Seminar für allgemeine pädagogik


Die Theorie des kommunikativen Handelns (Jürgen Habermas)



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2.4 Die Theorie des kommunikativen Handelns (Jürgen Habermas)


Literatur

Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bde. Frankfurt/M. 1995. (zitiert als Habermas 1995a; erstveröffentlicht 1981)

Habermas, J.: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/M. 1995. (zitiert als Habermas 1995b; erstveröffentlicht 1984)

Weitere Literatur

Bolte, J. (Hrsg.): Unkritische Theorie. Gegen Habermas. Lüneburg 1989

Gripp, H.: Jürgen Habermas. Und es gibt sie doch - Zur kommunikationstheoretischen Begründung von Vernunft Paderborn 1986 (Erstaufl. 1984).

Reese-Schäfer, WE.: Jürgen Habermas. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1994.



2.4.1 Einleitung


Habermas, geb. 1929, war Assistent von T.W. Adorno. Er gilt mit Adorno und Horkheimer als Vertreter der kritischen Theorie. Diese Zuordnung ist allerdings nur für den „jungen“ Habermas - bis Anfang der siebziger Jahre - richtig. 1981 veröffentlichte er die „Theorie des kommunikativen Handelns“. Mit ihr hatte sich Habermas von neomarxistischen Positionen der „Frankfurter Schule“ weitgehend gelöst, obwohl ihm das Anliegen einer „kritischen Gesellschaftstheorie“ auch unter dem neuen Signum gesellschaftlicher Betrachtung von „System und Lebenswelt“ wichtig blieb (vgl. Habermas 1995a, Bd. 2, S. 548 ff., insbes. S. 561 f.).

Die „Theorie des kommunikativen Handelns“ beinhaltet eine Gesellschaftstheorie, die verpflichtet ist:



  • dem Erbe der Aufklärung (Vernunft, Rationalität, Fortschritt, Freiheit und Gerechtigkeit als universale Grundideen der Moderne);

  • der lebensweltlichen Philosophie Husserls;

  • der Theorie der Rationalisierung Max Webers;

  • dem amerikanischen Pragmatismus und einem Demokratieverständnis, wie es sich in den Bürgerrechtsbewegungen der USA in den sechziger und siebziger Jahren präsentierte.

Habermas sieht die moderne demokratische Gesellschaft als Institution, in der die zu fällenden Entscheidungen weder durch Berufung auf Tradition oder Weltanschauung, noch durch das Recht des Stärkeren durchgesetzt werden können. Entscheidungen über Sachverhalte und gesellschaftliche Normen unterstehen in der modernen Demokratie vielmehr ständig dem öffentlichen Diskurs.

In rationaler Argumentation, welche es fast immer mit kontroversen Standpunkten zu tun habe, sind von den Betroffenen alle relevanten Begründungszusammenhänge für Entscheidungen offenzulegen: Das angemessenste bzw. vernünftigste Argument habe die größte Chance, Grundlage der zu treffenden Entscheidung zu sein.


2.4.2 Voraussetzungen für Kommunikation (Universalpragmatik)


1. Allgemeine Voraussetzungen

Grundfrage: Was sind die allgemeinen Voraussetzungen dafür, daß Kommunikation überhaupt möglich ist?

Antwort: Habermas nennt - unter dem Einfluß des Philosophen Karl O. Apel - die Theorie, die diese Voraussetzungen zu klären hat, Universalpragmatik. Als universalpragmatische Grunderkenntnis läßt sich die Einsicht bezeichnen, daß die menschliche Kommunikation von vornherein auf Konsensfähigkeit angelegt ist: Es gibt eine intersubjektive „transzendentale Kommunikationsgemeinschaft“ (Apel), die vor jeder Kommunikation und Argumentation die Bedingung der Möglichkeit von Verständigung sichert.

Merke: Bevor ich kommuniziere, ist die Bedingung der Möglichkeit von Verständigung immer schon vorausgesetzt. Jedes kommunikative Handeln untersteht den folgenden universalen Geltungsansprüchen und deren Einlösung:

„- sich verständlich auszudrücken,

- etwas zu verstehen zu geben,

- sich dabei verständlich zu machen

- und sich miteinander zu verständigen“ (Habermas 1995b, S. 354).

