Die deutsche Gelehrtenrepublik. Ihre Einrichtung. Ihre Geseze. Geschichte des lezten Landtags. Auf Befehl der Aldermänner durch Salogast und Wlemar. Herausgegeben von Klopstock. Erster Theil



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Der Abend.

Aus einer neuen deutschen Grammatik.

[Die Anmerkungen befinden sich am Ende des Abschnitts.]
Vom Tonmaasse. 1 Von der Beschaffenheit desselben überhaupt. Unser Tonmaaß verbindet die Länge mit den Stamwörtern oder den Stamsylben, und beyde mit den Hauptbegriffen; die Kürze hingegen mit den Veränderungssylben, (diejenigen, durch welche umgeendet, und umgebildet wird) und beyde mit den Nebenbegriffen. Dieses macht, daß unsre Sprache den Absichten der Verskunst angemesner ist, als es selbst die beyden alten Sprachen sind.

Zweyzeitigkeit (die vermutlich gröstentheils durch die Ungewisheit entstanden ist, in der man zwischen Hauptbegriffe und Nebenbegriffe war) hat die deutsche Sprache, in dem gewönlichen Verstande, nur selten. Denn wir müssen die Wörter und Sylben, die man zweyzeitig zu nennen pflegt, die ersten, wenn sie mit Nachdruk oder Leidenschaft ausgesprochen werden immer lang; und beyde, wenn man sie mit andern, neben denen sie stehen, vergleicht, fast immer entweder lang oder kurz brauchen, und alle können so zu stehen kommen, daß sie durch diese Vergleichung, bestirnt werden. Die Tonstellung, die etwas Mechanisches ist, und die Begriffe nichts mehr angeht, bestimt sie zwar am öftesten; unterdeß thun es doch Nachdruk und Leidenschaft, bey denen jenes Mechanische seine Wirkung verliert, auch nicht selten. Und diese zweyte Bestimmungsart gränzt sehr nah an die Hauptbegriffe, wenigstens an solche, wie derjenige hat, der in der Leidenschaft ist.

2 Wodurch wir unser Tonmaaß kennen lernen. Nicht durch unsre gewönlichen Verse. Denn in diesen, weil sie nur immer mit Einer Länge, und mit Einer Kürze abwechseln, muß das Tonmaaß, wenn die Dichter anders in denselben noch denken wollen, oft unrichtig seyn. Wir lernen das Tonmaaß zwar wol auch durch die Aussprache des gemeinen Lebens; aber gewiß nicht in zweifelhaften Fällen, weil sie zu flüchtig zu dieser Entscheidung ist. Wir können es also nur durch die Declamation des Redners lernen. Denn dieser wird weder durch Versart, noch durch zu grosse Schnelligkeit gehindert, dem Tonmaasse seinen völligen Umfang, und dadurch seine richtige Bestimmung zu geben.

3 Von der Länge, der Kürze, und der Zweyzeitigkeit. Alle gebildete Sprachen haben kleinere und grössere Längen, oder Längen und Überlängen, mehr und weniger schnelle Kürzen, oder Verkürzungen, und Kürzen; aber überdieses auch Zweyzeitigkeit, oder ein solches Tonmaaß einiger Wörter und Sylben, daß man sie lang, und auch kurz aussprechen kann. Einer Sprache, die lauter Kürzen hätte, würde ein wichtiger Theil der Articulation fehlen, sie würde der grossen Schnelligkeit wegen beynah gar nicht verstanden werden; eine Sprache, die nichts als Längen hätte, würde eine sonderbare Langsamkeit der Begriffe, und Schläfrichkeit der Empfindungen beweisen; und eine, die nur Längen und nur Kürzen hätte, würde durch diese zu genaue Abmessung etwas sehr Gesuchtes zeigen. Es war daher die Überlänge, und die Verkürzung zu der Abwechslung, die uns Vergnügen macht, nötig. Aber die Zweyzeitigkeit ist ein Mangel. Unterdeß hat ihn so gar die griechische Sprache nicht selten. Wir können mit Recht von unsrer sagen, daß sie ihn bey weitem so oft nicht habe. Unsre zweyzeitigen Wörter und Sylben sind theils fastlange, theils mitlere, theils fastkurze. Die fastlangen können, wenn sie durch die vorher angeführten Ursachen bestimt werden, weder die Überlänge noch die Verkürzung bekommen; die mitleren das erste noch weniger, und das lezte auch nicht; und die fastkurzen nur eben die Länge, und manchmal die Verkürzung.

Lange Wörter. Reg. 1. Die Stamwörter, welche Hauptbegriffe ausdrücken, sind lang. Macht schnell gehn.

Nicht alle Stamwörter haben Hauptbegriffe; aber alle Hauptbegriffe werden durch Stamwörter (oder Stamsylben) ausgedrükt.

Lange Sylben. Reg. 2. Die Stamsylben sind lang. Voller strömen.

Diese Regel ist von sehr weitem Umfange. Sie hat nur sehr wenig Ausnamen; und diese finden nur statt, wenn ein Wort aus zwey Stamsylben besteht; da denn die, welche vergleichungsweise einen Nebenbegrif ausdrükt, bisweilen kurz wird, als voll in Vollendung, aber in Vollmacht ist voll lang. Wörter, die aus zwey Hauptwörtern zusammengesezt sind, gehören gar nicht zu diesen Ausnamen. Gleichwol sagt man, wenn zwey einsylbige Hauptwörter zusammengesezt würden; so wäre das lezte kurz, und das, ohne einen ändern Grund, als die Bequemlichkeit der Dichter für sich zu haben. Wenn also Geist in Schuzgeist kurz seyn soll; so muß es Strom in Waldstrom auch seyn: und Strom ist gleichwol merklich länger, als Wald. Wir haben übrigens viererley Spondeen, als Schuzgeist Ursprung Waldstrom Heerschaar. Diese machen das Wort zugleich aus. Derer, die es nicht zugleich ausmachen, haben wir nur dreyerley, als Waldströme Heerschaaren herführte. (In Ströme und Schaaren hat sich der Tonhalt der Dehnung verloren.) Die Griechen hatten auch verschiedene Spondeen, und sie sezten sie auch verschiedentlich. So sehr liebten sie den genauen Ausdruk des Sylbenmaasses in der Musik.

Vor in vorige wird deswegen lang, weil es nun einen Hauptbegrif bekommen hat; aber aus in ausser ist nur lang, weil es die Stamsylbe ist.

