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Everyone who taps at a keyboard is working on an
incarnation of a Turing machine.
Time Magazine, 1999, anlässlich der Aufnahme von Alan Turing
in den Kreis der 100 bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts
Es wurde eingangs schon betont, dass angesichts der Bedeutung der Informatik für
die moderne Gesellschaft deren Grundideen Bestandteil
der Allgemeinbildung sein
müssen. Dieser Standpunkt wird nun im Einzelnen begründet, und zwar insbeson
dere mit Blick auf das Gymnasium. Die Bildungsziele des Schweizer Gymnasiums
sind im MAR von 1995 in Art. 5 formuliert. Die wichtigsten Ziele lauten (in der
Reihenfolge des Art. 5):
n
Die Schülerinnen und Schüler gelangen zu jener persönlichen Reife, die Voraus
setzung für ein Hochschulstudium ist ...»
n
«... gelangen zu jener persönlichen Reife, die sie
auf anspruchsvolle Aufgaben
in der Gesellschaft vorbereiten ...
n
Maturandinnen und Maturanden finden sich in ihrer natürlichen, technischen,
gesellschaftlichen und kulturellen Umwelt zurecht ...»
In Kapitel 3 werden weitere Ziele und Einzelheiten aufgeführt und der Beitrag der
Informatik zur Erreichung dieser Ziele im Einzelnen erläutert und dargestellt. Hier
geht es darum, die wesentlichen Erkenntnisse kurz darzulegen.
Das dritte genannte MARZiel postuliert das Verständnis der heutigen Welt.
Dazu sind Kenntnisse der Informatik genauso unabdingbar wie Kenntnisse der Na
turwissenschaften. Es wurde bereits eingangs betont, dass die Informatik die Leit
wissenschaft der Informationsgesellschaft ist. Sie bestimmt unsere heutige Lebens
und Arbeitswelt wie kaum ein anderer Faktor. Ebenso wie seinerzeit der Schritt in
die Industriegesellschaft den Einbezug der Naturwissenschaften in den Bildungs
1.4
Informatik in der Bildung
Argumente
24
kanon
erfordert hat, kann heute die Informationsgesellschaft ohne fundierte In
formatikkenntnisse nicht verstanden und gemeistert werden. Dies umso mehr, als
Informatikmittel und deren Anwendungen im Alltag der meisten Menschen längst
unentbehrlich geworden sind. Die Prozesse des Informationsaustausches und der
Wissenserzeugung sind heute ohne Informatik nicht mehr vorstellbar.
Das erste der oben genannten MARZiele kann mit «Erlangung der allgemeinen
Studierfähigkeit» umschrieben werden. Informatikmittel werden heute überall als
Lehr und Forschungsmittel eingesetzt. Die modernen Wissenschaften profitieren
von der Verfügbarkeit von riesigen Datenmengen und einem leichten und globalen
Zugang dazu. Aber nur wer effizient und sachgerecht
damit umzugehen gelernt hat,
kann kreativ und innovativ aus diesem Potenzial Gewinn ziehen. Dazu gehört die
Fähigkeit, effiziente Algorithmen zu entwerfen und sachgerechte Modelle zu ent
wickeln. Beides sind Kernkompetenzen der Informatik. Ebenso gehört dazu die
Fähigkeit, Daten und Informationen richtig zu interpretieren und ihre Tragweite
einzuschätzen. Dies ist längst nicht nur für Studien in Natur und Ingenieurwissen
schaften wichtig, sondern zunehmend auch für Sozial und Geisteswissenschaften.
Zur Studierfähigkeit sind somit Kenntnisse der Gesetze, der Grenzen und der Mög
lichkeiten der Informationsverarbeitung ebenso nötig wie eine konstruktive Prob
lemlösungskompetenz und der Umgang mit grossen Datenmengen sowie Fähigkei
ten zu Modellbildung und Abstraktion. In Kapitel 4 wird
die Rolle der Informatik
in anderen Disziplinen im Einzelnen dargestellt.
Das zweite der obigen Bildungsziele ist als «Fähigkeit zur Lösung anspruchs
voller Aufgaben in der Gesellschaft» zu bezeichnen. Hier gilt weitgehend dasselbe,
was zur Studierfähigkeit gesagt wurde. Die moderne Welt stellt uns vor komplexe
Probleme, zu deren Bewältigung Modellbildung und Modellanalyse unentbehrlich
sind. Der konstruktivmodellorientierte Ansatz der Informatik dient hier als wert
volles Schulungsinstrument und ist gleichzeitig ein machtvolles Lösungsinstru
ment. Die moderne Informationsgesellschaft braucht mündige Mitglieder, welche
die Grundlage der beherrschenden Technologie verstehen. Sonst ist eine gefährliche
Abhängigkeit der Gesellschaft von Spezialisten zu befürchten.
Welches sind nun aber jene Elemente
einer Informatikbildung, welche die Er
reichung der genannten Ziele fördern? In Kapitel 3 sind deren zehn formuliert und
beschrieben. Hier seien sie tabellarisch aufgeführt samt ihrem Beitrag zu den drei
Bildungszielen:
Argumente
25
Die allgemeine Studierfähigkeit sowie die Fähigkeit zum Lösen anspruchsvoller Auf
gaben der Gesellschaft setzen allgemeine kognitive Fähigkeiten voraus, so exaktes
logisches Denken, konstruktive Lösungssuche, präzise
Kommunikation, projekt
bezogenes Arbeiten, besonders auch im Team. Die Informatik bietet dazu Elemen
te an, welche die Erlangung dieser Kompetenzen in besonderem Masse fördern
können:
n
Die Programmierung eines Computers erfordert die strenge Einhaltung gramma
tischer und semantischer Regeln und damit klare Vorstellungen und präzise
Formulierungen.
n
Fehlüberlegungen bei der Programmierung werden bei der Ausführung durch
den Computer schonungslos und zweifelsfrei offengelegt und fordern zur selbst
ständigen Fehlersuche heraus.
n
Umgekehrt führt ein erfolgreich gelöstes Problem konstruktiv zu einem funk
tionsfähigen Produkt und damit zu einem motivierenden Erfolgserlebnis.
n
Die Modularität von Computerlösungen erlaubt Gruppenarbeit mit klarer Arbeits
teilung, stufenweisem Aufbau und präzisen Koordinationsmechanismen.
n
Die Mathematik erscheint gleichzeitig als natürliches und nützliches Instru
mentarium.
Argumente
Bildungselemente
Verständnis Studier-
Vertiefte
der Welt
fähigkeit
Gesellschaftsreife
1
Algorithmen und Daten
n
n
2 Künstliche
und natürliche Sprachen
n
3 Grenzen der Automatisierbarkeit,
n
n
Berechnungskomplexität
4 Information, Codierung
n
n
n
5 Datenspeicherung, Datenauswertung
n
n
6 Modellbildung
n
n
7 Logisches, exaktes Denken
n
n
8 Problemlösungsmethodik
n
n
9 Projektarbeit
n
n
10 Computereinsatz
n
Tab.1
Beitrag der Informatik
zu den Bildungselementen