R e c h t s k u n d e


Junkers und andere: Die Türkei sei seit dem 16. Jahrhundert (angeblich) eine „europäische Macht“ und die EU ist „kein Christenverein“



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1.7 Junkers und andere: Die Türkei sei seit dem 16. Jahrhundert (angeblich) eine „europäische Macht“ und die EU ist „kein Christenverein“

Der luxemburgische Ministerpräsidenten Junkers sieht in der EU darüber hinaus laut Interview im DLF am 03.09.03 „keinen Christenverein“. Diese unangemessen salopp formulierte Sichtweise ist richtig, denn Europa definiert sich heute nicht mehr über die Zugehörigkeit zur christlichen Religion. Auch die Kopenhagener Kriterien bestimmen durch den Rekurs auf die – die Religionsfreiheit mit umfassenden – Grundrechte indirekt, dass die religiöse Ausrichtung der Bevölkerung eines Landes keinen Hinderungsgrund für eine Aufnahme in die EU darstellen dürfe.



Junkers liegt aber falsch, wenn er die vom Christentum grundlegend mitgeprägte Identität Europas wegbügeln will und darüber hinaus behauptet, dass die Türkei seit dem 16 Jahrhundert eine „europäische Macht“ sei, um damit wahrheitswidrig geschichtsklitternd den angeblichen historischen Anspruch der Türkei auf eine Teilhabe an dem, wie Europa geworden ist, was seine Kultur und Identität ausmacht, zu begründen. Aber seine – nach allem, was ich von europäischer Geschichte weiß: verfehlte - Sichtweise muss man ja nicht teilen, ohne zu der Front derer zu gehören, die in dem Land nichts weiter sehen als ein "780576 Quadratkilometer großes Kopftuch", wie die "Süddeutsche Zeitung" schrieb.

Europa entstand aus dem von Junkers abschätzig so bezeichneten „Christenverein“, der seine ursprüngliche Identität ausmacht; und eine zeitweise nach Teilen Europas gegriffen habende Macht ist damit noch lange keine „europäische Macht“: andernfalls wären die auf ihren Raubzügen bis Mittelfrankreich eingedrungenen Hunnen ja auch eine Zeit lang bis zu Attilas Tod eine „europäische Macht“ gewesen. Hunnen und Türken waren keine „europäischen Mächte“, sondern einige Zeit lang zu Europa gehörende Gebiete beherrscht habende Mächte. Das ist ein gewichtiger Unterschied!

Es hätten, so Junkers Analyse weiter, in Europa schon immer Völker mit unterschiedlicher religiöser Ausprägung zusammen gelebt. Sicher, deswegen hatten und haben wir ja auch so viele (mit anderen Motiven durchsetzte) »Religionskriege« in Europa bis zu dem Krieg vor ein paar Jahren im Kosovo! Und das oft nur unter denjenigen, die sich als Christen - mit dem sie an sich verpflichtenden zen­tralen Gebot des Christentums: der Feindesliebe - begriffen. Religiöse Toleranz herrscht - cum grano salis und der Ausnahme Nordirlands - unter den Christen erst, seitdem die Religion offiziell zur Privatsache geworden ist. Das ist heutige kulturelle und rechtliche Identität Europas! Religion als Privatsache, ein Grunderfordernis europäischer Identität, das ist im Islam nach dessen Grundannahme, dass Religion und Staat eins zu sein hätten und die von Allah als dem Weltenherrscher gestiftete, vom Erzengel Gabriel Gotteswort für Gotteswort dem Siegel der Propheten übermittelte und von Muhammed (nur) getreulich aufgeschriebene Religion die Politik zu dominieren hätte, aber gar nicht möglich! Was sollen wir uns mit noch mehr islamistischen Fundamentalisten belasten, die in der Türkei ihr teilweise mörderisches Unwesen treiben, um in Ablehnung der von ihnen so empfundenen gottlosen westlichen Moderne mit all ihren schlimmen Auswüchsen wie McDonald’s, Coca Cola und Pornographie, Säkularismus und Demokratie die Vorrangstellung des Korans in ihrer dem 7. Jahrhundert zugewandten Blickrichtung vor jeglicher zivilen Regelung herbeizubomben? Beispiele gab es zuhauf, dass dort Andersdenkende umgebracht wurden, indem z.B. den Islamisten zu liberale Parlamentsangehörige ermordet wurden, ein Hotel angezündet wurde, in dem dann viele der dort versammelten kritischen und teilweise kurdischen Schriftsteller verbrannten, ...

Und Erdogan spielt auf perfide Art und Weise die religiöse Karte, benutzt sie als Totschlagsargument: Am 29.06.05, als die EU-Kommission trotz der auch aus Gründen des drohenden EU-Beitritts der Türkei in Frankreich und den Niederlanden negativ verlaufenen EU-Verfassungsreferenden keine politische Atempause einlegte und als Vorlage für ein Treffen der Regierungschefs die Aufnahme der Verhandlungen mit der Türkei „mit dem Ziel einer Vollmitgliedschaft“ ausdrücklich bekräftigte, alles also im türkischen Sinne verlief, warnte Erdogan die EU vor einer – gar nicht existierenden(!) – „Christenclub-Mentalität“, unterstellte damit den Gegnern eines Beitritts der Türkei zur EU mit diesem Argument eine Islamophobie, baute so einen nicht vorhandenen Popanz auf und schlug dann auf diesen von ihm errichteten Popanz ein, in dem er die politische Forderung aufstellte: Wenn die Gemeinschaft seinen (unberechtigten) Vorwurf entkräften wolle, dann müsse(!) sie sein Land aufnehmen (DLF 29.06.05).

