfahrungen zu machen, wenn man den Dichter nur zum Lesen hingiebt, und sich hierauf die Eindrücke sagen last. Man muß ihn vorlesen, und die Eindrücke sehen. Man würde dann auf seinem Wege unter andern auch dahin kommen, daß man sagen müste: Diese oder jene poetische Schönheit macht auf alle drey Classen gewisse Wirkungen, eine andre nur auf zwey, wieder eine andre nur auf Eine.

Die Werke der Alten haben die Erfahrungen von Jahrhunderten für sich; aber bey der Untersuchung müste man doch das, was wirkliche Erfahrung desjenigen, der von diesen Werken spricht, und was nur Nachgesagtes ist, genau von einander absondern; und dann auch hier alles weglassen, was, nur unter der Voraussezung einer notwendigen Wirkung, als gegründet, kann angenommen werden.

Da besonders, wo es der Dichter so recht warm aus der Natur schiene herausgenommen zu haben, müste man ihm in der Natur selbst nacherfahren. Träfe man hier die Eindrücke wieder an, die man vorher durch ihn bekommen hätte; so könte man sich von diesen Puncten des Festzusezenden desto gewisser überzeugen.

Ich möchte wol eine Poetik lesen, welche diesen Plan, die Wagschale beständig in der Hand, ausgeführt hätte, nicht eben wenn ich Dichter wäre; denn alsdann hofte ich doch noch mehr zu wissen, als selbst der Theorist, der diese Poetik geschrieben hätte.


Siebender Morgen.
Die Zünfte der Astronomen und der Dichter thun den Aldermännern den Vorschlag, ein Gesez zur Steurung der Freygeisterey zu geben. Der Rathfrager widersezt sich diesem Vorschlage. Die Aldermänner verlangen Bedenkzeit. Sie lassen Leibnizens neues Denkmal errichten. Unvermuteter Vorzugsstreit zwischen den südlichen und den nördlichen Deutschen.
Die Zünfte der Dichter und der Astronomen hatten sich seit einiger Zeit oft mit einander berathschlagt. Heute wurde die Ursache ihrer Berathschlagungen bekant. Die beyden Anwalde kamen nebst etlichen Ältesten zu den Aldermännern herauf. Ihr Vortrag war dieser:

Ihr wist es, wie sehr sich die Freygeisterey in England, und Frankreich, um nur diese Länder zu nennen, ausgebreitet, wie sie dort mit der schnellen Ansteckung, mit den andern Eigenschaften der Pest, gewütet habe, und fortwüte; und ihr wist es gewiß auch, daß sie nun schon seit nicht kurzer Zeit, auch in unser Vaterland eindringe. Die Ursachen, warum sich der ernsthafte, tiefdenkende, und standhafte Deutsche auch mit fortreissenlasse? Eine davon ist gewiß die Nachahmungssucht. Doch die Ursachen, und die Beschaffenheit des Übels bey Seite; dürfen wir Gelehrten es den Fürsten überlassen ihm zu steuren? Sie scheinen es nicht zu wollen; aber wollen sie es auch: können sie es denn? Etwa bisweilen einmal die Schrift eines Freygeistes verbrennen lassen? Wozu hilft dieses anders, als eine solche Schrift bekanter zu machen? Wenn es also den Gelehrten obliegt es zu thun; so ist die grosse Frage, wie sie es thun sollen? Daß wir uns mit derselben an euch wenden, Aldermänner, kann euch ein Beweis seyn, daß wir euch verehren, ob wir gleich manchmal in dieser oder jener Sache mit euch nicht überein kommen. Habt ihr ein Gesez darüber vorzuschlagen; so denken wir, daß es, und solt es auch die Grundsäulen der Republik erschüttern, durchgehn werde. Ihr seht, daß wir es bey der Sache wie Männer meinen. Wenn man von der Einrichtung, daß die unter uns, welche sich auf irgend eine Art hervorthun, Zünfter sind, auch nur in Beziehung auf einige, abweichet; so werden die Grundsäulen der Republik erschüttert: sehet ihr aber diese Abweichung als zum Zwecke führend an; so willigen wir gleichwol gern ein, daß ihr die, welche die Freygeisterey öffentlich, und nicht zweydeutig ausbreiten, für unzünftig erklärt. Wir haben die Unzweydeutigkeit, wiewol nicht ohne einige Zweifel, zu einer der Bedingungen gemacht, weil man auf der einen Seite Niemanden, dessen Worte auch noch einer bessern Auslegung fähig sind, nach denselben, in so fern sie ihm zum Nachtheile gereichen, verurtheilen darf: auf der andern Seite aber diese bessere Auslegung, was die Freygeister anlangt, gewönlich sehr gezwungen ist. Hierzu komt nun oft noch, daß ihre nur nicht alles sagenden Worte, eben dadurch, daß sie nicht alles sagen, einen Stachel des Reizes bey dem Leser zurük lassen, der noch schlimmere Wirkungen hervorbringt, als eine völlig deutliche Erklärung haben würde.

