R e c h t s k u n d e


Politische Scheinargumente für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU, insbesondere ihre behauptete Brückenfunktion zur islamischen Welt



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1.3 Politische Scheinargumente für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU, insbesondere ihre behauptete Brückenfunktion zur islamischen Welt



Gibt es vielleicht in Ermangelung historischer und kultureller andere durchschlagende Gründe für eine EU-Mitglied­schaft der Türkei?

Politische? Für viele andere sei Soli Özel, Professor für Politik an der Istanbuler Bilgi-Universität zitiert: „Die Aufnahme der Türkei wäre das Symbol für ein gewaltiges und spannendes Projekt: Kann hier bewiesen werden, dass der Krieg der Zivilisationen nicht stattfinden muss? Sind die Europäer und damit der Westen in der Lage, zu Muslimen eine gleichberechtigte Beziehung aufzubauen? Gerade jetzt ist es unendlich wichtig, dass Europa sich dieser Herausforderung stellt. Läuft die EU hingegen vor ihr weg, wären nicht nur die Türken, sondern über eine Milliarde Muslime weltweit davon überzeugt, dass dies hauptsächlich ’religiöse Gründe’ habe - ’ein verheerendes Signal’" (STERN 09.06.04)

Ein hergesuchtes Argument: Man kann eine gleichberechtigte Beziehung auch anders als durch eine Vollmitgliedschaft aufbauen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ heißt es in Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 unseres Grundgesetzes. Das lebe ich. Trotzdem konnten - bedauerlicherweise - nicht alle netten Frauen eine Vollmitgliedschaft zu mir als Familie aufbauen, sondern nur die eine, die ich geheiratet hatte. Dieses (bestimmt etwas albern wirkende) veranschaulichende Argument von der privaten auf die staatliche Ebene übertragen, wo es hingehört: Zu z.B. Japan und Indien, ja sogar zu dem wahabbitisch-erzkonservativen Saudi-Arabien und dem erzkommunistischen China haben nach allem, was ich weiß, die christlich geprägten Erdteile und Länder Europa, die USA, Kanada und Australien eine gleichberechtigte Beziehung. Trotzdem erwägt niemand, Japan, Indien, Saudi-Arabien oder China in die EU aufzunehmen. Und dem liegen keine religiösen Vorbehalte zu Grunde, obwohl man sie bewusst missverstehend bei einigen dieser Staaten hineininterpretieren könnte.

Als einmal ein hervorgehobener saudischer Prinz in Washington einschwebte, ließ er ausrichten, dass unter den Fluglotsen keine Frau sein dürfe, denn er wolle nicht, dass sein Flugzeug von einer Frau angesprochen und durch ihre Anweisungen runtergeleitet werde, woraufhin auf dem Tower schnell Personalauswechselungen vorgenommen wurden. Zweites Beispiel: Der Rolls-Royce wurde an arabische Ölpotentaten mit abgeänderter Kühlerfigur verkauft: Wenn sich Ölpotentaten einen Rolls-Royce mit vergoldetem Kühler be­stellten, dann war darauf nicht die stehend-schwebende "Flying Lady" oder der "Spirit of Ecstasy" als das Firmenzeichen dieses Lu­xusgefährts in seiner Originalversion zu se­hen. Weil es von islamischen Ölpotentaten als unschicklich empfunden wird, wenn eine Frau vor ihnen steht - sie hat zu knien -, kniet die Spezial-"Flying Lady" der Orientversion vor ih­nen auf dem Kühlergrill. Wie war das mit der gleichen Augenhöhe?



Für die Begegnung von Deutschen mit Muslimen – eine »verschrobene« Gegenüberstellung - auf gleicher Augenhöhe und dafür, dass Muslime nicht grundsätzlich ihrer Religion wegen abgelehnt werden, spricht, dass Muslime mit deutschem Pass in unserem Bundesparlament und in einigen Landesparlamenten saßen, sitzen und auch in Zukunft sitzen werden. Niemand ist bei einer Kandidatur für einen Parlamentssitz verpflichtet, sein religiöses Bekenntnis zu offenbaren; das wird von den Kandidaten aber gerne gemacht, um als offenbarter Vertreter einer Minderheit, auf deren Stimmen man reflektiert, einen Platz weiter vorn auf der Kandidatenliste zu erhalten.