Wenn wir Europäer nicht die Asiaten aus der Türkei aufnehmen, dann seien wir ein als solcher zu diffamierender islamophobischer „Christenclub“? Da sollte Erdogan einmal an einem beliebigen Sonntag außerhalb der Weihnachtszeit in einem nichtkatholischen Land Europas, in dem also für die »Rest-Kirchengänger« keine glaubensmäßige Gottesdienstbesuchspflicht besteht, in eine Kirche gehen: Er würde sich wundern, was für ein exklusiver Club das dort ist! Und warum ist – die Richtigkeit von Erdogans so gemeinter Diffamierung unterstellt – der „Christenclub“ ohne UN-Mandat und damit offiziell völkerrechtswidrig - nach wegen des ausgebliebenen Mandats viel zu langem Zögern - den christlichen Serben in den meuchelnden Arm gefallen, als die in dem größten seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa stattgefundenen Völkermord in Srebrenica die albanischen Moslems zu Tausenden abgeschlachtet hatten und weitermordend die von den Moslems in Ex-Jugoslawien bewohnten Gebiete überranten? Als „Christenclub“ hätten sie in der von ethnischem und insbesondere religiösem Hass getragenen Auseinandersetzung zwischen christlich-orthodox geprägten Serben und islamisch-albanischen Bosniern die Partei der (unchristlich handelnden) »christlichen« Serben durch bequemes Nichteingreifen unterstützen müssen, da sie sich zu ihrer Exculpierung ja sehr bequem und völkerrechtlich unangreifbar auf den ausgebliebenden UN-Beschluss zum Eingreifen hätten berufen können: Sie würden aus mitmenschlichen Gründen ja gerne eingreifen, aber das Völkerrecht verbiete ein Eingreifen, wenn die UNO kein Mandat dazu erteile. Ihnen seien damit - leider, leider – aus übergeordneten juristischen Gründen die Hände gebunden!

Wer ein religiös toleranter Europäer ist, der müsse(!) – nach Erdogans Unterstellung - zwangsläufig die Türkei in die EU aufnehmen? Wie kommt der in der Türkei zum muslimischen Prediger ausgebildete Absolvent einer Imam-Hatip-Schule, Erdogan, dazu zu versuchen, mich durch mein Aufwachsen in Deutschland christlich geprägten Europäer als einen intoleranten Menschen diffamieren zu wollen? Wo ist seine religiöse Toleranz, die er von uns Europäern einfordern zu müssen glaubt; wo doch er in seinem Land, in dem er als Ministerpräsident die entscheidenden Weichen stellen kann und nicht erst seit gestern stellt, bisher nicht für die religiöse Toleranz gesorgt hat, den christlichen Kirchen in der Türkei ein paar unabdingbare Rechte zuzugestehen, die es den dort vertretenen christlichen Kirchen ermöglichen würden, in der Türkei ihre Priester auszubilden und sich ohne staatliche Drangsalierung um ihre Gläubigen kümmern zu können? Wie es Erdogans Mitprediger der Imam-Hatip-Schulen z.B. in Deutschland können!

Da kann man nur mit Trapattoni empört äußern: „Was erlauben sich Erdogan!“

Wieso muss ich meinen politischen Verstand einem von Erdogan unsachlich vorgebrachten religiösen Totschlagsargument beugen?

Oder wir uns seinen Pressionen? In dem jetzt leider nur noch gegen Gebühren einsehbaren Artikel der FAZ vom 20.06.05 „Gedenkpraxis der Türkei - Erdogan kritisiert Schröder: „Kein Rückgrat”, teilweise nachzulesen unter http://www.armeniandiaspora.com/forum/showthread.php?t=30589, hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den Bundestagsbeschluss zur Armenierfrage als „falsch und häßlich” kritisiert. Nach der Rückkehr von einem Besuch im Libanon äußerte sich Erdogan besonders enttäuscht von Bundeskanzler Gerhard Schröder, weil der seine positive Haltung der Türkei gegenüber nicht erneut klargestellt habe. Das hätte er machen müssen, habe es aber nicht getan. müssen, sagte. „Ich schätze eher Politiker mit Rückgrat”, rüffelte Ministerpräsident Erdogan Bundeskanzler Schröder, weil der Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen eine Entschließung zum Gedenken an die türkischen Massaker an den Armeniern im Jahr 1915 verabschiedet hatte. In der Resolution selbst war zwar nicht von „Völkermord” die Rede, wohl aber in der Antragsbegründung. Und dieses Reizwort bringt nicht nur die offizielle Türkei stets auf die Palme!

Die Türkei drohte daraufhin mit Konsequenzen für die deutsch-türkischen Beziehungen.

In dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen wurde bedauert, dass in der Türkei eine umfassende Diskussion über die „fast vollständige Vernichtung der Armenier in Anatolien” vor 90 Jahren im Osmanischen Reich nicht möglich sei. „Mit tiefer Sorge” sehe es der Bundestag, „dass die Armenier-Konferenz international angesehener türkischer Wissenschaftler, die vom 25. bis 27. Mai 2005 in Istanbul stattfinden sollte, durch den türkischen Justizminister unterbunden wurde und die von der türkischen Regierungsmeinung abweichenden Positionen dieser Wissenschaftler als ,Dolchstoß in den Rücken der türkischen Nation' diffamiert wurden.”

Die türkische Regierung hatte schon vor der Verabschiedung scharf auf den Antrag reagiert und vor seiner Verabschiedung gewarnt. Außenminister Gül, der nun zum Staatspräsident gewählt werden soll, bezeichnete den Text als „verantwortungslos, bestürzend und verletzend”. „Es gab keinen Völkermord an den Armeniern”, sagte er u.a. der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung”. Die Integration der Türken in Deutschland werde durch die Konfrontation der deutschen Öffentlichkeit mit dem Thema Armenien erschwert.

In der Antragsbegründung heißt es: „Insgesamt wird das Ausmaß der Massaker und Deportationen in der Türkei immer noch verharmlost und weitgehend bestritten.” Eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte sei aber notwendig, besonders „im Rahmen einer europäischen Kultur der Erinnerung, zu der die offene Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der jeweiligen nationalen Geschichte gehört”. Der Bundestag sei sich „aus langer eigener Erfahrung” bewusst, „wie schwer es für jedes Volk ist, zu den dunklen Seiten seiner Vergangenheit zu stehen”. Das war nicht nur mit Blick auf die NS-Verbrechen der Deutschen gesagt, denn der Bundestag erinnerte mit diesem Beschluss auch an die „unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der vielfältigen Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern nicht einmal versucht hat, die Gräuel zu stoppen”.



Oder sollten wir uns den von den Äußerungen der türkischen Regierung aufgeputschten Demonstranten, Mitgliedern einer nationalistisch geprägten Gewerkschaft, in der Türkei beugen, die vor der deutschen Botschaft in Ankara über "Hitlers Bastarde" krakeelten und vor der deutschen Botschaft in Ankara aus Protest einen schwarzen Kranz niederlegten? http://www.smokers-board.de/board/archive/index.php/t-40154.html und http://www.d-armenier.de/cms/html/index.php?module=pagesetter&tid=1&page=38
Die meisten Türken wollen keine Erinnerung an die an den Armeniern verübten Gräuel, nachdem die Welt vorher schon und insbesondere seit 1915 gleichgültig weggeschaut hat. „Dabei hatte der Großwesir Damad Ferid Pascha am 11.06.1919 die Verbrechen der Armee [an den Armeniern; der Verf.] öffentlich eingestanden. Und im Erlaß des damaligen Innenministers Talaat Pascha hieß es, die Regierung des Osmanischen Reiches habe beschlossen, ’alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten’.“ Das mürbe Osmanische Reich fürchtete damals den sich längst abzeichnenden Zerfall und strebte einen ethnischreinen Nationalstaat an. Zwischen 1894 und 1896 hatte der türkische Sultan Abdülhamid bereits bis zu 200 000 Armenier ermorden lassen. 1895 „… schrieb die amerikanische Missionarin Corinna Shattuck, die in der Stadt Urfa miterlebt hatte, wie verfolgte Armenier in einer Kirche verbrannt wurden, im Brief an ihre Schwester »von dem unbeschreiblich krank machenden Geruch des großen Holocaust in der gregorianischen Kirche«. Und schon 1933 nannte der der jüdische Dichter Franz Werfel in seinem Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh die armenischen Todeskarawanen prophetisch »wandernde Konzentrationslager«. Die Türkei aber, genauer: ihre Herrschsaftselite und die Beamten aller Ränge, streitet bis heute die Fakten wie den Völkermord kategorisch ab“, weil der Genozid mit der Modernisierung des Landes, mit der Transformation des multi-ethnischen Osmanischen Reiches in einen Nationalstaat mit pantürkischer Ideologie zusammenfiel: Es habe keinen Völkermord gegeben, nur „tragische Folgen einer Zwangsumsiedlung, die infolge der Kriegsereignisse erforderlich geworden waren“, vielleicht ja auch Massaker, aber keinen Völkermord, der voraussetzt, dass die Vernichtung einer Bevölkerungsgruppe staatlich gelenkt sei. Offiziell wird von einer Vielzahl Armenier und Türken gesprochen, die bei Partisanenkämpfen ums Leben kamen, die teilweise in russischen Uniformen gegen die Türken gekämpft hätten. So die bisherige offizielle Lesart, die auch von vielen im Ausland lebenden oder türkischstämmigen Neubürgern in ihrem jeweiligen neuen Land geteilt wird, wie die Auseinandersetzung im Zuge der Kandidatenaufstellung zur Wahl des niederländischen Nationalparlaments deutlich macht, in deren Folge Kandidaten wegen dieser Haltung von ihren Parteien – zwei bei der sozialdemokratischen Partei, was der eine Drohung des Wahlboykotts von türkischstämmigen Wählern einbrachte, einer von der christlichen Partei - von der Kandidatenliste gestrichen wurden, was sie als ungerecht empfanden: „Was können wir dafür, was eine fremde Regierung vor 90 Jahren gemacht hat?“ Aber zu einer Verurteilung der Massaker an den Armeniern als „Völkermord“ fanden sie sich nicht bereit. „Zuzugeben, dass die Gründer der modernen Türkei die heute als Helden gelten, Komplizen des Bösen waren, könnte die Legitimation des Staates infrage stellen.“, sieht der an der Universität von Minnesota lehrende türkische Historiker Taner Akçam als Grund für den bis heute als »Staatswahrheit« durchgehaltenen Vertuschungsversuch der offiziellen Türkei an (DIE ZEIT 23.03.05). Von 1894 an wurden die Armenier in der Türkei ständig drangsaliert: 1909 starben bei Pogromen im Raum Adana noch einmal mehr als 20 000 Armenier. Doch das Schlimmste stand den Armeniern noch bevor. Im Sommer 1915 schreibt der deutsche Botschafterin Konstantinopel, Hans Freiherr von Wangenheim, an den Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg: „Die Austreibung der armenischen Bevölkerung aus ihren Wohnsitzen in den ostanatolischen Provinzen (…) wird schonungslos durchgeführt.“ Der damalige Innenministers Talaat Pascha hatte zuvor in einem Erlass angeordnet, was die Regierung des Osmanischen Reiches beschlossen hatte, nämlich ’alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten’. Und wenn die Regierung das beschließt, dann ist das Kriterium der Verfolgung durch den Staat erfüllt und Völkermord gegeben! Wenig später formuliert der Diplomat, der von dieser Anordnung nichts wusste, als Quintessenz seiner eigenen Beobachtung: ’Die Art, wie die Umsiedlung durchgeführt wird, zeigt, daß die Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reich zu vernichten. … Wer nicht gleich einem der vielen Massaker zum Opfer fiel, wurde auf Todesmärschen Richtung Aleppo nach Süden geschickt, direkt in die leere Wüste. Es gab den ausdrücklichen Befehl, möglichst wenige überlebende ankommen zu lassen. Der Name des Wüsten-Todeslagers Deir es Zor hat für die Armenier eine ähnliche Bedeutung wie Auschwitz für die Juden. … ’Die armenische Frage ist erledigt’, erklärte Innenminister Pascha kalt gegenüber deutschen Diplomaten“ (HH Abendblatt 22.04.05). Und dann war der Beschluss des Deutschen Bundestages nach der Polemik des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan „falsch und hässlich“?
Die Haltung der türkischen Regierung in der Armenienfrage wird aus dem Interview der WELT http://www.welt.de/print-welt/article682595/Wir_haben_keinen_Genozid_begangen.html