Unter neben u.s.w. haben unbekante Stamsylben. Hält man unbekante, und keine für einerley; so muß man noch Eine Regel annehmen, die dadurch, daß sie die Stelle der Länge nicht anzeigt, unbestimt ist, diese nämlich: Jedes zweysylbige Wort hat wenigstens Eine Länge.

Reg. 3. Die voranstehenden trenbaren Ableitungssylben sind lang. Aufgehn ausströmen herkommen.

Um durch und zu sind bisweilen kurz, aber nur, wenn sie ungetrent sind, als: die Wälder umgehn durchgehn zufrieden. Vielleicht ist es nur Freyheit, vielleicht Spracheigensinn, daß aus auf ab zwischen dem zweyzeitigen un und der Stamsylbe zweyzeitig sind, als unaussprechlich unaufhaltsam unabsehbar.

Diese Ableitungssylben (es sind meistens Richtungen) die zweyzeitig sind, wenn sie allein stehn, scheinen in der Zusammensezung deswegen lang zu werden, weil sie alsdann gewissermaassen Hauptbegriffe ausdrücken. Wenn man Vorzimmer sagt; so zeigt vor mehr an, als wenn man in vor dem Zimmer nur einen gewissen Umstand anmerkt.

Reg. 4. Die nachstehenden Ableitungssylben: halb hand ey und ley sind lang.

Sie kommen beynah nur in comischen Gedichten vor. Sie waren sonst wie ung heit u.s.w. Hauptwörter; aber nur sie haben sich bey ihrem Rechte erhalten. Selbst thum hat das nicht, ob es gleich in thümer umgeendet wird, und also durch den Umlaut offenbar zeigt, daß es ein Hauptwort ist.

Kurze Wörter. Reg. 5. Die beyden Bestimmungswörter ein der und das Fürwort es sind kurz.

Wegen es könte man zwar wol etwas zweifelhaft seyn, weil die Fürwörter sonst zweyzeitig sind; aber es ist gleichwol der Länge nicht fähig. Denn so bald Nachdruk oder Leidenschaft da ist; so sezt man das für es. Auch die Tonstellung kann ihm die Länge nicht geben.

Kurze Sylben. Reg. 6. Die voranstehenden untrenbaren Ableitungssylben sind kurz.

Mis ur und un machen die Ausname. Die erste ist lang, und die beyden lezten sind zweyzeitig.

Reg. 7. Die nachstehenden Ableitungssylben ig er el und end sind kurz. Selig Richter Meissel Jugend.

Reg. 8. Die Verändrungssylben sind kurz. Strom es liebten geliebt.

Die Wohlklangssylben ig er gehören zu den Verändrungssylben. In treffend ist end die Verändrungssylbe, daher treffendere Bilder, ob dieß gleich mit friedsamere, welches friedsāmere ausgesprochen wird, Ähnlichkeit hat. Denn sam, das an sich selbst zum wenigsten die Kürze von end hat, ist zweyzeitig, weil es eine Ableitungssylbe ist. Es muß sich daher nach den Regeln der Tonstellung richten; end hingegen richtet sich nicht danach, weil es eine Verändrungssylbe ist. Die Ableitu««ngssylben drücken Begriffe aus, die sich gewissermaassen den Hauptbegriffen nähern; aber die Verändrungssylben drücken völlige Nebenbegriffe aus. Wie sehr es uns überhaupt auf die Begriffe, die ausgedrükt werden, und wie wenig auf die Bestandteile des Ausdrückenden ankomme, zeigt unter andern gern und Vertheidigĕrn. Ich gestehe zu, daß diese, und noch ein Paar ähnliche Verändrungssylben (lächeln eiligst) keine leichte Kürze haben; aber was gewint das Tonmaaß unsrer Sprache nicht, durch seine Verbindung mit den Begriffen, in Vergleichung mit dem, was es durch eine notwendige Folge dieser Verbindung verliert.

Reg. 9. Die endenden Selbstlaute sind kurz. Freude jezo Peru China u.s.w.

Diese neun Regeln sezen unser Tonmaaß fest, in so fern es die Bestimmung der zweyzeitigen Wörter und Sylben noch nicht in sich begreift. Ich kenne keine Sprache, die hier mit einer so geringen Anzahl Regeln, welche überdieß noch so wenige und so eingeschränkte Ausnamen haben, zureiche. Man weis, wie groß die Zahl der Regeln in den Prosodieen der beyden alten Sprachen ist, und wie diese Regeln von Ausnamen wimmeln. Die Alten haben keine andre Bestimmung der Zweyzeitigkeit, als den Vers. (Mit welcher Ungewisheit musten daher die Vorleser Prosa und Dithyramben oft aussprechen.) Wenn wir uns, wie sie, mit dieser Bestimmung allein begnügen wollen; so wäre unsre Prosodie vielleicht die kürzeste, deren eine Sprache fähig ist. Wir dürften alsdann nur die zehnte Regel hinzusezen, und sagen: Bey der Aussprache der zweyzeitigen Wörter und Sylben richtet man sich nach der Versart, worinn sie vorkommen. Aber wir unterscheiden uns eben dadurch, zu unserm Vortheile, von den Alten, daß wir die Zweyzeitigkeit fast durchgehends durch den Nachdruk, die Leidenschaft, und die Tonstellung bestimmen. Die Tonstellung ist sehr mannichfaltig. Wir brauchen daher zur Bestimmung der Zweyzeitigkeit eine grössere Zahl Regeln, als zur Bestimmung der unveränderlichen Längen und Kürzen nötig waren. Wer sich auf die kleine leichte Kentnis der bestirnten Zweyzeitigkeit nicht einlassen will, der kann mit den angeführten neun Regeln so ziemlich fortkommen. Freylich müste er dann mit den verschiednen Versarten genau bekant seyn, um immer gleich beym ersten Anblicke zu sehen, welches zweyzeitige Wort oder Sylbe hier lang, und dort kurz müsse ausgesprochen werden. Will er mit noch wenigerem für lieb nehmen; so kanns ihm z. E. beym Hexameter zureichen, daß er wisse 1 Im Hexameter sind die erste und die vorlezte Sylbe allzeit lang, 2 Niemals kommen darinn mehr, als zwey kurze Sylben hinter einander vor.

In Absicht auf die lyrischen Sylbenmaasse geht es nicht wol an, so genügsam zu seyn.