Der Rathfrager war, so bald er von der Unzünftigkeit gehört hatte, heraufgekommen. Vermutlich sollen sie also wol, sagte er, künftig unter uns seyn? Als wenn wir nicht ohne sie schon Freygeister genung hätten! Verstosset ihr sie nicht unter den Pöbel; so versprech ich euch, daß das Volk mit allen Stimmen wider euch seyn wird.

Unter den Pöbel, antwortete der Anwald der Astronomen, sollen sie nicht kommen. Und auch die Freygeister, die ihr schon jezt habt, sollen das nicht. Denn ich vermute, daß ihr diese Forderung thun werdet, weil ihr einmal durch solche neue Ankömlinge nicht zahlreicher werden wolt. Eure jezigen Freygeister sind zu unschädlich, als daß es nötig wäre, gegen sie irgend etwas zu thun. Was diejenigen, die jezt noch Zünfter sind, anbetrift, so werd ich meine Ursachen, warum ich sie nicht unter dem Pöbel haben will, schon anzeigen, wenn die Sache bey der Republik in Bewegung seyn wird. Also sollen wir es seyn, rief der Rathfrager, unter denen es von Freygeistern wimmelt? Die Zünfte meinen es doch recht gut mit dem Volke. Ich wiederhol euch mein Versprechen; und verschiedne Zünfte werden uns, aus gewissen recht guten Ursachen, schon beytreten. Er ging weg. Nach einigem Stillschweigen sagte der wortführende Aldermann: Es ist unsers ganzen Dankes werth, daß ihr uns in dieser sehr ernsthaften, und sehr wichtigen Sache zur Gesezgebung aufgefodert habt; allein wir brauchen es euch kaum zu sagen, daß wir, uns darüber zu berathschlagen, und zu entschliessen, Zeit haben müssen. Ich meine, daß verschiedne Tage vergehn werden, eh wir uns dieser Sache halben an die Zünfte und an das Volk wenden. Ich sehe einen solchen besondern Ernst, der eines theils, mich deucht, gröstentheils Traurigkeit ist, überall ausgebreitet, daß ich für rathsam halte, heute weiter keine Geschäfte mehr vorzunehmen. Wir wollen uns durch einen Gegenstand zerstreuen, mit dessen Wahl man, wie ich hoffe, zufrieden seyn wird. Leibnizens neues Denkmal ist fertig geworden, und auch schon nach der Stelle gebracht, wo es stehn soll. Es fehlt nichts, als daß wir es errichten lassen. Indem standen die Aldermänner, und mit ihnen beynah zugleich auch die Zünfte auf. Der Herold muste ausrufen, daß sich der Pöbel bey der Errichtung des Denkmals nicht zu sehr zudrängen solte. Dieses wurde nicht weit von den Ulmen, unter mehr als Einem recht herzlichen Zurufe der Freude und des Stolzes, errichtet. Es währte lange, eh man durchkommen, und die Aufschrift in Ruhe lesen konte.