mit dem Chefhistoriker der Regierung Erdogan deutlich :


"Wir haben keinen Genozid begangen"

Ein Gespräch mit Hikmet Özdemir, dem Chefhistoriker der türkischen Regierung, zur Aufarbeitung des Völkermordes an den Armeniern
Özdemir äußert die Ansicht, die armenische Diaspora habe die Welt von der Genozid-These überzeugt. Da die Türkei diese Ansicht nicht teile, fordere sie eine offene, internationale Diskussion dieser Frage. Er bestreitet, dass es in der Türkei politischen Druck in der Armenier-Frage gäbe – obwohl kurz zuvor eine internationale Konferenz zu diesem Thema in Istanbul abgesagt worden war, nachdem der Justizminister sich in wüstesten Verbalattacken gegen die Organisatoren ergangen hatte.

Er wirft dem Deutschen Bundestag vor, dass er, ohne die Türkei angehört zu haben, ein einseitiges Urteil gefällt habe. Die Genozid-These würde er nur dann akzeptieren, wenn jemand ein Dokument zeigen könnte, aus dem hervorgehe, dass die türkische Regierung die Vernichtung der Armenier beabsichtigte habe. Aber das Gegenteil sei der Fall, denn die Armenier hätten gegen die Türkei gekämpft und darum sei ihre Deportation aus rein militärischen Gründen notwendig geworden. Es gehe (angeblich) aus allen türkischen Dokumenten hervor, dass die Regierung um den Schutz der Zivilisten bemüht gewesen sei, „sogar die Vertreibung vom Winter auf den Frühling verschoben“ habe, um die Menschen zu schonen. Dass so viele starben, sei eine (reine) Folge der Kriegswirren, der Witterung, der primitiven Umstände gewesen, nicht aber beabsichtigter Genozid!

DIE WELT hält dem Chefhistoriker der türkischen Regierung unter dem Verweis auf den Historiker Erich Zürcher viele andere entgegen, dass es zwei Operationen gegeben habe: Die Vertreibung, die für sich genommen noch nicht zum Völkermord führen musste, und eine verdeckte Operation der regierenden Jungtürken, die die Aufgabe hatte, die Vertreibung zum Todesmarsch zu machen.