Von der Bestimmung der Zweyzeitigkeit überhaupt. Alle zweyzeitige Wörter und Sylben können bestimt werden, die Wörter durch den Nachdruk, die Leidenschaft, und die Tonstellung; die Sylben durch diese allein: sie werden aber nicht immer alle bestimt, weil die Tonstellung manchmal so beschaffen ist, daß sie keine oder fast keine Wirkung hat.



Verschiedne Wirkung der Tonstellung in Absicht auf die zweyzeitigen Wörter, und die zweyzeitigen Sylben. Vorhergehende, nachfolgende und einschliessende Wörter oder Sylben bestimmen das Tonmaaß zweyzeitiger Wörter. Die Bestimmung ist ausser ihnen. Die Bestimmung zweyzeitiger Sylben ist in den Wörtern selbst, zu denen sie gehören. Die Wörter oder Sylben, welche ausser den mehrsylbigen Wörtern sind, haben keine Wirkung auf ihre Zweyzeitigkeit. Dieß ist der Eine Unterschied; der zweyte ist der, daß nicht alle Tonstellungen die zweyzeitigen Wörter, und die zweyzeitigen Sylben auf gleiche Art bestimmen.

[Anmerkungen]
(Länge. Stamwort. Hauptbegrif.) Hier sind zwar einige, aber in Beziehung auf den weiten Umfang der Bemerkung sehr wenige Abweichungen. Diese kommen hernach vor.
(Länge. Stamsylbe. Hauptbegrif.) Be und ert haben in begeistert Nebenbegriffe. Der Hauptbegrif liegt in der Stamsylbe Geist. Wenn man sagt, daß die Stamsylbe den Hauptbegrif habe; so versteht sich's von selbst, daß,da das Wort ein Ganzes ausmacht, die Stamsylbe mit den andern zugleich, und nicht so gedacht werde, als wenn sie abgesondert wäre. Die Stamsylbe behält die Länge, auch wenn sie Nebenbegriffe ausdrükt, als aus in ausser. Aus und ausser haben Nebenbegriffe.
(Kürze. Verändrungssylben. Nebenbegriffe.) Dieß gehet, die Hülfswörter (sie gehören zu den Verändrungssylben) so lange sie einsylbig bleiben, allein ausgenommen, gehet durch die ganze Sprache; und wäre allein zureichend, zu beweisen, daß wir bey dem Tonmaasse vornämlich auf die Begriffe sehen. Die Bemerkung, daß Kürze, Verändrungssylbe, und Nebenbegrif zusammen gehören, schliesset übrigens die andre Bemerkung nicht aus, daß die Ableitungssylben, welche auch nur Nebenbegriffe haben, oft auch kurz sind.
(angemesner) Wenn man irgend ein Sylbenmaaß annimt, das der Wahl eines Dichters würdig ist; so hat der Erfinder desselben Absichten bey der Zahl und Vertheilung der Längen und Kürzen gehabt. Unter andern wolte er den bedeutendsten Zeitausdruk da haben, wo die Längen sind. Wenn man nun, nach der Beschaffenheit seiner Sprache, gezwungen ist, (dieß ist gewönlich der Fall der griechischen und römischen) die Längen da zu sezen, wo die Nebenbegriffe, und die Kürzen, wo die Hauptbegriffe sind: so erfolgt noch mehr, als Vernichtung jener Absichten. Denn es gehet nicht etwa nur, (wie ich sonst dachte) das Sylbenmaaß seinen Weg, und die Sprache den ihrigen; sondern sie sind mit einander in Widerspruche, so daß der Wortsinn durch den ihm entgegengesezten Zeitausdruk geschwächt wird. Die Leser der Alten sind freylich hieran so sehr verwöhnt, daß sie es nicht mehr merken; aber die Sache bleibt doch gleichwol, was sie ist. Niemals, sagt man mir, hat ein Alter diese Anmerkung gemacht; und bedenkt nicht, daß die Alten noch mehr daran verwöhnt seyn musten. Ich will mich nicht mit Beyspielen aufhalten. Wenn ich das wolte, so könt ich, besonders aus Pindarn, und der dithyrambischen Fragmenten, weil diese in ihren Sylbenmaassen oft viele Kürzen hinter einander haben, sehr merkwürdige anführen. Es ist genung, wenn ich die Kenner der Alten daran erinre, daß in der griechischen und lateinischen Sprache sehr viele Hauptwörter, Beywörter, und Zeitwörter vorkommen, welche kurze Stamsylben, und lange Verändrungssylben haben. Indeß will ich doch Ein Beyspiel anführen.
Regum timendor' in proprios greges

Reges in ipsos imperi' est Jŏvĭs.



