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Diese Aspekte in ihrer Gesamtheit zeigen auf, was das Fach Informatik inhaltlich
zu bieten hat, und lassen aufscheinen, welches Potenzial darin steckt. Die Infor
matik ist, ähnlich der Mathematik, eine Voraussetzung für andere Wissenschaften,
eine «enabling science». Und sie gibt Einblick in die konstruktive Denkweise der
Technik. Die Bildungsziele des Gymnasiums sind heute ohne Einbezug der Informa
tik nicht mehr zu erreichen.
Argumente
27
This is then the whole point of the modern machines. It is not simply
that they expedite highly tedious, burdensome, and lengthy
calculations being done by humans … It is that they make possible
what could never be done before.
Herman H.Goldstine, 1913–2004, Mitarbeiter von John von Neumann
am Entwurf des ersten Universalcomputers EDVAC
Die Informatik und ihre Anwendungen sind heute ein Motor des Fortschritts in
allen Gebieten der Wissenschaft. Sie haben die Forschungsmethoden überall revo
lutioniert. Die Forscher stehen heute vor umfangreichen Datenmengen, bei denen
naiv entworfene Algorithmen unbrauchbar sind. Um die Datenmengen bewältigen
zu können, braucht es vertiefte Kenntnisse der Stärken und Schwächen von Daten
strukturen und Algorithmen. Diese Ausführungen zeigen auf, dass eine echte
Grundbildung in Informatik nicht Selbstzweck ist, sondern unerlässliche Voraus
setzung, um heute in allen Bereichen auf der Höhe der Zeit mitzuhalten. Insofern
ist Informatikbildung ein wichtiges Element, um die Konkurrenzfähigkeit der
Wissensnation Schweiz aufrechtzuerhalten und zu fördern.
Die Informationstechnologie stellt uns erstmals ein universelles Arbeitsinstru
ment zur Verfügung, mit dessen Hilfe verschiedenste Objekte unserer geistigen
Tätigkeit – Texte, Grafiken, Bilder, Musik, Statistiken, Messdaten usw. – konsu
miert, ausgetauscht und verarbeitet werden können. Der Computer ist nicht ein
spezialisiertes Werkzeug. Er bildet einen adaptiven, virtuellen Arbeitsplatz, dessen
Arbeitsumgebung sich ständig anpassen kann. Dabei wird man mit der charakteris
tischen Dichotomie – Einfachheit und Komplexität – der Informationstechnologie
konfrontiert.
1.5
Informatik und die anderen
Disziplinen
Argumente
28
n
Einfachheit
Die Benutzung der Computer ist dank ausgefeilten interaktiven und meist gra
fischen Nutzeroberflächen einfach und natürlich geworden.
n
Komplexität
Mit einfachen Nutzeroberflächen können komplexe Prozesse gesteuert und
kombiniert werden, was dem Nutzer einerseits ein machtvolles Werkzeug in die
Hand gibt, aber andererseits zu einer gefährlichen, weil unübersichtlichen
Komplexität führt, die an ihn höchste Ansprüche stellt.
Dies verlangt nach einer angemessenen Denkweise und einem klaren Überblick
beim Umgang mit virtuellen Systemen.
Der Informatiker Richard M. Karp hat den Begriff der «InformatikLinse» (Com
putational Lens) geprägt. Er meint damit, dass die Informatik eine neue Sicht auf
altbekannte Wissenschaftsgebiete erlaubt. Sie baut dabei auf einer Entwicklung
auf, die schon im 18. und 19. Jahrhundert begonnen hat.
