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Die Identität Europas liegt in seinem »geistigen Gehalt«



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1.2.2 Die Identität Europas liegt in seinem »geistigen Gehalt«



1.2.2.1 Musik


Die Identität Europas, seine Seele, kann nicht in seinen geographischen Grenzen, sondern nur in seinem geistigen Gehalt liegen. Man könnte den Gehalt dessen, was das »geistige Europa« oder den »Geist des alten Europa« ausmacht, vielleicht schon an der Musik als einem möglichen Bezugspunkt festzumachen versuchen: Wer mal an einem Tag von einem islamisch geprägten arabischen oder türkischen Land nach Europa nach Hause zurückgekommen ist, wird das vielleicht auch dann empfunden haben, wenn er nicht morgens Mozart, mittags Beethoven und abends Bach zu hören pflegt. Die musikalische Diskrepanz zwischen diesen Ländern gründet auf so offensichtlich anderen Musikkulturen, die so gut wie nichts miteinander gemeinsam haben. Schon auf dem Gebiet der Musik wird also eine ganz offensichtliche Trennlinie als Musik-Kulturgrenze deutlich.

Die unterschiedliche Musiktradition grenzt nicht nur islamische Länder von Europa ab: Viele gebildete Japaner z.B. hören gerne Beethoven, trotzdem haben sie ihre so ganz andere, sich von der europäischen Musiktradition auffällig unterscheidende eigene, für unsere auf »abendländische« Musik getrimmten Ohren eigentümliche Musiktradition. Und trotz ihrer Vorliebe für Beethoven käme niemand auf die Idee, dass die Japaner in die EU aufgenommen werden müssten.



Aber viele teilweise aus den USA importierte »europäische Musik« jüngeren und jüngsten Datums wird (wohl nicht nur von mir) als so störend empfunden, dass über den Bereich der Musik vermutlich kein verlässlicher Maßstab dafür zu gewinnen ist, was »Europa« ausmacht. Die akustische Umweltverschmutzung durch »Musikschrott« entwertet diesen Maßstab völlig. Wir brauchen einen anderen.


1.2.2.2 Religion


Auch eine in der Öffentlichkeit als Staatsreligion oder privat allgemein praktizierte religiöse Überzeugung kann kein verlässlicher Maßstab dafür sein, welches Land zu »Europa« gehören sollte – und welches nicht. Wäre das ein Maßstab, dann dürfte es nach der Wertung, die zum 30-jährigen Krieg geführt und in seinem Verlauf rund ein Viertel (in Deutschland ein Drittel bis zur Hälfte) der damaligen europäischen Bevölkerung das Leben gekostet hatte, kein gemeinsames Europa der vorwiegend katholischen und der im scharfen Gegensatz zu ihnen unter beiderseitigem Einsatz großer Heere herausgebildeten vorwiegend protestantischen Länder geben; von den durch die christlich-orthodoxen Kirchen geprägten Ländern ganz zu schweigen. Es ist die ideengeschichtliche Leistung der auf der Reformation fußenden (und für das osmanische Reich abgelehnten) Aufklärung, dass in Europa (mit Ausnahme des Vatikans) Staat und Religion nicht mehr zwangsläufig aufeinander bezogen gesehen werden, der oberste Herrscher nicht mehr „rex et sacerdos“ (König und oberster Priester) ist, wie es die deutschen Könige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation seit der Zeit Karls des Großen bis zur Aufgabe dieses Amtsverständnisses zur Hinauszögerung des vom Propheten Daniel prophezeiten drohenden Weltuntergang nach Ende des von ihm und der Kirche so gezählten (römischen) Vierten Reiches zu sein beanspruchten3; dass das „Gottesgnadentum“ der Herrscher abgelöst wurde, dass – insbesondere durch die Arbeiten Kants - Moral auch ohne religiöse Bindung möglich ist und die Religion kein Letztentscheidungsrecht in weltlichen Dingen mehr beanspruchen darf. Religion sollte nicht mehr den Verstand bevormunden! Religion und Staat seien strikt zu trennen! Darum taugt Staatsreligion nach dem Motto des Augsburger Religionsfriedens von 1555: „Cuius regio, eius religio“ („Wem das Land gehört, der darf über die Religion seiner Untertanen bestimmen“) nicht als Abgrenzungskriterium. Dieser Grundsatz wurde in Deutschland 1815 endgültig aufgegeben.
Schon eher kann ein Maßstab sein, welchen Stellenwert Religion als Zugriff auf die Seelen der Menschen in einer Gesellschaft beansprucht, beanspruchen darf, denn dahinter steht die Kernfrage nach der Toleranz in einer Gesellschaft: den allein seligmachenden und alle mehr oder minder zwingend verpflichtenden, einen die Glaubensüberzeugung eines Andersgläubigen achtenden oder einen sogar den Nicht-Glauben Suchender, Gleichgültiger, Ablehnender oder Verzweifelter tolerierenden Stellenwert?