2. Erfolgs- vs. verständigungsorientiertes Handeln (Habermas 1995a, Bd1, S. 367 ff.)

Habermas’ Kommunikationstheorie geht aus vom Begriff des Handelns, genauer: von den Typen des Handelns nach Max Weber. Weber unterschied vier Handlungsziele mit denen zweckrationales, wert-rationales, affektuelles und traditionelles Handeln korrespondiert. Habermas stellt zwei Handlungstypen einander gegenüber:



  • erfolgsorientiertes Handeln ist teleologisch, zielgerichtet (durch Zweck-Mittel-Relation bestimmt) und bezieht sich entweder auf Sachverhalte (= instrumentelles Handeln) oder auf Personen (= strategisches Handeln).

  • verständigungsorientiertes Handeln: = kommunikatives Handeln.

Bei erfolgsorientiertem (strategischem) Handeln besteht mindestens bei einem der beiden Aktoren (= Kommunikanten) die Absicht, sein Anliegen per se durchzusetzen; dies kann entweder offen durch Intervention geschehen oder aber verdeckt durch Verschweigen der eigentlichen (strategischen) Absicht - mit dem Bemühen, das Ziel persuasiv durch Überreden bzw. durch Täuschung zu erreichen.

Verständigungsorientiertes Handeln bezeichnet Habermas als kommunikatives Handeln. Es ist gegeben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

  1. Alle latenten strategischen Ziele sind ausgeschlossen.

  2. Die offen deklararierte Einflußnahme, die eine Begründung bzw. Argumentation erübrigt, ist ausgeschlossen.

  3. Die kommunikative Handlung setzt die verständigungsorientierte Einstellung der Aktoren voraus.

  4. Die kommunikative Handlung setzt voraus, daß der Aktor mit seiner Rede kritisierbare Geltungsansprüche verbindet, über die durch rationale Argumentation und Einsicht entschieden wird; die Möglichkeit der Zurückweisung von Geltungsansprüchen ist für kommunikatives Handeln konstitutiv (Habermas 1995a, Bd 1, S. 410 f.).

Handlungsart Geltungsanspruch Weltbezug____

teleologisches Handeln Wahrheit objektive Welt

normatives Handeln Richtigkeit soziale Welt

dramaturgisches Handeln Aufrichtigkeit subjektive Welt

kommunikatives Handeln Verständigung reflexiver Bezug

auf alle drei Welten

Habermas: Handlungstypen, Geltungsansprüche und Weltbezüge

(Reese-Schäfer, S. 29; Habermas 1995a, Bd.1, S. 149)

2.4.3 Argumentationstheorie als Kernstück der Theorie Habermas‘


Der für Habermas fundamentale Begriff Geltungsanspruch gestattet es, über Aussagen zu diskutieren: „Ein Anspruch kann erhoben, d.h. geltend gemacht, er kann bestritten und verteidigt, zurückgewiesen oder anerkannt werden“ (VuE, S. 129). Hierbei geht Kommunikation über in Argumentation. Wird der Geltungsanspruch eines Satzes geprüft, sind nach Habermas vier Ebenen zu unterscheiden: Verständlichkeit, Wahrhaftigkeit, Richtigkeit, Wahrheit.

„Der Sprecher beansprucht also Wahrheit für Aussagen ..., Richtigkeit für legitim geregelte Handlungen und deren normativen Kontext, und Wahrhaftigkeit für die Kundgabe subjektiver Erlebnisse“ (Habermas 1995a, Bd. 1, S. 149). Diesen drei Geltungsansprüchen fügt Habermas das vierte Moment der Verständlichkeit (auf Grund einer verständigungsorientierten Einstellung der Aktoren) als universalpragmatische Voraussetzung für das Funktionieren von Kommunikation hinzu.

Habermas stellt einen Bezug her zwischen den Arten des Handelns, den Möglichkeiten der Weltsicht und dem daraus jeweils resultierendem Geltungsanspruch von Aussagen.