Nach dem erfolgreichen Vorbild der Physik haben damals viele andere Wissen
schaftsdisziplinen versucht, ihre Erkenntnisse und Theorien in mathematischer
Form zu beschreiben und damit einer vertieften quantitativen und qualitativen
Analyse zugänglich zu machen. Das bedeutet im Wesentlichen und vereinfacht ge
sagt eine Beschreibung von Beziehungen in Form von Gleichungen. So lässt sich
die Theorie in Beziehung zu Experimenten und Beobachtungen setzen. Unterdes
sen setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass viele Prozesse rechnerischer
oder informationsverarbeitender Natur sind. Das führt dazu, dass natürliche oder
soziale Systeme zunehmend vom Standpunkt ihrer informationsverarbeitenden Er
fordernisse oder Fähigkeiten aus betrachtet werden.
Genau hier brachte in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Erfindung des Compu
ters eine völlig neue Komponente in den Wissenschaftsbetrieb. Das numerische
Rechnen wurde im grossen Stil praktikabel. Als Beispiel sei die Astronomie er
wähnt: Beobachtungen der Gestirne führten zu einer ersten Theorie, dem geozent
rischen Weltmodell des Ptolemäus mit kreisförmigen Himmelskörperbewegungen.
Neue Instrumente, nämlich Fernrohre, erlaubten Kepler, die Planetenbahnen als
Ellipsen mit der Sonne in einem Brennpunkt zu beschreiben. Verfeinerte Experi
mente führten Newton zur Gravitationskraft und erlaubten damit die Berechnung
der Planetenbahnen aus Differenzialgleichungen. Die Weltraumtechnik unserer Zeit
erfordert Computer zur Berechnung komplexer Bahnkurven von Raumfähren und
zu deren Steuerung in Realzeit. Satellitenflüge werden im Voraus simuliert. Das
alles ist ohne Computereinsatz undenkbar.
Argumente
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Die Sprache der Informatik tritt damit als wissenschaftliches Ausdruckmittel
und als Arbeitsinstrument neben jene der Mathematik. Das führt oft zu völlig neu
en Einsichten und Denkweisen. Anders ausgedrückt: Zu den klassischen Wissen
schaftsmethoden der Theorie und des Experiments gesellen sich neu das virtuelle
Modell und die Simulation, die sowohl die Ausdrucksstärke der Theorie als auch die
Möglichkeiten des Experiments entscheidend erweitern können, wie zahlreiche
Beispiele aus Physik, Meteorologie, Medizin, Soziologie und den Wirtschaftswissen
schaften zeigen. Kapitel 4 liefert eine vertiefte Beschreibung dieses Aspekts und
erörtert eine illustrative Liste von konkreten Beispielen (zum Wetter und Klima,
zur Ingenieurtechnik, zur Geophysik, zu Nanostrukturen, zur Medizin und zu so
zialen Netzwerken). Diese neue Denkweise wird mit dem Begriff «computational
thinking» treffend umschrieben. Das Potenzial dieser neuen Möglichkeiten kann
aber nur mit angemessenen Kenntnissen der Informatik erkannt und genutzt
werden.
Weit über die Nutzung numerischer Modelle hinaus, möglicherweise noch viel
fundamentaler, scheinen inzwischen verschiedene Wissenschaften den Informati
onsbegriff selber als grundlegenden Baustein ihrer Disziplin zu erkennen. In der
Physik wird geprüft, ob die Quantenphysik aus dem elementaren Informationsbe
griff (dem Bit) aufgebaut werden kann. In der Genetik, und in der Biologie über
haupt, ist Information ein wichtiges Konzept. Auch die Modelle der Wirtschaftswis
senschaften bauen implizit und manchmal explizit auf dem Begriff der Information
auf. Das sind noch weite, erst im Aufbau begriffene Forschungsfelder, deren enger
Bezug zur Informatik aber schon jetzt unverkennbar ist.
Wichtige Grundkonzepte der Informatik werden somit auch für andere Diszipli
nen zunehmend von Bedeutung. Wie weit muss dieses Verständnis gehen und wie
kann es erzielt werden? Welche Rolle spielt das Gymnasium dabei? Diesen Fragen
wird in Kapitel 6 nachgegangen.
Argumente
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