Und im Übrigen ist man nie gegen bewusst missverstehende Interpretation gefeit. In dem Fall einer Ablehnung des Beitrittswunsches wird Özel Recht haben, wenn er meint, dass „... nicht nur die Türken, sondern über eine Milliarde Muslime weltweit davon überzeugt [sein würden; der Verf.], dass dies hauptsächlich ’religiöse Gründe’ habe“. Gleichwohl muss diese in der islamischen Welt sicher missinterpretierte Überzeugung nicht richtig sein.

Warum sollte aber diese von Özel aufgezeigte gewollte Missinterpretation uns daran hindern, das Richtige zu tun, so dass die EU dem Wunsch der Türkei auf eine Vollmitgliedschaft eine ehrliche und abschließende Antwort gibt: In die Europäische Union können nur europäische Staaten aufgenommen werden! Eine ehrliche Antwort hat die Türkei nach dieser überlangen Schwebephase mehr als verdient!

Im April 07 mäkelte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, er sei von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, von der er sich mehr erwartet habe, enttäuscht: "Wenn uns die EU nicht will, soll sie das jetzt klar sagen. Wenn wir nicht gewollt werden, brauchen beide Seiten nicht länger ihre Zeit mit Verhandlungen zu verschwenden“. Aber der deutsche Außenminister Steinmeier eierte wieder rum und sagte, eine türkische EU-Mitgliedschaft könne positiv in die islamische Welt ausstrahlen. Darum - aus schlechtem Gewissen wegen der langen und immer noch aufrecht erhaltenen Unklarheit heraus - das Angebot einer irgendwie privilegierenden Partnerschaft.


Volker Rühe (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag ist im Gegensatz zu seiner Parteichefin Merkel, die der Türkei »nur« eine „privilegierte Partnerschaft“ zugestehen will, dafür, die Türkei in die EU zu holen. "Europa würde eine Brücke zur arabischen Welt schlagen und zeigen, dass Islam, Moderne und Demokratie vereinbar sind."

Auch ein falsches Argument: Es ist erstens nicht Aufgabe der Europäer zu zeigen, dass in der arabischen Welt „Islam, Moderne und Demokratie vereinbar sind". Das ist allein Aufgabe der islamischen Staaten, die daran aus wohlverstandenem Eigeninteresse heraus interessiert sein und ihre politischen Systeme demokratisieren müssten! Wir Europäer können nicht deren demokratische Defizite beseitigen! Seine gesellschaftspolitischen Kernpro­bleme muss eine jede staatliche Gesellschaft selber lösen! Und die Türkei hat die ihren selbst nach Meinung türkischer Autoren nicht gelöst: Der große Druck, möglichst rasch, also in zehn bis 15 Jahren, der EU beizutreten, könnte das Land überfordern, meint der aus Istanbul stammende und in Berlin lebende Komponist, Pianist und studierte Wirtschaftswissenschaftler Tayfun. Mancher Beitrittsbefürworter, auch in Deutschland, propagiere Utopien, die die Differenzen zwischen den Gesellschaftsmodellen übertünchten.

Tayfun schrieb in der FR vom 15.12.04:


„Die Türkei im Übergang

Der angestrebte rasche EU-Beitritt des Landes könnte die stark gemeinschaftlich organisierte Gesellschaft und ihre Menschen überfordern

VON TAYFUN

http://www.politikforum.de/forum/archive/index.php/t-88458.html

Die Türken lebten seit über 250 Jahren ständig in dieser Atmosphäre: "Ich-bin-so-scharf-darauf-endlich-auch-so-wie-die-Europäer-sein-zu-dürfen". Tayfun zitiert ein altes türkisches Sprichwort, das diese symptomatische Haltung charakterisiere: "Das hungrige Huhn träumt davon, dass es in der Hirsekammer verweilt."


Tayfun gibt seiner Ansicht Ausdruck, dass die Türkei im Ganzen noch nicht zu einem der essentiellen Bestandteile einer "europäischen" Identität zu gehören scheine. Warum nicht?