Die furchtbaren Könige herschen über ihre Völker; aber über die Könige selbst, Jupiter. Jupiter hat in Jovis den Zeitausdruk zweyer kurzen Sylben. Eiliger konte man über Jupitern, besonders über den hier so groß vorgestelten Jupiter, nicht wol wegwischen.
(Ungewisheit) Wenigstens konten die Begriffe, die überhaupt in Fürwörtern, und die, welche oft, bey gewissen Verbindungen der Gedanken, in Verhältniswörtern liegen, diese Ungewisheit veranlassen. Selbst Philosophen, die eine Sprache erfänden, würden hier nicht immer mit einander einig seyn. Die Vorwörter lassen weniger zweifelhaft; und die Hülfswörter gar nicht. Die lezten haben keinen andern Begrif, als den die Verändrungssylben haben. Vielleicht hat man sich von dem Begriffe, den die Hülfswörter, als Zeitwörter gebraucht, auch haben, nicht sogleich losmachen können; und so ist denn ihre Zweyzeitigkeit entstanden, und hernach geblieben.
(selten) Nämlich in dem Verstande, da zweyzeitige Wörter und Sylben solche heissen, die durch nichts anders, als durch die Versart, worinn sie vorkommen, bestimt werden.
(Nachdruk. Leidenschaft.) Der Nachdruk ist zwar von der Leidenschaft unterschieden, aber bisweilen berühren sie einander doch so nah, daß man den Unterschied kaum bemerkt. Beyde geben nur die Länge, und gehen nur die Wörter, aber nicht die Sylben an. Die zweyzeitigen Sylben können dadurch deswegen nicht lang werden, weil ein mehrsylbiges Wort allzeit wenigstens Eine Stamsylbe hat. Und nur auf diese fält alsdann der stärkere, und zugleich verlängernde Ton des Nachdruks oder der Leidenschaft.
(Tonstellung) Nach der Tonstellung, werden die zweyzeitigen Wörter und Sylben mit den dabey stehenden, langen, kurzen, zweyzeitigen, oder auch aus diesen gemischten, verglichen, wodurch sie entweder lang, oder kurz werden, oder auch (dieß, wenigstens für feine Ohren, nur sehr selten) zweyzeitig bleiben. Sie neigen sich bald mehr zur Länge, bald mehr zur Kürze, oder bleiben auch dazwischen von ungefähr in der Mitte. Diese ihre Beschaffenheit macht, daß die Vergleichung auf sie wirkt. Man kann an dieser Wirkung besonders alsdann nicht zweifeln, wenn man sich erinnert, daß die Tonstellung bisweilen sogar lange Wörter in kurze verwandle.
(gewönlichen Verse) Ihr unrichtiges Tonmaaß könte ich aus Dichtern, die ich sehr hoch schäze, und sehr gern lese, durch nicht wenig Beyspiele zeigen. (Es wäre, mich deucht, gut, wenn der Vorleser, anstatt sich nach dem Verse zu zwingen, auch hier das wahre Tonmaaß ausspräche. Die Eintönigkeit würde dadurch wenigstens etwas aufhören; und der Zuhörer würde finden, daß der Zufall manchmal recht gute Verse gemacht hätte.) Unser wahres Tonmaaß muß wol sehr tief in der Sprache liegen; denn wie hätte es sich sonst, seit Opizen, gegen die Dichter wehren, und seinen festen und sichern Tritt behalten können ?
(gemeinen Lebens) Die gute Geselschaft, und das comische Schauspiel gehören vornämlich hierher. Wenn diese das Tonmaaß auch richtiger hören liessen, als sie thun; so könten sie in zweifelhaften Fällen doch nicht Schiedsrichter seyn. Denn sie dürften auch alsdann dem Tonmaasse denjenigen Umfang nicht geben, der dazu erfodert wird, um solche Fälle auszumachen.
(Declamation des Redners) und nicht etwa nur des guten, sondern auch des mittelmässigen. Denn es ist ihm, wenn er auch nur will verstanden werden, und daher wenigstens mit einiger Langsamkeit sprechen muß, beynah unmöglich, sich derjenigen Ausbildung und Fülle der Töne ganz zu enthalten, welche die Declamation erfodert. Und bey dieser Ausbildung ist die richtige Aussprache des Tonmaasses unvermeidlich, wenn der Redner auch noch so wenig an dasselbe denkt,
(Überlängen) Die Volltönigkeit, die in mehr, oder starken Mitlauten, und in vereinten oder gedehnten Selbstlauten besteht, giebt den langen Wörtern und Sylben die Überlänge, als Kunst Sturm Laut Bahn. In so fern sie aus mehr Mitlauten besteht, hat sie einige Ähnlichkeit mit der Position der Alten. Diese machte bey den Römern alle Selbstlaute, und bey den Griechen (welche schon an sich selbst lange hatten) die zweyzeitigen, und kurzen Selbstlaute lang. Bey uns hingegen verlängert die Volltönigkeit nur ein wenig. Denn nicht das Mechanische der Sprache, sondern das, was durch sie bezeichnet wird, ist bey uns der Bestimmungsgrund des Tonmaasses.
(nur eben die Länge) Dieß wird, bloß in Beziehung auf den festen und mänlichen Tritt unsrer übrigen Längen, gesagt; und gar nicht damit gemeint, daß die langgewordnen fastkurzen keine wirkliche Länge bekommen hätten.
(Nachdruk. Leidenschaft.) Leidenschaft kent man leicht. Nachdruk ist z.E. in folgendem: Muß ich denn immer wiederholen, daß er damals nicht in, sondern vor dem Hause war? Leidenschaft komt übrigens viel öfter in Gedichten vor, als Nachdruk. Sonst ist von beyden noch anzumerken, daß die unveränderlichen Kürzen ihrer gar nicht fähig sind, und daß sie den unveränderlichen Längen die Überlänge geben.
(Tonstellung) Ausser denen mit unsrer verwandten Sprachen komt sie, so viel ich weis, in keiner andern Sprache in Betrachtung. Mir ist nicht bekant, welchen Umfang sie in den verwandten hat. Da ihre Wirkung bey uns Bestimmung der Zweyzeitigkeit ist; so muß man sie mit dem Accente der Griechen (Leute, die viel Kentnisse, und nicht weniger Urtheil zu haben glauben, haben es so gar mit unserm Tonmaasse überhaupt so gemacht) nicht vergleichen. Denn ob ich ánthroopos oder anthróopu bezeichnete behalten an und throo eben dieselbe Quantität. Ich führe dieß nur an, um der so oft von Deutschen, und mich deucht allein von Deutschen, gemachten Beschuldigung zu begegnen, daß unser Tonmaaß Accentquantität wäre. Ich gebe gern zu, daß mancher Deutsche mehr Griechisch, als Deutsch wisse; aber ich kann nicht zugeben, daß man viel Griechisch wisse, wenn man sich nicht erinnert, daß bey den Griechen der Accent die Quantität nicht allein nicht bestimte, sondern daß jener so gar nach dieser verändert wurde.
(keine oder fast keine Wirkung) Dieses findet besonders alsdann statt, wenn nur Eine kurze Sylbe neben der zweyzeitigen steht. Es ist die Sache des guten Dichters, diese Tonstellung zu vermeiden.
(keine Wirkung) Wenn man z.E. vor unsterblich noch so viele Kürzen sezt, so behält un doch sein Tonmaaß: und wenn nach Schönheit, so behälts heit auch. Es ist hier nur Eine Ausname, und die findet nur unter der Einschränkung statt, daß ein mehrsylbiges Wort mit einer zweyzeitig gebliebnen, und also durch die ändern Sylben des Worts nicht bestimbaren Sylbe ende. Denn diese wird durch die folgende Länge kurz, als Herlichkĕit strahlt; durch eine folgende Kürze wird nichts verändert. Die zweyzeitige Endsylbe bleibt unbestimt.
(nicht alle auf gleiche Art) So bleibt z.E. mein in hätte mein Gesang zweyzeitig; aber heit wird in Seltenheiten lang.


Neunter Morgen.

Die Aldermänner untersuchen, ob ein Gerücht gegründet sey, daß es von Ausländern darauf angelegt würde, eine Kirche für die Freygeister in Deutschland zu bauen.


