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Der Mensch hat aber auch Teil an der „Welt des Geistes“ und der „Ideen“, womit
moralische Ideale gemeint sind. Der menschliche Geist unterscheidet
den Menschen vom Tier,
indem er alle Beschränkungen von Zeit und Raum, alle äußeren und inneren Zwänge
hintanstellt; er handelt selbstbestimmt (autonom). In diesen Bereich gehört auch die Sittlichkeit
(Moral) des Menschen, denn moralische Gesetze gelten – nach Ansicht Kants und Schillers –
allerorts und immer.
Der Mensch muss, wenn er wirklich Mensch sein will, seine körperliche Begrenztheit
überwinden und in die Welt des Geistes stoßen.
70
Das tut er kraft seines Willens, der Teil
seiner geistigen Natur ist. Schiller propagiert in seinem Essay „Über das Erhabene“ die
absolute Willensfreiheit des Menschen: „„Kein Mensch muß müssen“ […]. Der Wille ist der
Geschlechtscharakter des Menschen, […]. Alle anderen Dinge müssen; der Mensch ist das
Wesen, welches will.“
71
Die Willensfreiheit als sein Gattungsmerkmal („Geschlechtscharakter“) erhebt den
Menschen unter allen Lebewesen zum einzigartigen Fall, zur Ausnahme.
72
Mit dieser Freiheit
geht ein Riss durch die Natur und zwei gegensätzliche Seinsweisen stehen sich gegenüber.
Schiller benennt sie mit den bekannten Dichotomien Autonomie vs. Heteronomie bzw. Selbst-
vs. Fremdbestimmung.
73
Dieses dichotomische Schema bestimmt nicht nur das Verhältnis von
Mensch und Natur, sondern auch im Menschen selbst die Opposition von Vernunft und Trieb,
Sittlichkeit und Sinnlichkeit.
74
Auch die Natur im Subjekt, d.h. die Sinnlichkeit des Körpers
folgt Naturgesetzen und dem Prinzip der Kausalverkettung.
Freiheit und Moral
Im Zentrum von Kants und Schillers Gedankenwelt steht der Versuch, den Menschen vom
heteronomen, d.h. von außen bestimmten, zum autonomen und selbstbestimmten Wesen zu
machen. Der Mensch ist das einzige Wesen, das dem Determinismus der Natur nicht
untersteht; die Willensfreiheit seines intelligiblen Ich, also die geistig-vernünftige Seite, setzt
den Determinismus seines Körpers, einschließlich der Triebe und Affekte, außer Kraft, negiert
70
Schiller spricht in seinem Essay „Über das Pathetische“, (in: Schiller 1970, 55; 122 Anm. zu 55,6), von der
„moralische[n] Independenz von Naturgesetzen“, gemeint als Unabhängigkeit des
menschlichen Geistes von
Naturgesetzen.
71
Ebd., 83. In demselben Essay beschreibt Schiller den menschlichen Willen als „das absolut Große in uns
selbst“, über das die Natur nicht zu gebieten hat: „Der Mensch ist in ihrer Hand [i.e. der Hand der Natur], aber
des Menschen Wille ist in der seinigen.“ (Schiller 1970, 88).
72
Vgl. Riedel 2007, 60.
73
Ebd., 61.
74
Ebd.
22
ihn. „Frei“ handelt das Subjekt, insofern es frei von den Naturgesetzen der Physis ist.
75
Freiheit
wird so per Definition zum Vermögen, Natur negieren zu können, ihr nicht anzugehören und
nicht unterworfen zu sein.
76
Freiheit des Menschen ist so verstanden die Freiheit vom Körper;
nur wenn der Wille im Stande ist, den „mächtigsten aller Instinkte“, den „Trieb der
Selbsterhaltung“, zu negieren, ist er wirklich frei.
77
Das Leben an sich muss der Moral
nachstehen:
[…] [D]as Leben ist nie für sich selbst, nie als Zweck, nur als Mittel zur Sittlichkeit wichtig. Tritt
also ein Fall ein, wo die Hingebung des Lebens ein Mittel zur Sittlichkeit wird, so muß das Leben
der Sittlichkeit nachstehen.
78
Sich selber Gesetze zu geben und selbständig zu denken heißt aber nicht, einfach zu tun,
wonach einem gerade der Sinn steht; der Mensch ist als Vernunftwesen der Sittlichkeit (Moral)
verpflichtet, also einem Geflecht moralischer Normen. Diese sind nicht willkürlich und
beliebig; es gibt so etwas wie ein natürliches Sittengesetz, das der Mensch nur zu erkennen
braucht – mittels seiner Vernunft und gegen die Einflüsterungen seiner sinnlichen Welt der
Triebe, Neigungen und Gelüste. Freiheit bedeutet also einerseits, sich innerlich von der
Triebseite, dem Körperlichen und Tierhaften, zu lösen und andererseits, sich nicht von äußeren
Umständen, wie z.B. einer Todesgefahr, zu etwas zwingen zu lassen.
79
Vernunft, Freiheit und Moral gehören zusammen: Der vernünftige Mensch befreit sich von
Zwängen, um moralisch handeln zu können. Erst die Vernunft ermöglicht, moralische
Prinzipien zu erkennen; Freiheit ist insofern eine Voraussetzung moralischen Handelns, als
dieses eben immer mit Wählen-Können zu tun hat. Wenn ich unfrei bin, habe ich keine Wahl –
mein Handeln kann dann nicht als „gut“ oder „schlecht“ beurteilt werden. Doch sogar in
Gefangenschaft kann man frei sein – nämlich geistig.
Es stellt sich nun die Frage, wie ein Mensch frei und sittlich zugleich werden kann.
Befreiung von inneren Zwängen
Zum einen bestimmen innere Zwänge den Menschen: Er tut etwas aus Trieben, Gefühlen,
Instinkten heraus; dabei wird er von seiner Biografie beeinflusst. In der Praxis kommt es nun
regelmäßig zu Konflikten zwischen den Neigungen und dem sittlich Gebotenen.
Handeln aus bloßer Neigung ist, nach Schiller und Kant, verwerflich, unvernünftig und
macht unfrei. Akzeptabel und befreiend ist nur ein Handeln aus „Pflicht“, d.h. aus der Einsicht
75
Vgl. Riedel 2007, 61.
76
Ebd.
77
Vgl. „Über das Pathetische“ und „Über das Erhabene“ in: Schiller 1970, 76; 84.
78
Ebd., 22 „Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen“.
79
Ebd., 83 f. „Über das Erhabene“.