»Steh still, Untersucher, Deutscher, oder Britte. Leibniz hat die Furche geführt, und die Saat gestreut, wo es Newton, und wie er es gethan hat. Allein er hat, mit gleicher Furch und Saat, auch da angebaut, wo Newton nicht hinkommen ist. Du weigerst dich umsonst, Britte, ihn den Vortreflicheren zu nennen. Denn Europa nent ihn so.«

Es war noch nicht Mittag, als einige Älteste des Volkes dasselbe auf seinem Plaze unvermerkt versammelten, viel von dem sprachen, was die beyden Zünfte vor kurzem vorgetragen hatten, und dann den Ergiessungen zuhörten, in welche Viele über das Vorgetragne ausbrachen. Die wahre Absicht der Zusammenberufung wurde unter der scheinbaren, etwas über die wichtige Sache zu beschliessen, verborgen. Die ungestüme Berathschlagung hatte nicht lange gewährt, als der Rathfrager mit den übrigen Ältesten in die Versamlung kam. Bald darauf entstand unter den Ältesten ein Streit, der sich mit eben der Schnelligkeit ausbreitete, als er entstanden war. Man wolte entscheiden, entschied es aber desto weniger, je länger man fortfuhr: Ob die nördlichen Deutschen, und zwar in wichtigen Dingen, Vorzüge vor den südlichen hätten? Kaum hatten sich nun auch Zünfter genähert, und herausgebracht, wovon die Rede wäre, als man schon fast überall anfing sich Norde oder Süde zu nennen. Die meisten, die sich so, oder so nanten, waren es wirklich; aber verschiedne nahmen nur durch die Benennung Parthey. Niemanden fiel auch nur von fern der Gedanke ein, daß die Entstehung dieses Streites, und dasjenige, was bey den Aldermännern vorgewesen war, Beziehung auf einander hätte; und so war es doch, wie man in der Folge sehen wird. Die Versamlung trente sich; und man traf keine Norden und Süden bey einander an, ausgenommen da, wo sie von neuem, und immer heftiger stritten. Es war noch nicht Abend, da auch schon hier und da unter den Zünftern die beyden Namen gehört wurden. Den Abend über nahm es selbst unter den Zünftern merklich zu. Verschiedne Aldermänner gingen nach den Ulmen, und nach der Laube; fanden aber da Niemanden: desto zahlreicher waren die Zusammenkünfte im Thale. Dort sahen sie den ganzen Umfang des so schnell entstandnen, und so schnell wachsenden Zwiespalts; und sie, die nichts irre zu machen, und zu erschüttern pflegt, wurden es doch jezt durch die Vorstellungen: Ob sich Morgen die Republik auch versammeln würde? und wenn sie sich versammelte, was dann vorgehn könte? und ob es zulezt nicht mit der Sache gar so weit kommen würde, daß sich der Landtag trente? Sie waren desto unruhiger, weil sie noch keinen Entschluß ihres Betragens halben gefast hatten.




Achter Morgen.

Als man eben anfangen will den Streit über die Süden und die Norden vor der versammelten Landgemeine zu führen, wird er durch Entdeckung des Urhebers, und seiner Absichten beygelegt. Die Aldermänner trauen gleichwol der Beylegung noch nicht völlig, und lassen daher nur Nebendinge untersuchen.