Es hatte sich ein Gerücht ausgebreitet, daß abgeschikte Ausländer, die aber mit Deutschen in Verbindungen stünden, auf dem Landtage wären, und sich nicht wenig Mühe gäben, es dahin zu bringen, daß in Deutschland eine Kirche für die Freygeister erbaut würde. So erzählten's einige; andre hingegen hatten nur von einer Capelle gehört. Was Capelle? sagten wieder andre, Gott wird nun bald nur Capellen; aber der Teufel wird Kirchen haben! Verschiedne gutdenkende und entschlosne Jünglinge hatten dem Rufe zwar sehr lebhaft, aber zugleich auch mit Behutsamkeit und Anhalten nachgespürt, um bis an seine Quelle zu kommen. Allein er schlängelte so sehr umher, daß sie oft wieder weiter von der Quelle wegkamen. Sie hatten es nicht von sich erhalten können, sich in Freygeister zu verstellen; denn sie waren auch darinn Deutsche, daß sie alle Verstellung, selbst diejenige, welche die Klugheit notwendig zu machen scheint, von ganzer Seele hasten. Hätten sie anders gedacht; so wären sie vielleicht früher, und näher zu ihrem Zwecke gekommen. Unterdeß hatten sie sich doch nicht ganz fruchtlos bemüht. Als heute die Landgemeine kaum zusammen gekommen, und noch kein Anwald aufgestanden war, brachen die Jünglinge unvermutet auf, und gingen zu den Aldermännern. Der Ruf von der Freygeisterkirche, sagten sie, würde auch zu den Aldermännern gekommen seyn. Ihnen wären bey ihrer Nachforschung, die sie nicht ohne Eifer und Überlegung fortgesezt hätten, endlich Papiere in die Hände gefallen, die, wenn sie zuverlässig wären, die Sache völlig entwickelten. Sie erwähnten der möglichen Unzuverlässigkeit deswegen, damit die Aldermänner sähen, wie sehr sie gegen jugendliche Übereilung auf ihrer Hut wären. Sie könten aber mit Wahrheit sagen, daß sie nicht die geringste Ursache hätten, an der Zuverlässigkeit der Papiere zu zweifeln. Sie hätten sich selbst nicht wenig Zweifel gemacht; allein sie wären daher auch zur Beantwortung der Fragen, die ihnen etwa gethan werden könten, desto bereiter. Sie erwarteten den Befehl der Aldermänner, den gefundnen Aufsaz ablesen zu dürfen. Diese würden besser, als sie, beurtheilen können, ob, und wie viel Beweis der Zuverlässigkeit in der Beschaffenheit des Aufsazes selbst läge. Die Aldermänner bezeigten den Jünglingen Hochachtung, und liessen sie, nachdem die dazu eingeladnen Anwalde und der Rathfrager angekommen waren, den Aufsaz ablesen. Dieser lautete so:

Wir zwar nicht Unterschriebene, aber doch von den liebsten und getreusten der Unsern Wohlgekante machen hierdurch allen, denen man diese Blätter anvertrauen wird, bekant, daß wir auf den Landtag der deutschen Gelehrten Abgeordnete geschikt haben, in der Absicht, daß diese sich dort bemühen sollen, daß dasjenige, was wir schon so lange auszuführen vorgehabt haben, nämlich eine Kirche für uns Freygeister zu bauen, in Deutschland ausgeführt werde. Wir haben Deutschland dazu ausersehn, weil es leider! weder in Italien, noch in Frankreich, ja so gar nicht einmal in England angehn will. Die Hofnung, die wir uns in dieser Sache von Deutschland machen, gründet sich auf folgendes: Die Gelehrten dieses Landes (wir wissen, daß nun endlich die Zahl der Unsern unter ihnen nicht mehr klein ist) pflegen das mit vielem Eifer zu betreiben, was sie sich durchzusezen vorgenommen haben.



Die Jünglinge unterbrachen hier die Ablesung durch die Nachricht, daß diejenigen der Abgeordneten, die am meisten von der Sache wüsten, es nicht ganz verschwiegen hätten: Die wahre Ursach, warum man sich an die deutschen Gelehrten wendete, wäre, weil diese sich, so wie überhaupt die ganze Nation, von Ausländern leicht zu etwas beschwazen liessen.

Nun ists uns zwar (wurde weiter gelesen) recht gut bekant, daß sie mit ihren Fürsten beynah in gar keiner Verbindung stehen; aber dieses ist unserm Vorhaben bey weitem nicht so hinderlich, als es beym ersten Anblicke etwa scheinen möchte. Denn die meisten deutschen Fürsten, besonders die kleineren sinnen nachtnächtlich darauf (denn den Tag über sind sie auf der Jagd, oder lassen ihre Heere Kriegsübungen machen) sie sinnen, sagen wir, nachtnächtlich, und so sehr darauf, ihre Einkünfte zu vermehren, daß jeder Vorschlag, der hierzu Mittel an die Hand giebt, bey ihnen leicht Gehör findet. Wenn also ein deutscher Gelehrter, wir sagen nicht das Ohr, sondern nur den Ohrzipfel eines solchen Fürsten hat; so kann er es bald dahin bringen, daß sein Vorschlag ins Werk gerichtet werde. Und daran wird doch wol Niemand zweifeln, daß diejenige Stadt, wo man in eine Freygeisterkirche wird gehn können, gar sehr an neuen Bewonern zunehmen, und so viele oft wiederkommende Fremde, deutsche und ausländische, beherbergen werde, daß der Besizer dieser Stadt die Auflagen um ein Erklekliches wird steigern können. Die Sache kann also von Seiten der Fürsten keine Schwierigkeit haben. Es wird daher nur darauf ankommen, daß sich ein gutgesinter deutscher Gelehrter finde, der für das wahre Wohl seiner Mitbrüder, der Freygeister, die kleine Sorge übernehme, mit dem Vorschlage zu obenerwähntem Kirchenbaue, seine Aufwartung an einem Hofe zu machen. Jezo müssen wir euch, denen unsre Abgeordnete dieses vorlesen, oder zu lesen geben werden, näheren Bescheid von der ganzen Sache ertheilen. Hoffentlich wird der Fürst, an den man sich wenden wird, selbst ein Freygeist seyn. Solte man, wider alles Vermuten, den lächerlichen Fehltrit begehn, und sich an einen, der ein Christ wäre, wenden; so wird man sich doch rechts oder links bald wieder zurecht finden können. Man braucht also dem Fürsten kein Geheimnis daraus zu machen, daß wir deswegen eine Kirche bauen lassen, damit unsre Lehre öffentlich und oft durch Prediger vorgetragen, und eingeschärft werden könne; und daß es nur des gemeinen Mannes halben geschehe, wenn wir derselben, so viel sich dieses nur immer thun lassen will, das äusserliche Ansehn einer Christenkirche geben. Sie soll von Marmor, eyförmig, und so groß seyn, daß sie, gleich einer Hochstiftskirche, auf die Stadt heruntersehen kann. Denn was brauchen wir die Kosten zu sparen; wir haben's ja dazu. Ihr werdet wissen, daß viele auch von den reichen Grossen, und, unter den Wucherern, die gierigsten Sauger der Unsern sind. Diese achten, wie bekant ist, auf das abgeschmakte Geschrey der Vervortheilten, der Witwen, und der Waisen nicht. Aber bisweilen (wer hat nicht Thorheiten und Schwachheiten an sich?) achten sie denn doch gleichwol ein wenig darauf. Dessen bedienen wir uns dann, und sagen ihnen, daß sie, durch Beysteuer zu unserm Kirchenbaue, alles wieder gut machen können. Besinnen sie sich aber eines besseren, und lenken wieder ins alte Gleis ein; so machen wir ihnen, zwar nicht die Hölle, aber doch den Kopf dadurch heiß, daß wir ihnen vorstellen, nichts würde sie so gut aus der übeln Nachrede, in der sie stünden, bringen, als die Beysteuer; ja, sie würden noch vielmehr, als da nur heraus gebracht, sie würden von dem grossen Haufen so gar für recht heilige fromme Christen ausgeschrien werden, weil sie zum Baue einer so schönen neuen Kirche so viel von dem Ihrigen hergegeben hätten. Ihr sehet, daß die Sache, auf Seiten der erforderlichen Kosten, ganz und gar keine Schwierigkeit hat; und daß man also den Fürsten, wenn ihm Zweifel dieser Art aufsteigen solten, sehr leicht wird beruhigen können. Wir kommen zu wesentlicheren Punkten der Sache, als die Schönheit und Grösse der Kirche, und die leicht zu bestreitenden Baukosten sind.