Von daher ist die Antwort eindeutig: Nach Jahrhunderten blutiger und im 30-jährigen Krieg blutigster Auseinandersetzungen aus (auch) religiösen Gründen, weil schon allein die »andere«, neue, protestantische aber gleichwohl christliche Religion als nicht tolerable Kulturgrenze empfunden wurde, nach Zahlung eines hohen Blutzolls, haben die meisten in Europa unter Anleitung aufklärerischer Denker wie insbesondere Kant sehr mühsam gelernt, dass Glauben absolute Privatsache zu sein hat, da Moral durch ein allgemeingültiges Sittengesetz auch ohne Religion begründbar ist4„Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zu­gleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ oder sprichwörtlich platt: „Was du nicht willst, was man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!“ -, und dass jedem die Möglichkeit gegeben sein muss, »nach seiner eigenen Facon selig« zu werden. So drückte der »Alte Fritz« die von Luther geforderte »Freiheit eines Christenmenschen« aus. Friedrich II. von Preußen war es egal, ob sogar Muslime nach Preußen kämen, wenn sie nur beim Aufbau des preußischen Staates anpacken würden: „Ein jeder kann bei mir glauben, was er nur will, wenn er ehrlich ist. ... Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, so sie bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land peuplieren [besiedeln; der Verf.], so würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.“, schrieb Friedrich der Große, der auch einen Heeresimam für seine bosnisch-muslimischen Söldner-Truppenteile gegen Österreich gehabt hat. (Inzwischen sind sehr wenige Türken dort in den preußischen Stammlanden, und einige der jetzt lebenden Nachfahren der damaligen Preußen, die nicht unbedingt »reinrassige« Deutsche, sondern ohne weiteres Nachkommen aus dem durch zahlreiche Einwanderung entstandenen Vielvölkergemisch sind, genügen diesem schon vor 250 Jahren aufgestellten Maßstab ihres großen Königs nicht mehr, wie die vielen neonazistischen Gewaltdelikte aus (u.a.) Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Berlin statistisch einwandfrei belegen.)



Diese in Europa durch langwierige kriegerische Konflikte letztlich erkämpfte völlige Religionsfreiheit und Toleranz in Glaubensdingen, die durch die Geltung der Grundrechte auch zu den Kopenhagener Kriterien gehört, existierte nicht wirklich im Osmanenreich und unter den Jungtürken - es gab zwar persönliche religiöse Freiheit – z.B. für Juden zu einer Zeit, als sie in Europa noch verfolgt wurden -, die aber durch hohe Zwangsabgaben erkauft werden musste, so hoch, dass sie mit eine Ursache für den Aufstand der Armenier waren - und existiert in der Türkei noch immer nicht! Dort werden nicht nur islamische Minderheiten wie die Aleviten verfolgt, sondern auch Nicht-Muslime. Laut SPIEGEL-Online vom 03.02.04 werden in der Türkei noch heutzutage „… christlichen Minderheiten vom (laizistischen!) Staat bei ihrer Religionsausübung Hindernisse in den Weg gelegt.“ Ein solches Verhalten ist für einen aufgeklärten Europäer eine absolute Kulturgrenze! Ein gutes halbes Jahr später, am 27.09.04, berichtete der SPIEGEL: „“Noch immer sind manche Pfarrer der protestantischen und katholischen Gemeinden als ’Sozial-Attachés’ europäischer Konsulate getarnt – ein Umweg, so ein Priester, den ’wir sonst nur in Saudi-Arabien gehen müssen’.“

Zur Veranschaulichung des Problems sei auszugsweise aus dem Beitrag „Christen ohne Kirchen“ (Deutsche Welle am 06.10.04) zitiert:


„Die Gemeinden sind rechtlich nicht Eigentümer ihrer Kirchengebäude und bekommen keine Baugenehmigung für Renovierungen. Pfarrer Nollmann musste vor zwei Jahren noch mit Diplomatenpass einreisen, um überhaupt in der Türkei arbeiten zu können. Doch das hat sich geändert, seitdem im letztem Jahr ein neues Ausländer-Arbeitsrecht in Kraft getreten ist, nach dem bestimmte Personengruppen, Seelsorger, Geistliche eine legale Aufenthaltsgenehmigung bekommen können. ’Das haben wir für die Südküste bereits in Anspruch genommen. Wir werden sehen, ob sich das in Zukunft auch als tragfähig hier in Istanbul erweisen kann’, so Nollmann.