In diesem Sinne unterscheidet Habermas



  • teleologisches Handeln (auf die objektive Welt [Sachwelt] gerichtet);

  • normatives Handeln (auf die soziale Welt gerichtet);

  • dramaturgisches Handeln (auf die subjektive Welt gerichtet).

Diesen drei Handlungsarten werden sowohl „drei Welten“ (ein Konzept, das er der Drei-Welten-Theorie von Karl R. Popper entlehnt) als auch drei verschiedene Geltungsansprüche - Wahrheit, Richtigkeit, Aufrichtigkeit - zugeordnet.

Welchen Nutzen hat diese Unterscheidung für die Argumentation?



  1. Man darf jeweils nur innerhalb einer Ebene argumentieren. Der Anspruch eines Satzes auf Wahrheit gilt nur für Sachaussagen, nicht für normative Sätze oder für Aussagen, die Subjektsphäre betreffen.

  2. Die Verwechslung von Sachaussagen und normativen Aussagen und die rhetorische Absicht, Sachargumente durch moralische zu ersetzen oder dem Kontrahenten fehlende Glaubwürdigkeit zu unterstellen, kommt leider allzu häufig vor - insbesondere in der politischen Diskussion.

2.4.4 Diskurs und Diskursethik


Die ideale Sprechsituation (vgl. Habermas 1995b, S. 174 ff. ; Gripp, S. 46 ff.)

Ein (syntaktisch richtiger) Satz wird zu einer Äußerung durch Einbindung in einen bestimmten semantischen (situativen) Kontext. Die Äußerungen von Kommunikanten bestehen aus Sprechakten; das sind elementare sprachliche Handlungseinheiten (nach J.L Austin und J.R. Searle). Die Grundstruktur des Sprechaktes, erläutert am Beispielsatz: „Ich verspreche dir, morgen zu kommen.“

Unterscheide:


  • den bestimmenden (illokutionären; performativen) Teil des Satzes: „Ich verspreche dir, ....“ mit der inhaltlichen Angabe - „versprechen“ - trete ich in einen kommunikativen Beziehung (Ebene der Intersubjektivität)

  • den abhängigen (lokutionären; propositionalen) Teil des Satzes: ...morgen zu kommen“, mit dem ein Tatbestand geäußert wird (Inhaltsebene).

Habermas spricht von der „eigentümlichen Doppelstruktur“ des Sprechaktes: Immer ist die Ebene der inhaltlichen Aussage verschränkt mit der Ebene der Intersubjektivität. Dies entspricht dem Verhältnis von Beziehungs- und Inhaltsaspekt im zweiten pragmatischen Axion Watzlawicks. Habermas übernimmt von den Sprachwissenschaftlern Austin und Searle deren „Theorie der Sprechakte“ und unterscheidet:

Die 4 „reinen Fälle“ von Sprechakten (Habermas 1995a, Bd 1, S. 414):



  • Konstativa: elementare Sachaussagen,

  • Regulativa: elementare Aufforderungs- oder Absichtssätze,

  • Expressiva: elementare Erlebnissätze, ausgedrückt in der 1. Pers. Präsens,

  • Kommunikativa: um kommunikatives Einverständnis bemühte Sätze (ebenda, S. 410).

Mit diesen vier Fällen sind die folgenden Geltungsansprüche verbunden (die jeweils akzeptiert oder abgelehnt werden können):

Wahrheit (Konstativa) - Richtigkeit (Regulativa) - Wahrhaftigkeit (Expressiva) - Verständlichkeit (Kommunikativa)

Merke:

Die „ideale Sprechsituation“ setzt Verständlichkeit im Sinne von Verständigungsbereitschaft voraus, die ihrerseits die wechselseitige Anerkennung der Geltungsansprüche von konstativen, regulativen und expressiven Sprechakten impliziert (vgl. Universalpragmatik!).



Die vier Bedingungen der „idealen Sprechsituation“ (Habermas 1995b, S. 177 f.):

1. Alle potentiellen Teilnehmer eines Diskurses müssen die gleiche Chance haben, kommunikative Sprechakte zu verwenden, so daß sie jederzeit Diskurse eröffnen sowie durch Rede und Gegenrede, Frage und Antwort perpetuieren können.