Die Aldermänner kamen mit dem Entschlusse in die Versamlung, zu erwarten, ob sich eine der Zünfte über den Zwiespalt äussern würde, und sich dann erst, nach Maasgabe der Äusserung, darauf einzulassen; aber auch, wenn ein solcher erster Schritt nicht geschähe, alles, was in ihrer Gewalt wäre, anzuwenden, um die Einigkeit wieder herzustellen. Die Sache hatte, wie man sie auch ansah, besonders Eine grosse Schwierigkeit für die Aldermänner. Sie musten Parthey nehmen. Nahmen sie keine; so war ihre Verurtheilung, als solcher, die sich der Republik in Zeiten der Unruh entzögen, gewiß: und nahmen sie Parthey, so thaten sie in Grunde nichts weiter, als daß sie das Feuer eines so ernsthaften Zwistes nur noch mehr entflamten. Einige von ihnen waren aus zwey Ursachen noch nicht auf dem Versamlungsplaze. Die Zünfte, meinten sie, würden den Anfang machen, wenn sie sähen, daß die Aldermänner noch nicht alle bey einander wären; und die Zurükgebliebnen hatten ausserdem die Absicht, dem Rathfrager, mit dem sie sich unterredeten, in einer Sache näher auf die Spur zu kommen, die, wenn sie völlig entdekt würde, der Republik die vorige Ruhe auf Einmal wiedergeben könte. Nach einiger Stille, während welcher man die Aldermänner keine Kälte, die sie nicht hatten, annehmen, sondern sie vielmehr voll lebhaften und beynah unruhigen Nachdenkens sähe, trat der Anwald der Dichter auf dem Plaze der Zunft hervor, und erklärte mit wenigen Worten: Daß die Zunft der Dichter keine Parthey in dem Streite über die Vorzüge der Süden oder der Norden nähme. Erklärungen, von denen man nicht weichen will, werden auf diese Art gegeben. Denn wenn die Anwalde zu den Aldermännern hinaufgehn, so zeigen sie dadurch, daß sie die Abrathung derselben wenigstens nicht geradezu verwerfen wollen. Der Anwald der Mathematiker trat gleich hernach auf dem Zunftplaze hervor, und beschuldigte die Dichter ohne allen Umschweif des Stolzes. Die Norden auf dieser Zunft, sagte er, glauben der höheren Stufe so gewiß zu seyn, daß sie es wenig kümmert, wie wir andern den Streit entscheiden werden. Ohne diesen ersten Stolz, würden sie den zweyten nicht haben, den nämlich, daß sie sich es herausnehmen, ruhn zu wollen, wenn die ganze Republik in Bewegung ist, und das durch eine Sache veranlasset, die nicht etwa nur uns allein, sondern die ganze Nation angeht. Aber vergeltet's den Dichtern, Aldermänner, Zünfte, und Volk, weil ihr bey der ernsthaften Sache gewiß nicht zu ruhen gedenkt. Die Dichter können, ich weiß es, für ihr Betragen anführen, daß in dieser Sache die Mehrheit der Stimmen nichts entscheide, und daß es also besser sey, sie nicht zu sammeln; denn, gesammelt, würden sie der entstandnen Zwietracht nur neue Nahrung geben. Aber haben sie denn deswegen in Allem recht, weil sie in Einem Puncte recht haben? Nur darinn haben sie's, daß die Mehrheit hier nichts entscheide; allein folgt denn daraus, daß es gleichgültig sey, zu erfahren, wohin sich diese Mehrheit lenken werde? Ihr könt euch also ja nur von hier weg, in eure Halle, in die Laube, oder wo ihr sonst hin wolt, begeben. Denn weswegen woltet ihr hier seyn, und zuhören, wenn nun die grossen Namen der Ottone, der Heinriche, der Hermanne, der Luther, und der Leibnize erschallen, und auf der andern Seite ..