In der Touristenstadt Antalya am Mittelmeer gibt es den ersten offiziellen deutschen Pfarrer. Der durfte aber bislang noch kein Kirchengebäude errichten. Die rechtliche Unsicherheit macht auch der griechisch-orthodoxen Kirche in Istanbul zu schaffen. … Der Pressesprecher des Patriarchen [Bartholomäus I., „der nach dem Papst als zweithöchster Bischof der Christenheit gilt“], Pater Dositeos, nennt ein Beispiel, wie die türkischen Behörden die Kirche in der Praxis behindern. Vor einem Jahr wurde bei dem Terroranschlag auf das britische Konsulat in Istanbul auch eine orthodoxe Kirche schwer beschädigt: ’Das englische Konsulat hat sofort Antrag gestellt, um das Konsulat neu zu bauen. Und wir haben Antrag gestellt, um die Kirche (St. Maria) instand zu setzen. Wir haben immer noch keine Antwort. Die anderen haben das Konsulat gebaut. Das sagt eigentlich alles.’

Seit 33 Jahren versucht die griechisch-orthodoxe Kirche ihr Priesterseminar auf einer Insel vor Instabul wieder zu eröffnen. Rund 30 Anträge wurden bislang gestellt. Eine offizielle Antwort gab es nicht. Die Ausbildung von Priestern war nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften untersagt. Der stellvertretende Ministerpräsident der Türkei, Ali Sahin, stellt in Ankara jetzt zumindest eine Prüfung in Aussicht: ’Wenn die Griechisch-Orthodoxen eine Priesterschule eröffnen wollen, dann müssen wir erst einmal prüfen, ob es dafür Bedarf gibt, ob die Gesellschaft diese Priester braucht. Wenn das so ist, dann müsste der Staat die Schule erlauben. Das gehört mit zu den Prinzipen des Laizismus.’

Religionsfreiheit stiefmütterlich behandelt

Die Europäische Union hatte der Türkei in den letzten Fortschrittsberichten nur wenige Fortschritte bei der Religionsfreiheit bescheinigt. …“
Weitere Berichte über die Lage nichtmuslimischer Bekenntnisse, nachdem der Fortschrittsbericht des Erweiterungskommissars die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfohlen hatte:

Einem Bericht der FR vom 02.12.04 zufolge beklagt das katholisches Hilfswerk „missio“ die Diskriminierung christlicher Minderheiten in der Türkei und verlangt politischen Druck der EU-Kommission auf die Türkei. Das EU-Parlament solle dafür eindeutige Vorgaben machen. Die Türkei müsse endlich die 0,2 % religiöse Minderheiten rechtlich anerkennen, ihnen erlauben, eigene Gebetsstätten zu besitzen und eigenverantwortlich Priester auszubilden.

Der Pfarrer der internationalen christlichen Gemeinde in Ankara, Felix Körner, berichtete, dass vereinzelt Christen verhaftet und gefoltert worden seien. Kirchliche und diplomatische Beschwerden würden abgetan; die Polizei verweigere nicht selten Hilfe, spreche von Phantasien oder gebe Folterwunden als Folgen einer angeblichen Sauftour aus. Auch andere nicht-moslemische Religionsgemeinschaften klagten über Diskriminierungen und "Anschläge". …
DIE WELT vom 29.11.04 berichtete für denselben Zeitraum Ähnliches:

Die Christen in der Türkei hoffen, noch immer

An der Diskriminierung der christlichen Minderheit hat sich trotz Reformen der neuen Regierung kaum etwas geändert
Die WELT zitiert den ökumenischen orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., das geistliche Oberhaupt 350 Millionen orthodoxer Christen und einen ausgesprochenen Befürworter sowohl der Regierung von Ministerpräsident Erdogan, als auch eines türkischen EU-Beitritts: die Lage der christlichen Gemeinden habe sich durch die Politik mächtiger Kreise innerhalb des Staatsapparates bislang "eher verschlechtert als verbessert". "Ich will nicht glauben, daß es der Wille der Regierung ist, uns als Gemeinde auszulöschen", sagt der Patriarch. "Aber in der Praxis läuft es darauf hinaus. Ich sage Ihnen das so deutlich, weil ich es auch den türkischen Behörden so deutlich sagen werde."