2. Alle Diskursteilnehmer müssen die gleiche Chance haben, Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Geltungsanspruch zu problematisieren, zu begründen oder zu widerlegen. so daß keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt.

Im Gegensatz zu Bedingung 1 und 2 sind die beiden folgenden Bedingungen „nicht trivial“: Zum Diskurs „sind nur Sprecher zugelassen, die als Handelnde die gleiche Chance haben,

3. ... „repräsentative Sprechakte zu verwenden, d.h. ihre Einstellungen, Gefühle und Wünsche zum Ausdruck zu bringen“. [...]

4. ... „regulative Sprechakte zu verwenden, d.h. zu befehlen und sich zu widersetzen zu erlauben und zu verbieten, Versprechen zu geben und abzunehmen, Rechenschaft abzulegen und zu verlangen usf.“

Die ideale Sprechsituation schließt systematisch verzerrte Kommunikation aus.

2.4.5 Zur Pathologie der Kommunikation


Die nachfolgende Darstellung bezieht sich die 1974 verfaßte Abhandlung „Überlegungen zur Kommunikationspathologie“(Habermas 1995b, S. 226-270).

a) Verständigungsbereitschaft zwischen Sprecher (S) und Hörer (H): Der verständigungsbereite Sprecher S wird

  • „den sprachlichen Ausdruck so wählen, daß der Hörer ihn genau versteht;

  • den Aussageinhalt so formulieren, daß er eine Erfahrung oder eine Tatsache wiedergibt (und H das Wissen von S teilen kann);

  • seine Intention so äußern, daß der sprachliche Ausdruck das Gemeinte wiedergibt (und H dem S vertrauen kann);

  • die Sprechhandlung so ausführen, daß sie anerkannte Normen erfüllt bzw. akzeptierten Selbstbildern entspricht (und H darin mit S übereinstimmen kann)“ (ebenda, S. 245 f.).

b) Gestört ist die Kommunikation, „wenn (einige) sprachliche Bedingungen für eine direkte Verständigung zwischen (mindestens) zwei Interaktionsteilnehmern nicht erfüllt sind“ (Habermas 1995a, Bd. 1, S. 189).

c) Systematisch verzerrte Kommunikation setzt die Voraussetzungen der Kommunikation außer Kraft: Es ist keine Verständigungsbereitschaft mehr gegeben. Das Nichtverstehen kann mehrere Ursachen haben.



Unterscheide:

  • „Nichtverstehen“ aus akustischen Gründen oder wegen zu geringer Sprachkompetenz;

  • irrtümliches bzw. leichtfertiges Behaupten von Sachverhalten;

  • bewußte Verletzung von Kommunikationsregeln (z.B. durch eine einzelne Lüge oder Täuschung des Kommunikationspartners);

  • inadäquates, unangepaßtes Verhalten (z.B. linkisches Benehmen bei einem Empfang; falsche Anrede; Herstellen von allzu großer Intimität, wenn eine gewisse soziale Distanz angebracht wäre u.a.m.);

  • systematisch verzerrte (pathologische) Kommunikation als Ausdruck einer gestörten Identitätsbalance, die aus Gründen der Identitätssicherung aufrecht erhalten wird.

„Systematisch verzerrte Kommunikationen sind Ausdruck eines Konfliktpotentials, das nicht vollständig unterdrückt werden kann, aber nicht manifest werden soll“ (Habermas 1995b, S. 253).

Zur Veranschaulichung von pathologischer, d.h. systematisch verzerrter Komunikation gebe ich ein Beispiel aus der Literatur. Der nachfolgende Text stammt aus dem zweiten Kapitel eines bekannten Werkes, „Sturmhöhe“ (Originaltitel: „Wuthering Heights“), der englischen Schriftstellerin Emily Jane Brontë (1818-1848).