Der Anwald wurde hier, durch ein Geräusch, das eben so schnell zunahm, als es entstanden war, gehindert fortzureden. Diese Bewegung ward durch die zurükgebliebnen Aldermänner veranlast. Sie redeten den Rathfrager auf Einmal sehr lebhaft, und beynah mit Zorn an, und riefen, indem sie es thaten, zugleich einigen aus dem Volke. Diese eilten herbey; und es schien, als wenn sie dasjenige bezeugten, was die Aldermänner dem Rathfrager vorwarfen. Dieser hatte wenig oder nichts zu antworten, und wurde, so ungern er auch wolte, nebst den Zeugen, auf den Versamlungsplaz der Aldermänner geführt. Das Verhör war bald zu Ende. Denn der Rathfrager hatte, vor grosser Freude, daß ihm sein Anschlag so gut gelungen wäre, zu viele zu Vertrauten gemacht. Der Herold rief gleich nach geendigtem Verhöre folgendes aus: Der Rathfrager hätte aus Unmut darüber, daß die für unzünftig zu erklärenden Freygeister unter das Volk kommen solten, den Anschlag gefast, die Republik zu verwirren, alles in der Absicht, damit man sich mit Wiederherstellung der Ruhe so sehr beschäftigen müste, daß man keine Zeit übrig behielte, der Freygeister halben etwas auszumachen; und damit man, wenn es etwa doch noch zu dieser Untersuchung käme, so entzweyt wäre, daß die vorgeschlagne Unzünftigkeit wenigstens in grosser Gefahr stünde, nicht durchzugehn. Aber weil er bey Sachen, die er recht ernsthaft wolte, die Würfel nicht gern auf dem Tische liegen sähe; so hätte er für die Verwirrung der Republik so gut gesorgt, daß er nicht ohne Hofnung wäre, der Landtag könte darüber wol gar aus einander gehn. Denn der Rathfrager ist es, endigte der Herold, der dieß Feuer, das, der Süden und der Norden wegen, unter uns so schnell, und so sehr Überhand genommen, angelegt hat.



Der Verdruß über die Kühnheit des Mannes, daß er sich unterfangen hatte, einen solchen Anschlag zu fassen, und noch mehr darüber, daß dieser Anschlag ihm so gut gelungen war, wirkte so stark, daß man nicht einmal bey dem Volke anfragte, ob es seinen ihm so getreuen Rathfrager absezen wolte, sondern ihn für abgesezt erklärte, und ihn gleich darauf, nebst etlichen seiner schlimsten Mithelfer Landes verwies. Die grosse Einigkeit der Zünfte bey Abthuung dieser Sache zeigte genung, daß sie einen Zwist, der einen solchen Ursprung gehabt hatte, nicht lange mehr fortsezen würden. Da es aber indeß doch nicht unmöglich war, daß etwa hier und da noch ein Fünkchen unter der Asche verborgen läge; so wolten die Aldermänner heute kein Geschäft vornehmen, das zu ernsthafteren Untersuchungen und dabey leicht entstehendem Streite veranlassen könte. Glüklicherweise für sie war die lezte Nacht ein nicht kleiner Lerm gewesen; und gleichwol hatten die Nachtwächter ihre Obliegenheit so schlecht beobachtet, daß man auch nicht Ein Horn gehört hatte. Die Aldermänner trugen es daher dem Anwalde der Drittler, und zwey Ältesten dieser Zunft auf, die Nachtwächter zu vernehmen. Wir können nicht in Abrede seyn, daß es uns sehr kränken würde, wenn man deswegen Mistrauen in unsre historische Wahrhaftigkeit sezen wolte, weil wir der allerdings etwas wunderbaren Ereignisse, (welche wir gleich erzählen wollen) die Gespenster und den Mäuseberg betreffend erwähnen. Mit gleichem Unrechte, würde man so gar gegen die Glaubwürdigkeit der Xenophone, der Cäsare, und der Dione Zweifel vorbringen können, weil (wir führen nur sie, und aus jedem nur Ein Beyspiel an) der erste durch einen Traum zu der Führung der Zehntausend ermuntert wurde; der zweyte von Thieren des Harzes, die Beine ohne Gelenke hatten, Nachricht gab, und der dritte erzählte, eine Bildsäule der Siegesgöttin hätte ihr Gesicht zu der Zeit von Rom weggewendet, als Varus und die Legionen in Teutoburgs Thäler gekommen wären. Wir hoffen durch diese wenigen Beyspiele (wie viele könten wir nicht noch anführen) allen Verdacht des Fabelhaften, das wir so sehr hassen, von uns abgelehnt zu haben. Sie, und andre, lautete die Vertheidigung der Nachtwächter, hätten diese Nacht nicht wenig Gespenster verstorbner Schriften gesehen, aber sie durchaus nicht zum Weichen bringen können: Bergmänchen mit langen weissen Bärten, und die gleichwol doch sehr possenhaft herumgesprungen wären; diese hätten Voltairens fliegende Blätter eben verlassen gehabt; Kobolde aus politischen Schreibereyen; diese wären über's Meer gekommen; Irwische, theils kurze feiste Dinger aus deutschen wollüstigen Versbüchern, theils lange hagre Gestalten aus einheimischen Schönwissenschaftstheorien, und sonst noch allerhand inländischen und ausländischen Spuk in Gestalt der kleinen chinesischen Wackelköpfe. Bey der Untersuchung fand sich's, daß die Nachtwächter die Worte der Bannung vor Schrecken nicht hersagen können, und daher nur kurze Zeit Stand gehalten hatten. Ja einige wusten sie sogar nicht einmal recht auswendig. Die älteren Nachtwächter bekamen einen Verweis wegen ihrer Furchtsamkeit, und zugleich Befehl, den Jüngern die Bannungsformel so lange vorzusagen, bis sie dieselbe genau wüsten. Jene fingen, um ihren Gehorsam zu zeigen, schon jezt vor den Richtern ihren Unterricht an. Es murmelte auf allen Seiten:

Weiche, Bergmänchen, Kobold, Irwisch, Wackelkopf, (hier muß stark ins Horn gestossen werden) und du o Knochenriese, Foliant! (abermal stark ins Horn) und du o breites Geripp, Quartant! und alle ihr geschwäzigen weissen Frauen samt und sonders, (ins Horn, ins Horn!) weichet, weichet! Denn die Wische, Blätter, und Bücher, worinn ihr gewesen seyd, verachten Leser, die denken, und überlassen sie in Krambuden der Hökerinnen, oder in Goldsälen der Grossen, ihrem Schiksale.

Aber die Nachtwächter durften dieses Murmeln nicht lange treiben, und musten sich wegbegeben.

Die Aldermänner wolten hierauf, um heute nichts Ernsthaftes vorzunehmen, nun gleichwol noch die schon vergesne Sache der neulichen Meutmacher untersuchen lassen; allein sie erhielten, als sie deswegen ausschikten, den Bericht, daß sich die Meutmacher die gute Gelegenheit der allgemeinen Furcht zu Nuze gemacht, und in aller Geschwindigkeit abgezogen wären, und zwar viele unter ihnen mit inniger Betrübnis, daß so manche von ihnen gepriesene Schriften schon jezt untergangen wären. Die Entwichnen hatten sich auf den berüchtigten Berg begeben, der vor Alters nach langen Kindesnöthen und dazu gehörigen Geschrey die bekante Maus geboren hatte. Dieser Berg besteht fast aus, lauter Hölen, welche bloß mit einer dünnen Erdrinde bedekt sind. Daher ihn nur solche, die leere Köpfe haben, (die Aufgeblasenheit des Herzens ist ihnen dabey gar nicht nachtheilig) ersteigen können. Betritt ihn einer, des Kopf nur nicht völlig leer ist (es kommen da die geringsten Kleinigkeiten in Betracht) so stürzen die Hölen augenbliklich unter ihm ein. Dieser Berg war also ein recht sichrer Zufluchtsort für die Meutmacher. Sie sollen nicht wenige Ausländer auf demselben angetroffen haben.

Vor einigen Jahren hatte sich ein Gerücht weit ausgebreitet, daß sich in einem Erdbeben ein grosses Stük von dem Mäuseberge losgerissen, und über den Versamlungsplaz einer gewissen Zunft der französischen Gelehrtenrepublik hergestürzt hätte. Der Landtag, (erzählte man damals) den sie eben halten wolte, war zwar glüklicher Weise noch nicht angegangen; aber er muste doch gleich nach dem sonderbaren Vorfalle eröfnet werden, so daß keine Zeit übrig war, den Schut wegbringen zu lassen, und die Zunft sich also gezwungen sah, mit einem Pläzchen in der Nähe fürlieb zu nehmen.