Nichtmuslimische kirchliche Würdenträger beklagen die fehlende Rechtspersönlichkeit ihrer Kirchen, was sich vor allem in der Eigentumsfrage auswirke.

Zu allem Überfluss würden christliche Organisationen oft als "Ausländer" benachteiligt, auch wenn deren Mitglieder und Vertreter türkische Staatsbürger sind. Das ist ein Überbleibsel aus jener Zeit, da die europäischen Großmächte sich als Protektoratsmächte der türkischen Christen gebärdeten.

Eine Lösung dieser Probleme für die rund 120.000 Christen in der Türkei - Armenier, Griechen, Syrer, Chaldäer, Katholiken - werde es erst geben, wenn der Staat sie als Kirchen juristisch anerkenne.

Deshalb empfahl beispielsweise die katholische Kirche, der Türkei am 17.12.04 in Brüssel zwar Beitrittsverhandlungen zu versprechen, einen Termin für deren Beginn aber erst dann zu benennen, wenn alle Mängel, die der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom Oktober 2004 aufgelistet hatte, behoben seien.
Unter der Behinderungen der Religionsfreiheit haben nicht nur die abendländischen christlichen, sondern auch die orthodoxen christlichen Kirchen zu leiden: seit Jahrzehnten wird die Rückgabe von konfiszierten Seminargebäuden verweigert. Erdogan äußerte sich persönlich dahingehend, dass das Oberhaupt aller orthodoxen Christen, „Seine Allerheiligkeit, der Patriarch von Konstantinopel“ nicht seinem seit fast einem Jahrtausend bestehenden Titel entsprechend anerkannt werde (Konstantinopel ist erst 1930 in Istanbul umbenannt worden).

Neun Monate nach dem Beschluss der EU-Regierungschefs, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, berichtet DIE WELT am 30.09.05, dass die römisch-katholische und die evangelische Religionsgemeinschaft nicht einmal als Minderheiten der nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften anerkannt seien. Darum stehe die Rechtsicherheit der religiösen Minderheiten - unter ihnen rund 70.000 armenisch-orthodoxe, 30.000 katholische Gläubige, lutherische Protestanten, missionierende evangelikale Freikirchen und 20 000 Juden - besonders mit Blick auf Eigentumsfragen auf tönernen Füßen. Vor Gericht hätten sie keine Chance: Katholische Gemeinden etwa könnten darum gar nicht als Rechtsperson auftreten, Immobilien kaufen und müssten Strohmänner unterhalten. Darum hatte die EU-Kommission in ihrem letzten regulären Bericht vom Oktober 2004 festgehalten, dass "die Religionsfreiheit verglichen mit europäischen Standards ernsthaft eingeschränkt ist". Dies gründe sich auf die "fehlende Rechtsfähigkeit von Religionsgemeinschaften, das Verbot der Ausbildung und Schulung ihrer Geistlichen und den uneingeschränkten Genuß ihrer Eigentumsrechte".


In diesem Klima der durch Behinderungen der Religionsfreiheit für nicht-muslimische Religionsgemeinschaften gekennzeichneten mangelnden offiziellen religiösen Toleranz - die Regierung und andere offizielle Vertreter haben wiederholt die Tätigkeit christlicher Missionswerke kritisiert - fühlen sich dann muslimische Extremisten ermuntert, später von offizieller Seite gegeißelte Straftaten gegen Andersgläubige zu begehen: April 07 überwältigten muslimische Eiferer, die zusammen in einem Wohnheim einer islamischen Stiftung lebten, Angestellte eines Bibelverlages in Malatya nach wiederholten Drohungen von Nationalisten im Vorfeld wegen angeblicher Missionstätigkeit durch Verteilung von Bibeln, was von den Nationalisten als „Versuch zur Unterwanderung der Einheit der Türkei“ gewertet wurde, fesselten die Geiseln und schächteten sie wie Vieh, indem sie den Gefesselten die Kehlen durchgeschnitten haben und sie ausbluten ließen. Sie rechtfertigten ihre „für Vaterland und Glauben“ begangene Bluttat damit, dass sie das für ihre Religion getan hätten: „Wir haben dies nicht für uns, sondern für unseren Glauben getan“, zitierte die Zeitung „Hürriyet“ einen der mutmaßlichen Mörder. „Den Feinden des Glaubens möge dies eine Lehre sein.“

Im Februar 06 war ein katholischer Priester in der Stadt Trabzon am Schwarzen Meer von einem türkischen Jugendlichen erschossen und es waren im gleichen Jahr zwei weitere Priester überfallen worden.