Özdemir verbeugt sich verbal vor allen armenischen Opfern, gibt aber zu bedenken, dass allein 1915 mehr als 102 000 Türken von Armeniern getötet worden seien; insgesamt belaufe sich die Zahl der türkischen Opfer auf 570 000.


Was Erdogan und seine Regierungsmitglieder in ihrer Empörung über den "hässlichen" Beschluss des Deutschen Bundestages nicht so deutlich sagen können, sagen andere für sie:
Türkendemo Berlin Armenienfrage

Großkundgebung des Türkentums

Türkische Nationalisten bereiten "Marsch auf Berlin" zu Ehren des Großwesirs Talat Pascha vor

von Mariam Lau



http://www.welt.de/print-welt/article199800/Grosskundgebung_des_Tuerkentums.html
Unter der Parole "Nimm deine Fahne, komm nach Berlin" hatte eine Gruppe türkischer Nationalisten für den 18. März 2006 zu einer Großdemonstration zu Ehren des Großwesirs Talat Pascha in der Bundeshauptstadt aufgerufen. Talat Pascha gehörte zu den Drahtziehern des Völkermords an der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich 1915/16. Vor 85 Jahren war er von einem armenischen Studenten in der Nähe des Berliner Steinplatzes erschossen worden.

Die türkischen Nationalisten fühlen sich von der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestags und der Erwähnung des Völkermords in deutschen Schulbüchern provoziert.

Dogu Perinçek, einer der Köpfe der Talat-Pascha-Bewegung, drohte auf einer Pressekonferenz in einem kleinen Schöneberger Restaurant: "Ich warne die deutsche Öffentlichkeit. Wenn wir vernichtet werden, werdet auch ihr vernichtet." Hätte es die Resolution nicht gegeben und die Schulbücher "mit diesen Lügen", wäre auch keine Demonstration nötig.

Perinçeks „ideologisches Amalgam aus krudem Drittwelt-Sozialismus, türkischem Nationalismus und inzwischen sogar Islamismus ist … repräsentativ für die Stimmung, die auch hinter ’Tal der Wölfe’ steht. … Im Ersten Weltkrieg haben wir unser Vaterland verteidigt", erklärte Perinçek, die Armenier seien von den Imperialisten, dee "Super-Nato" der USA, benutzt worden.

Auch Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschlands, äußerte die Auffassung, der Bundestag müsse seine Resolution zurückziehen.

Den Aufruf zur Demonstration in Berlin haben unter anderem die regierungsnahe religiöse Organisation DITIB sowie die Türkischen Sozialdemokraten, ein Verein zur Förderung des Gedankenguts Kemal Atatürks und ein türkischer Elternverband unterzeichnet.


Auch wenn die türkische Regierung jetzt nur demonstrieren ließ, so engagiert sie sich sonst sehr dezidiert, wenn in anderen Ländern vom „Völkermord an den Armeniern“ gesprochen wird: Die Brandenburgische Regierung, die in den Geschichtslehrplänen beispielhaft den Völkermord an den Armeniern behandeln lassen wollte, war unerklärlicherweise vor einem geharnischten Protest des türkischen Botschafters eingeknickt und hatte in einer Art Selbstzensur die Streichung der Erwähnung der Armenier zugesagt. Als daraufhin die armenische Botschafterin in Potsdam vorsprach, wurden die Armenier wieder erwähnt, allerdings nunmehr flankiert von der Erwähnung der Genozide in Kambodscha und in Ruanda.

Und das sind nicht die einzigen Interventionen der türkischen Regierung in Deutschland, wenn irgendwo der Völkermord an den Armeniern thematisiert wird: So musste „im Sommer 2004 nach türkischem Einspruch die Aufführung des Dramas Beast on the Moon von den 17. Europäischen Kulturtagen in Karlsruhe abgesetzt werden“ (DIE ZEIT: Wer am Leben blieb …).

Ähnlich rigoros reagierte die Türkei, als die französische Nationalversammlung im Januar 2001 eine Deklaration verabschiedet hatte, die den Völkermord offiziell anerkannte. Die türkische Regierung zog vorübergehend „ihren Botschafter ab, rief zum Boykott französischer Produkte auf, stornierte Wirtschaftsaufträge an französische Unternehmen in Höhe von Hunderten Millionen Dollar.“12

Das international isolierte, aber mit der Türkei militärisch zusammenarbeitende Israel verzichtete nach Drohungen aus der Türkei darauf, den Völkermord, wie geplant, in die israelischen Schulbücher aufzunehmen.