Da der Mittag noch ziemlich entfernt war, und die Aldermänner dabey blieben, nichts vorzunehmen, das von Belange wäre; so liessen sie die Glaubwürdigkeit des angeführten Gerüchts untersuchen. Aber die Sache konte, wie eifrig man sie auch untersuchte, doch in kein Licht gesezt werden, das hell genung gewesen wäre, eine Meinung darüber anzunehmen.

Etliche Altfranken, (auch dieses kam der Absicht der Aldermänner sehr zu statten) waren ziemlich verdrieslich darüber geworden, daß es mit der Heraldik auf Einmal so zur Endschaft gekommen war. Ob es ihnen nun gleich viele der ihrigen widerriethen, weil es ja ohnedas schon mit dieser Wissenschaft überlange Stich gehalten hätte, so entschlossen sich doch die wenigen, einen Versuch zu thun, ob sie die ihnen so sehr am Herzen liegende Heraldik nicht wieder zu ihrer vorigen Höhe empor bringen könten. Um dieß auszuführen, musten sie Mitglieder der Republik werden. Sie erklärten also, daß sie, alles erwogen, der Zunft der Kenner angehörten, ob sie gleich bisher nicht auf derselben erschienen wären. Wir sind, sagten sie, mit den schönen Wissenschaften der Ausländer, besonders der Franzosen so gut bekant, als es nur ein geborner Franzose oder ein andrer Ausländer seyn kann. Wahr ist es freylich, daß wir das Einheimische so etwas vernachlässiget haben: aber gleichwol sehen wir nicht ein, warum es der Zunft der Kenner nicht ein Vergnügen machen solte, uns unter sich zu haben. Denn, wie gesagt, Kenner sind wir doch einmal.

Dennoch wolten die Zünfte sich nicht damit abgeben die Sache zu entscheiden; sie trugen es auch nicht einmal den Aldermännern auf, es an ihrer statt zu übernehmen. Die Aldermänner geriethen daher in eine etwas sonderliche Stellung. Auf der einen Seite konten sie sich, ohne den Auftrag der Zünfte, nicht allzuwol darauf einlassen, einen Ausspruch zu thun; auf der andern Seite waren sie darüber nicht ohne Verdruß, daß es scheinen könte, sie brauchten viel Zeit, einen so leichten Ausspruch zu thun. Der abgeordnete Altfranke schien sich über die Verlegenheit zu freuen, in die er nicht etwa die Aldermänner allein, sondern die ganze Republik gesezt hätte. Doch diese sehr unveranlaste Freude dauerte nur kurze Zeit. Die Aldermänner liessen es darauf ankommen, was die Zünfte zu der ihnen jezt notwendig scheinenden Abweichung von den Gesezen sagen würden, und erklärten, daß der Abgeordnete und sein Anhang ihrenthalben zu französischen, englischen, auch chinesischen, oder auch tartarischen Kennern (sie bäten der lezten halben deswegen nicht um Verzeihung, weil die Erobrer China's wol hundert Jahre vor der französischen Academie eine Academie ihrer Sprache gehabt hätten) zu tartarischen Kennern gehören möchten. Gleichwol würde sie die Republik nicht eher zu Mitgliedern aufnehmen, als bis sie wieder Deutsche geworden wären. So bald es mit diesem Punkte seine Richtigkeit hätte, alsdann erst, und nicht eher könte es ausgemacht werden: Ob sie, als Kenner, in die Zunft, oder unter das Volk aufzunehmen wären?

Die Zünfte schienen hiermit so sehr zufrieden zu seyn, und der abgeordnete Altfranke könte dawider so wenig erhebliches vorbringen, (dieß kam wol mit daher, weil er, indem er redte, französisch dachte, und es immer erst, eh es herauskam, zwischen den Zähnen verdolmetschte) daß alles auf Einmal vorbey war, und es bey der Erklärung der Aldermänner sein Bewenden hatte.

Es war endlich Mittag geworden; und die Landgemeine ging aus einander.




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