Der ’quasi-kollektive' Rahmen der osmanischen Gesellschaft basierte nicht auf einem ’individuellen Wesen' und habe darum auch keine selbständigen Individuen produziert. Dort sei jahrhundertelang das Gemeinschaftswesen ("cemaat") das Prägende gewesen und nicht, wie in Europa, das Individuum und die Eigeninitiative! Diese Konstellation lebe auch heute noch, in jedem Winkel des alltäglichen Lebens und in sämtlichen Institutionen der Türkei weiter. In der Ökonomie, in der Familie, auf dem Markt, auf ihren Hochzeitsfeiern, in ihren Knästen, bei der Todeszeremonie und in ihrer Religion. So stellt sich für Tayfun die "Frage des Tages", ob die ’Gesellschaften des Individuums' mit denen des Gemeinschaftswesens zusammen passen. Er ist der Ansicht, dass auch heute noch, nach all den Bemühungen eines gigantischen Transformationsprozesses von über 200 Jahren, es unser Land - leider - noch nicht geschafft hat, wenigstens das sozio-ökonomische Niveau eines Kleinstaates wie Tschechien oder auch Griechenland zu erreichen. Darum gibt er den Skeptikern eines EU-Beitritts der Türkei wie Helmut Schmidt und Giscard d’Estaing Recht: Die Türkei werde auch in 15 Jahren nicht beitrittsfähig sein!

Aber losgelöst von der möglicherweise erforderlichen Zeitspanne für einen von den Befürwortern propagierten Beitritt der Türkei zu der EU: Was ist das für ein nur halb durchdachtes verschleierndes Argument, wir müssten die Türkei in die EU aufnehmen, um dort den Demokratisierungsprozess zu fördern!

Und was ist mit den anderen asiatischen Ländern ohne ausreichende Demokratisierung? Was ist z.B. mit Myanmar? Die dortige Militärjunta setzt die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, die die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte, dann aber durch einen Militärputsch an der Übernahme des Amtes gehindert worden war und der aufgrund ihres Kampfes gegen dieses Militärregime der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, immer wieder gefangen oder stellt sie monatelang unter Hausarrest: Soll darum jetzt - nach dieser Logik - Myanmar Mitglied in der EU werden? Werden müssen???


Und zweitens kann die seit den Zeiten des Osmanischen Reiches der Hohen Pforte in den arabischen Ländern wegen ihrer kolonialen Vergangenheit verhasste Türkei diese von den Beitrittsbefürwortern ins Blaue hinein behauptete Brückenfunktion gar nicht einnehmen! Um das nachzuvollziehen, braucht man sich nicht erst den Film „Lawrenz von Arabein“ anzusehen, sondern muss sich nur das kollektive Langzeitgedächtnis der Araber einerseits und als Beispiel für gelebte gegenseitige Feindschaft die Feindschaft zwischen Persern und Arabern andererseits vergegenwärtigen, die seit der Schlacht von Qadissiaja bei Kerbela 636 n.Chr. besteht. Die fast eintausendvierhundertjährige gemein­same arabisch-persische Ge­schichte ist eine Geschichte der gegenseitigen Rivalität, ja des gegenseitigen Hasses. Die Ursache für die Gefühle der gegenseitigen Ablehnung liegt im kollektiven Bewusst­sein geschichtlicher Erinne­rungen. In dieser Region ha­ben die Menschen ein (zu) gutes historisches Gedächt­nis, wenn es um Jahrhunderte oder gar mehr als ein Jahrtausend zurückliegende wirkliche oder auch nur vermeintliche nationale Schmach geht, weil Geschichte für sie immer auch Heilsgeschichte ist! Und da hatte das Osmanische Reich der Hohen Pforte ungefähr ein halbes Jahrtausend die Araber zur Not mit Folter beherrscht, bis die europäischen Großmächte Großbritannien und Frankreich im Kampf gegen das Osmanische Reich über das Gebiet der Araber herfielen. Die Zeiten des erbarmungslos unterdrückenden türkischen Kolonialismus sind in Arabien längst nicht vergessen!