„In den USA brachte türkischer Protest im Jahre 2000 eine Resolution des Kongresses zu Fall, in der die Ereignisse von 1915 als Völkermord eingestuft werden sollten. Präsident Clinton intervenierte in letzter Minute »wegen bedeutsamer nationaler Interessen«. Die türkische Regierung hatte gedroht, die Luftwaffenbasis Inçirlik für die USA zu schließen.“, und den USA war das Verhältnis zu dem NATO-Partner Türkei, den die USA in die EU zu drängen bemüht sind, zu wichtig.
Auf dieser offiziellen politischen Linie der Türkei „Wir haben keinen Genozid begangen“ – obwohl an der Bochumer Ruhr-Universität 139 Lebensberichte von Überlebenden der Todesmärsche und damit Augenzeugen der begangenen Gräueltaten vorhanden sind, die das Gegenteil bezeugen, bezeugen, wie Menschen z.B. ohne Wasser und Nahrung nackend in die Wüste getrieben wurden, wie sie umgebracht wurden, wie Frauen die Bäuche aufgeschlitzt worden sind, weil man annahm oder sie durch Folter zu dem Eingeständnis gebracht hatte, dass sie Goldmünzen verschluckt hatten - auf dieser offiziellen politischen Linie der Türkei handeln dann die Staatsorgane der »Militärdemokratie« unterhalb der politischen Führung des Landes:
Türkisches Gericht klagt Pamuk13 an

Dem Schriftsteller droht wegen einer Armenien-Äußerung Haftstrafe

von Boris Kalnoky

http://www.welt.de/print-welt/article162579/Tuerkisches_Gericht_klagt_Pamuk_an.html
Istanbul - In ihrem ehrgeizigen Streben, eines Tages zur europäischen Staatenfamilie gehören zu dürfen, macht die Türkei vieles eindrucksvoll richtig. Mancher Schritt geht freilich so arg daneben, daß selbst wohlgesinnte Beobachter Bauchgrimmen bekommen. Der bislang schrillste Mißklang ist die Entscheidung eines Istanbuler Staatsanwaltes,

Der international anerkannteste Schriftsteller der Türkei, Orhan Pamuk, war vor einem Istanbuler Gericht wegen des Vorwurfs angeklagt worden, die "türkische Identität verunglimpft" zu haben, weil er öffentlich zu sagen gewagt hatte, in der Türkei seien 30 000 Kurden und eine Million Armenier getötet worden und niemand rede darüber. Ihm drohten damit sechs bis 36 Monaten Gefängnis.

Die türkische Regierung bestreitet, dass eine Vorgängerregierung die Vernichtung der armenischen Zivilbevölkerung anordnet und organisiert habe, obwohl die Opfer ohne Verpflegung oder Infrastruktur bewusst in die Gluthölle der syrischen Wüste gebracht worden waren, wo sie dann zu Zehntausenden umgekommen sind.

Seit Monaten läuft in der Türkei eine staatlich organisierte und koordinierte Kampagne in der Genozid-Debatte. Die Regierung hat erkannt, dass das internationale "Vorurteil", es habe einen Genozid an den Armeniern gegeben, potentiell zu großem politischen Schaden führen kann, und ist nun bemüht, die Initiative zu ergreifen, um die Genozid-These zu entkräften. In diesem Rahmen ist das Verfahren gegen Pamuk und vor einiger Zeit die Torpedierung der Historikerkonferenz zu sehen.

„Pamuk sieht sich übrigens nicht nur juristisch unter Druck. Rechtsextreme Kreise wie die ’Idealisten’ (einst besser als ’Graue Wölfe’ bekannt), aber auch große Massenzeitungen wie ’Hürriyet’ beschimpfen ihn, ein ’Nestbeschmutzer’ zu sein, ein Schwarzmacher, ein Lügner, ein Untürke. Der Rufmord an Pamuk ist in den Massenmedien längst vollzogen. Der Schriftsteller, den schrille türkische Schreiberlinge schon so lange an den Pranger stellen, wird nun anläßlich seines Verfahrens erst recht öffentlichen Haßtiraden preisgegeben sein. Da kann man nur hoffen, daß nicht eines Tages die häufigen anonymen Drohungen wahr werden, er solle darauf achten, was er sagt, um nicht zu Schaden zu kommen.

Die Europäische Union ihrerseits wird interessiert beobachten, wie ein Land, welches der europäischen Wertegemeinschaft angehören will, einen Schriftsteller verfolgt, der seine Meinung zu sagen wagt“ (DIE WELT 02.09.05).


Orhan Pamuk ist wegen seiner die Seele der Konservativen verstörenden Äußerungen – „Was Pamuk von sich gibt, ist ein Messerstich in den Rücken der türkischen Nation!“, so der Rechtsanwalt Kerinçsiz14, Mitglied der ultrarechten „Partei der nationalistischen Bewegung“ MHP, der Pamuk angezeigt hat und den Prozess gegen ihn forcierte - über die Ermordung von 30.000 Kurden und 1.000.000 Armenier, aber auch, weil er darüber hinaus zu sagen gewagt hatte, dass weniger die Islamisten und mehr die Militärs eine Gefährdung der Demokratie in der Türkei darstellen, wegen Verstoßes gegen den »Gummiparagrahen« § 301 türkisches Strafgesetzbuch "Herabsetzung des Türkentums, der Republik und der Nationalversammlung" nach der Entscheidung des zuständigen Richters nach dem zur Zeit der Begehung geltenden alten Strafrecht angeklagt worden.