"In der Türkei haben die religiösen Minderheiten mehr Rechte als in Europa. Was können sie hier nicht ausleben in ihrem Glauben? Reißen wir etwa ihre Kirchen ab?", behauptete der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in einem SPIEGEL-Interview.

Dem stehen aber die Tatsachen gegenüber: „Die staatliche Religionsbehörde verteilte 06 eine Predigt gegen Missionare, in der gegen "moderne Kreuzzüge" gewettert wurde, die das Ziel hätten, "unseren jungen Leuten den islamischen Glauben zu stehlen". Dazu muss man wissen, dass in der Türkei die Predigten vom Ministerium für religiöse Angelegenheiten5 zentral verfasst und von allen Imamen als staatliche Pflichtpredigt vom Blatt abgelesen werden müssen. Der türkische Staatsminister für Religionsfragen warnte im Jahr 2006 vor subversiven Umtrieben christlicher Missionare, die unter dem Deckmantel [als] Lehrer, Ärzte, Krankenschwester ihrem zersetzenden Werk nachgingen“ (SPIEGEL ONLINE 19.04.07).

Selbstkritisch schrieb dagegen HÜRRIYET aus Istanbul anlässlich des Mordes in Malatya über „die dunkle Seele der Türkei“ (so die italienische La Stampa):

"Niemand kann die Hände in Unschuld waschen. Die Morde sind ein Nebenprodukt unserer kollektiven Stumpfsinnigkeit. Deswegen ein Aufruf an alle verantwortungsvollen Menschen dieses Landes: In Deutschland haben Türken über 3.000 Moscheen eröffnet, wir sind nicht einmal in der Lage, ein paar Kirchen zu dulden und die wenigen Missionare zu ertragen. Wo bleiben Menschlichkeit, die Gedankenfreiheit und unsere schöne Religion?" Die Türkei trage eine „kollektive Verantwortung“, weil sie bewaffneten Fanatikern das Feld überlasse.

Die ebenfalls in Istanbul erscheinende Zeitung SABAH wies auf ähnliche Fälle hin: "Zuerst ein Pastor in der Schwarzmeerstadt Trabzon, danach der armenische Journalist Hrant Dink - und nun wurden drei Mitarbeiter eines Bibelverlags auf brutalste Weise ermordet. Es ist an der Zeit, dass Politiker und Interessengruppen sich fragen, welchen Anteil sie bei der Entstehung dieses Hasses hatten. Es ist schwer zu verstehen, warum in diesem Land, in dem Jahrhunderte lang Menschen verschiedener Konfessionen zusammen gelebt haben, heute aus Intoleranz Morde begangen werden."

Aus Sicht der MITTELDEUTSCHEN ZEITUNG aus Halle (19.04.07) sollten die neuerlichen Morde der EU zu denken geben. Sie urteilte:

"Eben noch hatte der türkische Ministerpräsident Erdogan die Hannover-Messe zum Anlass genommen, abermals den Anspruch seines Landes auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu bekräftigen - nun lassen die Morde, mutmaßlich von religiösen Fanatikern verübt, das Bild einer modernen, aufgeklärten Türkei trügerisch erscheinen. Wo das Mindeste an Respekt und Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen im eigenen Land offenbar nicht gilt, stellt sich für Europa die Frage nach der Qualität einer Partnerschaft mit der Türkei noch einmal ganz neu."

„Nach türkischem Gesetz ist Missionierung ein Verbrechen. Das ist aber nicht der Grund, warum der türkische Staat auf die Missionare losgeht. Die Behörden sehen in den Missionaren nichts weniger als das nahende Ende der Türkei. Es ist eines der seltenen Themen, zu denen das säkulare Militär und die islamisch geprägte Regierung einer Meinung sind.“, lautet das Fazit der WELT (19.04.07). Der Nationale Sicherheitsrat hatte im Dezember 02 befunden, dass “die missionarische Tätigkeit in der Türkei eine Bedrohung der nationalen Sicherheit” darstelle.