Die These einer Brückenfunktion würde also voraussetzen, dass die Türkei in jenen Ländern, für die sie diese Rollen angeblich spielen können sollte, Vertrauen und Ansehen genösse. Das ist jedoch bei ihren Nachbarn überwiegend nicht der Fall:

In weiten Teilen der islamischen Welt gilt die Türkei zunächst wegen ihrer seit Atatürks Reformen recht strikten Trennung von Staat und Religion nicht als Vorbild sondern als Fremdkörper.

Hinzu kommen historische Altlasten: Die Türkei war 500 Jahre lang Kolonialmacht über die Araber, die sich erst unter der Anleitung von Lawrenz von Arabien von der türkischen Oberherrschaft freigekämpft haben. Verglichen mit diesem langen Zeitraum von ungefähr einem halben Jahrtausend stellt die in den arabischen Ländern immer noch verhasste Kolonialherrschaft der Briten und Franzosen nur einen Wimpernschlag im Ablauf der Geschichte dar! Bei einer solchen historischen Belastung der Beziehungen, wie sie zwischen der Türkei und den von ihr so lange mit Folter beherrschten arabischen Ländern besteht, können nur historische Nihilisten von einer angeblichen »Brückenfunktion« der Türkei in die arabischen Länder faseln! Aber die wenigsten Menschen sind so geschichtsvergessen wie die Verwender dieses uns blödsinnigerweise aufgetischten Argumentes; und man muss ja nicht so dumm sein, alles für bare Münze zu nehmen, was uns unsere »politischen Eliten« an intellektuellem Fastfood zumuten!

Die Beziehungen der Türkei zum Iran, Irak und zu Syrien sind – u.a. wegen der Kurdenfrage - chronisch gespannt und trotz mancher Annäherungsversuche in jüngster Zeit weit von einer Normalisierung entfernt.  


Das gilt auch für das Verhältnis zu den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern. Mit der Inselrepublik, in deren Norden zur Verhinderung der damals durch das griechische Obristenregime nach dessen Austritt aus der NATO drohenden Annexion seit 1974 rund 38.000 türkische Besatzungssoldaten stehen, unterhält Ankara keine diplomatischen Beziehungen, erkennt es nicht einmal als Staat an. Seit die Mittelmeerinsel der EU angehört, hält die Türkei damit Teile des EU-Gebiets besetzt. Die Türkei ist das einzige Land, das den unter türkischer Herrschaft stehenden Nordteil als eigenständigen Staat anerkannt hat. Beigetreten ist am 01.05.04 die gesamte Insel, das EU-Regelwerk wird im türkischen Norden lediglich nicht angewandt. Dieser völkerrechtlich ungewöhnliche Umstand ist eine Belastung für die EU und ein Stolperstein für Ankara.

Das Verhältnis zu Armenien ist seitens der Türkei ebenfalls von offener Feindseligkeit bestimmt, die Grenze abgeriegelt. Auch da wird sich keine »Brückenfunktion« auftun, im Gegenteil!
Das KRISTELIGT DAGBLAD aus Kopenhagen meinte in diesem Zusammenhang am 08.11.06:

"Der Widerwille gegen eine türkische EU-Mitgliedschaft wächst in Europa. Auch der neue Bericht der EU über den großen moslemischen Kandidaten ist von Skepsis geprägt: Nach wie vor ist Kritik am türkischen Staat verboten und die Religionsfreiheit im Land begrenzt. Die Türkei verletzt Menschenrechte, indem sie Gefangene foltert. Auch das EU-Mitglied Zypern erkennen die Türken immer noch nicht an. Die Vorstellung, die Türkei könne zu einer Brücke in die moslemische Welt werden, ist naiv: Im Karikaturenstreit und der Krise nach der Papstrede war das Gegenteil der Fall. Auch Ministerpräsident Erdogan hat den Streit noch angefacht. In der EU hat die Türkei deshalb nichts zu suchen"


Israel.'>Nur in einem Punkt hat sich die Türkei den arabischen Staaten politisch genähert: die Regierung Erdogan geht zunehmend auf Distanz zu Israel.

