Computer Science is the most important post industrial science.
Niklaus Wirth,
Schweizer Informatiker, Turing-Preisträger
Bildungsthemen müssen sich an den bestimmenden Faktoren der Gesellschaft ori
entieren. Neben Herkunft und kultureller Entwicklung – die ihrerseits wesentlich
durch äussere Einflüsse geprägt worden sind – gehört dazu vor allem die Technolo
gie, deren sich eine Gesellschaft bedienen kann und mit deren Hilfe sie sich wei
terentwickelt. Die Beherrschung der jeweils aktuellen Technologie durch die Gesell
schaft setzt sowohl das Begreifen der zugrunde liegenden Gesetzmässigkeiten wie
auch die Fähigkeit zum richtigen Umgang mit den konkreten Ausprägungen der
Technologie voraus.
Mit dem Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft wurden
die Naturwissenschaften zur gestaltenden Kraft der Gesellschaft. Sie bestimmten
die Technik und die Wirtschaft. Konsequenterweise wurden die Naturwissenschaf
ten zu einem Teil des Schulstoffes. Die Informations und Kommunikationstechno
logien haben heute in der Informationsgesellschaft diese prägende Rolle übernom
men. Deren wissenschaftliche Basis ist die Informatik. Diese Disziplin ist bis heute
aber noch nicht wirklich in den Schulstoff integriert.
Seit der Industrialisierung spielen Maschinen eine wichtige Rolle. Die ersten
Maschinen übernahmen mühsame Arbeiten (Mühlen, Sägen), dienten der Energie
umformung (Kraftwerke) und übertrugen Kräfte (Hebewerke). Zu ihrem Verständ
nis dienten die physikalischen Gesetze der
Mechanik und der Thermodynamik, der
Energieerhaltung, das Hebelgesetz usw. Dazu kamen später die Optik und die Elek
trizitätslehre, die inzwischen auch die Grundlage für die moderne Informations
übertragung und verarbeitung bilden. Die Erfindung des Computers im 20. Jahr
hundert war ein «Jahrtausendereignis».
1.3
Die gesellschaftliche Bedeutung
der Informatik
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Argumente
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Computer unterscheiden sich fundamental von früheren technologischen Ent
wicklungen. Bei diesen neuen Maschinen stehen nicht mehr physikalische Begriffe
wie Energie, Arbeit und Kraft im Vordergrund, sondern der Begriff der Information.
Sie sind universal nutzbar und werden erst durch Programme spezialisiert. Pro
gramme lassen sich praktisch kostenlos vervielfältigen. Die materiellen Komponen
ten (Geräte, Hardware) sind inzwischen ein Massenprodukt und werden damit im
mer billiger. Die immateriellen Komponenten (Programme und Daten, Software)
erlauben Automatisierung in unbegrenztem Umfang und verdrängen
so nicht nur
konventionellere Technik, sondern dringen in völlig neue Gebiete und Dimensio
nen vor. Computer ermöglichen die Speicherung und Übertragung von Daten, Tex
ten, Bildern und Ton in unvorstellbaren Grössenordnungen. Das alles sind Elemente
einer technischen und kulturellen Umwälzung, die eine neuartige Welt schaffen und
nach einer entsprechenden Weltsicht verlangen, die auch virtuelle Sachverhalte
einbezieht.
Entscheidungen, Prozesse und Abläufe in der
modernen Gesellschaft werden
heute und noch vermehrt in der Zukunft nicht nur von menschlichen, sondern
ebenso von maschinellen Akteuren bestimmt. Die Computer prägen unseren Alltag
schon heute als unsere Assistenten in Form von PC, Laptop, Handy, iPhone, iPad
usw. Das ist aber nur die sichtbare Oberfläche. Unsichtbar steuern unzählige Pro
zessoren unsere Informationsgewinnung im Internet,
regeln und überwachen die
Kommunikation und den Verkehr auf der Strasse, bei der Bahn und in der Luft,
kontrollieren die Energieerzeugung und verteilung und vieles andere mehr. Kaum
erkennbar werden Unmengen von Daten über Konsumenten gesammelt und verar
beitet. Mit dem kommenden «Internet der Dinge», der Hausautomation und weite
ren Entwicklungen wird sich diese Situation noch verschärfen. Die Informations
und Kommunikationstechnologien ermöglichen die Schaffung völlig neuer sozialer
Netze und Kommunikationsformen. Für Kulturschaffende entstehen neue Rahmen
bedingungen, die ganze Medienbereiche zum Verschwinden bringen oder völlig neu
ordnen können; man denke nur an die Publizistik,
das Verlagswesen, die Musik und
den Filmverleih. Die Kultur selber ist davon betroffen, Literatur und Kunst werden
neu gedacht werden.
Angesichts der zunehmenden Bedeutung virtueller Komponenten reicht es
längst nicht mehr, eine Wirtschafts und Rechtsordnung allein für das Zusammen
leben
von Menschen aufzustellen; es braucht auch eine Ordnung für die Mensch
MaschinenWelt. Dazu gehören etwa Regeln zum Umgang mit der Informationsflut,
zum Schutz der Privatsphäre, zum elektronischen Geschäftsverkehr, zu elektroni
schen Wahlen und Abstimmungen. Für das Verständnis einer solchen Ordnung bil
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det vertieftes Wissen über das Wesen der informationsverarbeitenden Systeme eine
unerlässliche Voraussetzung. Heutige und zukünftige Entscheidungsträger müssen
die Grundlagen der entsprechenden Technologie, also die Informatik, in ihren wich
tigsten Zügen verstehen. Anderenfalls gerät die Gesellschaft in eine gefährliche
Abhängigkeit von wenigen Spezialisten.
Diese Betrachtungen machen deutlich, dass Informatik in unserem Bildungssys
tem,
hier besonders am Gymnasium, einen eigenständigen Stellenwert erhalten
muss. Diese Bedeutung hat die Informatik heute am Gymnasium eindeutig noch
nicht, weshalb hier ein entsprechender Handlungsbedarf besteht. In den Jahren
von 1960 bis in die 1980erJahre haben die meisten Gymnasien sukzessive fakulta
tive Angebote in Programmierung aufgebaut. Zwischen 1986 und 1989 mussten die
Gymnasien einen obligatorischen Informatikunterricht einführen, der zwischen 40
und 80 Lektionen umfasste. Das MAR von 1995 schaffte
dieses Obligatorium wieder
ab und ersetzte die bisherige Informatikausbildung durch eine Zwitterlösung, wel
che die Medienaspekte des Computers in den Vordergrund stellt und die Einfüh
rung von Computeranwendungen in andere Fächer integriert. Mit der MARRevision
von 2007 wurde immerhin das Ergänzungsfach Informatik als Wahlfach eingeführt.
Dieses Fach kommt jedoch nur einer kleinen Gruppe von Interessierten zugute. Der
Allgemeinbildungsauftrag des Gymnasiums wird damit in Bezug auf ein zentrales
Wissensgebiet des 21. Jahrhunderts nicht erfüllt. Genau deshalb gilt es jetzt, die
Informatik als obligatorisches Grundlagenfach in die Lehrpläne des Gymnasiums
einzubauen.
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