Erst Mitte 2006 hat ein deutscher katholischer Geistlicher als Erster eine offizielle Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis als Seelsorger in der Türkei erhalten, weil die EU eindeutig klargemacht hat, dass die Gängelung und Benachteiligung der Christen in der Türkei nicht hingenommen werden wird und sie auf einer angemessenen Regelung der in Europa geltenden Religionsfreiheit auch in der Türkei bestehe.

Die Freiheit, die die christlich geprägten Staaten den Moslems einräumen, müsse auf Gegenseitigkeit beruhen - auch in der Türkei.


Es ist - leider - nicht von allen Europäern gelebte, aber letztlich spätestens nach der Niederwerfung des Faschismus und insbesondere des NS-Regimes gesicherte europäische Leitkultur der meisten Europäer, wenn sie keine unverbesserlichen Antisemiten, Rassisten oder (vorgeblich) von ihrer Heilsmission erfüllte, aber vornehmlich an der Aufrechterhaltung ihrer Privilegien und der politischen Vorrangstellung orientierte vernagelte »Glaubensstreiter« sind wie z.B. die Protestanten in Nord-Irland: Die soziale Stellung eines Menschen in der europäischen Gesellschaft darf nicht (mehr) u.a. über die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, zu einer bestimmten Glaubensüberzeugung definiert werden!

Auch die verbliebenen Christen in Europa haben noch nicht in allen ihren Teilen gelernt, friedlich ohne Diskriminierung miteinander zu leben. Aber sie dominieren das politische Geschehen Europas nicht mehr. Europa ist auf religiösem Gebiet toleranter geworden. Nur noch 12 % der Bevölkerung des „alten Europas“ glauben, dass Politiker, die nicht an Gott glauben, für öffentliche Ämter ungeeignet seien, im „neuen Europa“ der 2004 hinzugekommenen Beitrittsländer sind das 18,5 %. In der Türkei aber sind mehr als 62 % der befragten Bevölkerung dieser Ansicht! Die Beantwortung der Frage, welchen Einfluss Religion auf die Politik eines Gemeinwesens ausüben dürfe, ist signifikant für die politische Kultur des untersuchten Gemeinwesens; man denke nur z.B. an das Ayatollahsystem im Iran, an das ehemals alles gesellschaftliche Leben erstickende Talibanregime in Afghanistan, an die Macht der Religionspolizei in Saudi-Arabien und auch an den die Wahlen zur us-amerikanischen Präsidentschaft (mit-)entscheidenden unsäglichen religiösen Fundamentalismus der Baptisten aus dem Bibel-Gürtel der USA. Von Religion dominierte Politik ging zum Schaden der ihr unterworfenen Menschen meist auf Kosten der Freiheit und der Toleranz. Und da soll ein eine solche Kulturgrenze - wie sie aus dem Befragungsergebnis nach der für notwendig erachteten religiösen Bindung eines Politikers als unabdingbar angesehene Voraussetzung für die Übernahme eines öffentlichen Amtes ersichtlich ist - überschreitendes Zusammenleben gewagt werden? In der Türkei ist eine Renaissance der islamischen Religion zu beobachten. So eine Geisteshaltung stellt Ansprüche an Politiker und die von ihnen vertretene Politik. Bei so unterschiedlich stark ausgeprägten Ansichten kann ein tolerantes, welt- und religionsoffenes Zusammenleben keine Aussicht auf Erfolg haben!


Natürlich sehen es rechtsextremistische Gewalttäter z.B. in Nordirland aus ihrer sozial ungesicherten Stellung heraus nicht so, dass die soziale Stellung eines Menschen in der europäischen Gesellschaft nicht (mehr) u.a. über die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, zu einer bestimmten Glaubensüberzeugung definiert werden darf, weil rechtsex­tremistische Gewalttäter ein Abgrenzungskriterium benötigen, um ihr »Underdog-Wir-Gefühl« entwickeln und aufrechterhalten zu können. Aber für den Mob, den es in jeder Gesellschaft gibt, gilt sowieso das 2.000 Jahre alte Wort von Horaz: „Odi profanum vulgus et arceo“ („Ich hasse den Pöbel und hüte mich vor ihm“).



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