Wir (denn ihr müsset nun auch gelegentlich erfahren, wer diejenigen sind, die mit euch, theils durch diese Blätter, und theils durch den Mund der Abgeordneten reden,) wir gehören zu den so genanten Semideisten. Wir können es nun einmal nicht ändern, daß wir so heissen; aber wir solten es billig nicht, sondern vielmehr den Namen Freygeister vorzugsweise führen. Denn wir sind es allein, die die wahre reine Lehre der Freygeisterey haben; und es wird dadurch eine schreyende Ungerechtigkeit an uns begangen, daß man uns durch die Benennung: Semideisten gleichsam zu einer Secte machen will. Wir verwahren uns aber auch hiermit vermittelst eines feyerlichen Widerspruchs gegen das Unrecht, welches uns durch diese verkleinerliche Beschuldigung der Sectirerey geschieht. Wer seine fünf Sinne nur noch einigermaassen beysammen hat, wird einsehen, daß wir die allein Rechtlehrenden sind. Denn was höret man bey uns wol anders, als die grossen, tiefgedachten Säze: Die Unsterblichkeit der Seele muß man bald annehmen, und bald nicht annehmen, nach dem einem nämlich entweder das Eine oder das Andre, um mit den Herrnhutern, die doch auch ihr Gutes haben, zu reden, gemütlich, oder es etwas weltlicher, aber nicht viel anders auszudrücken, empfindsam ist. Von der Sittenlehre muß man nur so viel annehmen, als einem jezt eben thunlich ist. Morgen oder Übermorgen macht man's besser, wenn man kann. Man muß alle Secten der Freygeister dulden, die Türken auch (von den Heiden versteht sichs von selbst) nur die Christen nicht! Denn es ist eine lächerliche Schwachheit, wenn man es auch nur einigermaassen an sich kommen läst, die grosse Lehre von der Duldung bis auf die Christen zu erstrecken. Wir müssen vor allen Dingen den Lehrpunkt die Christen betreffend ein wenig erläutern. Rühmen sich nicht die inquisitorisch gesinten Christen, und nur diese sind die rechten eigentlichen Christen, denn alles übrige ist Secte; rühmen sie sich nicht gegen uns, daß sie die Feder und den Degen zugleich führen; da wir Freygeister hingegen nichts, als die Feder allein führten? Ja freylich seyd ihr wahre Cäsare, Borgia nämlich, ihr Hunde! Denn auch dieser Cäsar führte Feder und Degen zugleich, aber eine schlechte, elende, jämmerliche Feder, eine wie die eurige ist! (Fast hätten wir uns ein wenig ereifert!) Und solchen Leuten, die uns mit diesem Stolze begegnen, die sich des hinzukommenden Degens gegen uns rühmen, (Mögt ihr euch doch unsernthalben auch des hinzukommenden Scheiterhaufens rühmen, und Gesinnungen bey euch hegen und pflegen, nähren und füttern, ihr Vieh! wie der Inquisitor, einer der zwölf Blutrichter hatte, der es dem Herzog Alba recht einzubringen wuste, daß er nur dreyssig tausend hatte hinrichten lassen, indem er zu dem getünchten Philipp sagte: Ich weiß es, ich weiß es, was Schuld ist, daß die Empörer nicht sind gedämpft worden! Die grosse Gelindigkeit des Alba ist Schuld!) solchen Leuten solten wir unsre mit so vielem Rechte gepriesene Duldung angedeihen lassen? Aber uns denn doch wenigstens, sagt vielleicht ein Christ, der ein Sectier er ist. Euch auch nicht! Denn ob ihr euch gleich auf den Degen nichts zu gute thun könt, und auch wol eine bessere Feder führt, als das Inquisitorgezücht; so seyd ihr denn doch einmal Christen; und so bald wir diesen Namen auch nur von ferne hören, so können wir schlechterdings keine Duldung widerfahren lassen. Wir kommen auf die, bey denen unsre Duldung statt findet. Wir dulden also: Die Deisten, plumpe Philosophen, die leicht etwas für einen Grundsaz halten, was doch nur eine Folgerung ist, und so bald sie eine Schlußkette gewahr werden, sich gleich zu Gefangnen ergeben. Sie glauben die Unsterblichkeit der Seele erweisen zu können. Ferner: Die Zweifelsüchtigen. Denn man muß mit seinem kranken Nebenmenschen Mitleiden haben. Diese Secte wird immer kleiner, weil ihre beyden Spröslinge die Oberhand täglich mehr bekommen. Die wenigen übrigen Sectierer von der alten Art zweifeln bloß aus Liebhaberey des Grillenfangs. Die beyden sehr zunehmenden Spröslinge sind: Die Schwarzsüchtigen, die aus Schwermut zweifeln; und die Gerntäuscher, die ihren Zweifeln recht nach Herzens Lust nachhängen. Wir dulden ferner: Die deistischen Herrnhuter. Sie lehren, daß es ohne einen gewissen Sinn ganz und gar keine Glükseligkeit gebe. Die Wolgesitteten. Weil es in einigen Geselschaften der grossen Welt wider den Wolstand ist, ein Christ zu seyn, und die Wolgesitteten kein höheres Glük kennen, als dort nur so eben ankriechen zu dürfen, so verleugnen sie das Christenthum, von dem sie so wenig, als von der wahren Lehre der Freygeister oder von ihren Irlehren wissen. Die Spottgläubigen. Diese haben ein so schwaches Gehirn, daß die Spötterey bey ihnen einen eben so unwiderstehlichen Eindruk macht, als die immer wiederkommenden Einbildungen der Schwermütigen bey diesen zu machen pflegen. Bey ihnen hält keine Untersuchung gegen die Bilder stand, die ihnen von Spöttereyen über die christliche Religion, glüklichen, oder unglüklichen, das ist alles einerley, übrig geblieben sind. Wir dulden ferner: Die Atheisten, weil man (uns deucht dieß steht gar in der Bibel) sich auch des Viehes erbarmen muß. Die Gespenstergläubigen. Ahndungen, und wie es sonst heist, gehören mit dazu. Diese Secte lehrt, man könne von jeder andern Secte seyn, selbst ein Atheist; nur müsse man, was den Gespensterglauben anlange, keine Irthümer, noch viel weniger Zweifel hegen. Schlieslich dulden wir auch: Die Socinian-Deisten*, oder diejenigen, die den Socinianismus noch mit zum Christenthume rechnen, und diesen gern mit dem Deismus (man verstehe uns ja recht, wir reden nicht von der allein reinen Lehre, nämlich dem Semideismus) vereinigen wollen. Die Socinian-Deisten haben einen ziemlich harten Stand, indem sie die Secte der Socinianer noch unter den christlichen anbringen wollen. Denn diese Secte muß sich völlig darüber wegsezen, daß sie ihre Meinungen auf keine andre Art erweisen kann, als wenn sie die Bibel ganz anders erklärt, wie man sonst ein Buch zu erklären pflegt, oder auch ein Gespräch, einen Brief, einen Contract, selbst ein Vermächtnis, ja so gar ein Bündnis, so lange nämlich das Schwert noch nicht wiedergezogen ist: denn ist es gezogen; so geht es bey den Auslegungen freylich so ziemlich socinianisch zu. Aber wie dem auch seyn mag; so dulden wir gleichwol die Socinian-Deisten. Denn es ist denn doch völlig ausgemacht, daß sie keine Christen sind.