Emily Brontë: Sturmhöhe. Frankfurt 1975, Seiten 13 - 16

Gestern nachmittag setzten Nebel und Kälte ein. Ich hatte halb und halb Lust, in meinem Studierzimmer am Kamin zu bleiben, anstatt durch Heide und Lehmboden nach Wuthering Heights zu waten. Als ich jedoch vom Mittagessen aufstand (nebenbei bemerkt, ich esse zwischen zwölf und ein Uhr; die Haushälterin, eine ältere Frau, die ich laut Vereinbarung zugleich mit dem Hause übernommen hatte, konnte oder wollte meine Bitte um fünf Uhr zu speisen, nicht begreifen), als ich also mit diesem bequemen Vorsatz die Treppe hinaufging und das Zimmer betrat, kniete dort, inmitten von Bürsten und Kohleneimern, eine Dienstmagd am Boden, die mit Haufen von Asche die Flammen erstickte und dabei einen höllischen Staub aufwirbelte. Dieser Anblick ließ mich augenblicklich entweichen; ich nahm meinen Hut und langte nach einem Marsch von vier Meilen bei Heathcliffs Gartenpforte an, gerade zur rechten Zeit, den ersten wirbelnden Flocken eines Schneegestöbers zu entrinnen.

Auf dieser kahlen Höhe war die Erde hart gefroren, und die kalte Luft ließ mich am ganzen Körper erschauern. Da ich die Kette nicht lösen konnte, sprang ich über den Zaun, lief den von Stachelbeersträuchern gesäumten gepflasterten Damm entlang und klopfte, vergeblich Einlaß begehrend, an das Tor, bis meine Knöchel schmerzten und die Hunde heulten.

„Elende Bande!“ knirschte ich innerlich, „ihr verdientet, für eure flegelhafte Ungastlichkeit ewig von euresgleichen gemieden zu werden! Zum mindesten würde ich meine Tür während des Tages nicht verriegeln. Mir ganz gleich - ich will hinein!“ Mit diesem Entschluß faßte ich die Klinke und rüttelte heftig daran. Es dauerte noch eine Weile, bis das essigsaure Gesicht Josephs in einem runden Fenster der Scheune erschien.

„Was wolln Sie?“ schrie er mich an. „Der Herr is drunten aufm Feld. Gehn Sie doch hinten rum, wenn Sie `n sprechen wolln.“

„ Ist denn niemand im Haus, der die Tür öffnen kann?“ schrie ich zurück.

„Nee, nur die Frau, und die macht nich auf, und wenn Sie bis heut nacht weitertoben.“

„Warum nicht? Können Sie ihr nicht sagen, wer ich bin, he, Joseph?“

„Nee, ich nich! Ich will nix mit zu tun ham“, murmelte er, und der Kopf verschwand.

Der Schnee begann dichter zu fallen. Ich ergriff die Klinke, um noch einen Versuch zu machen, als ein junger Mann ohne Rock mit geschulterter Heugabel hinten im Hof erschien.Er rief mir zu, ihm zu folgen, und nachdem wir durch ein Waschhaus und einen gepflasterten Hof , an einem Kohlenschuppen, einer Pumpe, und einem Taubenschlag vorbeigegangen waren, landeten wir endlich in einem großen, warmen, schönen Zimmer, in dem ich zuerst empfangen worden war. Es erstrahlte wohltuend im Schein eines gewaltigen Feuers, das von Kohle, Torf und Holz genährt wurde. Am Tisch, der für eine reichliche Abendmahlzeit gedeckt war, bemerkte ich zu meiner Freude die „Frau“, ein Wesen, von dessen Vorhandensein ich bis dahin nichts geahnt hatte. Ich verbeugte mich und wartete, in der Meinung, sie würde mir einen Platz anbieten. Sie blickte mich an, lehnte sich im Stuhl zurück und verharrte bewegungslos und stumm.

„Unfreundliches Wetter!“ bemerkte ich: „Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, die Tür wird infolge der lässigen Aufmerksamkeit ihrer Diener etwas abbekommen haben. Es war ein verteufeltes Stück Arbeit, bis sie mich gehört haben!“

Sie öffnete den Mund nicht. Ich starrte sie an und sie starrte mich an. Jedenfalls ließ sie ihre Augen auf eine kühle, unbekümmerte Art auf mir ruhen, die äußerst verwirrend und unangenehm war.

„Setzen Sie sich!“ sagte der junge Mann mürrisch. „Er wird bald hier sein.“

Ich gehorchte, räusperte mich und lockte die böse Juno, die Spitze ihres Schwanzes zu bewegen, als Zeichen, daß sie sich meiner Bekanntschaft erinnerte.