Nach diesem alten Recht ist aber eine Genehmigung des türkischen Justizministers unabdingbare Prozessvoraussetzung. Die lag jedoch zu Prozessbeginn nicht vor, weil die Justiz diesen Antrag bis zum Prozesstermin am 16.12.05 noch gar nicht eingereicht hatte. Darum war auf Februar umterminiert worden.

Ebenfalls nach diesem Gummiparagraphen 301 „Beleidigung/Erniedrigung des Türkentums“ des für den EU-Beitritt reformierten türkischen Strafgesetzbuches war im Oktober 2005 der sich zur Armenierfrage geäußert habende armenische Journalist und Chefredakteur der armenisch-türkischen Wochenzeitung „Agos“, Hrant Dink, zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Im Mai 2006, vier Tage nach Überreichung des Henri-Nannen-Preises für Pressefreiheit für diesen journalistischen Mut, wurde er angeklagt, dass er die türkische Justiz habe beeinflussen wollen: Dink hatte aber nur seine Verurteilung kritisiert. Das ertrug die türkische Justiz nicht. Selbst türkische Blätter wandten sich gegen das Verfahren. „Während er in Deutschland für Pressefreiheit geehrt wird, soll er in der Türkei verurteilt werden“, schrieb dazu das türkische Magazin „Aktüel“ (STERN 24.05.06). Dink ist dann in letzter Instanz von dem obersten türkischen Gerichtshof der Türkei zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden, weil er in seinem Artikel von dem „vergifteten Blut“ zwischen Türken und Armeniern geschrieben und damit „ohne Zweifel“ das Türkentum erniedrigt habe. „Groteskerweise kam das Gericht zu dem Schluss, er habe behauptet, türkisches Blut sei vergiftet. Sogar der Staatsanwalt hatte Freispruch gefordert“ (STERN 20.07.06). Die Zeitspanne der Bewährungsstrafe hat Dink dann nicht mehr überlebt: Wegen seiner kritischen Haltung ist er am 19.01.07 vor dem Gebäude seiner Redaktion durch einen Anschlag ermordet worden. In Medien haben sich rechtsgerichtete türkische Kreise ein Bild von Dinks Leiche publiziert und als Text geschrieben: "Wenn einer das Vaterland verrät, dann ist er erledigt. Die türkische Nation duldet keine Erörterung der Armenierfrage!"

Nach der Ermordung Dinks ist Pamuk von denselben Kreisen bedroht worden, die für Dinks Ermordung verantwortlich gemacht werden. Hintergründe zu dieser Bedrohung, die ein Schlaglicht auf die türkische Gesellschaft werfen, werden in dem Artikel der WELT 01.02.2007


Türkei

Warum Nobelpreisträger Pamuk um sein Leben fürchten muss

Nach massiven Drohungen gegen ihn sagt der Schriftsteller einen geplanten Deutschland-Besuch ab. Seine Bedenken und der Mord am Journalisten Hrant Dink zeigen, welch feindlichem Klima kritische Stimmen in der Türkei ausgesetzt sind.

Von Boris Kalnoky


http://www.welt.de/print-welt/article715894/Warum_Nobelpreistraeger_Pamuk_um_sein_Leben_fuerchten_muss.html
dargestellt.
Pamuk hatte in Berlin die Ehrendoktorwürde der Freien Universität erhalten und danach in mehreren anderen deutschen Städten aus seinen Werken lesen sollen. Wegen erhaltener Attentatsdrohungen, u.a. von Yasin Hayal, der gestanden hatte, die Ermordung des armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink in Istanbul organisiert zu haben, hatte er die geplante Vortragsreise abgesagt.

Dinks geplante Ermordung war der türkischen Polizei schon ein Jahr zuvor bekannt gewesen. Er war dann von einem 17-jährigen Arbeitslosen erschossen worden, der von Hayal Geld und die Tatwaffe erhalten hatte. In Pamuks Gerichtsverfahren war dann Veli Kücük erschienen, der in der Türkei als Inbegriff des "tiefen Staates" gilt, „worunter man ein undurchdringbares Geflecht von Sicherheitskräften, Justiz, Verwaltung und organisiertem Verbrechen versteht - ein Milieu, in dem angeblich ’Staatsinteressen’ notfalls durch Mord gewahrt werden, wenn die Politik vermeintlich versagt.“

An den wiedergegebenen kritischen Äußerungen über die "tief gestaffelten Staatsorgane" scheint etwas dran zu sein, denn im November 2005 haben zwei türkische Gendarmerieoffiziere und ein Polizeispitzel als Teil des „tiefen Staates“, einer zumindest geistigen Allianz aus Militärs, Sicherheitskräften, Geheimdienstlern, Mafiosi, Richtern und hohen Militärs, in der Stadt Semdinli im kurdischen Südosten des Landes in einer Bücherei namens „Hoffnung“ Bomben gezündet, die einen Menschen töteten, um das Land durch ethnische Unruhen zu destabilisieren, eine Hetzkampagne gegen Kurden in Gang zu setzen und vermutlich auch, um das Land durch die anzuzetteln versuchten Unruhen für einen EU-Beitritt zu disqualifizieren! Im Südosten des Landes lieferten sich 2006 Kurden mit türkischen Sicherheitskräften die schlimmsten Straßenschlachten seit mehr als zehn Jahren (SPIEGEL ONLINE 17.04.06).
Beitrittsbefürworter kämpfen für den EU-Beitritt der Türkei, damit diese Kräfte neutralisiert werden:

Türkei


Kommentar: Die leise Stimme der Vernunft

http://www.welt.de/print-welt/article715902/Kommentar_Die_leise_Stimme_der_Vernunft.html

Kommentar in DIE WELT 01.02.2007

Es gebe den Kampf der Kulturen, der den türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk aus Angst vor Gewalt zum zweiten Mal eine geplante Deutschlandreise hat absagen lassen.