Eine Aufnahme solcher vorderasiatischer Staaten in die Europäische Union würde nicht nur die Grenzen Europas bis an die Westgrenze des Iran definieren – eine in ihrer geographischen Unrichtigkeit lächerliche Definition -, sondern auch das Wesen dessen, was vielleicht schwer zu definieren ist, aber trotzdem das Wesen Europas ausmacht, vergewaltigen. „Die Türkei als Brücke - aber wohin?“, fragte Höhler in einem Aufsatz in der FR vom 15.12.02 und verwies darauf, dass, anders als Beitrittsbefürworter meinen, Ankara zu all seinen Nachbarn schlechtere Beziehungen habe als die EU! Die angebliche "Brückenfunktion" des Landes in die arabischen Länder vermag er nicht zu sehen: „Die Vorstellung, die Aufnahme der Türkei werde der EU außen- und sicherheitspolitisch eine neue Dimension öffnen, die islamischen Nachbarn der Türkei enger anbinden und politisch stabilisieren, klingt in der Tat verlockend. Sie ist allerdings ein Glaubenssatz. Die Realität sieht anders aus.“ Das hätten die Türken bei ihrem weitgehend gescheiterten Versuch, nach der Auflösung des Sowjetimperiums größeren Einfluss in Mittelasien zu gewinnen, selbst erfahren. Zwar schien der Umstand, dass die Region überwiegend von Turkvölkern bewohnt ist, gute Voraussetzungen dafür zu bieten, aber tatsächlich seien die Gemeinsamkeiten weitaus geringer, als von den Türken erhofft und vermutet. Sogar die sprachliche Verständigung mit den ethnischen Türken der ehemaligen UdSSR sei schwierig. Die Türkei musste feststellen, dass sich die zentralasiatischen Republiken wieder stärker Moskau zugewandt hätten. Russland, nicht die Türkei könnte ihre Brücke sein. „Die These einer Brückenfunktion setzt voraus, dass die Türkei in jenen Ländern, für die sie diese Rollen spielen will, Vertrauen und Ansehen genießt. Das ist jedoch bei ihren Nachbarn aus religiös-ideologischen und aus historischen Gründen überwiegend nicht der Fall.“ Für die trotz des gemeinsamen Glaubens des sunnitischen Islam bestehenden religiös-ideologischen Ablehnungsgründe zwischen Türken und Arabern sieht Höhler folgende Gründe: Nach der strikt monotheistischen islamischen Lehre ist nach der Überzeugung der Islamisten der Islam "din wa daula", Religion und Staat in einem, in dem es keinen von Gottes Willen losgelösten Freiraum für das einzelne Individuum geben kann. In weiten Teilen der islamischen Welt gelte darum die Türkei wegen ihrer durch Atatürk verordneten strikten Trennung von Staat und Religion nicht als Vorbild sondern als Fremdkörper. „Islamische Fundamentalisten, deren Anteil an der türkischen Bevölkerung nach den Wahlergebnissen für religiöse Parteien auf rund 20 % geschätzt werden kann, lehnen eine Trennung von Staat und Religion, lehnen individuelle Freiheit als Ziel staatlicher Organisation und die vorrangige Beachtung der Menschenrechte ab und sehen darüber hinaus eine Verschwörung des Westens am Werk, die jeden islamisch-kulturellen Aufbruch verhindere. Es wird kein weltliches Rechtssystem mit klarer Trennung zwischen Staat und Religion anerkannt. Alles wird an der Elle der Religion gemessen.“ Für Höhler ist die Kulturverschiedenheit der alles andere überragende Ablehnungsgrund für eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU. Die Ablehnung unserer durch Jahrtausende gewachsenen kulturellen Werte durch die islamischen Fundamentalisten und die archaischen Kulturvorstellungen größerer Bevölkerungsgruppen in der Türkei seien mit unseren Wertvorstellungen nicht kompatibel. Darum sollte man sich genau überlegen, mit wem man ins Bett geht!