Unsre Abgeordneten werden euch einen Riß zu der neuen Kirche zeigen. Er wird euch gefallen. Es ist Streit unter uns gewesen, wie wir sie nennen solten; und die Wahrheit zu gestehn, dieser Streit ist noch nicht völlig geschlichtet. Einige verlangten, sie solte die Kirche der heil. Petronia heissen, weil dieß die ächten Kenner unsrer Säze und unsrer Anwendungen auf den liebenswürdigen Schlemmer, Petronius Arbiter, der, wenn es Schuzheilige gäbe, gewiß der unsrige seyn würde, sehr deutlich verwiese. Andre wolten sie nach der heil. Stomachalis, und das wirklich auch aus recht triftigen Ursachen, genent haben. Die Ursachen hielten sich auf beyden Seiten ziemlich lange das Gleichgewicht, bis endlich einer von uns noch Eine anführte, welche viele von denen, die der heil. Petronia zugethan waren, auf seine Seite brachte, er sagte nämlich: Wenn wir den Namen der heil. Stomachalis wählen; so nent der gemeine Mann die Kirche, und die Namen, die er bey solchen Anlässen giebt, bleiben, der gemeine Mann nent sie die Stomachalkirche, und das klinget dann den Leuten fast wie Cathedralkirche; ein kleiner Umstand, wie es denen, welche die Welt nicht kennen, etwa vorkommen möchte, der aber gewiß für uns und unsre Kirche sehr erspriesliche Folgen haben wird.