„Ein prachtvolles Tier!“ begann ich von neuem. „ Werden Sie die Jungen abgeben, gnädige Frau?“

„Sie gehören mir nicht“, sagte die liebenswürdige Wirtin noch abweisender, als selbst Heathcliff hätte antworten können.

„O, dann sind wohl das dort ihre Lieblinge?“ fuhr ich fort und wies auf ein dunkles Kissen, auf dem anscheinend Katzen lagen.

„ Eine sonderbare Auswahl von Lieblingen!“ bemerkte sie verächtlich.

Unglücklicherweise war es ein Haufen toter Kaninchen. Ich räusperte mich noch einmal, rückte näher an den Kamin und wiederholte meine Bemerkung über den stürmischen Abend.

„Sie hätten nicht ausgehen sollen“, sagte sie, stand auf und langte nach zwei von den bemalten Blechdosen auf dem Kaminsims.

Vorher war sie dem Licht abgewendet gewesen; jetzt erhielt ich einen klaren Eindruck von ihrer Gestalt und ihrem Gesicht. Sie was schlank und anscheinend kaum dem Kindesalter entwachsen, hatte die wundervollste Figur und das reizendste kleine Gesicht, das ich jemals gesehen habe; feine Züge, sehr schön; flachsblonde, nein, eigentlich goldene Locken, die lose über ihren zarten Nacken fielen; Augen, die unwiderstehlich gewesen wären, wenn sie einen angenehmen Ausdruck gehabt hätten. Zum Glück für mein empfängliches Herz schwankte das einzige Gefühl, das sie ausdrückten, zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung, und diese dort anzutreffen, mutete ganz besonders unnatürlich an.

Die Blechdosen waren für sie kaum zu erreichen; ich machte eine Bewegung, um ihr zu helfen, aber sie fuhr herum wie ein Geizhals, dem jemand beim Geldzählen helfen wollte.

„Ich brauche ihre Hilfe nicht“, fuhr sie mich an, „ich kann sie allein herunterholen.“

„Verzeihen Sie!“ beeilte ich mich zu entgegnen.

„Sind Sie zum Tee eingeladen?“ fragte sie, während sie sich eine Schürze über ihr elegantes schwarzes Kleid band und einen Löffel voll Teeblätter über den Kopf hielt.

„Ich würde gern eine Tasse trinken“, erwiderte ich.

„Sind Sie eingeladen?“ wiederholte sie.

„Nein“, sagte ich lächelnd. “Vielleicht haben Sie die Güte, es zu tun.“

Sie schleuderte den Tee, den Löffel und alles übrige zurück, nahm ärgerlich ihren Platz wieder ein, runzelte die Stirn und schob ihre Unterlippe vor, wie ein Kind, das weinen will. Unterdessen hatte der junge Mann einen äußerst schäbigen Rock angezogen, stellte sich aufrecht vor das Feuer und blickte aus den Augenwinkeln auf mich herab, als ob eine tödliche Fehde unausgetragen zwischen uns bestünde. Ich schwankte, ob er ein Knecht war oder nicht: sowohl seine Kleidung wie seine Sprache waren primitiv, und es fehlte ihnen gänzlich die Überlegenheit Mr. und Mrs. Heathcliffs.

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Kommentar: Die Atmosphäre in „Wuthering Heights“ ist alles andere als gastfreundlich. Ein normales Begrüßungsgespräch, wie man es führt, wenn man aus eigenem Antrieb als der neue Pächter eines Anwesens zum Haus des Pachtherren in einer öden Moorlandschaft kommt, mißlingt. Der Text macht deutlich, wie die abweisende Unfreundlichkeit der Hausbewohner sich sowohl verbal als auch nonverbal äußert. Die Alltagsroutinen eines wohlwollenden Eingehens auf einfachste Bedürfnisse des Gastes (eine Tasse Tee trinken) sind abgeschaltet. Das ganze Umfeld der Personen und Gegebenheiten in „Wuterhingh Heights“, die auf den Erzähler befremdend wirken, ist geradezu beängstigend und unheimlich.