Die unüberbrückbare Kulturverschiedenheit der konservativ islamischen bis islamistischen Kreise in der Türkei ergebe sich aus deren Einstellung zur Religion und die sich daher ableitenden Einflüsse auf die Politik: Nach Meinung der Islamisten sei der Koran als vom Erzengel überbrachtes Wort Gottes wörtlich zu nehmen und nicht säkularisierbar. Daher definiere sich der Islamismus dem Westen gegenüber als radikale Absage an die Moderne seit der europäischen Aufklärung. Strenggläubige Muslim um den „Islam-Fanatikers Erbakan“ und islamische Fundamentalisten in ihm nahe stehenden Parteien versuchten, die von Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei, verfügte strikte Trennung von Staat und Religion rückgängig zu machen und der Scharia wieder Geltung zu verschaffen. Atatürk hatte die Türkei zum ersten laizistischen Moslemstaat gemacht, um seine Landsleute vom "Geist der islamischen Despotie" zu befreien. „Die Despotie der türkischen Fundamentalisten will diese Grundentscheidung des modernen türkischen Staates in einer ’schleichenden Entwestlichung’ revidieren.“ Durch eine weitgehende Politisierung des Islam werde eine De-Säkularisierung der Türkei angestrebt.

Hinzu kämen historische Altlasten. Die Beziehungen zu Iran, Irak und Syrien sind chronisch gespannt und trotz mancher Annäherungsversuche in jüngster Zeit weit von einer Normalisierung entfernt. Das gilt auch für das Verhältnis zu den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern. Mit der Inselrepublik, in deren Norden 38.000 türkische Besatzungssoldaten stehen, unterhält Ankara nicht einmal diplomatische Beziehungen. Das Verhältnis zu Armenien ist seitens der Türkei ebenfalls von offener Feindseligkeit bestimmt, die Grenze abgeriegelt.

Für die Spannungen zwischen der Türkei und ihren Nachbarn sieht Höhler vor allem zwei Gründe: Die Völker des Nahen Ostens und des Balkans sähen in der Türkei die Nachfolgerin des Osmanenreiches, also der einstigen Besatzer. Jeder Versuch Ankaras, wirtschaftlich und politisch in der Region Einfluss geltend zu machen, stoße deshalb auf Misstrauen. Man empfinde die Türkei eher als latente Bedrohung denn als kooperativen Partner. Hinzu komme, dass das Verhältnis zu Armenien seit fast 90 Jahren vom Streit um den in der Türkei offiziell geleugneten Völkermord an den Armeniern vergiftet sei. Und die Beziehungen zu Moskau würden von den Sympathien belastet, die Ankara für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Tschetschenen deswegen zeige, weil die Vorfahren vieler Türken aus dem Kaukasus stammten.

Angesichts dieses engen Geflechts von Spannungen, in das die Türkei mit fast allen ihren Nachbarn verstrickt sei, müsse man fragen, wie sich das Land im Falle eines EU-Beitritts überhaupt in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union integrieren ließe. Die EU habe nach Höhlers Einschätzung zu allen unmittelbaren Nachbarn der Türkei und zu den meisten islamischen Ländern bessere Beziehungen als Ankara selbst. Deshalb falle es auch schwer, an die oft beschworene "Brückenfunktion" der Türkei zu glauben. Im Gegenteil: die EU müsste sogar befürchten, dass mit einer Aufnahme der Türkei bestehenden Brücken abgebrochen würden.

Am 18.02.06 machte die FR zusätzlich darauf aufmerksam, dass ein ethnisch und politisch so zerrissenes Land wie die Türkei gar nicht als Brücke tragfähig sein könne. Als Beleg wurde u.a. darauf hingewiesen, wie im Regierungsauftrag in einer beim Ministerpräsidentenbüro angesiedelten Kommnission gehandelt habende Wissenschaftler für die Ergebnisse ihrer Untersuchungen von der Justiz verfolgt wurden: Das Landgericht Ankara verhandelte gegen den Politologen Baskin Oran, Professor an der Universität Ankara, und den Juristen Ibrahim Kaboglu von der Marmara-Universität, zwei prominente Professoren, die im Auftrag der Regierung ein Gutachten über die Situation der Minderheiten in der Türkei vorgelegt und sich in einem Gutachten für mehr Minderheitenrechte ausgesprochen hatten. Die Professoren regten unter anderem an, den Kurden den Status einer geschützten Minderheit zu geben, und empfahlen, die Benachteiligung von Nicht-Moslems zu beseitigen. Ihnen drohten aufgrund der Anklage nach dem Strafrechtsparagrafen 301 wegen "Herabsetzung des Türkentums" und nach Artikel 216 wegen "Volksverhetzung" daraufhin bis zu fünf Jahre Haft.