Unser grosser und fester Grundsaz ist: Es soll in unsrer Kirche, so weit dieß nur immer thunlich ist, von ungefähr eben so hergehn, wie in einer Christenkirche. Aber Prediger müsten wir, selbst wenn auch unser Grundsaz nicht wäre, notwendig haben. Denn darauf komt es uns ja eben an, daß wir, unter dem Verwande, die Sittenlehre, im Nothfalle so gar die christliche, vorzutragen, unsre Lehre, mit dem Scheine, als entfiele uns das nur so von ungefähr, rechtschaffen einschärfen. Kurz, die gute Verwaltung des Predigtamts ist der Mittelpunkt, um den sich alle unsre Zirkel drehn, die grossen und die kleinen. Unsre Prediger sollen Bischöfe heissen. Das klingt viel besser, als Paster, Magister, Probst, Inspecter, Supperndent. Denkt's nur recht nach, wie viele, und wie fleissige Kirchengänger unsre Cathedrale, besonders wenn Bischöfe darinn predigen, haben werde. Wir können hier nicht unberührt lassen, daß uns der Sinn auch schon nach einem Erzbischofe steht. Der wird vollends den Leuten Dünste von gehöriger Bläue vormachen. Wenn er seine Hirtenbriefe ergehen läst, so soll er sie so anfangen: Wir Erzbischof der deutschen Hauptkirche der heil. Stomachalis, wie auch Bischof in omnibus Partibus Infidelium .. Aber so wol er, als die andern Bischöfe haben keine Einkünfte. Sie müssen und werden sich an der Ehre, durch die Beredtsamkeit zu herschen, genügen lassen. Hätten wir diesen vortreflichen Gedanken, den Bischöfen keine Einkünfte zu geben, nicht gehabt, so würd es uns, wie ihr in der Folge hören werdet, gar schlimm mit Voltairen ergangen seyn. Denn er bestand schlechterdings darauf, Bischof zu werden; und das ging denn doch nun einmal auf keine Weise an, weil er es bekantlich gar zu toll macht, und uns daher seine Predigten, wie rein seine Lehre auch ist, sehr nachtheilig seyn würden. Aber da er von den Nicht-Einkünften hörte, so stand er auf Einmal von seiner Foderung ab. Wir kenten den Mann, und wüsten, daß er gleichwol unversehns wieder umkehren könte; wir boten ihm daher Sachen an, die sich gewaschen hatten, wie ihr auch in der Folge hören werdet. Wir müssen unsrer Kirche, wie schon gesagt ist, das äusserliche Ansehn einer Christenkirche so sehr geben, als wir nur immer können. Wir haben daher Oberküster, Unterküster, Klökner, Thurmbläser, Klockenspieler, Organisten. Diese lezten wissen wir genung zu beschäftigen; aber die Cantoren, die wir auch haben, nicht. Denn was solten wir wol singen lassen? Wir schränken uns daher weislich auf die Instrumentalmusik ein. Unterdeß durften wir es doch, des Äusserlichen halben, an den Cantoren nicht fehlen lassen. Diese Leute haben insgesamt grosse Einkünfte. (Die Cantoren essen ihr Brodt mit Sünden; mögen sie doch!) Aber diejenigen, die unsre Schazkammer am meisten leeren, sind die Todtengräber. Gleichwol war es auch grausam, wenn wir Leute, die sich mit so sehr widrigen Dingen beschäftigen müssen, nicht gut bezahlen wolten. Auch der Kirchenarzt kriegt sein gutes Theil. Wen es Wunder nimt, daß wir einen Kirchenarzt haben, der ist noch ein Neuling. Kann denn einem ehrlichen Manne nicht mitten in der Kirche unvermutet eine Todesfurcht dergestalt anwandeln, daß er der schleunigen Hülfe eines zu rechter Zeit angebrachten Aderschlages bedarf? Der Kirchenarzt führet den Titel Grosmächtiger. Auch unsre andern Kirchendiener haben gehörige Titel. Denn wir müssen allen diesen Sachen ein gewisses Ansehn geben. Um nur noch des Todtengräbers zu erwähnen, so heist der: Gestrenger Herr. Weil wir Voltairen schlechterdings auf unsrer Seite behalten musten; so suchten wir, und fanden auch glüklich einen Ausweg, wodurch wir uns aus den Schwierigkeiten, in die wir mit ihm waren verwickelt worden, heraushalfen. Wir boten ihm nämlich alle Kirchenämter ausser dem bischöflichen an, mit den Einnamen versteht sich, nur daß er etwas Weniges an Gevollmächtige, welche die Ämter an seiner Statt verrichten solten, auszugeben hätte. Wir hatten dabey den Bälgentreter vergessen. Es käme ihm, sagte er nicht ohne Hize, sonderbar vor, daß wir so vergeslich wären. Wir fügten ihm natürlicher Weise so gleich auch hierinn, und die Sache wurde daher auf das beste, und zu beyderseitigem Vergnügen festgesezt, so daß also Voltaire Oberbälgentreter, Oberklökner, Oberthurmbläser, erster Oberküster, (man erlaube uns einige Auslassungen) Oberkirchenarzt, und Obertodtengräber an der Stomachalkirche seyn, und unter andern die Titel: Obergrosmächtiger, und Obergestrenger Herr führen wird. Die Namen der ernanten Bischöfe zeigen wir euch an, so bald wir Nachricht von dem angefangnen Kirchenbaue erhalten.

Die Aldermänner schritten gleich nach der Ablesung zur Untersuchung. Diese fingen sie damit an, daß sie denjenigen vor sich fodern liessen, aus dessen Händen die Jünglinge den Aufsaz bekommen hatten. Nachdem man einige Zeit von Hand zu Hand zurükgegangen war, so kam man endlich an einen, der eingestand, daß er den Aufsaz mit auf den Landtag gebracht hätte. Allein, fuhr er fort, ich besinne mich nicht, denn ich bin, wie meine Bekanten wissen, etwas zerstreut, von wem ich dieß Papier vor meiner Abreise erhalten, und es ist ein blosser Zufall, daß ich es mitgenommen habe. Ich hab es nicht gelesen. Die Überschrift: Finanzvorschlag, die es hat, wie ihr sehet, hielt mich davon ab. Denn ich hasse Schriften, die in diese Materie einschlagen, eben so sehr, als sie mein Freund hier liebt, der sich das Papier, ohne diese für ihn so verführerische Überschrift, gewiß nicht zum Durchlesen würde ausgebeten haben. Man muste dieses nun wol glauben, und das um so mehr, weil man es auf keine Weise auf diesen ersten Ausleiher des Aufsazes bringen konte, daß er sich als Abgeordneter betragen hätte. Wider zwey andre von denen, durch deren Hände der Finanzvorschlag gegangen war, zogen sich zwar einige Wölkchen Verdachts zusammen, daß sie hier und da Geschäfte der Abordnung hätten verüben wollen; aber sie wüsten sich, ob sie gleich hatten gestehen müssen, sie wären Freygeister, doch so gut heraus zu helfen, daß man ihnen nichts entscheidendes zur Last legen konte.

Die Aldermänner, welche die Hofnung, durch weitere Untersuchung mehr heraus zu bringen, dem Scheine nach, aufgaben, brachen jezo das Verhör auf Einmal ab, und dankten den Jünglingen, daß sie so gedacht, und so gehandelt hätten.

Beym Heruntergehn, machten sie mir, (Salogast schreibt dieses) den Inhalt einer neuen Polizeyverordnung in der Absicht bekant, daß ich sie aufsezen solte. Künftighin, war ihre Vorschrift, würd es gar nicht mehr als Unverstand, oder als Mangel an Kentnis, sondern lediglich als ein grober Verstoß gegen das, was sich ziemte, angesehn werden, wenn einer dieß, und das, und wieder das gleich für die Denkungsart und den Geschmak der Nation ausgäbe, weil es in zwey drey Büchern stünde, die heute Mode wären, und übermorgen altväterisch, und die man nur läse, weil man eben etwas zu zehren haben müste, und gleich nichts anders bey der Hand wäre; so wie volkreiche Städte täglich, aus gleicher Nothdurft, irgend ein grosses Thier von Neuigkeit, einen Lindwurm, eine Seekuh, oder desgleichen verschlingen müsten. Sie wolten mir, wenn ich den Aufsaz brächte, schon sagen, ob diese besondre Gattung von Schwäzern, die sich unterstünde der Nation so etwas aufzubürden, dem Schreyer, oder wem sie sonst zur Züchtigung heimfallen solte




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