Merke: Pathologische Kommunikation ist selten Ausdruck eines einmaligen Mißverständnisses mit unglücklichen Folgen (siehe die Geschichte „Das Roastbeef“), sondern Ausdruck einer lang anhaltenden, chronischen Beziehungsstörung. Sie kommt besonders innerhalb der Familie vor - bei Beziehungskonflikten mit ungleicher Machtverteilung, geringen Chancen der Bedürfnisbefriedigung für die benachteiligte Seite und dem gleichzeitigen Versuch, den brüchigen Familienkonsens nach außen hin aufrechtzuerhalten. Die sozialen Interaktionen sind durch Mißtrauen, Unsicherheit und starres Rollenverhalten gekennzeichnet - ohne daß kommunikative Verständigungsbereitschaft besteht oder die Fähigkeit vorhanden ist, die pathologische Interaktionsstruktur zu durchbrechen.

Im Alltag schützen wir uns vor Mißverständnissen und „verzerrter“ Kommunikation, indem wir zurückfragen:



  • nach der Bedeutung des Gemeinten;

  • nach dem Kontext der Situation: den für ihn geltenden Kommunikationsregeln und dem Geltungsanspruch der getroffenen Aussagen.

Die ideale Sprechsituation ist „weder ein empirisches Faktum, noch bloßes Konstrukt“, sondern eine in Diskursen unvermeidliche, reziprok vorgenommene Unterstellung“, daß Kommunikation und rationale Argumentation möglich seien (Habermas 1995b, S. 180).

2.4.6 Kritik und Schlußfolgerungen


Habermas gehört mit seiner Theorie des kommunikativen Handelns (TkH) zu den einflußreichsten deutschen Philosophen der Nachkriegszeit. So weitläufig diese Theorie ist, indem sie bei einer Fülle von anderen (hier nicht dargestellten) sozialwissenschaftlichen Theorien Anknüpfungspunkte sucht, so sehr erfuhr sie bei aller Anerkennung auch Kritik - aus den unterschiedlichsten Motiven.

Im frühen Stadium seiner Publikationen, als Habermas an das Potential der Kritischen Theorie (Horkheimer/Adorno) anknüpfte und für die Sozialwissenschaften eine emanzipatorische Ausrichtung forderte, hatte er Kritik von konservativen Positionen zu erwarten. Mit der Publikation der TkH, mit der Habermas eine Abwendung von der Kritischen Theorie (insbesondere von deren Geschichtsverständnis) vollzog, setzte er sich der Kritik politisch links stehender Wissenschaftler aus (vgl. Bolte 1989). Viele Elemente dieser Theorie hatte Habermas allerdings schon Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre aus breit gestreuten Anlässen in verschiedenen Aufsätzen publiziert, die später als „Vorstudien“ zur TkH mit einigen „Ergänzungen“ zusammengefaßt und als VuE gleichsam den dritten Band zu den beiden Bänden der TkH bilden. Zugegeben: Die Fülle des Materials, die Habermas ausbreitet, ist gewaltig und macht es schwer, sich hier einen Weg zu bahnen, aber sein Werk bleibt für jeden Kommunikationstheoretiker eine Pflichtübung.

Die sachlich nachhaltigste Kritik erfuhr Habermas von Niklas Luhmann (vgl. Abschnitt 4.5), den er zuvor scharf angegriffen hatte. Der Anfang dieser sich über Jahre hinziehenden Kontroverse ist dokumentiert (vgl. Habermas/Luhmann 1971). Aus Luhmanns Sicht ist Habermas einer der letzten Vertreter des alten europäischen Denkens, das vom Subjektbegriff aus einen Horizont ideeller Diskursnormen entwirft - ohne in der Lage zu sein, die Realität der modernen Gesellschaft in ihrer Kontingenz zu erfassen. Luhmanns Kritik macht deutlich, wie weit jener - offenbar als Antwort auf diese Kritik in Anspruch genommene Systembegriff von Habermas entfernt ist, tatsächlich diesen Namen zu verdienen. Habermas, der „System“ und „Lebenswelt in der TkH als Fundamentalbegriffe etabliert, benützt den Systembegriff nur bildhaft. Die von Luhmann angewandte Theorie geschlossener Systeme ist ihm fremd. Habermas etabliert einen Konsensbegriff der Wahrheit, der die Meinung aller Vernünftigen als Wahrheit ausgibt. In der gesellschaftlichen Praxis reduziert sich das auf die Wahrheit bzw. Unwahrheit von Expertenmeinung.