Nach drei Landesberichten im DLF vom 11.12.04 über die Nachbarländer der Türkei und deren an einen EU-Beitritt der Türkei geknüpfte Erwartungen wollen die Nachbarn Syrien und Aserbaidschan letztlich die Türkei als Schlupfloch für einen eigenen EU-Beitritt nutzen. Sie seien ja auch islamisch. Sie empfänden es als Diskriminierung, wenn sie nach einer Aufnahme der Türkei nicht ebenfalls in die EU dürften. Mit welchem Argument sollte man den Beitrittswunsch asiatischer und nordafrikanischer Länder nach der mit zutreffender Begründung erfolgten Ablehnung Marokkos – „Marokko ist kein europäisches Land“ – weiterhin ablehnen können, wenn die Europäische Union die asiatische Türkei aufnimmt? Syrien will trotz unausgeräumter Gebietsansprüche an die Türkei – die damalige Kolonialmacht eines Teils der ehemals osmanischen Gebiete Frankreich hatte die nordsyrische Provinz Eskanderon an die Türkei »verschenkt« und Syrien beansprucht die Rückgabe - nach dem Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der Türkei zollfrei in den EU-Markt und letztlich in die EU. Syrische Politiker weisen schon jetzt darauf hin, dass Syrien wie die Türkei ebenfalls ein asiatisches und islamisches Land sei. Die gleichen Ambitionen wie Syrien hegen u.a. das seit 1998 durch ein Militärabkommen mit der Türkei verbundene Israel und das von der Türkei im Kampf gegen den alten Feind Armenien unterstützte Aserbaidschan. Israel argumentiert dabei: Wenn Israel und Palästina über die Türkei in die EU gelangten, dann könnte die EU den Frieden zwischen Palästina und Israel garantieren. Ebenso will Aserbaidschan den Konflikt mit Armenien um Berg-Karabach gelöst sehen. Die Nachbarn der Türkei wollen so der EU den Palästina- und den Kaukasus-Konflikt als Mühlsteine an den Hals hängen: und was wollen wir?

Ich jedenfalls will das nicht, denn das würde die Kräfte der EU nach meiner festen Überzeugung bei weitem überfordern!

Dass meine Befürchtungen hinsichtlich weiterer in die EU drängender nichteuropäischer Staaten nicht aus der Luft gegriffen sind, macht insbesondere der letzte Satz der nachfolgend wiedergegebenen dpa-Meldung deutlich:
„bdt0093 4 pl 97 dpa 0127
Russland/Pressestimmen/EU/Türkei/

«Kommersant»: EU mit Türkei wäre Vorhut der modernen Welt =

Moskau (dpa) - Zur bevorstehenden Entscheidung der Europäischen Union (EU) über Beitrittsverhandlungen mit der Türkei schreibt die Moskauer Tageszeitung «Kommersant» am Donnerstag: «In den letzten Jahren hat sich die Konzeption der EU grundlegend geändert. Immer stärker versteht sich die EU als Macht, die über Europa hinaus eine wichtige Rolle spielen will. Eine Aufnahme der Türkei gäbe der EU nicht nur die einzigartige Chance, bis an die Grenze des strategisch wichtigen Nahen Ostens heranzurücken. Sie würde den Nachbarn das Signal geben, dass die Vorhut der modernen Welt bereit ist, alle aufzunehmen, egal woher sie geschichtlich und zivilisatorisch kommen.»

dpa fk xx mu


160849 Dez 04“
Alle aufzunehmen, egal woher sie geschichtlich und zivilisatorisch kommen.“ Genau das ist die Gefahr der relativen Beliebigkeit des dadurch entstehenden politischen Gebildes »Vereinigung demokratischer Staaten Europas, Asiens und Afrikas«, an der die EU als politische Kraft zwangsläufig zu Grunde gehen muss!



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