Die Identitätsprobleme der Türkei seien die Folie fast aller seiner Werke: Die schwierige Mittelexistenz zwischen Orient und Okzident ist ein zentrales Thema Pamuks. (Nach der Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis verstieg sich Pamuk in einem Interview bei SPIEGEL ONLINE am 04.05.07 über die von ihm bisher empfundene Mittelexistenz hinausgehend sogar zu der Behauptung: „Die Türkei ist ein Teil Europas.“ Wenn er da man nicht irrt!) Und weil er ein Mittler zwischen den Traditionen der beiden Welten sein will, hat er lange schon Anstoß erregt, denn er habe sich als Bürger nie gescheut, „die national-kollektivistischen Mythen des türkischen Staates als das zu bezeichnen, was sie sind: Verzerrungen der Geschichte im Namen einer herrischen Staatsräson. Er hat den Mord an den Armeniern Mord genannt, er hat den Umgang des Staates mit seinen Kurden kritisiert und er hat nach der Ermordung des Journalisten Hrant Dink von einer Mitschuld der gesamten Gesellschaft gesprochen. In seiner leisen, entschiedenen Art hat er immer wieder festgestellt, dass die - von weiten Teilen der Bevölkerung getragene - nationalistische Selbstglorifizierung der Türkei nicht zu ihrem Wunsch passt, zu Europa zu gehören.“

In der Türkei sei einst der Nationalismus von einer modernistisch orientierten Elite zu einer Art Staatsreligion erhoben worden, die im Zweifelsfall höchst militant werden könne. Dem stehe ein kräftiger, neu erblühter Islamismus gegenüber, der in gleicher Weise zur Militanz neige. Zwischen beiden eingeklemmt, habe die bürgerliche Vernunft nicht viel zu melden. Denn sie sei im lauten Kampf der Kulturen eine leise Stimme.
„Klar, dass bei einer solchen gesellschaftlichen Situation türkische Demokraten ihre Hoffnung auf eine EU-Mitgliedschaft setzen – genau so wie marokkanische, algerische, tunesische und syrische Demokraten zur Verbesserung der demokratischen Situation in ihrem jeweiligen Land.“
Mich stört an dieser Argumentation die Zumutung, dass wir Europäer – würde man der Argumenta­tionslogik pro Aufnahme der Türkei in die EU zwecks Demokratisierung der türkischen Gesellschaft folgen – die Verpflichtung haben sollen, praktisch den gesamten nahen und fernen Osten und die meisten Staaten Afrikas in die EU aufzunehmen, damit die jeweiligen Gesellschaften demokratisiert werden: Das kann nicht das Ziel der Vereinigung europäischer Staaten zur EU sein! Wo sollte die Abgrenzung zu z.B. Marokko, Tunesien, dem Libanon, Syrien und Israel erfolgen: Alles Staaten, deren Mitgliedschaft schon in der politischen Diskussion angedacht worden ist, die teilweise schon diesbezüglich vorgefühlt oder sich gar teilweise schon um eine EU-Mitgliedschaft beworben haben. Da Türken, Marokkaner, Tunesier und Syrer aber allesamt keine Europäer sind, dürfen die Asiaten und Afrikaner nicht in die Europäische Union aufgenommen werden!

Wo bliebe da die mühsam zu belebende europäische Identität; und ohne eine verbindende Identität hat keine Gemeinschaft Bestand!


Nach Pamuk wurde die Autorin Ipek Calislar wegen "Beleidigung des Türkentums" angeklagt, weil sie in ihrer Biografie der ersten Ehefrau von Mustafa Kemal Atatürk den Staatsgründer der Türkei dadurch in seiner Ehre gekränkt habe, dass sie in einem Kapitel ihres Buches die historisch belegte Flucht Atatürks aus dem Präsidentenpalast beschreibt. Sie schrieb, der Staatsgründer habe ein Attentat befürchtet und sich daher mit einem Tschador, einem Ganzkörperschleier, als Frau verkleidet. Das brachte einen Leser auf die Palme - Atatürk hätte so etwas nie getan – und auf seine Anzeige hin leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die Autorin ein. Aus läppischen Anlässen, die in westlichen Ländern höchstens eine Diskussion unter Historikern als Strohfeuer entflammen würden, werden in der Türkei nach diesem ominösen § 301 "Beleidigung des Türkentums" Leute verfolgt und mit bis zu vier Jahren Haft bedroht!

Auch das Atatürk ein armenisches Mädchen als Adoptivtochter aufgenommen hat, darf in der Türkei nicht gesagt werden.





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