Die letzte Diskussionswelle, die Habermas auslöste, hatte mit seiner Mißbilligung der „Postmoderne“ zu tun, jener einflußreichen Zeitströmung, der er Irrationalismus (und Schlimmeres) vorwarf; demgegenüber setzte Habermas sich ein für das Festhalten am „Projekt der Moderne“, das heißt, für Rationalität und Aufklärung. Dies muß vorausgeschickt werden, bevor ich auf die Bedeutung der TkH im Rahmen von Kommunikationstheorien zu sprechen komme.

Die TkH ist keine analytische Theorie, die, ausgehend von bestimmten wissenschaftlichen Voraussetzungen, Sachverhalte, Zustände und Fakten in ihrem Ist-Zustand systematisch erfaßt. Anders als der Symbolische Interaktionismus und die Ethnomethodologie ist die TkH vielmehr in ihren wesentlichen Teilen normative Theorie: Sie prüft die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Kommunikation als Grundlage für alle wesentlichen in der Gesellschaft zu fällenden Entscheidungen möglich wird.


  • Unterscheidung von Aussagetypen, deren Geltungsanspruch entweder auf „Richtigkeit“ oder „“Wahrheit“ oder „Wahrhaftigkeit“ zu prüfen ist (wobei die "Verständlichkeit“ als implizite Voraussetzung gilt).

  • Begründung von Normen, die konstitutiv für die „ideale Sprechsituation“ sind, in derem Infeld Argumente ausgetauscht werden.

Der Begriff, „ideale Sprechsituation“ trug seinem Erfinder (Habermas) allerdings auch Spott ein. In der Zeit der „großen Diskussionen“ (an denen Habermas sich vielfältig beteiligte) sahen aktuelle Sprechsituationen eben doch ganz anders aus und waren manchmal weit entfernt von den Habermas’schen Idealvorstellungen.

Viele Aspekte der Theorie Habermas’ sind in anderen psychologischen Kommunikationstheorien wiederzufinden, ohne daß die Autoren auf Habermas (oder umgekehrt) Bezug nehmen. Auch in psychologischen Theorien geht es letztlich darum, die Bedingungen für eine optimale Kommunikation auszumachen, d.h. bestimmte Normen und Handlungsanweisungen für optimale Kommunikation zu beschreiben. Doch dies geschieht zumeist, ohne daß Beziehungen zu soziologisch orientierten Theorien deutlich werden. Jeder bewegt sich im Grunde immer nur auf seiner eigenen Spielwiese. Habermas’ Ausführungen etwa zur Pathologie der Kommunikation erwähnen Watzlawick et al. (1990) nicht, lassen in einigen Punkten - wie in der Unterscheidung von Inhalt und Beziehung - interessante Parallelen erkennen.

Einer Einführung in Theorien der Kommunikation kann es nicht nur darum gehen, verschiedene Theorien in ihren Vor- und Nachteilen darzustellen. Es liegt ebenso in ihrer Absicht, Bezüge und Querverbindungen zwischen Theorien verschiedener Herkunft zu verdeutlichen. Habermas’ Theorie ist grundlegend nicht nur für psychologische Aspekte von Kommunikation, sondern ebenso für jede Theorie der Argumentation; Vertreter der Argumentationstheorie - in der Regel Philosophen und Linguisten -, nehmen psychologische Kommunikationstheorien kaum zur Kenntnis wie umgekehrt das Gros der Kommunikationsforscher in Pädagogik und Psychologie um argumentationstheoretische Zusammenhänge meist einen Bogen schlagen - ganz zu unrecht. Denn für die pädagogische Praxis ist nicht nur die Fähigkeit zur Kommunikation, sondern auch zur Argumentation fundamental. Sie bietet einen Rahmen für die sachliche Legitimation von Entscheidungen.


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